RG, 25.03.1889 - IV 5/89
Kann der Volksschullehrer, welcher gegen die durch die Schulaufsichtsbehörde bewirkte Feststellung seiner Pension den Rechtsweg beschreibt, seine auf Feststellung einer höheren Pension abzielende Klage gegen jene Behörde als solche richten, auch wenn ihm gegen den Staat ein vermögensrechtlicher Anspruch dieserhalb nicht zusteht?
Tatbestand
Obige Frage ist verneint aus folgenden, das Sachverhältnis ergebenden Gründen:
Gründe
"Der am 5. Oktober 1844 an der Volksschule zu St. als Lehrer angestellte Kläger ist vom 1. Oktober 1886 ab pensioniert. Nach §. 2 des preußischen Gesetzes, betreffend die Pensionierung der Lehrer etc, vom 6. Juli 1885 (G.S. S. 298) sind ihm drei Vierteile seines letzten Diensteinkommens als Pension zu gewähren. Die Feststellung der Pension gebührt nach §. 14 des erwähnten Gesetzes der Schulaufsichtsbehörde. Demgemäß ist die Pension des Klägers von der Beklagten nach einem Diensteinkommen von 1080 M auf den Jahresbetrag von 810 M festgesetzt. Der Kläger erachtet sich hierdurch für beschwert und hat, nachdem eine von ihm bei dem Minister der geistlichen Angelegenheiten eingelegte Beschwerde ohne Erfolg geblieben, den im §. 15 des erwähnten Gesetzes offen gehaltenen Rechtsweg, und zwar gegen die festsetzende Behörde, mit dem Antrage beschritten:
die Beklagte zu verurteilen, die ihm zustehende Pension auf den Jahresbetrag von 910 M festzusetzen.
Ungeachtet des von der Beklagten erhobenen Einwandes der mangelnden Passivlegitimation hat der erste Richter dem Klagantrage dahin entsprochen, daß er die Pension des Klägers auf den Jahresbetrag von 894 M festgesetzt hat. Mit der Mehrforderung ist Kläger abgewiesen, In der von der Beklagten beschrittenen Berufungsinstanz hat dieselbe den gedachten Einwand wiederholt und ist die Verhandlung auf diesen Einwand beschränkt worden. Der Berufungsrichter hat solchen auch für begründet erachtet und deshalb, ohne auf die Sache selbst einzugehen, die Klage abgewiesen.
Durch diese Entscheidung werden Rechtsnormen nicht verletzt.
Die Pension des Volksschullehrers wird nach §. 26 Abs. 1 des erwähnten Gesetzes, unbeschadet der auf besonderen Rechtstiteln beruhenden Verpflichtungen Dritter, bis zur Höhe von 600 M aus der Staatskasse, über diesen Betrag hinaus von den sonstigen bisher zur Aufbringung der Pension Verpflichteten, oder, sofern solche nicht vorhanden sind, von den bisher zur Unterhaltung des Lehrers während der Dienstzeit Verpflichteten gezahlt. Die Entscheidung darüber, ob und welche Pension einem Lehrer bei seiner Versetzung in den Ruhestand zusteht, erfolgt durch die Schulaufsichtsbehörde (§. 14 das.). Die Beschreitung des Rechtsweges gegen diese Entscheidung steht dem Lehrer, sowie den zur Unterhaltung der Schule Verpflichteten offen; doch muß die Entscheidung des Unterrichtsministers der Klage vorangehen und letztere sodann, bei Verlust des Klagerechtes, innerhalb sechs Monaten, nachdem diese Entscheidung den Beschwerdeführern bekannt gemacht worden ist, erhoben werden. Der Verlust des Klagerechtes tritt auch dann ein, wenn von den Beteiligten gegen die Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde über den Anspruch auf Pension nicht binnen gleicher Frist die Beschwerde an den Unterrichtsminister erhoben ist (§. 15 das.). Festgestelltermaßen sind die gesetzlichen Vorbedingungen für die Beschreitung des Rechtsweges erfüllt. Ferner sind die Parteien darüber einverstanden, daß ein fiskalisches Interesse an dem Gegenstande des vorliegenden Rechtsstreites nicht besteht, da der geforderte Mehrbetrag der Pension ganz von anderen Verpflichteten aufzubringen ist. Dementsprechend ist denn auch die Klage nicht gegen den durch die beklagte Behörde vertretenen Fiskus, sondern gegen diese Behörde als solche gerichtet. ...
Mit Recht hat aber der Berufungsrichter die Klage gegen die Aufsichtsbehörde für unzulässig erachtet.
Aus den gedachten Gesetzesvorschriften ist über die vorliegende Streitfrage nichts zu entnehmen. Auch die vom Berufungsrichter ausführlich mitgeteilten Materialien des Gesetzes geben keinen Aufschluß darüber, daß man eine bestimmte Regelung der Parteirollen beabsichtigt oder auch nur als bereits durch die bestehenden Gesetze gegeben sich vorgestellt habe. Der aus der Initiative des Abgeordnetenhauses hervorgegangene Entwurf des Gesetzes erhielt in der Kommission desselben in seinem §. 15 eine dem §. 23 der Novelle zum Beamtenpensionsgesetze vom 30. April 1884 (G.S.S. 126) entsprechende, vom Hause angenommene Fassung, wonach der Rechtsweg gegen die Festsetzung der Pension durch die Schulaufsichtsbehörde dem Lehrer offen gehalten wurde. Zur Beseitigung des Zweifels, ob nicht auch die zur Unterhaltung der Schule Verpflichteten den Rechtsweg beschreiten dürften, wurde im Herrenhause infolge eines Antrages des Grafen Brühl diejenige Fassung des §. 15 beschlossen, welche sodann Gesetzesinhalt geworden ist. Im Laufe der Beratungen beider Häuser des Landtages hat nur der Berichterstatter des Herrenhauses die vorliegende Frage berührt, indem er sich über den erwähnten Antrag des Grafen Brühl dahin äußerte:
"Ich will nur bemerken, daß die Frage, ob die beteiligten Gemeinden oder sonstige zur Unterhaltung der Schule Verpflichteten ein Klagerecht haben, eine streitige ist, daß aber im allgemeinen angenommen worden ist, in einzelnen Fällen, daß ihnen ein solches Klagerecht zusteht. Ob gegen den Lehrer ober die Schulaufsichtsbehörde oder wen sonst, will ich unerörtert lassen.... Durch die Annahme des Antrages Brühl würde der Zweifel, der in dieser Beziehung besteht, dahin beseitigt werden, daß auch andere Beteiligte als der Lehrer das Klagerecht haben. Es wird aber die Frage offen bleiben, gegen wen geklagt werden soll, gegen die Schulaufsichtsbehörde oder gegen den betreffenden Lehrer. Im ersteren Falle würde es zweifelhaft erscheinen, ob es nicht geboten sein würde, nicht den Rechtsweg, sondern das Verwaltungsstreitverfahren eintreten zu lassen, wie es gegen die Schulaufsichtsbehörde schon in anderen Beziehungen vielfach existiert."1
Auf die hier gegebene Anregung ist indes von keiner anderen Seite eingegangen, und die aufgeworfene Frage ist, ungeachtet des gegebenen Anlasses, vom Gesetze nicht beantwortet. Sie ist übrigens ebensowenig in dem Beamtenpensionsgesetze vom 27. März 1872 (G.S. S. 268), welches im §. 23 gegen die Entscheidung des Departementschefs über die Bewilligung und den Betrag der Pension dem Beamten die Beschießung des Rechtsweges nach Maßgabe des Gesetzes vom 24.Mai 1861 offen hielt, und in dem an Stelle dieser Vorschrift getretenen §. 23 der Novelle vom 30. April 1884 entschieden. Eine Entscheidung derselben ist endlich auch nicht aus §. 3 des Gesetzes, betreffend die Erweiterung des Rechtsweges, vom 24. Mai 1861, wonach die Klage der Staatsbeamten wegen vermögensrechtlicher Ansprüche aus ihrem Dienstverhältnisse gegen diejenige Provinzialbehörde des betreffenden Verwaltungsressorts bezw. diejenige Bezirksregierung zu richten ist, in deren Amtsbezirk der Beamte zur Zeit der Entstehung des streitigen Anspruches seinen dienstlichen Wohnsitz gehabt hat, zu entnehmen, da diese Vorschrift, wie sich aus dem Abs. 2 desselben Paragraphen:
"Für Prozesse von Beamten in den hohenzollernschen Landen ist die Regierung in Sigmaringen zur Vertretung des Fiskus befugt"
klar ergiebt, nur Ansprüche der Staatsbeamten gegen den Fiskus vor Augen hat und die prozessualische Vertretung des letzteren zu regeln bezweckt.
Die Beantwortung der streitigen Frage muß also aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen geschöpft werden. Danach unterliegt es keinem Zweifel, daß Staatsbehörden für sich Rechtssubjekte nicht sind, sondern nur als Organe (Vertreter) des Staates, sei es als Vermögenssubjekt (Fiskus), sei es als Inhabers der Staatshoheit, fungieren. Sie können daher auch nur in dieser Eigenschaft rechtlich in Anspruch genommen werden, wodurch natürlich nicht ausgeschlossen ist, daß gegen die derzeitigen Träger des Amtes für ihre Person aus der Amtsführung Rechtsansprüche entstehen und verfolgt werden können, da es sich hierbei nicht um die Behörde als solche handelt.2
Vermögensrechtliche Verpflichtungen des Staates stehen vorliegend nicht in Frage, da, wie oben bemerkt ist, der Staat den ihm obliegenden Pensionsbetrag entrichtet und der vom Kläger beanspruchte Mehrbetrag ausschließlich von den sonst Verpflichteten aufzubringen sein würde. Mit der gegenwärtigen Klage wird vielmehr die materielle Abänderung einer Entscheidung erstrebt, welche die beklagte Verwaltungsbehörde innerhalb des ihr zugewiesenen Kreises öffentlichrechtlicher Befugnisse in Ausübung staatlichen Hoheitsrechtes getroffen hat. Wegen derartiger Akte ist aber grundsätzlich der Staat (bezw. die denselben vertretende Behörde) einem im ordentlichen Rechtswege verfolgbaren Anspruche beteiligter Privatpersonen nicht ausgesetzt, weil die ordentlichen Gerichte über die Betätigungen des staatlichen Hoheitsrechtes an sich regelmäßig nicht zu entscheiden haben und aus solchen privatrechtliche Verbindlichkeiten des Staates gegen die dadurch betroffenen Personen in der Regel nicht entstehen.3
Für derartige Fälle ist daher neuerdings an Stelle der früher nur zulässigen Beschwerde das Verwaltungsstreitverfahren eingeführt, welches sich unter gewissen Voraussetzungen gegen die Behörde selbst, als Prozeßpartei, richtet. Nur ausnahmsweise ist vom Gesetze der Rechtsweg zugelassen, wenn durch solche Entscheidungen oder Verfügungen in vermögensrechtliche Verhältnisse eingegriffen wird, welche au sich dem Gebiete des Privatrechtes angehören. Dies ist denn auch in dem vorliegenden Falle, wie in manchen ähnlich liegenden Fällen (vgl. z. B. §. 65 Abs. 3 der Städteordnung vom 30. Mai 1853, §§. 20. 36 des Zuständigkeitsgesetzes vom 1. August 1883 [G.S. S. 237]) geschehen. Allein aus der Zulassung des Rechtsweges folgt nicht, daß derselbe direkt gegen die entscheidende Behörde (oder richtiger, den durch solche vertretenen Staat) zu richten ist. Vielmehr wird dies -- ausnahmsweise -- nur dann anzunehmen sein, wenn es sich aus der betreffenden Gesetzesvorschrift oder aus der Natur der Sache (insbesondere, weil es an einem anderen Prozeßgegner fehlt) als notwendig ergiebt, da sonst die vorgedachte Regel durchgreift, daß dem Staate durch die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse seitens seiner Organe privatrechtliche Verpflichtungen gegen die davon Betroffenen nicht erwachsen. Ein solcher Ausnahmefall ist der des §. 2 des Gesetzes über die Zulässigkeit des Rechtsweges gegen polizeiliche Verfügungen vom 11. Mai 1842 (G.S. S. 192), wonach, wenn derjenige, welchem durch eine polizeiliche Verfügung eine Verpflichtung auferlegt wird, die Befreiung von derselben auf Grund einer besonderen gesetzlichen Vorschrift oder eines speziellen Rechtstitels behauptet, die richterliche Entscheidung sowohl über das Recht zu dieser Befreiung, als auch über dessen Wirkungen zulässig ist, sofern (§. 1 Abs. 2 desselben Gesetzes) die Verletzung eines zum Privateigentume gehörenden Rechtes behauptet wird. Denn der direkte Anspruch auf Beseitigung oder Einschränkung der beschwerenden Verfügung richtet sich notwendig gegen die Behörde selbst als Vertreterin der Staatsgewalt, und es fehlt an einem anderen Gegner, da nur die eigene Freiheit von der auferlegten Verpflichtung, und nicht die Verpflichtung eines anderen zu der angesonnenen Leistung den Gegenstand des Rechtsstreites bildet. Deshalb ist vom Reichsgerichte mit Recht angenommen, daß in solchen Fällen die Klage direkt gegen dir verfügende Behörde, als Vertreterin des eventuell zur Abhilfe verpflichteten Staates, zu richten ist.4
Ebendeshalb aber verhält es sich hiermit schon anders, wenn nur ein Anspruch aus Entschädigung geltend gemacht ober wenn behauptet wird, daß die fragliche Verpflichtung ganz oder teilweise einem anderen obliege (§§. 4. 5 desselben Gesetzes), indem sich hier ein anderer Gegner (welcher auch der Fiskus sein kann) für die prozessualische Rechtsverfolgung darbietet.5
Der vorliegende Fall hat nun keine Rechtsähnlichkeit mit dem des §. 2 des erwähnten Gesetzes, weshalb von einer analogen Anwendung der für letzteren geltenden Normen nicht die Rede sein kann. Abgesehen davon, daß es sich hier nicht um eine polizeiliche Verfügung, sondern um eine anderweitige öffentlich-rechtliche Funktion der Schulaufsichtsbehörde handelt, besteht ein wesentlicher Unterschied darin, daß die letztere über den Pensionsanspruch des Lehrers nur mit Vorbehalt des Rechtsweges, also gewissermaßen interimistisch, entscheidet, sodaß sich der Anspruch des hierdurch nach seiner Behauptung Verletzten nicht gegen diese Festsetzung als solche richtet, sondern von demselben auf dem zugelassenen Rechtswege eine Festsetzung von anderem Inhalte durch eine andere Instanz begehrt wird.6
In solchen Fällen verweist auch §. 5 des Gesetzes vom 11. Mai 1842 die "Beteiligten", zu denen die zunächst entscheidende Behörde als solche nicht gehört, zur Austragung des Streites im Rechtswege untereinander.7
In allen derartigen Fällen ist das Interesse, welches die Staatsgewalt an der Regelung der in Betracht kommenden Verhältnisse hat, mit Erlaß der bis auf weiteres vollstreckbaren Entscheidung der Verwaltungsbehörde erschöpft; sie überläßt den hiermit nicht zufriedenen Beteiligten die definitive Feststellung ihres Rechtsverhältnisses im Wege Rechtens, wobei selbstverständlich der Ansprechende sein Recht gegen denjenigen zu verfolgen hat, welcher in der Lage ist, den erhobenen Anspruch befriedigen zu müssen. Dies ist aber keinesfalls der Staat, als Inhaber der Staatsgewalt, oder die in dessen Vertretung handelnde Behörde, sondern der zu der streitigen Leistung Verpflichtete. Einen klagbaren Anspruch auf anderweite Feststellung der Pension haben die Beteiligten gegen die Schulaufsichtsbehörde nicht; denn deren Funktion ist mit der im Beschwerdewege nicht angefochtenen oder gebilligten Feststellung beendigt; weshalb denn auch dem insoweit offenbar verfehlten Klagantrage vom ersten Richter nicht entsprochen, sondern durch diesen eine anderweite Feststellung erfolgt ist. -- Die vom ersten Richter vermißte Rechtsverletzung seitens der Verpflichteten liegt in der Nichtbefriedigung des vom Kläger erhobenen Anspruches, welcher von ihnen zweifellos mit voller Wirkung anerkannt und erfüllt werden konnte.
Mit Recht weist endlich auch der Berufungsrichter auf die unannehmbaren Konsequenzen der Meinung hin, daß jeder Teil (Lehrer und Verpflichtete) gegen die Schulaufsichtsbehörde klagen könne, da infolgedessen widersprechende Urteile zwischen den materiell Beteiligten ergehen könnten und solchenfalls deren Verhältnis zu einander nicht zu bestimmen sein würde. -- Bei Anwendung des §. 65 der preußischen Städteordnung vom 30. Mai 1853 ist denn auch niemals bezweifelt worden, daß der mit der Entscheidung der Regierung unzufriedene Teil den offengelassenen Rechtsweg gegen den anderen Teil (und nicht gegen die Behörde) zu beschreiten habe.8
Und der vorliegende Fall liegt in dieser Hinsicht nicht wesentlich anders, da es sich auch hier um die -- gewissermaßen einstweilige -- Regelung eines zwischen bestimmten (physischen und juristischen) Personen bestehenden vermögensrechtlichen Verhältnisses durch eine staatliche Behörde handelt."
- 1. Vgl. Stenogr. Berichte über die Verhandlungen des Herrenhauses Session 1835 Bd. 1 S. 250.
- 2. Vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 8 S. 226 flg., Bd. 15 S.145; Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches (2. Aufl.) Bd. 1 S. 339; Schulze, Deutsches Staatsrecht Bd. 1 S. 231. 648. 649; Vetter, System des heutigen Pandektenrechtes Bd. 1 S. 211. 212.
- 3. Vgl. Schulze, a.a.O. S. 649.
- 4. Vgl. Entsch, des R.G. in Civils. Bd. 8 S. 226 flg., Bd. 15 S. 145.
- 5. Vgl. Oppenhoff, Die preußischen Gesetze über die Ressortverhältnisse S. 355 Note 107. S. 356 Note 111. S. 359 Note 126.
- 6. Vgl. Oppenhoff, a. a. O. S. 81 Noten 240. 241.
- 7. Vgl. Oppenhoff, a. a. O. S. 399 Note 123. 126.
- 8. Vgl. Oppenhoff, a. a. O. S. 56 Note 146. S. 81 Note 240.