RG, 08.06.1917 - II 618/16
Liquidation der offenen Handelsgesellschaft. Ist der Liquidator befugt, Ansprüche der Gesellschafter aus ihrem Verhältnis untereinander einzuklagen? Können solche Ansprüche auch von einem Gesellschafter, der nicht Liquidator ist, geltend gemacht werden?
Tatbestand
Die Parteien errichteten am 28. Januar 1908 eine offene Handelsgesellschaft L. & W. zum gemeinschaftlichen Betrieb eines Viehhandels- und Viehkommissionsgeschäfts. Am 1. April 1914 wurde die Liquidation beschlossen; zu Liquidatoren wurden zwei Nichtgesellschafter ernannt.
Der Kläger behauptete, der Beklagte habe während der Dauer der Gesellschaft Geschäfte in Vieh gemacht, die in den Bereich der Gesellschaft fielen. Er erhob daher Klage mit den Anträgen,
- festzustellen, daß die vom Beklagten abgeschlossenen Geschäfte in Vieh, namentlich in Gänsen, Schweinen und Rindern, als für Rechnung der Gesellschaft abgeschlossen zu gelten hätten;
- den Beklagten zu verurteilen, über die bezeichneten Geschäfte Rechnung zu legen.
Im Gegensatz zum ersten Richter, der der Klage stattgab, erkannte das Kammergericht auf Abweisung, weil zur Geltendmachung der Klagansprüche nur die Liquidatoren imstande seien. Das Reichsgericht hob das Berufungsurteil auf aus folgenden Gründen:
Gründe
"Der Ansicht des Berufungsrichters läßt sich nicht beitreten. Es handelt sich um Ansprüche des einen Gesellschafters gegen den andern, die aus dem Gesellschaftsverhältnis abgeleitet sind. Richtig ist, daß auch Ansprüche dieser Art durch die Liquidatoren erhoben werden können. Bei dem engen Zusammenschlusse der offenen Handelsgesellschaft, kraft dessen sie sich der juristischen Person nähert, vertritt die Gesellschaft als solche dem einzelnen Gesellschafter gegenüber das Gesellschaftsvermögen. Das kommt z. B. in §§ 110, 113 HGB. zum Ausbruch wonach der einzelne "der Gesellschaft" gegenüber berechtigt und verpflichtet ist. Daher ist bei bestehender Gesellschaft derjenige, der die Gesellschaftsgeschäfte führt, auch zur Geltendmachung der hier streitigen Rechte ermächtigt. Das gleiche gilt nach Auflösung der Gesellschaft von dem Liquidator, von dem § 149 HGB. besonders hervorhebt, daß er "die Forderungen einzuziehen" hat. Es steht in Lehre und Rechtsprechung fest, daß sich dieses Einziehungsrecht auf Forderungen aller Art erstreckt und daß auch bei denen, die sich gegen einen Gesellschafter richten, nicht nach dem Entstehungsgrunde der Forderung unterschieden werden darf.
Allein aus der Zuständigkeit der Liquidatoren folgt nicht die Unzuständigkeit des einzelnen Gesellschafters. Für die Erhebung der Feststellungsklage genügt schon das rechtliche Interesse an der Feststellung. Im Übrigen muß die Erwägung durchschlagen, daß sich der Kläger auf eigenes Recht beruft. Die Ansprüche auf Rechnungslegung und Leistung des Offenbarungseides sollen den Zahlungsanspruch vorbereiten; mit dem Antrag auf Abführung des Geldes an die Gesellschaft kann auch dieser Anspruch Gegenstand der actio pro socio sein. Der Berufungsrichter irrt, wenn er eine so begründete Klage wegen der Klagbefugnis des Liquidators abweisen zu müssen glaubt. Das hat das Reichsgericht bisher nicht ausgesprochen, auch nicht in dem Urteile des erkennenden Senats RGZ. Bd. 86 S. 68. In dem dort entschiedenen Falle, in dem es sich um eine gewöhnliche Forderung der Gesellschaft gegen einen Dritten handelte, wurde nur dargelegt, daß nicht einfach deshalb, weil die einer Gemeinschaft zur gesamten Hand geschuldete Leistung im Rechtssinn unteilbar ist, ein beliebiges Mitglied einer offenen Handelsgesellschaft nach § 432 BGB. auf Leistung an die Gesellschaft klagen kann. Indem der Senat ein derartiges Vorgehen für unvereinbar erklärte mit den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags über die Geschäftsführung, setzte er die Richtung fort, die das Reichsgericht schon früher eingeschlagen hatte; vgl. das dort zitierte Urteil des V. Zivilsenats vom 25. März 1899 (Jur. Wochenschr. S. 342) und, was besonders die Liquidation anlangt das Urteil des IV. Zivilsenats vom 16. Mai 1892 (Gruchot, Bd. 36 S. 1162). Eine andere Frage ist aber die, ob bei Forderungen, die im Verhältnis der Gesellschafter zueinander wurzeln, das Klagrecht des Geschäftsführers (Liquidators) die Klage des Gesellschafters ausschließt. Insoweit ist zu beachten, daß der Geschäftsführer nur die Gesellschaft als solche vertritt, nicht die einzelnen Gesellschafter. Da das Urteil im Gesellschafterprozesse keine Rechtskraft gegen ihn wirkt, kann seine Tätigkeit durch die konkurrierende Klage nicht beeinträchtigt werden. Daher liegt ein Grund, die Klage auszuschließen, nicht vor. Der gleichen Ansicht war das Reichsoberhandelsgericht (Entsch. Bd. 5 S. 387, 390 flg., auch Bd. 25 S. 161), das die actio pro socio im Liquidationsstadium unbedenklich zugelassen hat. Auch die Literatur nimmt seit den Ausführungen von Behrend, Handelsrecht Bd. 1 S. 472, 573 (Note 7), überwiegend den nämlichen Standpunkt ein; vgl. Düringer-Hachenburg Bd. 4 S. 374 flg., 394 flg. mit Nachw. und dazu Flechtheim, Jur. Wochenschr. 1916 S. 838."