RG, 07.06.1884 - I 154/84
Wird die Wechselverjährung durch Zustellung des Zahlungsbefehles im Mahnverfahren unterbrochen?
Tatbestand
Der Kläger hat bei dem Landgerichte I Berlin wider den Kaufmann R. zu Charlottenburg am 1. Dezember 1883 Klage auf Zahlung von 2613,25 M aus zwei gezogenen Wechseln erhoben, welche Beklagter am 10. April 1883 und am 16. April 1883, einen jeden zahlbar drei Monate dato, gezogen und in blanco giriert hatte. Die beiden Wechsel sind rechtzeitig protestiert; dem Beklagten ist auch auf Antrag des Klägers am 9. Oktober 1883 ein Zahlungsbefehl wegen der beiden Wechsel von dem Amtsgerichte Charlottenburg zugestellt, der Beklagte hat aber rechtzeitig Widerspruch erhoben. Der Beklagte hat bei dem Landgerichte, Kammer für Handelssachen, Abweisung der Klage beantragt, weil dieselbe verjährt sei. Die Kammer für Handelssachen hat diesem Antrage entsprochen. Gegen das Urteil derselben hat Kläger Berufung eingelegt, das Kammergericht hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und den Beklagten zur Zahlung verurteilt.
Auf Revision des Beklagten hat das Reichsgericht das Berufungsurteil aufgehoben und die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Die Entscheidung über die Revision hängt allein von der Beantwortung der Frage ab, ob die Wechselverjährung, welche sonst eingetreten sein würde, durch die Zustellung des Zahlungsbefehles unterbrochen worden ist. Mit der Zustellung des Zahlungsbefehles im Mahnverfahren treten nach §. 633 C.P.O. die Wirkungen der Rechtshängigkeit ein. Es ist dem kammergerichtlichen Urteile darin beizutreten, daß zu diesen Wirkungen auch im allgemeinen die Unterbrechung der Klageverjährung zu zählen ist. Diejenigen Wirkungen, welche das bürgerliche Recht an die bis dahin durch Anstellung, Mitteilung der Klage, Ladung oder Einlassung des Beklagten begründete Rechtshängigkeit knüpfte (§. 239), sollen nunmehr an die durch Erhebung der Klage im ordentlichen Verfahren (§. 235 a. a. O.), durch Zustellung des Zahlungsbefehles im Mahnverfahren begründete Rechtshängigkeit geknüpft sein, und zu jenen Wirkungen gehört ganz vorzugsweise die Unterbrechung der Verjährung. Daß man auch diese Wirkung im besonderen als Folge der Zustellung des Zahlungsbefehles vor Augen gehabt hat, ergiebt die bereits in dem Berufungsurteile angezogene Begründung des Entwurfes der Civilprozeßordnung zu den §§. 587. 588, wie die Entstehungsgeschichte des siebenten Buches der Civilprozeßordnung, insonderheit die Beratungen der hannovrischen und der norddeutschen Civilprozeßkommission über diese Materie.
Auch ist zuzugeben, daß wegen eines Wechselanspruches das Mahnverfahren stattfindet, denn dieser Anspruch entspricht durchaus denjenigen Erfordernissen, welche der §. 628 C.P.O. für den Erlaß des bedingten Zahlungsbefehles aufstellt. Es ist ferner unbedenklich, die Unterbrechung der Wechselverjährung durch Zustellung des amtsgerichtlichen Zahlungsbefehles dann zuzulassen, wenn eine wegen des Anspruches zu erhebende Klage vor die Amtsgerichte gehört. Denn in diesem Falle ist der Beklagte dadurch nicht gefährdet, daß Kläger, statt das gewöhnliche Prozeßverfahren einzuleiten, die Einziehung im Wege des Mahnverfahrens versucht. Erhebt der Beklagte Widerspruch, so sollen zwar auch in diesem Falle die Wirkungen der Rechtshängigkeit bestehen bleiben (§. 635 a. a. O.), aber der Beklagte braucht nicht zu warten, bis der Kläger nun die Klage erhebt; er kann den Kläger selbst zur mündlichen Verhandlung laden, und die Klage wird als mit der Zustellung des Zahlungsbefehles bei dem Amtsgerichte erhoben angesehen, sodaß eine dem gewöhnlichen Prozeßverfahren ganz analoge Gestaltung vorliegt.
Anders liegt aber die Sache dann, wenn die wegen des Anspruches zu erhebende Klage vor die Landgerichte gehört; in diesem Falle hat der Beklagte kein Mittel, die Fortsetzung des Verfahrens herbeizuführen; er muß warten, bis der Kläger die Klage bei dem Landgerichte erhebt, und dem Kläger ist dazu eine Frist von sechs Monaten gegeben (§. 637 a. a. O.). Die Wechselordnung hat es im Interesse des Beklagten für notwendig gehalten, die Erhebung der Wechselregreßklage an die kurze Frist von regelmäßig drei Monaten zu binden. Der dieser Vorschrift des Art. 79 W.O. zu Grunde liegende Gedanke würde sehr abgeschwächt werden, wenn es dem Wechselinhaber und jedem seiner Vormänner, welcher den Wechsel ohne Klage einlöst, freistünde, die dreimonatliche Frist dadurch um mindestens sechs Monate zu verlängern, daß er kurz vor Ablauf der Frist den Versuch macht, die Einziehung des Wechsels auf dem Wege des Mahnverfahrens herbeizuführen. Erhebt der in Anspruch Genommene Widerspruch, so hätte der Wechselgläubiger nun jene Frist von sechs Monaten seit Erhebung des Widerspruches für die Erhebung der Wechselklage gewonnen. Es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber dies Resultat gewollt hat.
Dafür, daß er es nicht gewollt hat, spricht entscheidend §. 13 des Einführungsges. zur C.P.O. In Abs. 1 wird ausgesprochen, daß die prozeßrechtlichen Vorschriften der Reichsgesetze durch die Civilprozeßordnung nicht berührt werden. Zu diesen, die Anwendung entgegenstehender Vorschriften der Civilprozeßordnung ausschließenden Bestimmungen der Reichsgesetze, welche in §. 13 des Einführungsgesetzes aufrecht erhalten werden, gehört Art. 80 W.O. mit seiner Vorschrift:
Die Verjährung wird nur durch Behändigung der Klage unterbrochen.
Derselbe ist in §. 13 des Einführungsgesetzes Abs. 3 dahin erweitert, daß die Verjährung auch nach Maßgabe der §§. 190. 254. 461 Abs. 2. 471 Abs. 2 C.P.O. unterbrochen wird. Daraus, daß hier nun diese Bestimmungen der Prozeßordnung, nach welchen, auch abgesehen von dem Falle einer Zustellung der Klage, eine Unterbrechung der Verjährung eintritt, genannt sind, während §. 633 C.P.O., nach welchem sonst die Unterbrechung der Verjährung eintritt, nicht genannt ist, folgt, daß der Gesetzgeber den Art. 80 in seiner ausschließenden Vorschrift dem §. 633 C.P.O. gegenüber hat aufrecht halten wollen. Denn die dort genannte Zustellung des Zahlungsbefehles ist nicht die Zustellung der Klage, welche im Falle des §. 637 a. a. O. ja erst später bei dem Landgerichte zu erheben ist. In diesem Sinne hat das Reichsgericht bereits am 22. Dezember 1883 entschieden i. S. S.'sche Eheleute w. F. Rep. I. 433/83. Von jener Entscheidung abzugehen, liegt kein zwingender Grund vor."