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RG, 30.03.1917 - VII 411/16

Daten
Fall: 
Stempelsteuer unterliegende Urkunde
Fundstellen: 
RGZ 90, 110
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
30.03.1917
Aktenzeichen: 
VII 411/16
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Cassel
  • OLG Cassel

Findet auf eine der preußischen Stempelsteuer unterliegende Urkunde, in welcher die Gültigkeit des beurkundeten Geschäfts von der Genehmigung eines Dritten abhängig gemacht ist, der § 3 Abs. 2 oder der § 16 Abs. 3 des preußischen Stempelsteuergesetzes vom 30. Juni 1909 Anwendung?

Tatbestand

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 9. Juni 1910 verkauften die Eheleute M. ihr Bauerngut an den Kläger. Die Urkunde enthält die Erklärung:

"Die Gültigkeit dieses Vertrags hängt von der Genehmigung des R. Gr. in B. ab. Gr. hat bis zum 1. Juli die Genehmigung zu erteilen oder zu versagen."

Die Genehmigung ist unterblieben. Zu der Vertragsurkunde waren nur 3 M Landesstempel verwendet worden. Die Steuerbehörde forderte 236 M Landestempel nach. Dieser Betrag wurde zwangsweise bei dem Kläger beigetrieben, der ihn mit der Klage zurückverlangte. Das Landgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung der 236 M. Die Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen. Auch seine Revision blieb erfolglos aus folgenden Gründen:

Gründe

"Die Revision verteidigt die Ansicht, § 16 Abs. 3 preuß. StempStG. sei nur anwendbar, wenn das Rechtsgeschäft nach gesetzlicher Vorschrift die Zustimmung eines Dritten erfordere, und müsse ausscheiden, da es sich hier nicht um einen solchen Fall handle, sucht aber auch geltend zu machen, daß sich der Gutskaufvertrag vom 9. Juni 1910 als ein für die Vertragschließenden unter einer vereinbarten Bedingung in technischem Sinne gültig und bindend zustande gekommenes Geschäft auffassen lasse, welches nicht dem § 16 Abs. 3, sondern den Bestimmungen des § 3 und der Tarifnr. 32 preuß. StempStG. unterliege. Zuzugeben ist, daß jener Vertrag ein bedingtes Rechtsgeschäft darstellt. Indem die Beteiligten die Gültigkeit des Vertrags von der bis zum 1. Juli zu erteilenden oder zu versagenden Genehmigung des N. Gr. abhängig machten, stellten sie zufolge freier Willensentschließung ihre gesamten übrigen Vereinbarungen, die, an sich betrachtet, zur Begründung endgültiger bedingungsloser kaufrechtlicher Beziehungen zwischen den Vertragschließenden geeignet gewesen wären, unter eine eigentliche rechtsgeschäftliche aufschiebende Bedingung, von deren Ungewissem Eintritt es abhing, ob der verabredete Gutskauf wirksam werden würde. Nach dem erwähnten § 3 wäre anzunehmen, daß die dem Vertrage hinzugefügte Bedingung für die Stempelpflichtigkeit ohne Bedeutung sei. Es fragt sich jedoch, ob nicht auch § 16 Abs. 3 des Gesetzes anwendbar ist und dies zu einem anderen Ergebnis führt.

Allerdings handelt der erste Abschnitt des Stempelsteuergesetzes, zu dem der § 3 gehört, "von der Pflicht zur Entrichtung der Stempelsteuer", der zweite Abschnitt, dem der § 16 zugehört, "von der Erfüllung der Stempelpflicht und den Folgen der Nichterfüllung", und insbesondere trägt § 16 die Überschrift "Zeit der Stempelverwendung bei Verhandlungen der Privatpersonen." Daraus könnte man zunächst schließen wollen, § 16 Abs. 3 komme nur für die Versteuerungsfrist in Betracht. Allein es steht in der Rechtsprechung fest, daß die Bedeutung des § 16 sich nicht darauf beschränkt, Zeitbestimmungen für die Stempelverwendung zu setzen, sondern sich auch auf die Frage des Bestandes einer Stempelschuld erstreckt. Es mag namentlich auf die eingehenden Erörterungen des Urteils RGZ. Bd. 46 S. 273 flg. verwiesen werden, wo besonders zum § 16 flg. nachgewiesen ist, daß dort gewisse, neben dem § 2 des Gesetzes beachtliche Erfordernisse des stempelpflichtigen Tatbestandes aufgestellt sind, die nicht bloß die Erfüllung der Stempelpflicht befristen, sondern auch deren Bestand bedingen. Kann die zweiwöchentliche Besteuerungsfrist nach den Umständen des Einzelfalles überhaupt nie beginnen, nie in Lauf kommen und somit auch nie ablaufen, so kann auch von dem Bestehen der Stempelpflicht oder Stempelschuld nicht die Rede sein. Dies trifft hier zu, da feststeht, daß Gr. in der dafür gesetzten Frist die Genehmigung nicht erteilt hat. Der § 16 kann hier auch nicht etwa aus dem Grunde ausgeschieden werden, weil er "Verhandlungen der Privatpersonen" betrifft. Hier liegt freilich, wiewohl der Vertrag selbst in einer dem Notar überreichten privatschriftlichen Urkunde enthalten ist, ein in notarieller Form beurkundetes Geschäft vor (vgl. FrGG. § 176 Abs. 2), und bei solchen Verhandlungen kommt in erster Linie § 15, nicht § 16, des Gesetzes für "die Zeit der Stempelverwendung" in Betracht. Indes herrscht im Schrifttum, soweit ersichtlich, Einverständnis darüber, daß die Scheidung zwischen den von Behörden und Beamten aufgenommenen Verhandlungen und den Verhandlungen der Privatpersonen nicht streng durchgeführt und eine entsprechende Anwendung des § 16 Abs. 3 auf die von Notaren beurkundeten Geschäfte in Ansehung des Geschäftsstempels zulässig ist. Diese Ansicht, .gegen die auch im vorliegenden Rechtsstreite Bedenken nicht erhoben sind, erscheint berechtigt, da es an jedem inneren Grunde fehlen würde, Rechtsgeschäfte in dem durch Abs. 3 des § 16 geregelten Punkte je nach der Form der Beurkundung wesentlich verschieden zu behandeln.

Der Beklagte widerspricht aber der Heranziehung des § 16 Abs. 3 mit der Begründung, die Bestimmung sei nur auf Fälle zu beziehen, wo nach gesetzlicher Vorschrift zur Rechtswirksamkeit des beurkundeten Geschäfts die Genehmigung eines Dritten, z. B. einer Behörde erforderlich sei. Einzuräumen mag sein, daß diese Meinung das Anwendungsgebiet des § 16 Abs. 3 von dem des § 3 Abs. 2 restlos abgrenzt, mithin zu einem einfachen Ergebnis führt. Denn sofern gesetzlich zur Wirksamkeit eines Geschäfts die Zustimmung eines Dritten notwendig ist, steht nicht eine eigentliche, rechtsgeschäftlich gesetzte Bedingung, von der § 3 Abs. 2 handelt, in Frage. Die Meinung des Beklagten ist jedoch abzulehnen. Sie trägt in die Vorschrift des § 16 Abs. 3 eine Unterscheidung hinein, welche das Gesetz selbst nach seinem klaren Wortlaute nicht macht. Der Gesetzgeber hat nicht die Gründe der Genehmigungsbedürftigkeit eines Rechtsgeschäfts im einzelnen ins Auge gefaßt und zwischen ihnen unterschieden, er hat vielmehr und zwar einheitlich deren Folge geregelt, wonach das Geschäft erst durch die Genehmigung, sei es einer Behörde, sei es eines anderen Dritten, Rechtswirksamkeit erlangt, und in den Rahmen dieses gesetzlichen Tatbestandes gehört auch der Fall, wenn durch eine von den Vertragschließenden verabredete Bedingung die Wirksamkeit des Vertrags von der Genehmigung eines Dritten abhängig gemacht ist.

Dabei bietet die Frage keine Schwierigkeit, wie § 16 Abs. 3 mit dem § 3 Abs. 2 zu vereinigen sei. Jener schränkt im Gebiete seiner Anwendung auf bedingte Geschäfte die letztere Vorschrift derart ein, daß, sofern in dem Geschäft als aufschiebende Bedingung für seine Wirksamkeit die Genehmigung eines Dritten vorgesehen ist, die Geschäftsstempelschuld nicht vor der Erteilung der Genehmigung des Dritten zur Entstehung gelangt. Unterstützung findet die hier in Einklänge mit den Vorinstanzen vertretene Ansicht in folgendem. Bei Vorlegung des Entwurfs des Stempelsteuergesetzes vom Jahre 1895 wollte man mit der Bestimmung des § 16 Abs. 3 - die der heute geltenden Fassung mit den unwesentlichen Abweichungen entsprach, daß statt der Ausdrücke des Gesetzes "Urkunden über Rechtsgeschäfte" und weiterhin "Rechtswirksamkeit" die Worte "Verhandlungen" und "Stempelpflichtigkeit" gebraucht waren - Lücken des älteren Rechtes durch Vorschriften darüber ausfüllen, zu welchem Zeitpunkte die Frist zur Beibringung des Stempels beginnt und wer zur Entrichtung des Stempels verbunden ist (Begründung des Entwurfs S.20). Vor Einführung des Stempelsteuergesetzes von 1895 ging aber die Rechtsanschauung, und zwar auch des Reichsgerichts, dahin, daß schriftliche unter Vorbehalt der Genehmigung eines Dritten geschlossene Verträge nicht schon ohne weiteres und vor Erteilung der Genehmigung dem Verlagsstempel unterlägen (vgl. Hoyer-Gaupp, Die Preußische Stempelgesetzgebung, 5. Aufl., namentlich S. 811). In der schon unter der Herrschaft des Stempelsteuergesetzes vom 31. Juli 1895 erlassenen allg. Verfügung vom 29. Dezember 1899 (Preuß. Just.Min.Bl. 1900 S. 3) hat der Justizminister im Einverständnis mit dem Finanzminister angeordnet, daß in den Fällen des § 16 Abs. 3 der die Urkunde aufnehmende Notar zunächst nur den Stempel aus Tarifst. 45 zu verwenden und die Verwendung des Geschäftsstempels bis zum Nachweise der erfolgten Genehmigung zu unterlassen habe. Hierbei ist nicht unterschieden worden, ob die Genehmigung vertraglich vorbehalten oder gesetzlich erforderlich ist. Zutreffend werden endlich schon im Berufungsurteile Bemerkungen aus den Kommentaren zum Stempelsteuergesetze von Hummel und Specht und von Heinitz herangezogen. Daß etwa bei förmlichen Vertragsabschlüssen der Versuch unternommen werden sollte, mittels eines Vorbehalts der Genehmigung eines Dritten die Stempelpflicht zu umgehen, ist nicht zu besorgen. Solange die Genehmigung noch möglich ist, aber aussteht, befindet sich das vertraglich behandelte Rechtsverhältnis in der Schwebe. Wird die Genehmigung versagt, so sind die Mühen und häufig auch Kosten des Abschlusses nutzlos aufgewendet." ...