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RG, 16.12.1881 - III 499/81

Daten
Fall: 
Vormund einer wahnsinnigen Ehefrau
Fundstellen: 
RGZ 6, 157
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.12.1881
Aktenzeichen: 
III 499/81
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Kiel
  • OLG Kiel

Kann der Vormund einer wahnsinnigen Ehefrau für sie die Klage auf Scheidung oder zeitweilige Trennung der Ehe anstellen, insbesondere, wenn die Ehefrau den Willen, sich scheiden zu lassen, zu einer Zeit, als sie noch nicht entmündigt war, ausgesprochen hat?

Tatbestand

Die Gastwirt G.'schen Eheleute in O. sind seit dem 29. September 1868 verheiratet. Am 27. Dezember 1876 erhob die Ehefrau G. die Scheidungsklage gegen ihren Mann wegen Ehebruches und Sävitien. Sie wurde in diesem Prozesse durch einen von ihr mit Vollmacht zur Anstellung der Scheidungsklage versehenen Anwalt vertreten. In erster Instanz erging ein Urteil nach dem Klagantrage. In zweiter Instanz machte der beklagte Ehemann geltend, daß seine Frau wahnsinnig sei. Das Berufungsgericht stellte auf Grund des von ihm erhobenen Beweises die Geisteskrankheit der Klägerin fest, und wies aus diesem Grunde die Klage ab. Demnächst ist auf Antrag des Staatsanwaltes die Ehefrau G. am 13. April 1880 entmündigt und ihr ein Vormund bestellt. Dieser klagt jetzt namens seines Mündels gegen deren Ehemann aus denselben Gründen, wie im Vorprozesse, auf Scheidung dem Bande nach, event. auf zeitweilige Trennung der Ehe. In zweiter Instanz machte er namentlich geltend, daß die Ehefrau G. ihren Willen, sich von dem Beklagten scheiden zu lassen, zu einer Zeit, als sie noch nicht entmündigt war, insbesondere auch durch Anstellung der Vorklage bethätigt habe. Beide Vorderrichter haben die Klage abgewiesen. Die von dem Vormunde eingelegte Revision ist vom Reichsgerichte verworfen.

Gründe

"Die beiden Vorderrichter haben die Klage zurückgewiesen, weil der Vormund einer geisteskranken Ehefrau nicht befugt sei, für sie auf Scheidung oder zeitweise Trennung der Ehe zu klagen, auch nicht in dem Falle, daß die Ehefrau ihren Willen, sich scheiden zu lassen, vor der Entmündigung erklärt habe. Dieser Entscheidung muß beigestimmt werden. Die preußische Vormundschafts-Ordnung vom 5. Juli 1875 (G. S. S. 431) bestimmt im §. 83, daß auf die Vormundschaft über Großjährige die Vorschriften des zweiten Abschnittes des Gesetzes entsprechende Anwendung finden. Damit ist dem Vormunde nicht bloß die Vermögensverwaltung, sondern auch die Sorge für die Person und die erforderliche Vertretung des Mündels. wie solche nach §. 27 dem Vormunde eines Minderjährigen obliegt, übertragen. Er wird jedoch durch diese Vorschrift nicht ermächtigt, für den Mündel auf Scheidung zu klagen. Schon das Gesetz selbst beschränkt seine Befugnis zur persönlichen Vorsorge für den Mündel teils zu Gunsten der Mutter - §. 28 -, teils durch die angeordnete Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes - §. 42. Andere Beschränkungen, welche sich auf die Ausübung der höchst persönlichen Rechte beziehen, z. B. Errichtung von Testamenten, Abschluß der Ehe, hat das Gesetz zwar nicht ausdrücklich erwähnt, nichts desto weniger waltet kein Zweifel ob, daß bei diesen Rechten eine Vertretung durch den Vormund ausgeschlossen ist. Zur Ausübung solcher höchst persönlichen Rechte gehört auch die Anstellung der Scheidungsklage. Die Frage, ob wegen stattgehabter Verletzungen der ehelichen Pflichten eine Auflösung des Ehebandes herbeigeführt werden soll hängt allein von dem Willen des gekränkten Ehegatten ab. Bei der Entscheidung hierüber giebt es keine Vertretung in dem Willen des Mündels. Dem Vormunde einer verheirateten Kurandin liegt zwar unbedenklich die Pflicht ob, die Person und das Vermögen seines Mündels gegen rechtswidrige Handlungen ihres Ehemannes zu schützen. Das Mittel, um diesen Zweck zu realisieren, bildet jedoch nicht die Ehescheidungsklage.

Das römische Recht ging ebenfalls von dem Grundsatze aus. das von dem curator furiosi non solum patrimonium, sed et corpus ad salus furiosi geschützt werden solle. 1. 7 pr. Dig. de curator. 27, 10. Dennoch versagte es dem Kurator die Befugnis, zum Schutze einer Ehefrau die Scheidung zu bewirken und verwies ihn auf andere rechtliche Aushilfe. So heißt es in l. 22 §. 7 Dig. soluto matr. 24, 3 eam personam, quae furore detenta est, quia sensum non habet nuntium mittere non posse, und in l. 4 Dig. de divortiis 24, 2:

repudiare non posse, neque ipsam propter dementiam, neque cura torem ejus.

Dieselbe Entscheidung ist gemäß der auf analogen Grundlagen ruhenden preußischen Vormundschaftsordnung zu treffen.

Damit steht auch keineswegs in Widerspruch, daß der willensfähige Ehegatte die Scheidungsklage gegen den Vormund des nicht willensfähigen anzustellen befugt ist, denn die mangelnde Willensfähigkeit des letzteren kann den gesunden Ehegatten an der Geltendmachung der ihm zustehenden Rechte nicht hindern. Aus dem Umstände, daß der Vormund das höchstpersönliche Recht der Scheidung nicht ausüben darf, folgt nicht, daß er rechtlich behindert ist, gegen seinen Mündel erhobene Ansprüche abzuwehren.

An diesem Resultate ändert auch nichts der Umstand, daß die jetzt bevormundete Ehefrau G., wie Kläger behauptet, zu einer Zeit, als sie noch nicht geisteskrank war, den Willen erklärt hat, sich von dem Beklagten scheiden zu lassen. Denn durch eine angeblich mehrere Jahre (1874 und 1876) vor Anstellung dieses Prozesses abgegebene Erklärung wurde kein Recht für sie erworben, dessen Realisierung durch den klagenden Vormund erfolgt. Die Scheidungsklage bedingt den gegenwärtigen Willen der Klägerin, daß die Auflösung der Ehe eintreten soll, und dieser Wille wird durch die vor Einleitung des Prozesses abgegebene Erklärung nicht ersetzt.

Was von der definitiven Scheidung gilt, muß ebenso von dem event. Antrage des Klägers auf zeitweise Trennung gelten. Auch bei letzterer tritt eine Unterbrechung der wichtigsten ehelichen Beziehungen ein. Sie kann deshalb ebenfalls nur auf solche Gründe gestützt werden, aus denen eine wesentliche, nicht bloß eine vorübergehende Hinderung des ehelichen Zusammenlebens und des ehelichen Friedens gefolgert werden muß. Die Entscheidung, ob das durch solche Gründe gegebene Recht auf zeitweilige Trennung geltend gemacht werden soll, hängt allein von dem Willen des verletzten Ehegatten ab."