RG, 17.06.1884 - III 72/84

Daten
Fall: 
Entschädigungssumme bei Enteignung von Teilgrundstücken
Fundstellen: 
RGZ 13, 244
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
17.06.1884
Aktenzeichen: 
III 72/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Stade
  • OLG Celle

Berechnung der Entschädigungssumme bei Enteignung von Teilgrundstücken; Kausalzusammenhang zwischen der Enteignung und dem ersetzt verlangten Schaden.

Aus den Gründen

... "Dem Kläger ist ein Teil eines zusammenhängenden Besitztums enteignet worden, welches derselbe von seinem Hofe aus bewirtschaftet. Er macht nun geltend, daß ihm infolge dieser Enteignung und der auf dem enteigneten Teilstücke angelegten Eisenbahn die Bewirtschaftung des verbliebenen Grundstückes dadurch erheblich erschwert worden sei, daß ihm auf der einen Seite die Benutzung eines Fußweges, des s. g. Milchsteiges, und auf der anderen Seite der Zugang zu einem öffentlichen Wege, dem f. g. alten Triftwege, entzogen, und er, Kläger, hierdurch zu Umwegen genötigt sei. Da die größere oder geringere Beschwerlichkeit der Bewirtschaftung eines Grundstückes ganz von selbst auf dessen Wert influiert, so kann der Kläger, wenn seine Behauptung richtig ist, den §. 8 des Enteignungsgesetzes vom 11. Juni 1874 für sich anrufen, wonach bei teilweiser Enteignung die dem Expropriaten zu gewährende Entschädigung auch den Minderwert umfaßt, welcher für den ihm verbliebenen Grundbesitz durch die Abtretung entsteht.

Der Berufungsrichter ist jedoch der Ansicht, daß die ebenerwähnte Gesetzesvorschrift nicht zutreffen könne, weil der klägerischerseits geltend gemachte Schaden nicht durch die Abtretung als solche, sondern durch die auf dem abgetretenen Grundstücke errichtete Eisenbahnanlage entstanden sei. Diese Ansicht ist rechtsirrtümlich. Wenn die teilweise Enteignung eines Grundstückes zum Zwecke eines Unternehmens erfolgt, welches die Bewirtschaftung des Restgrundstückes beschwerlicher und kostspieliger macht, so ist der für den Enteigneten hierdurch entstehende Schade als eine Folge der Enteignung selbst anzusehen, durch welche dem bisherigen Eigentümer des Teilgrundstückes das Recht entzogen wird, die seinem übrigen Besitztume nachteilige Anlage zu verhindern. Der Enteignete ist solchenfalls im vollen Maße nur dann entschädigt, wenn ihm sein Interesse daran ersetzt wird, daß er durch die Enteignung gezwungen ist, einen Teil seines Grundstückes zur Ausführung des schädigenden Unternehmens abzutreten.1

Eine andere Erwägung, aus welcher der Berufungsrichter dem Kläger jeden Entschädigungsanspruch absprechen zu müssen vermeint, besteht darin, daß dem Kläger durch die nicht bloß seine, sondern in weiterer Ausdehnung auch andere Grundstücke berührende Eisenbahnanlage der Verkehr mit seinem Restgrundstücke erschwert worden sei. Sein Schade sei daher nicht eine Folge der Enteignung; es veranschauliche sich dies dadurch, daß die gleichen Nachteile auch von solchen Besitzern empfunden werden, die auf beiden Seiten der Bahn Grundstücke besitzen, von denen ihnen nichts enteignet sei, und daß auch Kläger unter Umständen, z. B. wenn der entlang dem klägerischen Grundstücke hinführende alte Triftweg zum Bahnkörper benutzt worden wäre, ebenso von den fraglichen Nachteilen betroffen sein würde, auch wenn ihm nichts enteignet worden wäre. Auch diese Erwägungen des Berufungsrichters sind rechtsirrtümlich.

Die Thatsache, daß dem Kläger ein Teilgrundstück enteignet wurde und seine Behauptung, daß ihm in unmittelbarer Folge hiervon ein Schade durch erschwerte Bewirtschaftung, mithin durch Wertsverminderung seines Restgrundstückes erwachsen sei, sind an und für sich geeignet, seinen Entschädigungsanspruch zu substanziieren. Beseitigt kann aber dieser Anspruch nicht dadurch werden, daß die Nachbarn des Klägers, welche ähnlichen Schaden durch die Bahnanlage erleiden, einen gleichen Anspruch zu erheben nicht berechtigt sind. Dies aus dem einfachen Grunde nicht, weil den betreffenden Nachbarn nichts enteignet wurde, weil ihnen gegenüber kein Expropriationsfall vorliegt, weil also diese unter anderen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen stehen als der Kläger, dessen Anspruch in den obligatorischen Beziehungen wurzelt, welche durch die Enteignung zwischen ihm und der Expropriantin herbeigeführt sind. Auch der von dem Berufungsrichter als möglich hingestellte Umstand, daß der Kläger den gleichen Schaden gehabt hätte, wenn ihm nichts enteignet und die Bahnanlage unmittelbar an der Grenze seines ungeteilten Grundstückes entlang geführt worden wäre, vermag die sofortige Abweisung der Klage nicht zu rechtfertigen. Von dieser fingierten Möglichkeit kann der Anspruch eines Expropriaten nicht abhängig sein, welcher auf Grund der durch das wirklich ausgeführte Bahnunternehmen geschaffenen Verhältnisse erhoben ist und nach Maßgabe dieser Verhältnisse begründet erscheint. Allerdings greift auch bei Expropriationsansprüchen, wie bei allen Arten von Schadensersatzforderungen der Grundsatz Platz, daß ein Kausalzusammenhang zwischen dem ersetzt verlangten Schaden und der zum Schadensersatze verpflichtenden Thatsache bestehen muß, daher der Anspruch wegfällt, falls erwiesenermaßen der Schade auch dann eingetreten sein würde, wenn die zum Ersatze verpflichtende Handlung nicht vorgenommen worden wäre. Die bloße Möglichkeit dagegen, daß der Schade auch ohnedies eingetreten wäre, ist nicht geeignet, die im übrigen begründete Ersatzpflicht auszuschließen. So lange daher im vorliegenden Falle nicht als eine bewiesene Thatsache feststand, daß falls dem Kläger nicht enteignet worden wäre, der Bahnkörper entlang der Grenze seines ungeteilten Besitztumes geführt, und daß dem Kläger durch eine solche Anlage der gleiche Nachteil zugeführt worden wäre, welchen er jetzt geltend macht, war der Berufungsrichter nicht berechtigt, den klägerischen Expropriationsanspruch, so wie geschehen, zurückzuweisen."2

  • 1. Vgl. Entsch. des R. G. 's in Civils. Bd. 7 S. 262 flg.
  • 2. Ebenso ist erkannt vom I. Civilsenate i. S. v. R. w. Königl. preuß. Fiskus, durch Urteil vom 31. März 1883, und vom III. Civilsenate i. S. Kr. w. Königl. Preuß. Eisenbahnfiskus durch Urteil vom 23. Januar 1885. Rep. III. 265/84. D. R.