RG, 08.06.1917 - III 5/17
Inwieweit hat der Unfallverletzte sein Unfallsruhegehalt zu Gesundheitszwecken zu verwenden? Wann entstehen ihm besondere Kosten des Heilverfahrens im Sinne der Beamtenunfallfürsorgegesetze?
Tatbestand
Der wegen Betriebsunfalls im Jahre 1892 pensionierte, in Görlitz wohnhafte Kläger fordert die Kosten (141,25 M) eines von Anfang Juli bis Anfang August 1914 dauernden Sommeraufenthalts in R., den er - wie der ihn seit lange behandelnde Nervenarzt Sanitätsrat Dr. M. nachträglich, am 17. August 1914, bezeugt - auf dessen Wunsch genommen hatte.
Das Landgericht wies den Klaganspruch ab. Der Berufungsrichter erklärte ihn dem Grunde nach für gerechtfertigt. Der Beklagte wendet ein: zuvörderst, nach dem Gutachten der Breslauer Heilanstalt für Unfallverletzte vom 28. Oktober 1913 sei von einem derartigen Sommeraufenthalt eine wesentliche Beeinflussung des vorhandenen krankhaften Zustandes nicht zu erwarten, auch nicht eine Milderung der Beschwerden; sodann, der Kläger wohne aus finanziellen Gründen in dem seiner Ehefrau gehörigen, in einer unruhigen und ungesunden Straße von Görlitz gelegenen Hause, er habe nach dem Gutachten des Dr. W. nur nötig, seine Wohnung in einen gesünderen Stadtteil zu verlegen, um in Görlitz selbst ein für seine Krankheit durchaus günstiges Sommerklima zu genießen.
Die Revision ist zurückgewiesen worden.
Gründe
"Der erste Einwand des Beklagten erledigt sich durch die Feststellung des Berufungsrichters, daß der Aufenthalt in R. zur Linderung und Milderung des Leidens des Klägers dienlich war. Schon darum sind nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats die erwachsenen Kosten solche des Heilverfahrens.
Auch der zweite Einwand muß erfolglos bleiben. Die Revision führt folgendes aus. Der Kläger habe seine Wohnung in der ausgesucht ungünstigsten Gegend von Görlitz; falls er keine Ehefrau hätte und eine solche Wohnung wählte, würden ihm besondere Heilkosten nicht zuzubilligen sein; von dem Beamten müsse nach Treu und Glauben erwartet werden, daß er die auch zur Erhaltung und Pflege seiner Gesundheit bestimmte Unfallpension sachgemäß verwende, also eine seinem Krankheitszustande günstige Wohnung suche, nicht aber eine solche, die den Zustand gerade verschlimmert; diese Rechtslage könne nicht dadurch geändert sein, daß die vom Kläger gewählte ungünstige Wohnung im Hause seiner Ehefrau sei, welches diese durch Erbgang erworben habe, aber, so viel bekannt, erst nach der Pensionierung des Klägers; gegenüber dem Urteile des erkennenden Senats vom 27. April 1917 (III. 4/17) im Vorprozesse der Parteien werde um nochmalige Prüfung dieses Punktes gebeten.
Dieser Ausführung der Revision kann nicht beigepflichtet werden. Es entspricht dem gewöhnlichen, regelmäßigen, wirtschaftlich natürlichen oder gebotenen Laufe der Dinge, daß der Kläger mit seiner Ehefrau - auf deren ständige Pflege und Wartung er übrigens angewiesen ist - in dem dieser gehörigen Hause wohnt, weil dies ohne Zweifel, unbeschadet besonderer hier nicht in Frage kommender Umstände, billiger ist, als eine Mietwohnung. Würde der Kläger des Heilzwecks wegen davon abstehen, also den Vorteil der Benutzung des eigenen Hauses aufgeben, so wären die dadurch - durch das anderweite Wohnen des Klägers und seiner Ehefrau, sei es dauernd, sei es nur während einer gewissen Sommerzeit - entstehenden Mehrkosten besondere Kosten des Heilverfahrens, die der Beklagte ersetzen müßte. Allerdings hat auch das Unfallsruhegehalt den Gesundheitszwecken des Unfallverletzten zu dienen, aber nicht in dem Sinne, daß der Verletzte von den gewöhnlichen, regelmäßigen, wirtschaftlichen Maßnahmen absehen und statt deren seine Lebenshaltung in besonderer, ungewöhnlicher, ihm wirtschaftlich nachteiliger Weise regeln müßte. Umgekehrt vielmehr hat der Unfallpensionierte sein Ruhegehalt zu Gesundheitszwecken zu verwenden nur innerhalb des gewöhnlichen Laufes der Dinge; soweit er davon abweichen und darum besondere Kosten aufwenden muß, entstehen besondere Heilkosten, deren Ersatz dem Beklagten obliegt. Nach diesem Maßstäbe der Gewöhnlichkeit sind die strittigen Kosten (141,35 M) ebenso besondere Heilkosten, wie es die Nachteile und Unkosten einer anderweiten Wohnung sein würden. Der Beklagte hat auch nicht behauptet, geschweige dargelegt, daß beim Wohnen des Klägers und seiner Ehefrau in einem gesünderen Teile der Stadt Görlitz -. dauernd oder nur während des Sommermonats - dem Kläger im Verhältnis zur Benutzung des eigenen Hauses Nachteile und Unkosten nur unter dem Betrage von 141,35 M erwachsen wären."