RG, 16.12.1884 - III 227/84

Daten
Fall: 
Klage der Genossenschaft auf Rückzahlung zuviel bezahlter Dividenden
Fundstellen: 
RGZ 13, 25
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.12.1884
Aktenzeichen: 
III 227/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Stuttgart
  • OLG Stuttgart

1. Klage der Genossenschaft auf Rückzahlung zuviel bezahlter Dividenden gegen die Genossenschaftsmitglieder.
2. Genügt zur Ausschließung dieser Klage die Wissenschaft des Aufsichtsrates, daß die zurückverlangten Dividenden nicht hätten zur Verteilung kommen sollen?
3. Kann die endgültige Beschlußfassung darüber, was alljährlich als Reingewinn zu betrachten und zu verteilen sei, dem Aufsichtsrate durch das Genossenschaftsstatut übertragen werden?

Aus den Gründen

"Der Berufungsrichter legt die Statuten der St. Volksbank dahin aus, daß zunächst der Vorstand das Resultat des Gewinn- und Verlustkontos für jedes Geschäftsjahr zu ermitteln habe, worauf der Verwaltungsrat (Aufsichtsrat), dem dieses Resultat zur Genehmigung vorzulegen sei, die Quote der Abschreibungen, insbesondere an den ausstehenden Forderungen zu beschließen habe; der hiernach sich ergebende Überschuß sei als Dividende den Mitgliedern gutzuschreiben, bezw. auszubezahlen, wonach es dann auch zur Feststellung der Dividende eines Beschlusses der Generalversammlung nicht mehr bedürfe.

Es kann bezweifelt werden, ob der vorige Richter zu dieser Interpretation, wonach dem Verwaltungsrate der Volksbank die allein maßgebende Beschlußfassung über die Feststellung der Bilanz und der Dividenden am Schlüsse jedes Geschäftsjahres zustehen würde, ohne Verletzung gesetzlicher Interpretationsregeln hat gelangen können. Auch muß fraglich erscheinen, ob nicht die Bezugnahme auf jene angeblich ausschließende Berechtigung des Verwaltungsrates in dem gegenwärtigen Rechtsstreite schon deshalb versagt ist, weil, wie der Berufungsrichter selbst hervorhebt, die in Rede stehenden Dividendenverteilungen nicht von dem Verwaltungsrate für sich allein, sondern auf dessen Antrag von den betreffenden Generalversammlungen der Genossenschaft beschlossen worden sind. Indessen können diese Bedenken ohne weitere Erörterung bleiben, weil ein die Aufhebung des angefochtenen Urteiles bedingender Rechtsverstoß jedenfalls darin zu erkennen ist, daß der Berufungsrichter eine statutarische Bestimmung, wie er sie nach obigem den Statuten der St. Volksbank entnimmt, angesichts des Genossenschaftsgesetzes vom 19. Mai 1871 überhaupt für rechtswirksam angesehen und durch diese Annahme bei seiner Entscheidung sich hat beeinflussen lassen.

Der §. 9 des obengenannten Gesetzes bestimmt, daß das Rechtsverhältnis der Genossen untereinander sich zunächst nach dem Gesellschaftsvertrage zu richten habe, daß aber letzterer von den Bestimmungen der nachfolgenden Paragraphen nur in denjenigen Punkten abweichen dürfe, bei welchen dies ausdrücklich für zulässig erklärt sei. Es ergiebt sich hieraus, daß das Gesetz keineswegs den Genossen die Ordnung ihrer Angelegenheiten im Wege der Vereinbarung freigeben wollte, sondern, daß es aus Rücksichten auf den Kredit und die volkswirtschaftlichen Zwecke der fraglichen Vereine eine Reihe zwingender Vorschriften aufgestellt und ein vertragsmäßiges Abweichen von solchen nur in gewissen, genau fixierten Punkten gestattet hat. Wenn daher die Bestimmung eines Genossenschaftsstatutes in Frage kommt, so ist immer zunächst zu prüfen, ob dieselbe einen Gegenstand betrifft, der im Gesetze selbst geregelt ist, und wenn dies der Fall, ob die Bestimmung mit dem Gesetze übereinstimmend oder in erlaubter Weise von demselben abgewichen ist.

Hiernach muß sich im vorliegenden Falle fragen, ob nach dem Genossenschaftsgesetze die Beschlußfassung über die Bilanz und die Verteilung der Dividenden ein Recht der Generalversammlung ist, und wenn dies anzunehmen, ob eine Übertragung dieses Rechtes auf andere Organe der Gesellschaft, insbesondere auf den Aufsichtsrat (Verwaltungsrat) für zulässig erachtet werden kann. Diese Frage ist in ihrem ersten Teile zu bejahen, in ihrem zweiten Teile zu verneinen. Über die Generalversammlung und deren Befugnisse bestimmen (soweit hierher erheblich) die §§. 10. 21. 28. 31 - 33 des Gesetzes. Speziell das Verhältnis der Generalversammlung zu dem Aufsichtsrate in Absicht auf die alljährliche Bilanz und Gewinnverteilung wird durch den §. 28 a. a. O. geregelt. Danach kann es aber nicht zweifelhaft sein, daß das Gesetz die für die Gewinnverteilung maßgebenden Beschlüsse zu den Funktionen der Generalversammlung zählt. Dies folgt schon aus dem §. 10, welcher die prinzipielle Stellung der Generalversammlung gegenüber den Genossenschaftern bestimmt und deren Wirksamkeit im allgemeinen bezeichnet, dabei ausdrücklich hervorhebt, daß die Prüfung der Bilanz und die Bestimmung der Gewinnverteilung namens der Gesamtheit der Genossenschafter in der Generalversammlung vorgenommen werde, daß also die endgültige Beschlußfassung hierüber zu den Befugnissen der Generalversammlung gehöre. Damit stimmt überein der §. 28, worin der Geschäftskreis des Aufsichtsrates geregelt und in dessen drittem Absatze vorgeschrieben wird, daß der Aufsichtsrat die Jahresrechnungen, die Bilanzen und die Vorschläge zur Gewinnverteilung zu prüfen und darüber alljährlich der Generalversammlung Bericht zu erstatten habe. Aus dem Wortlaute und dem Sinne dieser Vorschrift folgt ohne weiteres, daß der Aufsichtsrat nicht selbständig für sich über die Gewinnverteilung zu entscheiden haben soll; denn, indem ihm das Gesetz die Berichterstattung an die Generalversammlung zuweist, giebt es deutlich zu erkennen, daß der Aufsichtsrat das Resultat seiner vorgängigen Prüfung dem höheren Gesellschaftsorgane zur Genehmigung unterbreiten, daß also nicht er, sondern die Generalversammlung der wirklich entscheidende Faktor sein solle.

Folgt hieraus, daß das Genossenschaftsgesetz die alljährliche Gewinnverteilung der Generalversammlung zugewiesen hat, so ergiebt sich auch gleichzeitig, daß es keine vertragsmäßige Abweichung von dieser Bestimmung zulassen will. Der §. 10 Abs. 1 überträgt die Gewinnverteilung unbedingt der Generalversammlung, der Abs. 2 läßt zwar dem Gesellschaftsvertrage einen Spielraum offen, aber nur soweit es sich um den Abstimmungsmodus in den Generalversammlungen handelt. Ebensowenig läßt der §. 9 Abs. 2 a. a. O. statutarische Abänderungen in dem hier fraglichen Sinne zu. Die diesfällige Bestimmung nimmt Rücksicht auf die große Mannigfaltigkeit der unter das Genossenschaftsgesetz sich stellenden Vereine und auf die dadurch bedingte Verschiedenartigkeit der Anteile, welche, der Individualität des betreffenden Vereines entsprechend, den einzelnen Genossenschaftern an Gewinn und Verlust zuzuscheiden sind. In dieser Rücksicht will das Gesetz in betreff des Maßstabes, nach welchem der vorhandene Gewinn oder Verlust auf die Genossen verteilt werden soll, nur eine subsidiäre Vorschrift aufstellen. Davon unberührt ist aber die anderweite apodiktische Bestimmung des Gesetzes, daß die Beschlußfassung darüber, was alljährlich als Reingewinn zu betrachten und demnächst an die einzelnen Genossenschafter zu verteilen sei, ausschließlich der Generalversammlung zukommen solle. Auch der §. 28 des Gesetzes führt zu keinem anderen Resultate. Der Abs. 1 dieses Paragraphen und die Anfangsworte des zweiten Absatzes ergeben, daß das Gesetz nur die Frage, ob ein Aufsichtsrat überhaupt zu bestellen sei, der freien Vereinbarung der Genossenschafter überlassen wollte. Für den Fall aber, daß das Gesellschaftsstatut die Wahl eines Aufsichtsrates in Aussicht nimmt, sind im Gesetze Normativbestimmungen gegeben, welche einerseits das Minimum der Befugnisse dieses Gesellschaftsorganes bezeichnen, und andererseits eine Erweiterung dieser Befugnisse nur insoweit gestatten, als nicht präzeptive Vorschriften des Gesetzes entgegenstehen. Eine dieser in §. 10 Abs. 1 und §. 28 Abs. 3 a. a. O. zum Ausdrucke gebrachten unabänderlichen Normen ist aber die, daß der Generalversammlung die entscheidende Beschlußfassung über den alljährlich zu verteilenden Reingewinn zukommt.

Aus diesem Satze folgt in Anwendung auf den gegenwärtigen Fall, daß trotz etwa entgegenstehender Bestimmungen in den Statuten der St. Volksbank die Generalversammlung als dasjenige Gesellschaftsorgan zu betrachten ist, durch dessen statutenmäßige Willensäußerung die Verteilung der Dividenden für die Jahre 1873 und 1874 herbeigeführt worden ist.

Hiervon ausgegangen kann die vorliegende als conditio indebiti aufzufassende Klage auf Erstattung angeblich zuviel verteilter Dividendenbeträge jedenfalls nur dann und nur soweit begründet erscheinen, als die subjektive Voraussetzung dieser Klage - entschuldbarer Irrtum des Kondizierenden - auf seiten der Generalversammlung der Volksbank bei Fassung ihrer Beschlüsse in den betreffenden Jahren vorhanden war. Die Wissenschaft des Verwaltungsrates, daß in den fraglichen Jahren nur ein geringerer Reingewinn zur Verteilung hätte kommen sollen, genügt zur Ausschließung der angestellten Klage nicht. Denn nicht Sache des Verwaltungsrates konnte es nach dem Gesetze sein, den an die Genossen zu verteilenden Reingewinn endgültig festzustellen; er war in dieser Beziehung das Hilfsorgan der Generalversammlung und ihm lag deshalb nur ob, durch vorgängige Prüfung der Bilanz und durch Vorschläge in betreff der erforderlichen Abschreibungen und der hieraus sich ergebenden Dividenden die allein maßgebende Entscheidung der Generalversammlung vorzubereiten, bezw. herbeizuführen. Was namentlich die Abschreibung an zweifelhaften Forderungen anbelangt, so ist es unrichtig, wenn der Berufungsrichter hierin dem Verwaltungsrate ein selbständiges und unanfechtbares Ermessen einräumen will. Ein solches der Generalversammlung präjudizierendes, die Genossenschaft bindendes Ermessen kann nicht anerkannt werden, weil die Quote der Abschreibungen die Höhe des Reingewinnes bedingt, dessen endgültige Feststellung allein der Generalversammlung zusteht.

Unter solchen Umständen erscheint die angestellte Klage, soweit es sich lediglich um das für die conditio indebiti erforderliche subjektive Moment der irrtümlichen Annahme einer Verbindlichkeit handelt, alsdann begründet, wenn die Generalversammlung der klagenden Genossenschaft bei Fassung ihrer Beschlüsse betreffend die Feststellung des Reingewinnes in den Jahren 1873 und 1874 und die Bestimmung derjenigen Dividendenbeträge, welche als zuviel bezahlt zurückgefordert werden, in einem entschuldbaren Irrtume über die Existenz oder den Betrag des an die Mitglieder der Genossenschaft zu verteilenden Jahresgewinnes befangen war.

Diese Frage ist von dem Berufungsrichter nicht vollständig geprüft und entschieden worden, weil er von den erwähnten rechtsirrtümlichen Erwägungen über die Befugnisse des Verwaltungsrates ausging." ...