RG, 07.06.1884 - I 150/84

Daten
Fall: 
Policebestimmung einer Arbeiterversicherung
Fundstellen: 
RGZ 12, 38
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
07.06.1884
Aktenzeichen: 
I 150/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Münster
  • OLG Hamm

Wie ist die Policebestimmung einer Arbeiterversicherung, daß bei Übergang der Fabrik auf einen anderen Betriebsunternehmer die Versicherung erlösche, zu verstehen?

Tatbestand

Der Fabrikbesitzer M. H. M. in Münster hatte für seine Arbeiter bei der Beklagten Versicherung gegen Unfälle genommen. Er starb am 19. März 1879. Er hatte mit seiner Ehefrau in münsterscher Gütergemeinschaft gelebt, das Vermögen ging auf diese und die Kinder über. Die Fabrik wurde von denselben unter der Firma M. H. M. fortbetrieben und die Versicherungsprämie weiter bezahlt und von der Beklagten angenommen. Am 7. Dezember 1882 starb ein Fabrikarbeiter, angeblich infolge eines Schadens, welchen er sich im Fabrikbetriebe zugezogen hatte. Die Firma M. H. M. fordert die Versicherungssumme von 3000 M. Die Beklagte bestreitet den Eintritt eines Entschädigungsfalles, vor allem aber den Fortbestand der Versicherung unter Berufung auf §. 8 der Policebedingungen.

Das Landgericht weist die Klage und das Oberlandesgericht die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung zurück. Auf Revision der Klägerin wurde das Berufungsurteil aufgehoben aus folgenden Gründen:

Gründe

"§. 8 der Policebedingungen lautet:

"Wenn ... die Fabrik, auf welche sich die Versicherung bezieht, auf einen anderen Betriebsunternehmer übergeht, so ist die Verbindlichkeit der Gesellschaft aus der Versicherung erloschen. Dieselbe tritt aber wieder in Kraft, wenn die Gesellschaft, nachdem ihr der betreffende Umstand bekannt geworden ist, zur Fortsetzung der Versicherung schriftlich ihre Zustimmung erklärt. Wird die Zustimmung nicht erteilt, so wird die Prämie für die noch nicht abgelaufene Zeit der Versicherung anteilig zurückerstattet."

Der Berufungsrichter legt diese Bestimmung dahin aus: Die Erlöschung der Zahlungsverbindlichkeit der Beklagten ist lediglich an den Übergang der Fabrik auf einen anderen Betriebsunternehmer geknüpft. Nach dieser allgemeinen Fassung des §. 8 kommt es nicht darauf an, ob der Übergang durch Singular- oder Universalsuccession geschieht. Es genügt, daß an die Stelle des Betriebsunternehmers, welcher mit der Beklagten kontrahiert hat, ein anderer Betriebsunternehmer getreten ist, um die Beklagte von ihrer Verpflichtung aus dem Vertrage zu befreien.

Bei dieser Auslegung fehlt der Berufungsrichter darin, daß er sich lediglich an die Worte hält, ohne auf den Sinn, welcher denselben vernünftigerweise zu Grunde zu legen ist, Rücksicht zu nehmen.

Nach allgemeinen Grundsätzen laßt sich die Frage, welche Wirkung der Übergang der Fabrik, auf welche sich die Versicherung bezieht, auf einen anderen Betriebsunternehmer hat, nicht gleichmäßig für alle Fälle beantworten. Insbesondere ist zu unterscheiden zwischen dem Übergange durch Singular- und dem durch Universalsuccession. Im letzteren Falle wird der Bestand des Vertrages an sich ebensowenig berührt, wie der eines sonstigen Vertrages, welcher von Rechtsnachfolgern überhaupt erfüllt werden kann. Rechte und Pflichten aus der Versicherung gehen auf den Universalnachfolger über. Wird aber die Fabrik veräußert, so kann der Erwerber an die Stelle des Versicherungsnehmers nur dann treten, wenn der Versicherer einwilligt. Zur Cession seiner Rechte aus dem Versicherungsvertrage würde der Versicherungsnehmer nur unter der Voraussetzung imstande sein, daß trotz der Veräußerung der Fabrik die Rechte aus dem Versicherungsvertrage bestehen geblieben wären. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Rechtsverhältnis möglicherweise so hätte geregelt werden können, daß diese Rechte bei Bestand geblieben wären. Im vorliegenden Falle ist dies dadurch ausgeschlossen, daß nach der Police der Versicherungsvertrag mit direkter Beziehung auf den Betrieb der Fabrik durch den Betriebsunternehmer abgeschlossen ist, daß für die Beschädigung seiner Arbeiter Entschädigung geleistet werden soll.

Will man nun den §. 8 so verstehen, daß derselbe auf alle Fälle des Überganges der Fabrik auf einen anderen Betriebsunternehmer sich beziehen solle, so würde für die verschiedenen Fälle die Bestimmung eine völlig verschiedene Bedeutung haben: für die Singularsuccession würde sie das aus allgemeinen Grundsätzen sich Ergebende bestimmen, für die Universalsuccession eine mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen in direktem Widerspruch stehende Spezialbestimmung einführen.

Dazu kommt, daß während die den allgemeinen Rechtsgrundsätzen entsprechende Bestimmung über den Fall der Singularsuccession den Interessen der Beteiligten nicht widerspricht, die Bestimmung in betreff der Universalsuccession zu Resultaten führen würde, welche als schlechthin unvernünftig erschienen. Da die Singularsuccession nur infolge eines Willensaktes wirksam wird, so ist dem neuen Erwerber die Möglichkeit gegeben, mit dem Versicherer vorher in Verhandlung zu treten, seine eventuelle Zustimmung zum Fortbestehen (genauer zum Abschlusse) der Versicherung zu erhalten, oder, wenn er sie versagt, sich anderweit zu decken. Bei der Universalsuccession dagegen ist ein derartiges Verfahren, wenn auch für gewisse Fälle nicht schlechthin ausgeschlossen, so doch regelmäßig unthunlich. Die Interpretation des Berufungsrichters führt dazu, daß die Erwähnung des durch die Versicherung erstrebten Zweckes der Sicherung gegen die nachteiligen Wirkungen von Unfällen illusorisch wird. Will man hiergegen einwenden, daß der Übergang der Fabrik auf einen neuen Betriebsunternehmer, von welchem §. 8 spricht, nicht als sofort mit dem Tode des bisherigen Unternehmers eingetreten anzunehmen, sondern auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen sei, so ist dagegen zu bemerken, daß bei der großen Bedeutung, welche eine genauere Feststellung nach dieser Richtung für die Beteiligten hat, es Aufgabe des Versicherers gewesen sein würde, in die Policebedingungen entsprechende Bestimmungen aufzunehmen, namentlich gewisse Fristen zu fixieren, und daß gerade das Fehlen solcher Bestimmungen einen weiteren Beleg dafür bildet, daß §. 8 auf den Fall der Universalsuccession nicht bezogen worden ist.

Auch was im Berufungsurteile über die ratio der Bestimmung angeführt ist, spricht für diese Ansicht. Es heißt dort:

Diese Bestimmung hat ihren guten Grund darin, daß die Versicherungsgesellschaft, bevor sie mit einem neuen Betriebsunternehmer ein so gewagtes Geschäft, wie ein Versicherungsvertrag ist, eingeht, in die Lage versetzt sein will, sich zu überzeugen, daß bei dem Fabriksbetriebe auch mit der nötigen Vorsicht zu Werke gegangen wird.

Daraus endlich, daß, wenn §. 8 lediglich auf den Fall der Singularsuccession bezogen wird, derselbe, da er keine besondere Bestimmung enthält, als überflüssig erscheinen würde, kann deswegen kein Einwand gegen diese Auffassung hergeleitet werden, weil es immerhin nicht ohne Interesse ist, der Ansicht, das Recht aus der Versicherung inhäriere gleichsam dem Etablissement und gehe mit diesem auf den neuen Erwerber über, entgegenzutreten.

Aus der vorstehenden Ausführung ergiebt sich, daß der Berufungsrichter, indem er auch auf den vorliegenden Fall, in welchem nach seiner Feststellung das gütergemeinschaftlich besessene Vermögen und damit auch die betreffende Fabrik auf die Ehefrau des Versicherungsnehmers und die Kinder beider eigentümlich übergegangen ist, den §.8 der Policebedingungen anwandte, diesen §. 8 rechtsirrtümlich ausgelegt hat. Das Urteil war daher, da dasselbe, wie der Berufungsrichter mit Recht ausführt, auch nicht etwa auf Grund des §.16 der Policebedingungen aufrechterhalten werden kann, aufzuheben.1

Hiermit erledigt sich auch die Frage, ob nicht, selbst wenn §. 8 auch auf die Universalsuccession zu beziehen gewesen wäre, aus nach dem Tod des M. H. M. vorgenommenen konkludenten Handlungen, insbesondere aus der Zahlung und Annahme von Prämien, der Abschluß eines Versicherungsvertrages zwischen den Nachfolgern des ursprünglichen Versicherungsnehmers und der Beklagten zu entnehmen sein würde. Da über die von der Beklagten bestrittene materielle Begründung des eingeklagten Anspruches noch nicht erkannt ist, so war die Sache in die Berufungsinstanz zurückzuverweisen und die Entscheidung über die Kosten dem Endurteile vorzubehalten."

  • 1. Vgl. auch das Urteil des Reichsgerichtes vom 12. Januar 1881 in Sachen Oberley w. die Brandenburger Feuerversicherungsgesellschaft, Rep. I. 859/80, dessen erster Teil in den Entsch. des R.G.'s. in Civils. Bd. 3 Nr. 125 S. 425 abgedruckt ist.