RG, 07.05.1889 - III 87/89

Daten
Fall: 
Solidarische Haftverbindlichkeit an einer Schlägerei
Fundstellen: 
RGZ 23, 158
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
07.05.1889
Aktenzeichen: 
III 87/89
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Lüneburg
  • Oberlandesgericht Celle

Solidarische Haftverbindlichkeit mehrerer Teilnehmer an einer Schlägerei für den dadurch herbeigeführten Tod eines Menschen?

Tatbestand

Am 4. April 1887 kam es bei einer Kontrollversammlung zu einem Streite zwischen Landwehrleuten, in Folge dessen der Arbeiter H. in das Haus des Schuhmachers Schr. flüchtete, hierhin von zwei Gegnern – Sch. und E., den jetzigen Beklagten – verfolgt und sofort mit einem Totschläger und einem Besenstiele so geschlagen wurde, daß er mehrere gefährliche Kopfverletzungen davon trug und am 19. April 1887 an Entzündung der Gehirnhäute starb. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wegen gemeinschaftlicher Mißhandlung des H. auf Grund der §§. 223. 223 a. 226 St.G.B. zur Aburteilung an das Schwurgericht zu Lüneburg verwiesen, wurden beide Angeklagte durch den Ausspruch der Geschworenen schuldig erkannt: "gemeinschaftlich vorsätzlich den H. mittels eines gefährlichen Werkzeuges körperlich mißhandelt zu haben", - jedoch angenommen: "daß der Mitangeklagte Sch. allem durch die mittels seines Totschlägers verübte Körperverletzung den Tod des H. herbeigeführt habe." Demgemäß verurteilte der Schwurgerichtshof durch Erkenntnis vom 5. Juli 1887 den Angeklagten Sch. zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und den Angeklagten E. zu einer solchen von einem Jahre.

Es belangen nunmehr die Witwe und Kinder des Getöteten die beiden genannten Personen auf Zahlung der für ihren Ehemann und Vater aufgewendeten Kur- und Beerdigungskosten und auf Alimentation, unter solidarischer Haftverbindlichkeit. Durch Versäumnisurteil vom 24. Januar 1838 wurde der Mitbeklagte Sch. nach dem Klagantrage schuldig erkannt, in Ansehung des Mitbeklagten E. aber, mit Beschränkung auf den Grund der Klage, Beweisbeschluß erlassen und nach dessen Erledigung unterm 3. Mai 1883 die Klage abgewiesen. Das Landgericht nahm als festgestellt an, daß H. infolge der Kopfverletzungen gestorben sei, welche ihm von Sch. mittels des Totschlägers beigebracht worden seien, weshalb E. nicht für den Tod des H. hafte.

Auf Berufung der Kläger änderte das Oberlandesgericht zu Celle jenes Erkenntnis dahin ab:
"daß der erhobene Anspruch vorbehaltlich der Feststellung des Betrages für begründet zu erklären sei."

Nach den Gründen nahm der Berufungsrichter in Übereinstimmung mit dem Landgerichte an, daß die einzige Ursache des Todes des H. zwei Schädelverletzungen gewesen seien, welche Sch. dem H. mit einem Totschläger beigebracht habe, weshalb die herangezogenen Gesetzesstellen (1. 11 §. 2. I. 51 §. 1 Dig. a leg. Aqu. 9, 2) die Verurteilung des E. allerdings nicht begründen könnten, weil feststehe, daß Sch. die todbringende Wunde geschlagen. "Desungeachtet hafte aber – so fährt das Berufungsurteil fort – E. als Mitthäter. Durch sein Zugeständnis und die Aussagen der Zeugen sei erwiesen, daß er und Sch. gemeinschaftlich den Entschluß gefaßt hätten, den H. zu mißhandeln und diesen Entschluß auch gemeinschaftlich ausgeführt hätten, indem beide gleichzeitig, Sch. mit einem Totschläger, E. mit einem Besenstiele, abwechselnd wie beim Dreschen, auf H. losgeschlagen hätten. Deshalb hafte jeder von beiden auch für die Mißhandlungen des Anderen. Denn beide hätten sich in einer Gemeinsamkeit des Willens und Handelns befunden, sodaß die Thätigkeit des Einen von dem Willen des Anderen mit umfaßt gewesen, jeder Schlag des Einen so anzusehen sei, als wäre er auch von dem Anderen geführt worden. Wie sehr die Thätigkeit des Einen den Anderen in seinem Thun unterstützt habe und der eingetretene Erfolg auf die gegenseitige Unterstützung zurückzuführen sei, ergebe die einfache Erwägung, daß der Getötete den Einzelangriff ganz anders hätte abwehren können.... So gut demnach Sch. für den von ihm nicht gewollten tödlichen Erfolg der Mißhandlung verantwortlich sei, ebenso hafte E. dafür, und es erstrecke sich diese gemeinschaftliche Haftbarkeit für den ganzen Schaden auch auf die Entschädigungsansprüche der Hinterbliebenen. Dies habe in dem durch die neuere Gesetzgebung nicht aufgehobenen §. 3 Art. XV. der Verordnung vom 25. Juni 1667 noch besondere Anerkennung gefunden."

Die von dem Mitbeklagten E. eingelegte Revision wurde zurückgewiesen.

Aus den Gründen

"Es ist teils unbestritten, teils von dem Vorderrichter thatsächlich festgestellt, daß dem Ehemanne und Vater der Kläger am 4. April 1887 von den beiden Beklagten drei erhebliche Kopfverletzungen zugefügt worden sind, von denen zwei die alleinige Ursache des Todes des H. waren. Diese letzteren hat der Mitbeklagte Sch. dem H. mittels eines Totschlägers beigebracht, während gleichzeitig der Mitbeklagte E. mit einem Besenstiele auf letzteren losschlug und demselben eine erhebliche, wenn auch nicht tödliche Wunde beibrachte. Der Berufungsrichter erklärt beide Beklagte für den eingetretenen Erfolg schon nach gemeinem Rechte für verhaftet und verurteilt den Mitbeklagten E. solidarisch nach dem Grunde des erhobenen Anspruches als Teilnehmer am Delikte. Er erwägt, daß die Mißhandlung des H. das Ergebnis eines von beiden Beklagten gemeinschaftlich gefaßten und ausgeführten Entschlusses gewesen sei, mithin eine strafbare Handlung vorliege, welche bei jedem einzelnen auf einen vorhandenen Gesamtwillen zurückgeführt werden müsse, daß aber überdies durch jenen Angriff des E. auf H. die den Tod des letzteren herbeiführende rechtswidrige Thätigkeit des Sch. unterstützt worden sei, und zieht hieraus den Schluß, daß sowohl Sch. als E. civilrechtlich für den ganzen Schaden einstehen müßten, welcher den Klägern durch den Tod ihres Ernährers erwachsen sei.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Annahme des Vorderrichters, daß sich beide Beklagte in einer Gemeinsamkeit des Willens und Handelns befunden haben, sodaß die Thätigkeit des Einen von dem Willen des Andern mitumfaßt worden, jeder Schlag des Einen so anzusehen sei, als wäre er auch vom Anderen geführt worden, vom prozessualischen Standpunkte aus aufrechtzuhalten ist. Es lassen sich erhebliche Bedenken dagegen erheben, zumal nicht festgestellt wurde, daß der Mitbeklagte E. Kenntnis davon hatte, daß Sch. mit einem Totschläger auf H. losschlug. Auf jeden Fall haftet E., wenn ihm auch nicht selbst die tödliche Verletzung unmittelbar zur Last fällt, doch deshalb für den eingetretenen Erfolg, weil er durch seinen eigenen gemeinschaftlich mit Sch. ausgeführten Angriff den H. verhinderte, sich in ausreichender Weise gegen Sch. zur Wehre zu setzen. Bei einer so gearteten Teilnahme ist der ursächliche Zusammenhang zwischen der Strafthat des E. und dem Tode des H. von selbst gegeben; denn aus der Kette der Ursachen, welche diesen Tod herbeiführten, läßt sich die Mitwirkung des E. nicht ausscheiden; auch letztere, wenn sie gleich nur zu einer fremden Strafthat hinzutrat, hat den Eintritt des gedachten Erfolges mitveranlaßt.

Unbedenklich sind die für die Teilnahme an einer strafbaren Handlung im Strafrechte geltenden Grundsätze auch dann anzuwenden, wenn es sich um die Schadloshaltung der durch ein Delikt Geschädigten nach den Grundsätzen des Civilrechtes handelt. Nach dem aquilischen Gesetze insbesondere haften alle Teilnehmer an einer Schlägerei, welche erweislich an dem Verletzten sich vergriffen haben, solidarisch für den dadurch verursachten Schaden, ohne das auf die Gleichartigkeit der strafbaren Handlung und den Grad der Beteiligung etwas ankommt, und gleichviel, ob der Urheber des tödlichen Schlages ermittelt wurde oder nicht, vorausgesetzt nur, daß irgend ein Kausalzusammenhang zwischen den Handlungen der an der Schlägerei Beteiligten und dem wirklich eingetretenen Erfolge besteht.1

Diesen Grundsatz hat das Reichsgericht bereits in dem von dem Revisionskläger angezogenen Urteile,2 ausgesprochen. Der Grund jedoch, aus welchem dort bei Beklagte von der Haftpflicht für den durch den Tod des Ehemannes der Klägerin entstandenen Schaden befreit wurde, lag darin, daß sich der damalige Beklagte zwar an der Schlägerei, nicht aber an dem thätlichen Angriffe gegen den Getöteten beteiligt hatte, sodaß dessen Verletzung und späterer Tod dem Beklagten nicht zur Schuld angerechnet werden konnte. Daß diese letztere Erwägung hier nicht zutrifft, ist von selbst klar.

Auf den Inhalt der Verordnung vom 25. Juni 1867 Art. XV. §. 3 ist hiernach nicht einzugehen."

  • 1. Windscheid, Pandekten §. 298 Note 15. §. 455 Note 26; Baron, Gesamtrechtsverhältnisse §. 17; Wächter, Pandekten Bd. 2 S. 318. 419; Wäntig, Haftung für unerlaubte Handlungen §. 16; Erk. des R.G.'s in Seuffert, Archiv Bd. 41 Note 93, in Bolze, Rechtspr. Bd. 1 Nr. 520, Bd. 2 Nr. 355, D. E.
  • 2. vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 1 Nr. 39 S. 91.