RG, 15.06.1917 - VII 46/17
Auslegung allgemeiner Versicherungsbedingungen. Begriff des Kriegsereignisses bei dem Unfallersicherungsvertrage.
Tatbestand
Der Bierverleger R. aus B. war bei der Beklagten gegen Unfall versichert. Als er am 6. August 1914 mit seinem Automobil nach S. fuhr, um es der ihm erteilten Anweisung gemäß zum Zwecke militärischer Verwendung abzuliefern, wurde er unterwegs gleichzeitig mit dem Führer eines zweiten Automobils von dem von der Gemeinde K. als Grenz- und Bahnwächter angestellten ehemaligen Hüttenarbeiter J. angehalten, zum Aussteigen veranlaßt und zur Wache abgeführt; dabei wurden beide von J. erschossen. Der Kläger als Verwalter des R.schen Nachlasses fordert mit der Klage Zahlung der für den Todesfall vereinbarten Versicherungssumme.
In erster Instanz wurde nach dem Klagantrag erkannt, die von der Beklagten hiergegen eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen. Die Revision der Beklagten hat zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Klagabweisung geführt.
Gründe
"Nach § 4 unter II, 4 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten sind von der Versicherung Unfälle ausgeschlossen, die der Versicherte durch Kriegsereignisse erleidet. Was unter einem Kriegsereignis im Sinne dieser Vertragsbestimmung zu verstehen sei, mag zweifelhaft sein. In jedem Falle wird es sich um ein Ereignis handeln müssen, das mit dem Kriege in ursächlichem Zusammenhange steht. Daß nun die Abgabe des Schusses, durch den der Versicherte getötet wurde, mit dem Kriege in Zusammenhang gestanden habe, ist nicht zu bezweifeln und wird auch vom Berufungsrichter nicht verkannt. Der Berufungsrichter geht mit Recht davon aus, daß die Anstellung des J. als Grenz- und Bahnwächter im Interesse der Landesverteidigung erfolgt ist und daß die Abführung des R. den Schutz heimischer Einrichtungen gegen feindliche Einwirkungen bezweckt hat. Er meint aber, die Abgabe des Schusses finde ihre Erklärung allein in der geistigen Verfassung des im Urteile der Strafkammer in Zw. vom 12. Mai 1915 als geistig minderwertig bezeichneten J., der sich unter Verkennung der Sachlage und unter Nichtbeachtung der für den Waffengebrauch geltenden Vorschriften zu dieser durch den Bahnschutz nicht erforderten und durch den Kriegszustand nicht zu rechtfertigenden Tat habe hinreißen lassen, ohne daß R. ihm dazu irgendwelche Veranlassung gegeben habe. Er folgert daraus, daß diejenigen Bedingungen der Tat, die in dem vorhandenen Kriegszustande beruhten, völlig hinter denjenigen zurücktreten, die in der Geistesart des J. ihren Grund gehabt haben, und daß deshalb die Abgabe des Schusses nicht als ein Kriegsereignis zu erachten, der Tod des R. nicht auf ein solches zurückzuführen sei.
Mit Recht macht die Revision demgegenüber geltend, daß das Ereignis mit dem Kriege im engen ursächlichen Zusammenhange gestanden habe und deshalb als ein Kriegsereignis im Sinne der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten anzusehen sei. Mag auch J. dem ihm anvertrauten Posten nicht gewachsen gewesen sein, so ist er doch von zuständiger Stelle für diesen Posten ausersehen und mit ihm betraut worden. Und mag sein Vorgehen sachlich verkehrt gewesen sein und sich mit den Vorschriften über den Waffengebrauch im Widerspruch befunden haben, so hat er doch pflichtgemäß handeln wollen und zu handeln geglaubt, er hat nur in einer bei Beginn des Krieges übrigens häufiger wahrnehmbar gewesenen Erregung die Sachlage falsch beurteilt und dementsprechend gehandelt. Sein ganzes Tun findet mithin in seiner Anstellung als Wächter und diese wiederum findet in dem Kriegszustande ihre Erklärung, und beides steht mit dem Kriege in einem engen ursächlichen Zusammenhanges
Demgemäß war das angefochtene Urteil aufzuheben und auf die Berufung der Beklagten unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils auf Klagabweisung zu erkennen."