RG, 16.03.1917 - III 395/16

Daten
Fall: 
Guten Sitten bei ärztlichem Wettbewerbsverbot
Fundstellen: 
RGZ 90, 35
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.03.1917
Aktenzeichen: 
III 395/16
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Darmstadt
  • OLG Darmstadt

Verstößt es gegen die guten Sitten, wenn sich ein Arzt bei seiner Anstellung in einer gewerblich betriebenen Privatkrankenanstalt der nicht ärztlich vorgebildeten Inhaberin der Anstalt gegenüber verpflichtet, nach seinem Ausscheiden eine Zeitlang keine Konkurrenzpraxis am Sitze der Anstalt zu betreiben?

Tatbestand

Durch Vertrag vom 6. Januar 1914 stellte die Beklagte den Kläger vom 1. Oktober 1914 ab als Abteilungsoberarzt für die chirurgische Abteilung an der ihr gehörigen Heilanstalt unter Vorbehalt eines beiden Teilen zustehenden halbjährigen Kündigungsrechts an. In dem Vertrage verpflichtete sich der Kläger, nach Aufhebung des Vertrags, einerlei aus welchen Gründen und von welcher Seite diese erfolgen möge, auf die Dauer von drei Jahren in Darmstadt selbst und in den Vororten Darmstadts keinerlei Konkurrenzpraxis, weder selbständig noch als angestellter Arzt, bei Meidung einer Vertragsstrafe von 10000 M zu betreiben; diese Bestimmung sollte aber hinfällig sein, wenn die Heilanstalt ihren Charakter aufgeben oder geschlossen werden sollte. Am 22. März 1915 kündigte die Beklagte dem Kläger zum 22. September 1915.

Der Kläger begehrt nun die Feststellung der Unwirksamkeit des Wettbewerbsverbotes. Das Landgericht und das Oberlandesgericht haben ihn abgewiesen. Seine Revision hatte Erfolg.

Gründe

In dem Urteile vom 11. Juni 1907 (RGZ. Bd. 88 S. 148) hat der erkennende Senat ausgesprochen, daß für Arzte und Rechtsanwälte ein vertragsmäßiges Wettbewerbsverbot kraft ihrer Berufsstellung an sich schlechthin gegen die guten Sitten sei, und zur Begründung ausgeführt, das eigentümliche und entscheidende Gepräge beider Berufe liege darin, daß sie fundamentale, allgemeine, öffentliche Zwecke, nämlich die der Gesundheitspflege und der Rechtspflege, auf Grund staatsseitig geforderter und gewährleisteter wissenschaftlicher Vorbildung unter besonderer Verantwortung zu erfüllen haben; sie seien Träger geistiger Kräfte im Dienste des Gemeinwohls und deshalb seien Wettbewerbsabkommen zwischen Ärzten wie zwischen Rechtsanwälten in besonderem Maße anstößig. Es zieme nach allgemeiner Anschauung den Vertretern dieser wissenschaftlichen, staatlich geordneten, den wichtigsten Gemeininteressen dienenden Berufe nicht, der Berufsausübung irgendeine Beschränkung (nach Ort, nach Zeit oder gegenständlich) aufzuerlegen oder auferlegen zu lassen; diese Berufe müßten frei sein kraft der ihnen innewohnenden sittlichen Würde im öffentlichen Interesses Es verletze das öffentliche Interesse unmittelbar, wenn für die Ausübung dieser Berufe private Monopole irgendwelcher Art geschaffen und diese der Allgemeinheit gewidmeten Funktionen in privatem Interesse und zu privatem Nutzen irgend gehemmt und gebunden würden.

Auf Grund dieser Ausführungen, die mit der grundsätzlichen Auffassung des erkennenden Senats in späteren, die Stellung der Ärzte betreffenden Entscheidungen im Einklange stehen (z. B. RGZ. Bd. 68 S. 186; Jur. Wochenschr. 1915 S. 696, auch Warneyer 8. Jahrg. S. 241 Nr. 162) und deren Richtigkeit der VII. Zivilsenat in seinem Urteile vom 15. Oktober 1912 (RGZ. Bd. 80 S. 223) nicht etwa bekämpft, sondern nur dahingestellt sein läßt, ist auch in dem vorliegenden Falle die Rechtsgültigkeit des Wettbewerbsabkommens auf Grund des § 138 BGB. zu verneinen. Die Gründe, aus denen das Landgericht und das Oberlandesgericht die Anwendbarkeit jener Ausführungen auf den gegebenen Fall verneint haben, sind nicht zu billigen.

Da die sittliche Würde und die öffentlichrechtliche Bedeutung des ärztlichen Berufs, das öffentliche Interesse an einer guten Gesundheitspflege die freie, ungebundene Ausübung dieses Berufs fordern, ist die Auferlegung einer Beschränkung der Berufsausübung mit den guten Sitten nicht nur dann unvereinbar, wenn sie durch einen Vertrag zwischen zwei gleichgestellten Ärzten erfolgt, sondern auch wenn sich ein Arzt einer nicht ärztlich vorgebildeten Inhaberin einer gewerblich betriebenen Privatkrankenanstalt zur Unterlassung des Wettbewerbes verpflichtet. Nicht die Stellung desjenigen, zu dessen Gunsten das Wettbewerbsverbot vereinbart ist, entscheidet, sondern die des Verpflichteten; ist dieser ein Arzt, so verstößt die Beschränkung gegen die guten Sitten, auch wenn damit ein gewerbliches Unternehmen gegen den Wettbewerb geschützt werden soll. Ob die Sittenwidrigkeit zu verneinen ist, wenn der Arzt sich lediglich verpflichtet, einen gewerblichen Anstaltsbetrieb zu unterlassen, bedarf hier keiner Entscheidung; denn dem Kläger ist, wie die Revision mit Recht hervorhebt, in dem Vertrage die Verpflichtung auferlegt, keinerlei Konkurrenzpraxis, weder selbständig noch als angestellter Arzt, zu betreiben, sich also jeder ärztlichen Berufsausübung in Darmstadt und dessen Vororten zu enthalten.

Mit der Entscheidung vom 11. Juni 1907 ist weiter auch die Erwägung unvereinbar, daß ein Wettbewerbsabkommen im Interesse des Unternehmers einer gewerblichen Anstalt unentbehrlich und nicht sittenwidrig sei, daß es vielmehr umgekehrt sittenwidrig erscheinen würde, wenn ein an einer solchen Anstalt angestellter Arzt, nachdem er jahrelang die Vorteile einer gesicherten Stellung genossen und sich die Kenntnis des Patientenkreises verschafft habe, unter Ausnützung der geschaffenen Beziehungen und der durch seine Anstaltstätigkeit erlangten Kenntnisse seinen bisherigen Dienstherrn durch ungehinderte Ausübung der ärztlichen Tätigkeit an demselben Orte schädigen könnte. Wäre diese Erwägung ausschlaggebend, so hätte sie auch in dem damals entschiedenen Falle zur Verneinung der Sittenwidrigkeit führen müssen, denn es handelte sich auch dort um einen Vertrag, durch den ein Arzt von einem anderen als Assistent gegen ein festes Gehalt auf Jahre angestellt war. Gegenüber dem oben erwähnten Grundsatze, daß das öffentliche Interesse an einer guten Gesundheitspflege die Beschränkung der ärztlichen Berufsausübung verbiete, fällt jene Erwägung nicht ins Gewicht.

Endlich schlägt auch die Ausführung der Vorinstanzen nicht durch, der hier vertretene Standpunkt müsse dahin führen, daß dem Arzte auch während seiner Anstellung an der Krankenanstalt keine Schranke hinsichtlich seiner Berufsausübung auferlegt werden dürfe. Daß einem angestellten Arzte während der Dauer seiner Anstellung die Ausübung jeder Berufstätigkeit außerhalb des Anstellungsverhältnisses verboten wird, hat regelmäßig seinen Grund darin, daß er seine ganze Arbeitskraft dem Interesse seines Dienstherrn zu widmen hat, und verstößt insoweit nicht gegen die sittliche Würde und die öffentlichrechtliche Bedeutung des ärztlichen Berufs. Ob etwas anderes anzunehmen ist, wenn ausnahmsweise durch ein solches Verbot einem nicht voll beschäftigten Arzte nur der Wettbewerb untersagt werden soll, bedarf zurzeit keiner Entscheidung.

Demnach ist dem Feststellungsantrage des Klägers zu entsprechen.