RG, 25.04.1889 - VI 41/89

Daten
Fall: 
Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Vertagungsantrags
Fundstellen: 
RGZ 23, 368
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
25.04.1889
Aktenzeichen: 
VI 41/89
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Kammergericht Berlin

1. Findet das Rechtsmittel der Beschwerde gegen einen Beschluß statt, durch welchen im Verhandlungstermine ein auf Grund des §. 300 C.P.O. gestellter Vetragungsantrag zurückgewiesen ist?1
2. Steht der im Verhandlungstermine erschienen Partei beim Ausbleiben des Gegners an unbedingtes Recht auf Vertagung der mündlichen Verhandlung zu?
2

Aus den Gründen

"In dem auf den 30. März 1889 angesetzten Termine zur mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz war der Berufungskläger nicht erschienen. Der Vertreter des Berufungsbeklagten beantragte einen neuen Verhandlungstermin anzuberaumen. Das Kammergericht erließ und verkündete jedoch folgenden Beschluß:

"Von der Anberaumung eines neuen Termines wird bei dem Ausbleiben des Gegners Abstand genommen und neue Ladung desselben anheimgestellt."

Da hiernach die Zurückweisung eines das Verfahren betreffenden Gesuches vorliegt, so wäre die jetzt von dem Berufungsbeklagten erhobene Beschwerde nach Maßgabe des §. 530 C.P.O. nur dann für unzulässig zu erachten, wenn der angefochtene Beschluß unter den Begriff der eine vorgängige mündliche Verhandlung erfordernden Entscheidungen fiele. Dies ist nicht der Fall. Das zurückgewiesene Gesuch stellt sich nach der Sprachweise der Civilprozeßordnung (vgl. 5§. 90. 206. 250. 297. 300. 302. 480) als Antrag auf Vertagung einer Verhandlung und nicht etwa als Antrag auf Anberaumung eines Termines zur Fortsetzung der Verhandlung dar. Läßt sich nun auch ein Vertagungsantrag nur in einem Verhandlungstermine stellen, so setzt er doch eine "vorgängige mündliche Verhandlung" im Sinne des §. 530 a. a. O. nicht voraus, kann vielmehr unbedenklich, im Gegensatze zu dem Antrage auf Anberaumung eines Termines zur Fortsetzung der Verhandlung, schon vor dem Eintritte in die mündliche Verhandlung angebracht werden (§§. 128 Abs. I. 197 C.P.O.).3

Die Beschwerde erweist sich auch als begründet.

Der Regel nach entscheidet das freie Ermessen des Prozeßgerichtes darüber, ob dem Vertagungsantrage einer Partei stattzugeben ist oder nicht. Eine Ausnahme von dieser Regel schafft jedoch der §. 300 C.P.O. Derselbe führt unter drei Nummern die Voraussetzungen auf, unter welchen bei dem Nichterscheinen einer Partei im Verhandlungstermine der Antrag auf Erlassung eines Versäumnisurteiles zurückzuweisen ist, bestimmt aber zugleich, daß die Zurückweisung nur zu erfolgen hat "unbeschadet des Rechtes der erschienenen Partei, die Vertagung der mündlichen Verhandlung zu beantragen". Indem das Gesetz der erschienenen Partei ausdrücklich ein Recht zum Vertagungsantrage zuerkennt, legt es damit dem Prozeßgerichte in unzweideutiger Weise die Verpflichtung auf, solchem Vertagungsantrage, sofern er gestellt wird, stattzugeben.

Die Ansicht, daß der erschienenen Partei ein Recht auf Vertagung der Verhandlung nur dann zustehe, wenn einer der drei in dem §. 300 bezeichneten Fälle vorliegt, findet in dem Gesetze keine Stütze. Vielmehr weist schon die Fassung des mit dem Worte "unbeschadet" beginnenden Zwischensatzes deutlich darauf hin, daß der erschienenen Partei das Recht auf Vertagung ohne jede Einschränkung vorbehalten bleiben sollte. Für die Beschränkung dieses Rechtes auf die Fälle zu Nr. 1. 2. 3 des §. 300 mangelt es auch an jedem inneren Grunde. Weshalb ein Vertagungsantrag, bei welchem etwa der Berufungsbeklagte erklärt, die Zustellung des ersten Urteiles oder die Anlegung der Berufung nicht nachweisen zu können (§§. 300 Nr. 1. 504 Abs. 1 C.P.O.),4 anders und günstiger zu beurteilen wäre, als der ohne weitere Motivierung angebrachte Vertagungsantrag, läßt sich nicht erkennen.

Stand hiernach dem Berufungsbeklagten ein gesetzlicher Anspruch auf Vertagung der Verhandlung zu, so beschwert er sich mit Recht darüber, daß sein Antrag auf sofortige Anberaumung eines anderweiten Termines zur mündlichen Verhandlung abgelehnt und ihm die Erreichung einer besonderen Ladung zum Zwecke der Terminsbestimmung anheimgegeben worden ist. Mag auch der Nachteil geringfügig sein, welcher dem Beschwerdeführer hieraus erwächst, so läßt sich diesem doch ein rechtliches Interesse an der Durchführung der Beschwerde nicht absprechen.

Demgemäß war der angefochtene Beschluß aufzuheben, der Vertagungsantrag des Berufungsbeklagten für gerechtfertigt zu erklären und gemäß §. 538 C.P.O. dem Berufungsgerichte die weitere Anordnung wegen Ansetzung eines anderweiten Verhandlungstermines zu übertragen. Zu einer Entscheidung der Frage, ob der Berufungskläger zu dem neuen Termine von Amts wegen oder durch den Berufungsbeklagten zu laden, lag bei der jetzigen Sachlage für das Beschwerdegericht kein Anlaß vor."

  • 1. Vgl. Hellmann. C.P.O. Bd. 2 S. 177; Reincke, C.P.O. S. 305: v. Wilmowski-Levy, C.P.O. 4. Aufl. S. 451, 5. Aufl. S. 466; Petersen, C.P.O. S. 511, 77. D.E.
  • 2. Vgl. Planck, Lehrbuch Bd. 1 S. 512; Struckmann-Koch, v. Wilmowsky-Levy, Sarwey, Reincke, Gaupp, Förster zu §, 300 C.P.O,; Anders: Kleiner, C.P,O. Bd. 2 S. 216 und Schwalbach im civil. Archiv Bd. 64 S. 274 flg. D. E.
  • 3. Vgl. Fitting R.C.P.R. Anm. 2 zu §. 63 Birkmeyer, Rechtsfälle S. 107 Wach, Handbuch Bd. 1 S. 343 und die Kommentare. D. E.
  • 4. vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 12 S. 364. Bd. 21 S. 375.