RG, 17.06.1901 - I 63/01

Daten
Fall: 
Genußscheine
Fundstellen: 
RGZ 49, 10
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
17.06.1901
Aktenzeichen: 
I 63/01
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Chemnitz
  • OLG Dresden

1. Sind die sog. Genußscheine, die von einer Aktiengesellschaft bei Aufnahme eines Darlehns neben den Schuldverschreibungen ausgegeben werden und die Zusicherung bestimmter Bezüge vom Reingewinn und von der Liquidationsmasse enthalten, als Beurkundungen von Gesellschaftsrechten, oder als solche von Gläubigerrechten anzusehen?
2. Können solche Genußscheine ohne die Schuldverschreibungen, auf die sie sich beziehen, an Dritte übertragen werden?
3. Ist die Generalversammlung der Aktionäre befugt, das Maß des Bezugsrechtes ohne Zustimmung der Genußscheininhaber zu ändern?

Tatbestand

Die verklagte Aktiengesellschaft, die im Jahre 1872 gegründet worden war, beschloß 1888, nachdem sie schon früher eine Hypothek von 350000 M aufgenommen hatte, noch ein hypothekarisches Darlehn in Höhe von 250000 M, eingeteilt in 500 auf den Namen lautende Teilschuldverschreibungen, aufzunehmen und den Darleihern nicht nur eine Verzinsung nach 5 von Hundert, sondern daneben noch besondere Vorteile in Aussicht zu stellen und ihre Statuten entsprechend zu ändern. Nach diesem Beschlusse erhielt der § 7 der Statuten die Fassung, daß jedem Darleiher neben dem Anspruche auf Zinsen das Recht auf die besonderen, in den - gleichfalls geänderten - §§ 13 und 33 der Statuten festgesetzten Bezüge vom Reingewinne und von der Liquidationsmasse gewährt und "zur Beurkundung dieses Vertragsverhältnisses" ein auf Namen lautender Genußschein ausgestellt werden solle, der durch Abtretung übertragen werden könne. Der § 13 erhielt folgende Fassung:

"Von dem aus der Bilanz sich ergebenden Reingewinne sind:
a) mindestens 5% zur Dotierung des Reservefonds abzuschreiben,
b) 10 % als Tantieme an den Aufsichtsrat und ein Betrag bis zu 5% als Tantieme an die Direktion und die Beamten zu zahlen...
c) vom verbleibenden Reste erhalten, insoweit die Generalversammlung nicht anders beschließt, zunächst die Inhaber der Vorzugsaktien und alter nicht abgestempelter Aktien zusammen 7/8 Teile desselben als Dividende... Der verbleibende 1/8-Teil des Reingewinnes wird auf die laut § 7 dieses Statuts auszugebenden 500 Genußscheine ... gleichmäßig verteilt."

Die Anleihe kam noch 1888 nach Maßgabe der gefaßten Beschlüsse zustande, und zwar wurde die ganze Anleihe von der Sächsischen Bankgesellschaft in Dr. übernommen, der deshalb auch sämtliche Genußscheine überwiesen wurden. Das Grundkapital der verklagten Gesellschaft betrug damals 1 050000 M. Unter dem 6. Juni 1898 wurde aber von der Generalversammlung eine Erhöhung des Grundkapitals auf 1 700000 M und im Zusammenhange damit beschlossen, dem § 13 der Statuten nunmehr folgende Fassung zu geben:

"Von dem aus der Bilanz sich ergebenden Reingewinne sind
a) mindestens 5% zur Dotierung des Reservefonds abzuschreiben,
b) 10% als Tantieme an den Aufsichtsrat und ein Betrag bis zu 10% als Tantieme an die Direktion und die Beamten zu zahlen ...
c) vom verbleibenden Reste erhalten, insoweit nicht von der Generalversammlung beschlossen wird, Beträge hiervon für einen zu bildenden Dividendensparfonds oder für andere Zwecke zurückzustellen, zunächst die Inhaber der Vorzugsaktien und Genußscheine Gewinnanteile in folgendem Verhältnis:

  1. Die Inhaber der Genußscheine erhalten ein Achtteil desjenigen Reingewinns, welcher auf das bei Ausgabe der Genußscheine vorhanden gewesene Gesellschaftskapital von 1 050000 M anteilig nach Verhältnis des jeweiligen Gesamtkapitals der Gesellschaft entfällt...

Der Gewinn, welcher nach Berücksichtigung dieser Quote verbleibt, wird auf die Vorzugsaktien beider Serien je nach Höhe des Nennwertes derselben als Dividende verteilt..."

Unter Zugrundelegung dieser Bestimmungen wurde über den für 1898/99 erzielten Reingewinn dergestalt verfügt, daß zunächst für den Reservefonds 5%, für den Aufsichtsrat 10%, für die Direktion und die Beamten 10% in Abzug gebracht wurden und dann von der Generalversammlung die Auszahlung von 27 M auf jeden Genußschein beschlossen wurde. Die Festsetzung dieses Betrages erfolgte nach vorgängiger Berechnung, wieviel von dem Reingewinne auf den Betrag des ursprünglichen Grundkapitales im Verhältnisse zu dem Gesamtbetrage des gegenwärtigen Kapitales entfallen würde.

Demgemäß wurden auf 20 Genußscheine, die sich im Besitze des Landgerichtsrats a. D. M. befanden und von ihm 1890 von dem Sächsischen Bankvereine zu D. erworben waren, je 27 M ausbezahlt, auch vorbehaltlos, unter Rückgabe der betreffenden Dividendenscheine, angenommen. Alsdann trat der Landgerichtsrat M. seine Genußscheine an den Kläger ab, und dieser erhob Klage, machte geltend, daß der auf die Genußscheine entfallende Anteil nach den zur Zeit ihrer Ausgabe geltenden Statuten von 1888 berechnet werden müsse, und beantragte u. a.

festzustellen, daß Kläger das Recht habe, für jeden der ihm gehörigen 20 Genußscheine von dem achten Teil des gesamten Reingewinns den fünfhundertsten Teil zu verlangen.

Das Landgericht war des Erachtens, daß die Inhaber der Genußscheine einen Anteil von dem Reingewinne nur in Ansehung desjenigen Betrages fordern dürften, der auf den Betrag des 1888 vorhanden gewesenen Grundkapitals entfallen würde, hiervon jedoch an Tantieme für die Direktion und die Beamten nicht mehr als 5% in Abzug gebracht werden dürften. Demnach traf es eine entsprechende, für die Parteien in ihrem Verhältnisse zu einander maßgebende Feststellung, wies jedoch im übrigen die Klage ab. Auf die von dem Kläger allein verfolgte Berufung erachtete das Berufungsgericht die Unterscheidung des Landgerichts nicht mit den Bestimmungen von 1888 für vereinbar und erkannte deshalb insofern abändernd, als es ferner für das Verhältnis der Parteien feststellte, daß der den Genußinhabern im Statutennachtrage vom 20. Juni 1888 zugesicherte Gewinnanteil von dem ganzen Reingewinne der einzelnen Geschäftsjahre nach Vorwegabzug der in § 13 dieses Nachtrages unter a und b erwähnten Prozentsätze zu berechnen sei. Die Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Das Berufungsgericht hat die Berechtigung aus den sogenannten Genußscheinen als ein Gläubigerrecht betrachtet, das ohne Zustimmung der Inhaber nicht von der verklagten Gesellschaft geändert werden könne. Seitens der Revision wird diese Auffassung beanstandet, zunächst die Frage aufgeworfen, ob nicht ein Gesellschaftsverhältnis zwischen den Inhabern der Genußscheine und der verklagten Gesellschaft anzunehmen sei, und jedenfalls die Ansicht, daß die Rechte der ersteren ohne deren Zustimmung nicht geändert werden könnten, für unzutreffend erachtet. Es ist indes dem Berufungsgerichte beizutreten.

Mit dem Ausdrucke "Genußschein", den das geschriebene Recht, insbesondere das Handelsgesetzbuch, nicht kennt, ist ein feststehender Begriff nicht verbunden; derselbe dient vielmehr zur Bezeichnung von Urkunden verschiedenartigen rechtlichen Charakters (vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 30 S. 16). Ob unter den so bezeichneten Urkunden auch solche begriffen sind, die als Aktien oder doch als Zubehör von Aktien betrachtet und deshalb als Verbriefung von Gesellschaftsrechten angesehen werden müssen, ist hier nicht zu erörtern. Denn die Bedeutung eines sogenannten Genußscheines hängt von dem Inhalte der Rechte ab, die er beurkundet, und dieser Inhalt ist daher in jedem einzelnen Falle nach Anlaß und Zweck seiner Ausstellung zu ermitteln. In dem vorliegenden Falle ergiebt sich die Bedeutung der hier in Rede stehenden Genußscheine aus den Statuten der verklagten Gesellschaft, und zwar aus § 7 in der Fassung, die er durch den Beschluß ihrer Generalversammlung vom 20. Juni 1888 erhalten hat. Danach ist die Ausgabe dieser Genußscheine bei der Aufnahme einer Hypothek von 250000 M beschlossen, und zwar so, daß für jeden Teilbetrag, in Höhe von 500 M, dem Darleiher zu geben sei, und zwar auf seinen Namen: 1., eine Teilschuldverschreibung, enthaltend die Angaben über Betrag, Sicherstellung, Rückzahlung und Verzinsung des von ihm gewährten Darlehns, und daneben 2. als besondere Urkunde ein sogenannter Genußschein, der auf das Darlehn verwies, aber nichts enthielt als die Verbriefung des Anspruches auf Bezüge vom Reingewinne und von der Liquidationsmasse nach §§ 13 und 33 der Statuten, und durch Abtretung auf andere Personen sollte übertragen werden können. Ferner sollten die Teilschuldverschreibungen vom Jahre 1900 ab ganz oder ratenweise getilgt werden; dagegen sollte es der Gesellschaft vom Jahre 1915 ab freistehen, die Genußscheine durch Zahlung des 25 fachen Betrages des durchschnittlichen, nach § 13 in den letzten 25 Jahren entfallenden Reingewinnes dergestalt zu tilgen, daß hierdurch alle für die Inhaber und Rechtsnachfolger solcher Scheine aus den §§ 13 und 33 des Statuts herzuleitenden Ansprüche abgefunden seien.

Diese Bestimmungen ergeben, daß die Begründung eines Gesellschaftsverhältnisses nicht in Frage kommen kann. Beabsichtigt war, den Darlehnsgebern, um solche zu finden, durch Ausgabe der sogenannten Genußscheine einen besonderen Vermögensvorteil zu gewähren, und zwar durch Einräumung eines Rechtes, das zwar dem Darleiher selbst, und nur diesem, gegeben, also durch das Zustandekommen des Darlehnsvertrages bedingt, im übrigen jedoch von dem ferneren Schicksale des Darlehns, insbesondere von dessen Fortbestand, durchaus unabhängig sein und auch nicht an die Person des Darleihers gebunden bleiben, sondern, und zwar ohne das Gläubigerrecht aus dem Darlehn, übertragbar sein sollte. Es geht dies aus den Bestimmungen über die Ausgabe, die Abtretung und die Tilgung der Genußscheine hervor. Rechtlich zulässig aber war dies; denn es steht nichts im Wege, daß der Darlehnsschuldner seinem Gläubiger eine besondere Vergütung gewährt, und daß er dies durch Übernahme einer dauernden Verpflichtung zu wiederkehrenden Leistungen thut. Die hierzu geeignete Form ist gewählt: es sind Schuldscheine ausgestellt, die auf den Namen des Gläubigers lauten, den Willen und den Grund der Verpflichtung angeben und deren Inhalt bezeichnen. Dieser Inhalt selbst ist rechtlich ebenfalls zulässig: er ist das Versprechen der Gesellschaft auf einen Teil des reinen Gewinnes (und vielleicht von der Liquidationsmasse). Hierzu war die Gesellschaft in der Lage und insbesondere nicht durch Art. 216 Abs. 2 H.G.B. gehindert. Denn danach haben die Aktionäre nicht Anspruch auf den Geschäftsgewinn schlechthin gehabt, sondern nur auf den reinen Gewinn, der nach dem Gesellschaftsvertrage zur Verteilung unter sie bestimmt ist, sodaß Gewinnanteile, die im Gesellschaftsvertrage anderweitig vergeben sind, nicht mehr zur Verteilung bestimmt sind. Endlich ist der Generalversammlungsbeschluß über die Fassung des § 7 der Statuten mit dessen oben wiedergegebenen Bestimmungen rechtsgültig gefaßt und ebenso zur Ausführung gebracht, da der in Aussicht genommene Darlehnsvertrag demgemäß mit dem Sächsischen Bankverein in D. zustande gekommen und die Ausführung erfolgt ist. Die Rechtsgültigkeit der in Rede stehenden Genußscheine und die Übertragung derselben von dem Darlehnsgeber an den Landgerichtsrat M. und von diesem an den Kläger ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.

Vorstehende Ausführung enthält schon die Widerlegung des letzten Einwandes der Revision, daß die Inhaber der Genußscheine das ihnen zugesagte Achtteil des Reingewinnes nur von demjenigen Gewinn fordern dürften, der auf den Betrag des 1888 vorhanden gewesenen Grundkapitales entfallen würde, und daß sie jedenfalls den hieraus abzielenden Generalversammlungsbeschluß von 1898 gelten lassen müßten. Das Recht der Genußscheininhaber ist ein Gläubigerrecht, für dessen Inhalt nur die Fassung der Statuten von 1888, auf die hin der Darlehnsvertrag geschlossen wurde, maßgebend ist. Diese Statuten aber enthalten die von der Beklagten gewollte Scheidung des Gewinnes nicht, und deshalb haben die Genußscheininhaber nach den Statuten von 1888 Anspruch auf ein Achtteil des vollen Reingewinnes nach Maßgabe des § 13 in der damals beschlossenen Fassung. Die Ansicht der Revision, daß diese Fassung, da sie auf dem Beschlusse einer Generalversammlung beruht habe, von einer späteren Generalversammlung habe geändert werden können, ist nicht zutreffend, da eine Generalversammlung Rechte von Gläubigern der Gesellschaft nicht einseitig ändern kann (vgl. Bolze, Praxis Bd. 3 Nr. 807). Und die fernere Ansicht, daß mindestens für die im Jahre 1898 auf Grund der damals geänderten Statuten neu hinzugetretenen Aktionäre lediglich die Bestimmung des § 13 in der dem Beschlusse vom 6. Juni 1898 entsprechenden Fassung maßgebend sei, ist für die hier zu entscheidende Frage ohne Einfluß. Denn es wäre ja vielleicht möglich, daß diese neu hinzugetretenen Aktionäre nur gezeichnet haben, weil sie auf eine dem § 13 in der neuen Fassung entsprechende Gewinnverteilung rechneten; aber wenn dies der Fall sein und wenn es, was hier durchaus unentschieden bleiben soll, möglich sein sollte, daß sie hieraus irgend welche Ansprüche gegen die Gesellschaft oder andere Personen herleiten könnten, so würde dieser Umstand doch nie dahin führen, daß die Genußscheininhaber hierfür verantwortlich gemacht und zur Aufgabe ihrer Rechte oder eines Teiles genötigt werden könnten." ...