RG, 17.06.1889 - VI 93/89

Daten
Fall: 
Schiedsrichterliches Verfahren
Fundstellen: 
RGZ 23, 432
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
17.06.1889
Aktenzeichen: 
VI 93/89
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Thorn
  • OLG Marienwerder

1. Liegt eine unzulässige Klagänderung vor, wenn in der mündlichen Verhandlung über die Klage auf Aufhebung eines Schiedsspruches noch andere als die in der Klage angegebenen Aufhebungsgründe geltend gemacht werden?
2. Wann ist anzunehmen, daß der Partei in dem schiedsrichterlichen Verfahren das rechtliche Gehör nicht gewährt war, und wann, daß der Schiedsspruch nicht mit Gründen versehen ist?

Gründe

"Zwischen den Parteien waren wegen der Vergütung für die von dem Beklagten in den Jahren 1884 und 1885 dem Kläger gelieferten Normalisierungsarbeiten Streitigkeiten entstanden. Zur Entscheidung derselben wurden von beiden Teilen dem vorausgegangenen Vertrage entsprechend Schiedsrichter ernannt, welche am 1. Mai 1886 einen mehrere Nummern enthaltenden Schiedsspruch erlassen haben.

Im gegenwärtigen Prozesse hat nun Kläger beantragt, zu erkennen, daß der am l. Mai 1886 gefüllte Schiedsspruch zu IV. aufzuheben.

Beide Vorinstanzen haben indessen auf Abweisung der Klage erkannt, und auch der eingelegten Revision mußte der Erfolg versagt bleiben.

1.

Während die Klage nur darauf gestützt war, daß es hinsichtlich eines Teiles des Schiedsspruches an einem Antrage gefehlt habe, daß ferner dem Kläger das rechtliche Gehör nicht gewährt, und daß endlich der Schiedsspruch nicht mit Gründen versehen sei (§. 867 Nr. 1. 4. 5 C.P.O.), behauptete Kläger in der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz noch, daß er im Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten gewesen (§. 867 Nr. 3 a. a. O.). Das Berufungsgericht ist jedoch auf eine Prüfung dieses neuen Anfechtungsgrundes nicht eingegangen, indem es, übereinstimmend mit dem ersten Richter, in der Geltendmachung desselben eine unzulässige Klagänderung erblickt. Der gegen diese Annahme gerichtete Revisionsangriff kann für begründet nicht erachtet werden. Der §. 667 C.P.O. führt unter sechs Nummern diejenigen Gründe auf, welche sowohl zur Anstellung der Klage auf Aufhebung des Schiedsspruches, als auch zum Widerspruche gegen den Erlaß des zur Zwangsvollstreckung aus dem Schiedssprüche nötigen Vollstreckungsurteils (§. 868 a. a. O,) berechtigen. Bezüglich der Erfordernisse der Klage auf Aufhebung des Schiedsspruches sind beim Mangel abweichender Spezialbestimmungen die Vorschriften der §§. 230 flg. C.P.O. maßgebend. Wesentliches Erfordernis der Klage ist danach die bestimmte Angabe des Grundes des erhobenen Anspruches (§. 230 Abs. 2 Nr. 2). Es genügt also nicht, in der Klage den Schiedsspruch im allgemeinen als anfechtbar oder als der Aufhebung unterliegend zu bezeichnen, vielmehr müssen diejenigen Thatsachen, welche den Antrag auf Aufhebung begründen sollen, bestimmt angegeben werden.1

Bilden somit hier die in der Klage angegebenen Aufhebungsgründe den Grund des erhobenen Anspruches, so folgt daraus gemäß §§. 235 Abs. 2 Nr. 3. 240 C.P.O. weiter, daß in dem nachträglichen Vorbringen neuer, auf anderen thatsächlichen Voraussetzungen beruhender Aufhebungsgründe eine Klagänderung zu finden ist, welche ohne Einwilligung des Beklagten nicht berücksichtigt werden darf.2

Von der Revision wird nun allerdings, unter Hinweis auf den engen Zusammenhang zwischen der Einrede der Rechtskraft und der Rechtshängigkeit,3 die Behauptung aufgestellt, daß, falls die Klage im gegenwärtigen Prozesse rechtskräftig abgewiesen würde, Kläger den Schiedsspruch aus Gründen, welche er im jetzigen Verfahren geltend machen konnte, aber nicht geltend gemacht hat, nicht mehr würde anfechten können. Allein dieser Behauptung mangelt es, wenn man, der vorstehenden Ausführung entsprechend, davon ausgehen muß, daß das Vorbringen eines neuen Aufhebungsgrundes als ein neuer Klagegrund anzusehen ist an jedem gesetzlichen Anhalte. Daß die Aufhebung des Schiedsspruches nur einmal beantragt werden könne, bestimmt der §. 867 C.P.O. nicht, und ebensowenig läßt sich aus den nachfolgenden Vorschriften der Satz ableiten, daß die Abweisung der Aufhebungsklage den Verlust auch solcher Aufhebungsgründe nach sich ziehe, deren Geltendmachung im Prozesse nicht erfolgt ist, aber doch möglich gewesen wäre. Gemäß §§. 868-870 tritt vielmehr erst mit der Erlassung des Vollstreckungsurteiles eine Beschränkung der Anfechtbarkeit des Schiedsspruches ein, dergestalt, daß die im §. 667 Nr. 1 -- 5 bezeichneten Aufhebungsgründe überhaupt nicht mehr, die Gründe des §. 867 Nr. 6 aber nur unter bestimmten Voraussetzungen geltend gemacht werden können. Wie das Gericht bei seiner Entscheidung über die Aufhebungsklage nur die vom Kläger angeführten Aufhebungsgründe berücksichtigen darf, so werden auch nur diese Gründe mit der Abweisung der Klage endgültig beseitigt.

Auch darauf kann sich die Revision für ihren Angriff nicht berufen, daß in der mündlichen Verhandlung über die Restitutionsklage noch andere, als die in der Klageschrift erwähnten Restitutionsgründe geltend gemacht werden können. Denn der Grund hierfür liegt, wie in dem Reichsgerichtsurteile vom 12. Dezember 1883,4 dargethan ist, in den Spezialvorschriften der §§. 541 flg. C.P.O., nach welchen die Nichtigkeits- und die Restitutionsklage die Stelle außerordentlicher Rechtsmittel vertreten, und insbesondere darin, daß gemäß §§. 550. 551 die §§. 230 Abs. 8 Nr. 2. 235 Abs. 2 Nr. 3 auf die Restitutionsklage keine entsprechende Anwendung finden.5

An einer Vorschrift, welche die Anwendbarkeit der §§. 230. 235 für die Klagen auf Aufhebung des Schiedsspruches ausschließen oder einschränken könnte, fehlt es aber.6

2.

Unzutreffend ist die Rüge einer Verletzung des §. 867 Nr. 4 C.P.O. Das Gesetz macht den Schiedsrichtern das Hören der Parteien vor Erlassung des Schiedsspruches zur Pflicht (§. 860 Abs. 1) und erblickt in der Nichtgewährung des rechtlichen Gehöres einen Grund zur Aufhebung des Schiedsspruches, ohne eine Bestimmung darüber zu treffen, in welcher Art und Form die Parteien gehört werden sollen. Als wesentlich kann danach nur angesehen werden, wie schon in dem diesseitigen Urteile vom 13. Dezember 1806 Rep. III a 259/86 (Gruchot, Beiträge Bd. 31 S. 451) ausgesprochen ist, daß den Parteien Gelegenheit gegeben war, alles ihnen erforderlich Scheinende den Schiedsrichtern vorzutragen. Inwiefern diesem Erfordernisse genügt ist, läßt sich nicht nach allgemein geltenden Regeln, sondern nur nach den Umständen jedes einzelnen Falles beurteilen. Nun ist für den vorliegenden Fall von dem Berufungsgerichte in unangefochtener und unangreifbarer Weise festgestellt, daß der Kläger vor dem 1. Mai 1886 die vom Beklagten erhobenen Ansprüche, sowie deren Begründung kannte und zugleich davon unterrichtet war, daß der Beklagte sich zum Beweise seiner Behauptungen auf das einem der Schiedsrichter überreichte Schäler'sche Nivellement stützte, daß sodann am 1. Mai 1886 der Kläger durch seine Vertreter vor den Schiedsrichtern sich über die Ansprüche des Beklagten ausgelassen und dabei Erklärungen abgegeben hat, welche seine Absicht, dem schriftlichen Gutachten des Schäler ein anderes entgegenzusehen, erkennen ließen, und daß erst darauf der Schiedsspruch gefüllt worden ist.

Gegenüber diesen Feststellungen kann nicht davon die Rede sein, daß dem Kläger die Gelegenheit, alles zu seiner Verteidigung Erforderliche den Schiedsrichtern vorzutragen, nicht gegeben gewesen sei. Wenn er einen Antrag auf Vorlegung oder Mitteilung des Schäler'schen Nivellementes nicht stellte, vielmehr bei seinen Erklärungen von der Annahme ausging, daß dieses Nivellement im Sinne der Behauptungen des Beklagten ausgefallen sei, so lag weder für diesen noch für die Schiedsrichter, welche gemäß §. 860 Abs. 2 C.P.O. nach freiem Ermessen das Verfahren zu bestimmen haben, ein zwingender Anlaß vor, dem Kläger das Sch.'sche Gutachten vorzulegen oder mitzuteilen.

Daß unter anderen Umständen in der Nichtmitteilung eines Gutachtens, namentlich wenn dasselbe von den Schiedsrichtern ohne Vorwissen einer der Parteien eingefordert und sein Ergebnis, obwohl dadurch die Sachlage verändert wird, der Partei unbekannt geblieben ist, möglicherweise eine Nichtgewährung des rechtlichen Gehöres gefunden werden kann, soll nicht in Abrede gestellt werden. Ein Widerspruch zwischen der hier getroffenen Entscheidung und dem Urteile des I. Civilsenates vom 6. Oktober 1888 Rep. I. 199/88,7 welches ein wesentlich verschiedenes Sachverhältnis vor Augen hatte, liegt somit nicht vor. 3. Dem Berufungsrichter muß ferner auch darin beigetreten werden, daß der Aufhebungsgrund des §. 867 Nr. 5 C.P.O. nicht vorliegt. Nach der zutreffenden Darlegung des angefochtenen Urteiles ist aus der Begründung des Schiedsspruches zu ersehen, daß die Schiedsrichter für erwiesen angenommen, es sei dem Beklagten infolge der Terrainbeschaffenheit eine Mehrleistung gegenüber seinen vertragsmäßigen Verbindlichkeiten erwachsen, und daß sie ihm als Entschädigung für diese Mehrleistung eine Zulage zu der im Vertrage festgesetzten Vergütung zugesprochen haben. Angesichts dieses Inhaltes des Schiedsspruches läßt sich der Vorwurf nicht erheben, daß es an einer sachlichen Begründung der getroffenen Entscheidung fehle. Ist aber solche Begründung gegeben, so wird damit, ohne Rücksicht darauf, ob die Begründung vollständig, erschöpfend und sachgemäß erscheinen mag ober nicht, die Anfechtung des Schiedsspruches auf Grund des §. 807 Nr. 5 C.P.O. ausgeschlossen.8

Wenn die Revision in dem Schiedsspruche die Angabe der für die Beweiswürdigung leitenden Gründe und die Erwähnung des Gegenbeweiserbietens der Klägerin sowie die Motivierung der Unzulässigkeit oder Unerheblichkeit dieses Erbietens vermißt, so geht sie offensichtlich von der unrichtigen Meinung aus, daß an die Begründung eines Schiedsspruches dieselben Anforderungen gestellt werden dürfen, wie an die Begründung eines Urteiles (vgl. §§. 264 Nr. 4. 513 Nr. 7 C.P.O.). Dabei ist keine Rücksicht darauf genommen, daß das Gesetz dem freien Ermessen der Schiedsrichter, über deren Qualifikation keine besonderen Vorschriften gegeben sind, nicht bloß die schließliche Entscheidung, sondern auch die Bestimmung des Verfahrens und des Umfanges der vorzunehmenden Ermittelungen überläßt (§. 860), und ist andererseits auch übersehen, daß auf die Abfassung eines Schiedsspruches die für Urteile maßgebenden Vorschriften der §§. 284 Nr. 3. 259 C.P.O. Anwendung nicht finden können. Noch weniger aber läßt sich mit der Revision in der unmotivierten Nichtberücksichtigung der Verteidigungsmittel des Klägers ein Verstoß gegen §. 867 Nr. 4 erblicken, da das rechtliche Gehör dem Kläger damit gewährt war, daß er in den Stand gesetzt wurde, seine Verteidigunsmittel vor den Schiedsrichtern vorzubringen."

  • 1. Vgl. Motive zur Civilprozeßordnung S. 182 und Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 10 S. 434, Bd. 11 S. 242.
  • 2. Vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 22 S. 369.
  • 3. vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 14 S. 347.
  • 4. vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 14 S. 329.
  • 5. Vgl. Motive zur Civilprozeßordnung S. 342; v. Kries, Rechtsmittel S. 466 flg. 496 flg.
  • 6. Vgl. Reincke, Civilprozeßordnung Anm. II zu §. 867.
  • 7. vgl. Juristische Wochenschrift 1888 S. 409.
  • 8. Vgl. Urt. des Reichsgerichtes vom 26. Januar 1883 in Seuffert, Archiv Bd. 39 Nr. 76.