RG, 15.03.1889 - II 11/89

Daten
Fall: 
Pfandrecht von Minderjährigen
Fundstellen: 
RGZ 23, 314
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
15.03.1889
Aktenzeichen: 
II 11/89
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Mannheim
  • OLG Karlsruhe

Unter welchen Voraussetzungen können minderjährige Kinder für eine aus der Erb- und Gemeinschaftsteilung aus Ableben ihrer Mutter ihnen zustehende Gleichstellungsforderung an ihren Vater und Vormund ungeachtet der diesem letzteren an ihrem vermögen zustehenden kautionsfreien gesetzlichen Nutznießung das Mündelpfandrecht des L-R.S. 2135 Ziff. 1 an dessen Liegenschaften in Anspruch nehmen?

Tatbestand

Der Kläger, welchem gegen den Landwirt L. E. eine aus Darlehn herrührende Forderung von 9000 M nebst Zinsen mit richterlichem Unterpfandsrecht vom 30. Mai 1884 zusteht, hat diese Forderung nebst Pfandrecht in dem gegen den genannten Schuldner eingeleiteten Liegenschaftsvollstreckungsverfahren angemeldet, ist aber unbefriedigt geblieben, weil der ganze freie Erlös von 3154,46 M den minderjährigen Kindern des Vollstreckungsschuldners zugewiesen wurde, welche eine aus der Teilung auf Ableben ihrer am 28. November 1878 verstorbenen Mutter herrührende Gleichstellungs- und Ersatzforderung von 5099,18 M mit gesetzlichem Pfandrechte vom Tage des Todes ihrer Mutter angemeldet hatten.

Diese Verweisung hat Kläger, welcher den Kindern des L. E. ein gesetzliches Pfandrecht für ihre Forderung nicht zugesteht, mittels Klage angefochten und den Antrag gestellt: Die gedachte Verweisung dahin abzuändern, daß an der Stelle der Beklagten der Kläger mit dem Betrage von 3154,46 M nebst Zinsen zu verweisen sei. Die Beklagten, welche seit dem Tode ihrer Mutter unter der Vormundschaft ihres Vaters standen und seit dessen am 27. Mai 1887 erfolgten Enthebung unter der des PH. G. M. stehen, haben die Abweisung der Klage beantragt. Das übrige ergiebt sich aus den Gründen:

Gründe

"Die Zurückweisung der Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil des Landgerichtes beruht nach den Gründen des zweiten Richters auf der Anerkennung eines dem richterlichen Unterpfandrechte des Klägers vom 30. Mai 1884 vorgehenden, den beklagten minderjährigen Kindern des Vollstreckungsschuldners für einen dem Erlöse aus der Zwangsversteigerung der Liegenschaften des letzteren mindestens gleichkommenden Betrag ihrer Gleichstellungsforderung von 5099,18 M zustehenden gesetzlichen Pfandrechtes, nämlich des vom Todestage ihrer Mutter, dem 28. November 1878, datierenden Mündelpfandrechtes des L.R.S. 2135 Ziff. 1.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision konnte nicht für gerechtfertigt erachtet werden.

Die Forderung, welche den beklagten minderjährigen Kindern des Vollstreckungsschuldners L. E. zusteht und, nachdem der letztere wegen zerrütteter Vermögensverhältnisse der Vormundschaft über seine Kinder enthoben war, von dem neuernannten Vormunde in dem Zwangsvollstreckungsverfahren angemeldet worden ist, beruht auf einer nach Beginn der gesetzlichen Vormundschaft ihres Vaters zwischen diesem und den Beklagten vorgenommenen Erb- und Gemeinschaftsteilung, in welcher den Kindern zur Gleichstellung ein Guthaben an ihren Vater im Betrage von 5099,18 M zugewiesen worden ist.

Nach L.R.S. 2121. 2135 Ziff. 1 steht den Minderjährigen für ihre aus der Vormundschaft herrührenden Ansprüche an den Vormund ein vom Beginne der Vormundschaft datierendes gesetzliches Unterpfandrecht an dessen Liegenschaften zu. Dieses Pfandrecht ist nicht nur für diejenigen Summen gewährt, welche der Vormund wirklich eingezogen hat, sondern auch für diejenigen, welche er hätte einziehen sollen, und selbst für solche, die er im Laufe der Vormundschaft aus von dieser unabhängigen Entstehungsgründen den Mündeln persönlich schuldig geworden ist, da er auch für diese als Vormund verantwortlich geworden, sie also nicht bloß als Schuldner, sondern auch als Vormund zu erstatten verbunden ist. Erwägt man nun, daß der Vater als gesetzlicher Vormund der Beklagten das gesamte zur Gemeinschaft und zur mütterlichen Verlassenschaft gehörige Vermögen seiner Kinder in Besitz und Verwaltung hatte, sodann aus der im Jahre 1879 stattgehabten Teilung auf Ableben seiner Ehefrau den Beklagten zur Gleichstellung 5099,18 M schuldig wurde, welche teilweise an die Stelle der Verbindlichkeit zur dereinstigen Herausgabe des Vermögens getretene Schuld er auch in der bei Abgabe der Vormundschaft am 25. August 1887 abgelegten Rechnung als noch vorhanden anerkannte, daß diese Schuld ihrem Titel nach nicht betagt und ein Vorzugsrecht nach L.R.S. 2109 für dieselbe nicht gewahrt worden ist, so sind die Beklagten schon hiernach für berechtigt zu erachten, das am 16. Dezember 1878 eingetragene Mündelpfandrecht dafür in Anspruch zu nehmen.

Daß dem Schuldner und Vormund als Vater der Beklagten bis zu deren Volljährigkeit die nach L.R.S. 601 von der Pflicht der Sicherheitsleistung befreite Nutznießung am Vermögen seiner Kinder zusteht, schließt die Geltendmachung des Mündelpfandrechtes für die gedachte, in der Nutznießung des Vaters inbegriffene Schuld nicht aus; denn die Verantwortlichkeit des Vaters in seiner Eigenschaft als Vormund ist durch seine Nießbrauchsberechtigung nicht vermindert, und die Befreiung desselben von der den Nutznießern in der Regel obliegenden Kautionspflicht soll den Kindern nicht auch die gegenüber jedem Vormunde gesetzlich gewährte Sicherheit des Mündelpfandrechtes einschränken. Da die Nutznießung an einem Vermögen nicht auf die Erscheinungsformen der bei Beginn der Nutzung darin begriffenen Werte beschränkt ist, sondern auch die während ihrer Dauer durch Umwandlung entstehenden neuen Werte erfaßt, so ist die Erfüllung der Pflichten eines Vormundes zur guten Verwaltung und sicheren Anlage der Kapitalien wie zur Haftung für verschuldete Beschädigungen und zur Restitution mit diesem Nießbrauche vollständig vereinbar. Wenn daher zu dem der elterlichen Nutznießung unterliegenden Vermögen eine während der Vormundschaft entstandene eigene Schuld des Vaters gehört, so liegt darin kein Grund, dieser Schuld den Charakter als einer "à raison de sa gestion" oder aus der vormundschaftlichen Verwaltung entstandenen Schuld abzusprechen.

Vermöge seines Nutznießungsrechtes ist der Vater allerdings zur Zeit noch nicht verpflichtet, irgend einen Betrag herauszuzahlen, bis zum Ende der Nutznießung ist daher der Anspruch der Kinder immerhin nicht fällig, sondern betagt, allein das Oberlandesgericht nimmt auf Grund des §. 73 des badischen Gesetzes vom 3. März 1879, die Einführung der Reichsjustizgesetze im Großherzogtume Baden betreffend, wonach

"ein Dritter, welchem an einer zu versteigernden Liegenschaft ein Vorzugs- oder Unterpfandsrecht zusteht, so lange und so weit nicht schon auf Anweisung der zuständigen Behörde Zahlung des Steigerungspreises geleistet worden ist, berechtigt ist, seinen Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlöse geltend zu machen, ohne Rücksicht darauf, ob seine Forderung fällig ist oder nicht,"

an, daß das Gleichstellungsguthaben gleichwohl bei der Verweisung nach dem damit verbundenen Pfandrechte zu berücksichtigen war, und da die angeführte Gesetzesstelle nicht revisibel ist, so entfällt die Prüfung, ob in deren Anwendung eine Rechtsverletzung zu finden sei. ...

Die Revision war daher zurückzuweisen."