RG, 16.12.1918 - IV 276/18

Daten
Fall: 
Aus Gesamtgut erfolgende Zuwendung an Abkömmling
Fundstellen: 
RGZ 94, 262
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.12.1918
Aktenzeichen: 
IV 276/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Stargard i. P.
  • OLG Stettin

Welche Tragweite hat die Vorschrift, daß eine aus dem Gesamtgut erfolgende Zuwendung an einen Abkömmling, der nur von einem der Ehegatten abstammt, als von diesem Ehegatten gemacht gilt?

Tatbestand

Die in kinderloser Ehe und in allgemeiner Gütergemeinschaft lebenden Eheleute Albert und Anna P. in Marsdorf haben am 5. Mai 1905 ein gemeinschaftliches Testament errichtet und darin als Erben sich gegenseitig und als Nacherben die Beklagten eingesetzt, welche Kinder der Ehefrau P. aus deren erster Ehe sind. Die Ehefrau P. ist am 30. November 1911, der Ehemann am 19. August 1912 gestorben. Beim Ableben des letzteren war seine Mutter noch am Leben und machte Ansprüche auf den Pflichtteil geltend; die Erben behaupteten aber, daß der Nachlaß überschuldet sei und deshalb ein Pflichtteil der Mutter nicht, in Frage komme. Auf Grund Abtretung seitens der Mutter des Albert P. macht nunmehr die Klägerin den Anspruch auf den Pflichtteil geltend. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht ein Teilurteil erlassen, durch das unter anderem in Höhe von 4503,03 M die Berufung der Klägerin zurückgewiesen wurde. Die von der Klägerin eingelegte Revision hatte zum Teil Erfolg, nämlich soweit in Höhe von 3750 M die Berufung zurückgewiesen worden war.

Gründe

"Den hauptsächlichsten Streitpunkt bildet die Frage, ob für die Berechnung des Pflichtteils der Mutter des Albert P. ein Betrag von 15000 M dem Nachlasse des Genannten hinzuzurechnen sei oder nicht. Mit diesem Betrage hat es folgende Bewandtnis:

Auch schon in der früheren Ehe der Ehefrau P., aus welcher die Beklagten stammen, hatte Gütergemeinschaft bestanden. Vor Eingehung der zweiten Ehe hatte sich die Genannte mit ihren Kindern in der Weise auseinandergesetzt, daß sie den Bauernhof übernahm und jedes der Kinder 1500 M zugewiesen bekam, so daß die Kinder kraft Tatteilung wegen ihrer Ansprüche an den väterlichen und den mütterlichen Nachlaß abgefunden waren. Als jedoch später der von der Mutter in die Gütergemeinschaft der zweiten Ehe eingebrachte Bauernhof zu einem Preise verkauft wurde, der viel höher war als der bei der Teilung mit den Kindern zugrunde gelegte Wert, und ein Reinerlös von 15000 M verblieb, beschlossen die Eheleute P., den erstehelichen Kindern einen Ausgleich für das ihnen bei der Teilung entgangene Vermögen zu verschaffen. Sie bestimmten deshalb in ihrem gemeinschaftlichen Testament - worin sie sich gegenseitig zu Erben und die genannten Kinder zu Nacherben einsetzten -; daß die Kinder für den Fall des Vorablebens der Ehefrau nicht erst beim Eintritte des Nacherbfalls, dem Ableben des Ehemanns, bedacht sein, sondern daß sie schon bei Erreichung der Volljährigkeit je 7500 M und zwar als Vermächtnis erhalten sollten, wobei aber ausdrücklich bestimmt wurde, daß durch dieses Vermächtnis nur der Nachlaß der Ehefrau P. beschwert sein und daß es nur dann wirksam sein solle, wenn der Betrag dieses Nachlasses dafür ausreichend sei. Schon bald nach der Errichtung des Testaments verkauften die Eheleute P. auch denjenigen Bauernhof, den der Ehemann in die Gütergemeinschaft eingebracht hatte, und hierbei wurde vom Kaufgeld ein hypothekarisch gesicherter Betrag von 15000 M den beiden Kindern erster Ehe zu gleichen Teilen zugewiesen. Daß neben dieser Zuwendung auch der Vermächtnisanordnung noch eine Bedeutung zukäme, wird von den Beklagten nicht geltend gemacht.

Die Klägerin behauptet, daß auch die bezeichneten 15000 M vom Pflichtteilsrecht ergriffen würden; sie spricht sich nicht bestimmt darüber aus, ob der ordentliche Pflichtteilsanspruch oder der Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend gemacht werde, aber nach Lage der Sache kann nur der letztere in Frage kommen, da jedenfalls durch die Zuweisung an die Kinder die 15000 M aus dem Vermögen der Eltern ausgeschieden sind und deshalb jetzt keinen Bestandteil des Nachlasses bilden können. Auch das Berufungsgericht faßt das Klagebegehren in diesem Sinne auf; es sagt hierzu: Auch wenn man der Klägerin darin beitrete, daß die Zuwendung der 15000 M aus dem Kaufgeld eine Schenkung darstelle, sei der Klaganspruch unbegründet; denn der § 2325 BGB., der den Pflichtteilsberechtigten berechtige, die Hinzurechnung eines vom Erblasser verschenkten Gegenstandes zum Nachlasse zu verlangen, werde durch § 2331 erheblich eingeschränkt, indem dieser bestimme, daß eine aus dem Gesamtgute der allgemeinen Gütergemeinschaft gemachte Zuwendung im allgemeinen als von jedem Ehegatten zur Hälfte gemacht gelte, wenn sie jedoch an einen Abkömmling erfolge, der nur von einem der Ehegatten abstamme, als von diesem Ehegatten gemacht gelte. Letzterer Fall sei hier gegeben, denn die Kinder, denen die 15000 M aus dem Gesamtgute zugewendet seien, stammten nur von der Ehefrau P. ab; die Rechtsvorgängerin der Klägerin sei aber nur am Nachlasse des Ehemanns pflichtteilsberechtigt. Hiernach seien die 15000 M dem Nachlasse nicht hinzuzurechnen.

Diese Erwägung des Berufungsgerichts wäre dann nicht zu beanstanden, wenn feststände, daß von der fraglichen Zuwendung an die Beklagten nicht der Anteil des Ehemannes am gütergemeinschaftlichen Vermögen betroffen worden wäre, sondern nur der Anteil ihrer Mutter, in dem Sinne, wie es die Eheleute bei der oben erwähnten Vermächtnisanordnung als in ihrer Absicht liegend bezeichnet halten.

Aber das Berufungsgericht geht auf eine Prüfung nach dieser Richtung nicht ein, und aus seinen Ausführungen muß entnommen werden, daß es den § 2331 ganz uneingeschränkt auslegen und auch dann für anwendbar halten will, wenn etwa von den Eheleuten das ganze Gesamtgut an nicht gemeinschaftliche Kinder eines von ihnen verschenkt worden ist. Es ist zuzugeben, daß der Wortlaut der Vorschrift diese Auslegung gestatten würde, aber bei näherer Betrachtung ergibt sich, daß sie nicht so gemeint sein kann. Sie muß vielmehr mit einer Einschränkung, nämlich dahin verstanden werden, daß die Zuwendung an die nicht gemeinschaftlichen Kinder eines Eheteils (oder an eine Person, von der nur er abstammt) nur insoweit als von dem letzteren gemacht gilt, als die auf ihn treffende Hälfte des Gesamtguts reicht.

Allerdings kann genau genommen, solange die Gütergemeinschaft besteht, nicht von einer auf einen Ehegatten treffenden Hälfte des gemeinschaftlichen Vermögens gesprochen werden, da das Vermögen solange eine völlig einheitliche Masse bildet. In der Rechtsprechung zum preußischen Allgemeinen Landrecht hatte man sich denn auch auf diesen folgerichtigen Standpunkt gestellt und demgemäß ausdrücklich sogar, die Anschauung abgelehnt, daß bei Ausstattung eines gemeinschaftlichen Kindes aus dem Gesamtgute die Zuwendung als von jedem Elternteile zur Hälfte gemacht angesehen werden könnte, weil jede Annahme einer Quotenteilung der zur gemeinschaftlichen Masse gehörigen Rechte und Pflichten als begriffswidrig, ausgeschlossen sei (preuß. Obertribunal Bd. 74 S. 66; RGZ. Bd. 23 S. 290 unten). Diese strenge Folgerung aus dem Begriffe der Gütergemeinschaft hat jedoch das Bürgerliche Gesetzbuch absichtlich fallen lassen, indem es die früher als begriffswidrig abgelehnte Quotenteilung für Zuwendungen an gemeinschaftliche Kinder ausdrücklich vorgeschrieben hat (§§ 2054, 2331, vgl. auch § 1465). Nun ist allerdings mit der Vorschrift, daß gegebenenfalls eine einzelne Zuwendung als in zwei Hälften, nach ihrer Herkunft von den zwei Elternteilen, zerlegt zu gelten habe, nicht auch schon gesagt, daß die gemeinschaftliche Masse selbst als in gewissem Sinne in zwei Hälften zerfallend zu denken sei. Aber letzteres ist offenbar der gemeinsame Gedanke, welcher den einzelnen in den §§ 2054, 2331 enthaltenen Vorschriften zugrunde liegt. Dieser Gedanke kommt erst dann zu seinem vollständigen Ausdrucke, wenn man die bezeichneten Paragraphen dahin ergänzt: die Zuwendung gilt als von diesem Ehegatten "aus seinem (gedachten) Anteil am gemeinschaftlichen Vermögen" gemacht.

Die Notwendigkeit einer solchen Ergänzung ergibt sich zwingend aus dem Zwecke der Vorschrift. Dieser geht unverkennbar dahin, zu verhindern, daß die Vereinigung des gesamten Vermögens in der gütergemeinschaftlichen Masse die Möglichkeit biete zu einer die Erbteile (§ 2054) oder die Pflichtteilsrechte (§ 2331) der Verwandten eines der Eheleute beeinträchtigenden Verschiebung des Vermögens von einer Seite auf die andere. Diesem Zwecke dient die Vorschrift in völlig fachgemäßer Weise, wenn man sie in der oben bezeichneten Weise eingeschränkt auffaßt; ihre Wirkung würde aber geradezu in das Gegenteil verkehrt werden, wenn man sie in der uneingeschränkten Weise, wie das Berufungsgericht will, anwenden würde. Es ist auch schlechterdings kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, einer Schenkung, die der Erblasser an ein Stiefkind gemacht hat, eine bevorzugtere Stellung gegenüber Pflichtteilsberechtigten einzuräumen als jeder anderen von ihm gemachten Schenkung.

Die Fassung des § 2331, der von Zuwendung, nicht von Schenkung spricht, könnte Anlaß zu dem Zweifel geben, daß hier etwa nur der eigentliche Pflichtteilsanspruch, nicht der Pflichtteilsergänzungsanspruch behandelt werden sollte. Aber aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich deutlich, daß die Vorschrift für beide Fälle gelten soll. Nenn im Entwurf l war der Inhalt des jetzigen § 2331 auf zwei Paragraphen verteilt: § 1991 für den eigentlichen Pflichtteil, § 2017 für den außerordentlichen Pflichtteil (jetzt Pflichtteilsergänzungsanspruch). Erst nach, dem in der Kommission für die zweite Lesung beide Paragraphen inhaltlich gebilligt worden waren (Prot. Bd. 5 S. 525, 596), wurden sie nachträglich zum jetzigen § 2331 zusammengezogen, wobei dann der allgemeinere Ausdruck Zuwendung auch für die im § 2325 erwähnten Schenkungen verwendet wurde.

Da nach dem oben Gesagten bei richtiger Auslegung des § 2331 die dem Ehemanne P. zustehende Hälfte am gemeinschaftlichen Vermögen, die allein für den Klaganspruch in Betracht kommt, von jener Vorschrift überhaupt nicht getroffen wird, so besteht kein Anlaß zu einem Eingehen auf die Frage, ob mit dem "gilt" im bezeichneten Paragraphen eine zwingende, Parteivereinbarungen ausschließende Regelung getroffen werden sollte, und zwar um so weniger, als sich aus der oben erwähnten Vermächtnisanordnung folgern läßt, daß die Eheleute P. ebenso wie mit dem Vermächtnis, auch mit der Schenkung an die Beklagten den Anteil des Mannes am Gesamtgute nicht belastet wissen wollten, also insoweit nichts anderes anordnen wollten, als was auch der § 2331 nach der oben besprochenen Auslegung vorschreibt.

Wohl aber bietet die Streitlage Anlaß, eine andere Frage aufzuwerfen, nämlich die Frage des Zeitpunkts, für welchen zu prüfen ist, ob sich die Zuwendung an nicht gemeinschaftliche Kinder innerhalb des ihrem Elternteile zustehenden Hälfteanteils am gütergemeinschaftlichen Vermögen hält. Bisher ist im Prozeß auf den Stand dieses Vermögens nicht naher eingegangen worden. Jedoch ergibt sich aus den Prozeßakten im Zusammenhalte mit den Testamentsakten, daß, wenigstens nach den Behauptungen der Beklagten über den vorhandenen Nachlaß, eine erhebliche Vermögensminderung seit der fraglichen Schenkung eingetreten sein muß, so daß man je nach dem der Prüfung zugrunde zu legenden Zeitpunkte zu verschiedenen Ergebnissen gelangen könnte. Nun würde zwar manches dafür sprechen, jener Prüfung den Zeitpunkt der Schenkung zugrunde zu legen (vgl. Jur. Wochenschr. 1916 S. 1117 Nr. 7); aber für die jetzige, etwas anders liegende Frage muß doch ein anderer Zeitpunkt, nämlich der der Beendigung der Gütergemeinschaft, als der maßgebende angesehen werden (vgl. Jur. Wochenschr. 1911 S. 996 Nr. 43). Denn bis zu diesem Zeitpunkte besteht die Möglichkeit einer Änderung - sei es Mehrung oder Minderung - der gütergemeinschaftlichen Masse, so daß vorerst der Begriff der Hälfte dieser Masse eines greifbaren, als Unterlage einer Berechnung verwertbaren Inhalts entbehrt. Mit der Beendigung der Gütergemeinschaft ergibt sich dann die erforderliche feste Unterlage für die Prüfung, wieviel von dem Gesamtgut als Anteil auf jeden Ehegatten entfällt und ob und inwieweit auch solches Vermögen verschenkt worden ist, das ohne die Schenkung auf den mit dem Beschenkten nicht verwandten Eheteil getroffen hätte. Die Frage, welche Wirkungen das auf die Pflichtteilsrechte der Erben des letzteren hat, kann allerdings noch nicht im Augenblicke der Endigung der Gütergemeinschaft, sondern erst dann beantwortet werden, wenn diese Pflichtteilsrechte entstehen, also beim Ableben des betreffenden Ehegatten. Aber das bietet keine Besonderheit, da auch bei der gewöhnlichen, nach § 2325 zu behandelnden Schenkung auf solche Weise verfahren werden muß." ...