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RG, 27.03.1917 - II 318/16

Daten
Fall: 
Auslegung des Wettbewerbsverbots in Kartellverträgen
Fundstellen: 
RGZ 90, 98
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
27.03.1917
Aktenzeichen: 
II 318/16
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG München, Kammer für Handelssachen
  • OLG München

Zur Auslegung des Wettbewerbsverbots in Kartellverträgen.

Tatbestand

Die neun Kläger und die Beklagte §. & B., die sämtlich Mineralschmieröl herstellen, vereinigten sich am 8. November 1907 zu einem Kartell, indem sie den Ölbedarf der deutschen Eisenbahnen, soweit ihnen die Lieferung zufallen würde, unter sich verteilten. Nach jedem Zuschlage füllten die Mitglieder dem Vorsitzenden die übertragene Menge und den bewilligten Preis anzeigen. Für jede 100 kg Öl, "die entgegen diesen Abmachungen angeboten, verkauft oder geliefert werden", wurde eine Vertragsstrafe von 10 M angedroht. Das Kartell sollte bis Ende August 1910 dauern, aber jedesmal um ein Jahr verlängert werden, falls keines der Mitglieder bis Ende Mai kündigen würde.

Mit der Beklagten R. & N., einer Händlerfirma, schloß das Kartell auf die Dauer seines Bestandes einen Vertrag, wonach sich die Firma gegen Provision verpflichtete, die Interessen des Kartells bei der bayerischen Staatsbahn zu vertreten, weder direkt noch indirekt Offerten für andere Firmen abzugeben und alle von anderer Seite an sie gelangenden Offerten dem Kartell zur Kenntnis zu bringen.

Im Frühjahr 1909 wurde das Kartell auf Ende August 1910 gekündigt. Es hat sich dann ein neues Kartell gebildet, dem die Beklagten jedoch ferngeblieben sind.

Schon ehe das alte Kartell abgelaufen war, im Sommer 1910, hatte R. & N. mit dem bayerischen Verkehrsministerium über eine Vergebung des Ölbedarfs für die zehn Etatsjahre von 1912 bis 1921 verhandelt. Inwiefern A. & G. an diesen Verhandlungen beteiligt war, ist streitig. Die Besprechungen führten schließlich zu einem Abkommen vom 12./21. September 1910, wodurch der bezeichnete Bedarf den beiden Beklagten zusammen übertragen wurde.

Die Kläger, die hierin Vertragsverletzungen erblicken, nahmen die Beklagten auf Zahlung von Vertragsstrafe und Schadensersatz in Anspruch. Ihrer Behauptung nach hätten sich die Beklagten, solange das alte Kartell bestand, einer Vorbereitung des bayerischen Vertrags enthalten müssen, dem Gegenstand des Kartells seien alle Aufträge gewesen, die innerhalb der Kartellzeit eingingen, auch wenn die Ausführung erst später folgen würde.

Beide Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Die Revision der Kläger blieb erfolglos.

Gründe

... "Das angefochtene Urteil gibt eine Reihe von Gründen und Hilfserwägungen, auf die es nicht ankommt, da der Hauptgrund die Entscheidung trägt. Dieser Hauptgrund aber geht dahin, daß die Beklagten, selbst wenn sie den bayerischen Vertrag schon im Juni 1910 fast abgeschlossen hätten, ihre Verpflichtungen gegenüber dem Kartell nicht verletzt haben würden.

Der Berufungsrichter führt ans, die letzte Zeit der Kartelldauer bringe eine gewisse Lockerung der Bindung mit sich. Sobald einmal, sei es auf Grund eines festen Termins oder nach zulässiger Kündigung, das Ende bevorstehe, komme neben dem Zwecke der Beschränkung des Wettbewerbs das Interesse der Kartellgenossen, ihr Gewerbe nach Ablauf der Frist uneingeschränkt auszuüben, zur Geltung. Es müsse damit gerechnet werden, daß ein neues Kartell nicht zustande komme oder daß der eine oder andere Genosse ihm nicht beitreten wolle. Den Nichtbeitretenden müsse die Möglichkeit gegeben werden, nach Ablauf des Kartells ihr Gewerbe ohne Bindung weiterzubetreiben. Neben den Interessen derer, die den Wunsch nach einer Verlängerung hegen, sei auch die Lage der andern Genossen zu berücksichtigen, die der Bindung wieder ledig sein wollten. Daher sei in der Regel anzunehmen, daß die Genossen während einer angemessenen Zeit vor dem Ende des Kartells Geschäfte, die ihre Wirkung erst in der Folgezeit äußerten, besprechen und auch abschließen dürften. Der Kartellvertrag vom 9. November 1907 ergebe nichts, was eine Abweichung von dieser Regel begründen könnte. Geradezu bestätigt werde sie durch § 8 des neuen Kartellvertrags vom 28. August 1910, demzufolge während der letzten vier Monate vor Ablauf des Kartells "jeder Kontrahent hinsichtlich der Erlangung solcher Aufträge frei ist, auf welche die Lieferungen erst nach dem Ablaufe des Vertrags beginnen sollen."

Diese Auslegung des der Klage zugrunde liegenden Vertrags enthält keinen Rechtsirrtum; die §§ 133,157 BGB. sind nicht verletzt. Bei einer Gesellschaft m. b. H. mit Wettbewerbsverbot hat das Reichsgericht schon früher die Auffassung gebilligt, wonach sich das Verbot nicht auf Geschäfte bezieht, durch die ein Gesellschafter gegen Ende der Gesellschaftsdauer seinen künftig frei werdenden Gewerbebetrieb vorbereitet (vgl. Rep. I. 26/02, Urt. vom 10. Mai 1902) Der gleichen Auslegung ist es auch in sonstigen Fällen der Konkurrenzklausel gefolgt (vgl. Jur. Wochenschr. 1911 S. 991, 1914 S. 142). Für Kartelle kann nichts wesentlich anderes gelten. So gewiß es grundsätzlich den Kartellpflichten widerspricht, wem ein Genosse während der Vertragszeit Abschlüsse auf deren Ende macht, so ändert sich doch die Rechtslage, sobald das Ende herannaht. Wollte man ihm auch jetzt noch verbieten, mit Wirkung für die Folgezeit Verträge zugunsten des eigenen Betriebes zu schließen, so würde man ihn zwecklos schädigen. Das bestehende Kartell hätte keinen Nutzen davon. Einem von den Mitgliedern neu geschlossenen Kartell freilich könnte das Verbot zugutekommen, aber dann liegt keine Rechtfertigung für einen Zwang gegen den, der an dem neuen nicht teilnehmen will. Mit Unrecht wendet die Revision ein, es sei Schuld der Beklagten, daß sie ihr Verhältnis zu den Klägern gelöst hätten, sie hätten dem neuen Kartell beitreten sollen und würden dann Übelstände nicht empfunden haben. Auf solche Weise wird der Zweck der Kartelle, das Gewerbe zu schützen, in sein Gegenteil verkehrt. Es ist das gute Recht jedes Kartellmitglieds, einer Erneuerung des Verbandes fernzubleiben. Treu und Glauben so wenig wie die Verkehrssitte fordern eine einseitige Begünstigung der Kartellfreunde auf Kosten derer, die der Verlängerung abgeneigt sind, vielmehr stehen bei Auflösung des Kartells alle Mitglieder einander gleich.

Bestimmt daher der Vertrag nicht ausdrücklich das Gegenteil, so muß jedes Mitglied, soweit es die Wiederaufnahme des eigenen Betriebes nach Erlöschen des Kartells verlangt, schon während einer angemessenen Zeit vorher freie Hand haben. Die Dauer dieser Zeitspanne auszumessen, ist Sache des einzelnen Falles; wo nicht ein fester Endtermin gesetzt, sondern Kündigung vorgeschrieben ist, wird sie sich häufig mit der Kündigungsfrist decken. Im vorliegenden Falle walten gegen die Bemessung auf die Kündigungsfrist, also auf die drei Monate von Ende Mai 1910 an, Bedenken nicht ob. Und ebenso unbedenklich ist es, wenn das Berufungsgericht dem Kartellvertrage vom 9. November 1907 eine gegenteilige Bestimmung nicht entnimmt. Die Vertragsurkunde enthält davon nichts, und eine Nebenabrede ist nicht einmal behauptet worden. Wenn es aber in dem Vertrage des Kartells mit den Norddeutschen Mineralölwerken vom 17. Februar 1909 heißt, die Mitglieder dürften, "selbst wenn eine Aufkündigung des Kartells vorher erfolgen sollte", bis Ende August 1910 einander keine Konkurrenz machen, so hat das Berufungsgericht mit Recht kein Gewicht hierauf gelegt. Es handelt sich um eine Mitteilung an einen Dritten, der rechtsgeschäftliche Bedeutung nicht zukommt, und um eine Mitteilung fünf Vierteljahre nach Abschluß des Kartellvertrags. Das Gegenteil hätte bei dessen Abschluß vereinbart werden müssen."