RG, 16.03.1917 - III 402/15

Daten
Fall: 
Verträge freier Krankenkassenvereinigungen mit Ärzten
Fundstellen: 
RGZ 90, 38
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.03.1917
Aktenzeichen: 
III 402/15
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Stettin
  • OLG Stettin

1. Zur Frage der Gültigkeit von Verträgen freier Krankenkassenvereinigungen mit Ärzten.
2. Bedarf einer Genehmigung der einzelne Vertrag oder nur die Übernahme der Aufgabe, gemeinsam Arztverträge vorzubereiten und abzuschließen?

Tatbestand

Der Kläger war von den beklagten Stettiner Krankenkassen während ihres Streites mit den Ärzten durch Vertrag vom 14. November / 29. Dezember 1913 für die Zeit vom 1. Januar 1914 bis zum 31. Dezember 1923 zum Kassenarzte bestellt, nach der Einigung mit den bisherigen Ärzten im Stettiner Abkommen vom 5. Januar 1914 aber vorbehaltlich seiner Ansprüche von der kassenärztlichen Tätigkeit entbunden worden. Seine auf den erwähnten Vertrag gestützten Ansprüche wurden von der ersten Instanz im wesentlichen anerkannt. Das Berufungsgericht erklärte den Vertrag für nichtig und wies die Klage ab. Die Revision des Klägers wurde zurückgewiesen.

Gründe

"Die Abweisung der Klage rechtfertigt sich durch die Feststellung, daß die beklagten Kassen sich ohne die nach § 414 Satz 2 RVO. erforderliche Genehmigung zum gemeinsamen Abschlusse von Verträgen mit Ärzten (§ 407 Nr. 2 RVO.) vereinigt und zur Erfüllung dieser Aufgabe auch den hier streitigen Vertrag gemeinsam abgeschlossen haben. Daraus folgt, wie der Senat im Urteile vom 23. April 1915 (RGZ. Bd. 86 S. 371) in Sachen der Elbinger Krankenkassen ausgesprochen hat, nicht bloß die Unzulässigkeit des Zusammenschlusses, sondern auch die Verbotswidrigkeit und Nichtigkeit des mit dem Arzte abgeschlossenen Vertrags (§ 134 BGB.). Was die Revision dagegen vorbringt ist nicht geeignet, die dort aufgestellten Grundsätze zu widerlegen oder ihre Anwendung auf den vorliegenden Fall auszuschließen.

Die Revision will daraus, daß § 414 nur von Kassenvereinigungen spricht, die den allgemeinen Zwecken der Krankenhilfe dienen, folgern, daß auch das Erfordernis der Genehmigung zur Übernahme einzelner der im § 407 bezeichneten Aufgaben nur für Kassenvereinigung jener Art gelte, und verweist darauf, daß die Versicherungsordnung freie Kassenvereinigungen allgemein zulasse. Allein der letztere Umstand berechtigt nicht zu dem Schlusse, daß freie Kassenvereinigungen auch die den Kassenverbänden nach §§ 406 flg. zugewiesenen besonderen Aufgaben unbeschränkt übernehmen dürfen. Die Auffassung der Revision würde dazu führen, daß neben den Kassenverbänden, denen im § 407 besondere Aufgaben, darunter die gemeinsame Vorbereitung und Abschließung von Verträgen mit Ärzten, zugewiesen sind, und neben den Kassenvereinigungen, die nach § 414 zur Übernahme solcher Aufgaben der Genehmigung der obersten Verwaltungsbehörde bedürfen, noch andere Vereinigungen beständen, die in diesem Punkte jeder gesetzlichen Regelung entbehrten, also alle Aufgaben, die den Kassenverbänden zugewiesen sind, ohne jede Einschränkung übernehmen könnten. Das würde aber den ganzen Aufbau des Kassenverbandsrechtes in Frage stellen und kann deshalb auch nicht als Sinn des Gesetzes erachtet werden. Daraus, daß § 414 nur von solchen Kassenvereinigungen spricht, die den allgemeinen Zwecken der Krankenhilfe dienen, ließe sich eher folgern, daß Kassenvereinigungen anderer Art die in § 407 aufgeführten Aufgaben überhaupt nicht, auch nicht mit Genehmigung der obersten Verwaltungsbehörde, übernehmen dürfen. In jedem Falle aber ist der im Urteile vom 23. April 1815 gezogene Schluß begründet, daß, wennschon Vereinigungen, die den allgemeinen Zwecken der Krankenhilfe dienen, zur Übernahme der fraglichen Aufgaben einer Genehmigung bedürfen, dies erst recht gelten muß, wenn sich Vereinigungen gerade nur für einen solchen Zweck bilden. .

Richtig ist nur, daß es der Genehmigung lediglich für die Übernahme der Aufgabe, gemeinsam Arztverträge vorzubereiten und abzuschließen, nicht für den einzelnen Vertrag bedarf. Die gegenteilige Annahme des Berufungsgerichts beruht auf einem Mißverständnis des Urteils vom 23. April 1915, das auch sonst (vgl. die Überschriften bei Wiedergabe des Urteils in Jur. Wochenschr. 1915 S. 660 Nr. 13 und in "Die Arbeiterversorgung" 1915 S. 471) hervorgetreten, im Inhalte des Urteils aber nicht begründet ist. Die vom Regierungspräsidenten in Stettin in der vom Berufungsgericht eingeholten Äußerung vertretene Auffassung, die im § 414 vorgesehene Genehmigung beziehe sich nicht auf die einzelnen Verträge, sondern bedeute nur die Ermächtigung zur Übernahme einzelner der im § 407 bezeichneten Aufgaben, ist also zutreffend. Sie berührt aber nicht den nach dem Urteile vom 23. April 1915 entscheidenden Gesichtspunkt, daß nämlich das Fehlen der für die Übernahme der besonderen Aufgabe erforderlichen Genehmigung auch den zur Erfüllung der Aufgabe geschlossenen Vertrag verbotswidrig und nichtig macht. Das den Ausführungen des Berufungsgerichts zugrunde liegende Mißverständnis ist jedoch für die Entscheidung belanglos. Denn auch eine Genehmigung zur Übernahme der unter § 407 fallenden Aufgabe des Abschlusses von Arztverträgen durch die vereinigten Kassen liegt nach dem vom Berufungsgerichte festgestellten Sachverhalt nicht vor. Sie ist namentlich nicht, wie die Revision will, in der Mitwirkung des Regierungspräsidenten und eines Vertreters des zuständigen Ministers bei dem Stettiner Abkommen zu finden. Denn das Abkommen befaßte sich zwar, soweit dies für das Verhältnis der damaligen Vertragsteile, der Krankenkassen und der bisherigen Kassenärzte, geboten war, auch mit den Verträgen der von auswärts zugezogenen Ärzte, nahm aber zu ihrer Gültigkeit wie zur Zulässigkeit der Kassenvereinigung keine Stellung, sondern setzte beides als gegeben voraus. Daß die zuständigen Behörden gegen die Vereinigung und die von ihr abgeschlossenen Beiträge nichts erinnerten, erklärt sich durch die irrige Meinung, es bedürfe keiner Genehmigung zur Übernahme der Aufgabe einer gemeinsamen Abschließung von Arztverträgen durch die beklagten Kassen, und kann nicht als Ausdruck eines Genehmigungswillens betrachtet werden. Was das Berufungsgericht gegen die Annahme einer stillschweigenden Genehmigung der Verträge ausführt, trifft also in gleicher Weise für die Frage zu, ob eine Genehmigung der Übernahme der Aufgabe des gemeinsamen Abschlusses von Arztverträgen stattgefunden hat.

Mit Unrecht bestreitet die Revision ferner, daß eine Kassenvereinigung vorliegt. Daß die beklagten Kassen sich zum gemeinsamen Abschlusse von Arztverträgen verbunden hatten und daß zur Erfüllung dieser Aufgabe der streitige Vertrag abgeschlossen wurde, hat das Berufungsgericht einwandfrei festgestellt. Die Kassen haben danach die vorbereitenden Verhandlungen mit den Ärzten unter dem Namen "Vereinigung Stettiner Orts-, Betriebs- und Innungskrankenkassen zum Abschlusse von Arztverträgen" geführt und die Arztverträge durch die von ihnen bevollmächtigte Kommission gemeinsam abgeschlossen. Es handelt sich dabei nicht, wie die Revision will, um eine Summe von Einzelverträgen, die nur äußerlich in einer Urkunde zusammengefaßt sind, sondern um einen gemeinschaftlichen Vertrag, der wegen dieser Gemeinschaftlichkeit auch eine gesamtschuldnerische Haftung der beteiligten Kassen für das im Vertrage gewährleistete Mindesteinkommen begründete. Insoweit kommt also auch, was die Revision mit Unrecht bestreitet, eine Verfügung über die Mittel der einzelnen Kassen für den gemeinsamen Zweck in Frage. Die Revision ist daher unbegründet."