RG, 16.01.1889 - I 315/88

Daten
Fall: 
Feststellung des nicht bezifferten Schadens
Fundstellen: 
RGZ 23, 416
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.01.1889
Aktenzeichen: 
I 315/88
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • Landgericht Dortmund
  • Oberlandesgericht Hamm

Ist auch ohne eine während des Prozesses eingetretene Veränderung beim Schadensanspruche ein Übergehen von dem auf Feststellung des nicht bezifferten Schadens erhobenen Anspruche zu dem Ansprüche auf Leistung eines bestimmten Schadensbetrages in demselben Prozesse zulässig?

Gründe

"Kläger hatte allerdings seinen Klagantrag in erster Instanz dahin gerichtet, zu erkennen, daß die Beklagte schuldig, ihm allen aus der Nichtlieferung der verkauften Ware entstandenen und noch entstehenden, im besonderen Prozesse zu ermittelnden Schaden zu ersetzen, und in der Klage noch ausdrücklich hinzugefügt, er wolle in diesem Prozesse nur die Feststellung der Ersatzverbindlichkeit unter Vorbehalt der Schadensliquidation für einen ferneren Prozeß bewirken. Aber er hat gegenüber dem Einwände der Beklagten, daß es der Klage an der Darlegung des Feststellungsinteresses im Sinne des §. 231 C.P.O. fehle, gegen die Auffassung der Klage als Feststellungsklage im Sinne dieser Gesetzesvorschrift ausdrücklich Widerspruch erhoben, und er hat, allerdings ohne den Klagantrag zu ändern, den Schaden auch ziffermäßig in der Weise begründet, daß der erste Richter auch über die danach behauptete Schadenshöhe Beweis erhob und nach den Gründen seines Urteiles den behaupteten Betrag auch als dargethan erachtete, während er aus dem materiellen Grunde, daß Kläger die ihm zur Abwendung des Schadens gebotene Gelegenheit nicht benutzt habe, zur Abweisung der Klage gelangte.

Auch wenn der Auffassung des Berufungsgerichtes beizutreten wäre, mit welcher dasselbe ohne ein materielles Eingehen auf die Sache die Zurückweisung der klägerischen Berufung trotz des vom Kläger in der Berufungsinstanz eventuell auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines bestimmt bezifferten Betrages gestellten Antrages begründet hat, daß ein Übergehen von dem Feststellungsbegehren im Sinne des §. 231 a. a. O. zum Leistungsbegehren beim Schadensanspruche, sofern es nicht im Sinne des §. 240 Ziff. 3 C.P.O. durch eine während des Prozesses eingetretene Veränderung begründet werde, eine unzulässige Klagänderung enthalte, so erscheint es doch nicht zutreffend, die erhobene Klage als Feststellungsklage im Sinne des §. 231 aufzufassen.

Das Berufungsgericht kommt bei seiner Darlegung, daß die erhobene Klage trotz der dagegen sprechenden Umstände wegen des gestellten Klagantrages eine Feststellungsklage im Sinne des §. 231 sei, darauf hinaus, daß eine Schadensklage, sobald sie nur wegen des Vorbehaltes des ziffermäßigen Betrages der Verurteilung für einen besonderen Prozeß des für eine Leistungsklage erforderlichen Klageantrages entbehre, deshalb immer eine, wenn auch vielleicht wegen Mangels eines Feststellungsinteresses unbegründete Feststellungsklage sei. Dies ist nicht zutreffend und auch nicht aus dem vom Berufungsgerichte angeführten Beschlusse der vereinigten Civilsenate des Reichsgerichtes vom 28. Juni 18881 zu folgern. Dort wird, während als Regel ausgesprochen wird, daß solche Klagen unzulässig sind, insbesondere auch, weil es ihnen an dem erforderlichen bestimmten Klagantrage fehlt, deren Zulässigkeit vorbehalten, sofern die Voraussetzungen des §. 231 vorliegen, indem weiter ausgeführt wird, daß für eine Klage, welche diesen Voraussetzungen entspricht, ein Klagantrag, welcher Verurteilung, aber doch in dem betreffenden Verfahren keine Leistungen begehrt, entsprechend ist.2

Daraus aber, daß ein Klagantrag bei Unterstellung eines bestimmten Anspruches ungenügend und zu einer Verurteilung ungeeignet ist, während er für einen auf anderen Voraussetzungen beruhenden Anspruch entsprechend wäre, folgt noch nicht, daß man es mit letzterem Anspruche zu thun habe, und daß daher, was als Korrektur des Klagebegehrens bei ersterer Klage noch nachträglich vollkommen zulässig wäre, deshalb unberücksichtigt bleiben muß, weil es unter dem Gesichtspunkte der letzteren Klage eine unzulässige Klagänderung enthielte. Wenn bei einer Klage, die auf Befriedigung wegen eines Anspruches abzielt, der Klagantrag wegen Mangels der Aufnahme eines Betrages, zu dessen Leistung verurteilt werden soll, für eine Verurteilung unzureichend ist, weil eine Verurteilung zu einer Leistung ohne Bestimmung von Art und Umfang derselben unzulässig ist, so kann diese Unvollkommenheit des Klagantrages offenbar, ohne daß damit eine Klagänderung erfolgt, noch nachträglich verbessert werden. Dies erkennt der angeführte Plenarbeschlusse gerade an, indem er trotz ungenügenden Klagantrages für ausreichend erachtet, wenn - was hier der Fall war - die thatsächlichen Grundlagen für die Bemessung des Betrages gegeben sind.3

Offenbar beruhte aber die geschehene Stellung des Klagantrages in der vorliegenden, vor dem Plenarbeschlusse erhobenen Klage auf der erst durch diesen Plenarbeschluß als mit der Civilprozeßordnung unerachteten Praxis der preußischen Gerichte, Beurteilungen auf Leistung eines Schadensersatzes im allgemeinen vorbehaltlich der Liquidation des Betrages in einem besonderen Prozesse zuzulassen, sodaß die Klage eben nicht im Sinne einer Feststellungsklage gemäß §. 231 C.P.O. gemeint war.

Aber auch bei Auffassung der erhobenen Klage als Feststellungsklage könnte der vom Berufungsgerichte vertretenen Ansicht, daß die nachträgliche Stellung des Antrages auf Verurteilung zur Zahlung eines bezifferten Schadenbetrages eine unzulässige Klagänderung enthalte, nicht beigetreten werden. Das Berufungsgericht giebt zu, daß der Klagegrund unverändert geblieben. Aber in dem Begehren einer Verurteilung zur Leistung des bezifferten Schadensbetrages soll gegenüber dem Begehren einer urteilsmäßigen Feststellung der Schadenersatzpflicht keine Erweiterung des Klagantrages im Sinne des §. 240 Ziff. 2 C.P.O. liegen, als welche nur ein dem ursprünglichen Begehren seinem Wesen nach gleichartiges soll angesehen werden können. Entweder wird hierbei dem Begriffe der "Erweiterung" eine zu enge Bedeutung beigemessen oder das Verhältnis der Feststellungsklage zur Leistungsklage beim Schadensanspruche nicht richtig gewürdigt.

Es ist nicht zutreffend, wenn das Berufungsgericht bei Vergleichung der Erweiterung oder Beschränkung des Klagantrages gemäß §. 240 Ziff. 3 C.P.O. mit dem Fordern eines anderen Gegenstandes statt des ursprünglich geforderten wegen einer später eingetretenen Veränderung gemäß §. 240 Ziff. 3, die erstere nur im Sinne der Substituierung eines gleichartigen Klagebegehrens verstanden wissen will. Die angeführte Entscheidung, abgedruckt in Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 14 S. 427 flg., verwirft gerade eine solche Einschränkung auf den engsten Wortsinn. Es ist auch eine qualitative Steigerung oder Herabsetzung des Beanspruchten, sodaß die mit der Prozeßverfolgung bezweckte Einwirkung nach außen zu einer veränderten Einwirkung, das zu erzwingende Verhalten des Beklagten zu einem anders gearteten wird, zulässig, ohne daß diese Veränderung ihren Grund in erst während des Prozesses eingetretenen Umständen haben muß. Es genügt zu der nach §. 240 Ziff. 2 zulässigen Erweiterung oder Einschränkung, wenn der frühere und der spätere Klagantrag in bezug auf dasjenige, was sie erwirken wollen, im Verhältnisse des Vor- oder Rückschreitens auf dem Wege zu dem Endergebnisse der Befriedigung wegen eines und desselben privatrechtlichen Anspruches stehen.

Ist nun als Rechtsverhältnis im Wege der Feststellungsklage nur ein rechtliches Verhältnis einer Person in der Art geltend gemacht, daß völlig dahingestellt bleibt, ob aus demselben ein privatrechtlicher Anspruch und welcher, hergeleitet werden soll, so wird es bedenklich sein, in der nachträglichen Erhebung eines solchen Anspruches eine Erweiterung des bisherigen Klagantrages zu finden. Man deute z. B. an den Fall, daß auf Feststellung des rechtmäßig erfolgten Austrittes aus einer Gesellschaft geklagt wäre und nachträglich Herauszahlung einer Geldsumme als Gesellschaftsanteil gefordert würde. Das Rechtsverhältnis, welches bei der Schadensklage geltend gemacht wird, ist aber gerade das der Existenz eines Schadensanspruches gegen den Beklagten, der, sofern er fällig, nur wegen des Mangels einer Bezifferung nicht Gegenstand einer Verurteilung zur Leistung werden kann, wahrend, wenn er im Klagantrage beziffert wäre, ein demselben entsprechendes Urteil als Urteil auf Leistung vollstreckbar wäre, auch wenn entsprechend dem Klagantrage statt auf Leistung auf Feststellung, daß der so bezifferte Anspruch dem Kläger gegen den Beklagten zustehe, erkannt und - in solchem Falle zum Überflusse - ein besonderes Feststellungsinteresse dargethan wäre.

Gegenüber der Geltendmachung des unbezifferten Anspruches in der Richtung seiner Feststellung bei vorhandenem Feststellungsinteresse ist die Geltendmachung desselben unter Bezifferung in der Richtung seiner Befriedigung nur eine Erweiterung des Klagantrages. Wollte man dies leugnen, so könnte auch dem ursprünglich auf Leistung gerichteten Klagantrage, wenn sich ergiebt, daß der Anspruch noch nicht fällig ist, nicht der Antrag auf Feststellung des noch nicht fälligen Anspruches, obwohl schon vor der Klagerhebung ein Feststellungsinteresse vorhanden, nach §. 240 Ziff. 2 C.P.O. substituiert werden. Denn, wäre das erstere gegenüber dem letzteren keine zulässige Erweiterung des Klagantrages, so konnte das letztere dem ersteren gegenüber keine zulässige Einschränkung sein. Das Gegenteil ist aber bereits wiederholt vom Reichsgerichte angenommen worden.4

Ebenso ist übrigens auch vom II. Civilsenate in der Sache Torley w. Müller Rep. 85/87 vom 8. Juli 13875 die Erweiterung der ursprünglich auf den Schaden dem Grunde nach gerichteten Klage auf den Betrag für zulässig erklärt worden.

Das vom Berufungsgerichte erhobene Bedenken, daß bei Zulassung solcher Veränderung, wie sie erst in der Berufungsinstanz stattfindet, dem Beklagten in betreff der Schadenshöhe eine Instanz entzogen würde, erscheint ohne entscheidenden Belang, weil die Civilprozeßordnung nicht von dem Grundsatze unbedingter Gewährleistung zweier Instanzen für die Verteidigung gegen einen Anspruch ausgeht. Auch bei dem unzweifelhaft zulässigen nächsten Falle der Erweiterung des Klagantrages durch Erhöhung des geforderten Betrages kann der Beklagte in die Lage kommen, mit seinen Einwendungen, welche dem ursprünglich geltend gemachten geringeren Betrage gegenüber nicht zutreffen, erst in der Berufungsinstanz auftreten zu können. Wird in der ersten Instanz die Schadensklage wegen Verneinung des Grundes abgewiesen, so weist das Berufungsgericht bei entgegengesetzter Ansicht die Sache nicht zur Verhandlung und Entscheidung über den Betrag in die erste Instanz zurück.6

Der vom Berufungsgerichte angezogene §. 500 Ziff. 3 C.P.O. will daher nur dem Gerichte erster Instanz die Kognition, mit der es befaßt worden, und die es sich durch eine Vorabentscheidung vorbehalten, wahren.

Das Berufungsurteil mußte deshalb aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden."

  • 1. vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 21 S. 382 flg.
  • 2. Vgl. a. a, O. S. 387.
  • 3. Vgl. a. a. O. S. 387.
  • 4. Vgl. die Urteile des II. Civilsenates Rep. 215/85 vom 20. Oktober 1885 und des V. Civilsenates Rep. 36/86 vom 6. März 1886 in Bolze, Praxis Bd. 2 Nr. 1563, des II. Civilsenates Rep. 100/86 vom 25. Mai 1886 und des III. Civilsenates Rep. 55/86 vom 29. Juni 1886 in Bolze, a. a. O. Bd. 3 Nr. 1133 Ziff. 3. 6.
  • 5. vgl. Bolze, a. a. O. Bd. 5 Nr. 1099.
  • 6. Vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 16 S. 311, Bd. 17 S. 349, Bd. 19 S. 247.