RG, 11.12.1884 - I 346/84

Daten
Fall: 
Inländische Rechtsverfolgung
Fundstellen: 
RGZ 14, 405
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
11.12.1884
Aktenzeichen: 
I 346/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg, Kammer für Handelssachen
  • OLG Hamburg

1. Wird in irgend einer Beziehung die inländische Rechtsverfolgung gegen einen auswärtigen Gemeinschuldner durch einen im Auslande eröffneten Konkurse gehindert?
2. Ist der Gemeinschuldner als solcher prozeßunfähig?

Tatbestand

Über das Vermögen der Beklagten war zu London, als dem Orte ihrer Niederlassung, Konkurs eröffnet, und die in der englischen Kolonie Singapore ansässigen Kläger hatten sodann beim Amtsgerichte zu Hamburg verschiedene Arreste auf dort befindliche Vermögensstücke der Beklagten erlangt und beim Landgerichte daselbst gegen die letzteren Klage auf Zahlung einer beträchtlichen Summe aus gewissen Geschäften erhoben, für deren Beurteilung nach Lage der Sache materiell zweifellos das in London geltende Recht maßgebend war. In beiden vorderen Instanzen war nach dem Klagantrage erkannt worden, und die Revision der Beklagten wurde vom Reichsgerichte verworfen, aus folgenden Gründen:

Gründe

1.

"Die Zuständigkeit des hamburgischen Gerichtes ist von den Klägern nach §. 24 C.P.O. in Anspruch genommen, weil sich in Hamburg Vermögen der im Deutschen Reiche nicht wohnhaften Beklagten befinde. Die letzteren haben die Zuständigkeit nur aus dem Grunde bestritten, weil nach dem für ihren Konkurs maßgebenden englischen Bankruptcy Act von 1869 ihr gesamtes Vermögen, und mithin auch die in Hamburg befindlichen Teile desselben, dem Eigentumsrechte nach mit der Konkurseröffnung auf den Konkursverwalter übergegangen seien. Mit Recht ist diese Einwendung für hinfällig erachtet worden. Es handelt sich bei dem fraglichen Übergange des Vermögens auf den Konkursverwalter nur um die von der englischen Gesetzgebung gewählte formellrechtliche Konstruktion der konkursprozessualischen Einrichtung, daß das Vermögen des Gemeinschuldners keinen Sondervollstreckungen zu Gunsten einzelner Gläubiger mehr ausgesetzt sein, sondern nur noch zum Besten der Gesamtheit der Konkursgläubiger in einheitlicher Weise verwaltet und verwertet werden soll; eine materiellrechtliche Bedeutung wohnt diesem sog. Eigentumsrechte des Konkursverwalters nicht bei. Nun ergiebt sich aber schon aus dem §. 207 Abs. 1 deutsch. K.O., daß die deutsche Gesetzgebung die im Deutschen Reiche, abgesehen von einem im Auslande eröffneten Konkurse gegen den Kridar zulässige Rechtsverfolgung, durch ausländische konkursrechtliche Bestimmungen dieser Art nicht einschränken lassen will. Wenn "die Zwangsvollstreckung in das inländische Vermögen" zulässig ist, so muß dieses inländische Vermögen eben wirklich noch als Vermögen des Kridars angesehen werden, weil die Zwangsvollstreckung in ein einem Dritten gehörendes Vermögen ein Unding sein würde. Dann muß dieses Vermögen folgerichtigerweise aber auch im Sinne des §.24 C.P.O. noch als Vermögen des Gemeinschuldners selbst gelten, wie auch schon in dem in den Verhandlungen des gegenwärtigen Prozesses mehrfach angezogenen Urteile des III. Civilsenates des Reichsgerichtes vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 6 S. 407 beiläufig bemerkt ist. Ganz grundlos aber ist offenbar die von den Beklagten vertretene Auffassung des §. 207 K.O., wonach die Zwangsvollstreckung in das inländische Vermögen dort nur in dem Sinne für "zulässig" erklärt sein sollte, daß die deutsche Gesetzgebung ihrerseits nichts gegen eine solche Zwangsvollstreckung einzuwenden habe, insofern nach den Einrichtungen des betreffenden fremden Staates der dortige Konkurs die in Deutschland befindlichen Vermögensteile des Kridars gar nicht mit ergreifen sollte. Wäre dies die Meinung des deutschen Gesetzes, so müßte natürlich in dem §. 207 K.O. die entsprechende Unterscheidung ausdrücklich gemacht, und nicht schlechtweg jedem Schuldner gegenüber, über dessen Vermögen irgendwo im Auslande ein Konkursverfahren eröffnet worden sei, die Zwangsvollstreckung in sein inländisches Vermögen für zulässig erklärt sein. Das würde selbst dann erforderlich sein, wenn im übrigen, wie die Beklagten behauptet haben, Gründe für die möglich engste Auslegung des §. 207 Abs. 1 K.O. vorlägen. Solche sind aber übrigens auch gar nicht vorhanden. Mit Unrecht haben die Beklagten für ihre Ansicht sich auf den §. 11 K.O. berufen, insofern im §. 207 nur eine singuläre Ausnahme von der Bestimmung jenes Paragraphen festgesetzt sei. Wenn nämlich §. 11, a. a. O. während der Dauer des Konkursverfahrens Arreste und Zwangsvollstreckungen zu Gunsten einzelner Konkursgläubiger ausschließt, so spricht er überhaupt nur von der Wirkung deutscher, nicht auch ausländischer Konkurse; denn es versteht sich von der Konkursordnung, als einem Prozeßgesetze, von selbst, daß sie im allgemeinen, und soweit nicht ausnahmsweise das Gegenteil besonders gesagt ist, nur die inländischen Konkurse zu ihrem Gegenstande hat. Der §. 207 K.O. enthält also nicht eine Ausnahme von der Bestimmung des §.11, sondern einen reinen Gegensatz zu derselben. - Es kommt nun aber noch hinzu, daß, wie weiterhin noch zu erörtern sein wird, auch nach den richtigen allgemeinen Grundsätzen des internationalen Rechtes diejenigen Schranken, welche ein im Auslande eröffnetes Konkursverfahren nach den dort bestehenden Rechtseinrichtungen der Rechtsverfolgung gegen den Gemeinschuldner setzt, als bloß prozeßrechtlicher Natur im Inlande nicht zu beachten sind: hieraus ergiebt sich auch unmittelbar, daß das lediglich zu solchen Zwecken in England eingeführte formale Eigentum des Konkursverwalters die Anwendung des §. 24 C.P.O. dem Gemeinschuldner gegenüber nicht ausschließen kann. - Daß endlich kein Grund vorliegt, den §. 24 C.P.O., nur zu Gunsten eines deutschen, nicht auch zu Gunsten eines ausländischen Klägers anzuwenden, bedarf keiner weiteren Ausführung.

2.

Die Beklagten haben sich ferner, während sie die Entstehung der gegen sie eingeklagten Verbindlichkeiten überhaupt nicht bestritten haben, darüber beschwert, daß die von ihnen mit Beziehung auf den Konkurs vorgeschützte Einrede "des unrechten Beklagten" verworfen sei. Der richtige Beklagte wäre nach der von ihnen vertretenen Auffassung vielmehr der in ihrem Konkurse bestellte trustee oder Konkursverwalter gewesen. Dieser Angriff muß indessen als im höchsten Grade verfehlt bezeichnet werden. Nimmt man die Ausdrücke "Einrede des unrechten Beklagten" in dem üblichen, gewissermaßen technischen Sinne, versteht man also die sog. exceptio deficientis legitimationis ad causam passivae darunter, so würde die Vorschützung dieser Einrede besagen, daß infolge des Konkursausbruches keinesfalls mehr die Beklagten selbst, sondern höchstens noch die Konkursmasse derselben, bezw. die Gesamtheit der Konkursgläubiger, als deren Vertreter ja der trustee fungiert, Schuldner der Kläger aus den von den Beklagten abgeschlossenen Geschäften sein könnten. Dieser Gedanke braucht aber bloß klar ausgesprochen zu sein, um sofort als ein sinnloser erkannt zu werden. Dadurch sieht man sich denn zu der Annahme gedrängt, daß als "Einrede des unrechten Beklagten" hier nur fälschlich bezeichnet ist die eigentlich gemeinte Einrede der Prozeßunfähigkeit der Beklagten, statt welcher vielmehr der trustee als ihr gesetzlicher Vertreter hätte belangt werden müssen, und in diesem Sinne schienen auch die betreffenden Ausführungen der Beklagten in der Revisionsverhandlung zu verstehen zu sein. Hier würde nun zunächst die Frage entstehen, ob die Prozeßunfähigkeit des Beklagten überhaupt von diesem selbst in Form einer Einrede geltend gemacht werden könne. Es bedarf jedoch keines Eingehens hierauf, weil ein Grund, die Beklagten als prozeßunfähig zu behandeln, gar nicht erfindlich ist. Weder ist ein Kridar als solcher handlungsunfähig, noch ist der Konkursverwalter sein gesetzlicher Vertreter; vielmehr ist nur die Disposition über die Aktivmasse des Konkurses jenem entzogen und diesem übertragen.1

Zweifellos verhält sich dies zunächst nach deutschem Rechte so, und schon damit ist der Punkt deshalb überhaupt erledigt, weil nach §. 53 C.P.O. ein nach dem Rechte seines Landes prozeßunfähiger Ausländer dennoch als prozeßfähig gilt, wenn ihm nach dem Rechte des Prozeßgerichtes die Prozeßfähigkeit zusteht. Übrigens würde, wenn es darauf ankäme, auch keineswegs anzunehmen sein, daß das englische Recht einen Kridar als solchen für handlungsunfähig oder Prozeßunfähig erklärte.

3.

Den Kernpunkt des Streites bildet die unmittelbar aus der Konkurseröffnung als solcher hergenommene Einrede, welche von den Beklagten als Einrede " des fehlenden Klagerechtes" bezeichnet worden ist. Auch diese ist aber vom Berufungsgerichte mit Recht verworfen worden. Vor allem ist völlig verfehlt das von den Beklagten versuchte argumentum a contrario aus §. 207 Abs. 1 K.O., wonach ein Klagerecht gegen einen ausländischen Kridar deshalb für abgeschnitten zu gelten hätte, weil dort nur die Zwangsvollstreckung in sein inländisches Vermögen ausdrücklich für statthaft erklärt ist; hiergegen genügt es auf das mehrfach angeführte Urteil des Reichsgerichtes (Bd. 6 S. 405 flg.), sowie aus ein mit Rücksicht auf den ganz entsprechenden §. 293 preuß. K.O. von 1855 ergangenes Urteil des Reichsoberhandelsgerichtes (Entsch. d. R.O.H.G.'s Bd. 2 S. 69 flg.) zu verweisen. Andererseits mag zugegeben werden, daß ebensowenig unmittelbar auf den §. 207, der doch nun einmal nur von der Zwangsvollstreckung redet, die den Klägern günstige Entscheidung des Streitpunktes begründet werden kann. Aber diese ist zunächst den allgemeinen Grundsätzen des internationalen Rechtes zu entnehmen, nach welchen, wie oben schon bemerkt ist, diejenigen Einschränkungen der Rechtsverfolgung, welche von einer ausländischen Gesetzgebung an die unter ihrer Herrschaft eröffneten Konkurse geknüpft sind, als bloß prozeßrechtlicher Natur vor den inländischen Gerichten keine Anerkennung finden können. In den Motiven zum §. 207 K.O. tritt freilich die Ansicht auf, daß in dieser Beziehung ein freierer internationaler Standpunkt das erstrebenswerte Ziel sei, und daß derselbe in der Doktrin auch schon eine gewisse Vorherrschaft erlangt habe; indessen wenn man auch über das auf dem Wege völkerrechtlicher Vereinbarungen Anzustrebende gleicher Ansicht sein mag, so möchte sich doch schwerlich nachweisen lassen, daß, auch wo solche Vereinbarungen noch fehlen, die Anerkennung auswärtiger Konkurse auch in ihrem Einflusse auf die einheimische Rechtsverfolgung gewohnheitsrechtlich schon zur Geltung, gekommen sei. Soviel aber ist ganz gewiß, daß jene in den Motiven ausgesprochene Ansicht in der Konkursordnung selbst, wie sie schließlich gestaltet worden ist, keinen Ausdruck gefunden hat. Ja man darf mit allem Grunde noch weiter gehen und behaupten, daß die Konkursordnung auf dem entgegengesetzten Standpunkte steht, da dies zweifellos von den einzigen Bestimmungen gilt, die sich über die hier einschlägigen Fragen in dem Gesetze überhaupt vorfinden, nämlich eben von den Bestimmungen der §§. 207 und 208. Mittelbar erweist sich daher allerdings doch auch der §. 207 als bedeutsam für die Entscheidung des streitigen Punktes zu Gunsten der Kläger. Daß auch bei diesen konkursrechtlichen Fragen ebensowenig Veranlassung vorliegt, die ausländischen Kläger hinter die einheimischen zurückzusetzen, wie in Ansehung des §. 24 C.P.O., versteht sich von selbst, zumal da §. 4 Abs. 1 K.O. auch in betreff der inländischen Konkurse die ausländischen Gläubiger den einheimischen gleichstellt. - Es ist nun freilich von den Beklagten in der Revisionsinstanz noch geltend gemacht worden, daß es sich hier in Wirklichkeit um einen Satz des englischen materiellen Rechtes handle, welcher auf die eingeklagten Forderungen deshalb zur Anwendung, zu bringen sei, weil dieselben - wie allerdings nach Lage der Sache nicht bezweifelt werden kann - an und für sich überhaupt unter der Herrschaft des englischen Rechtes stehen. Die Beklagten haben dabei darauf hingewiesen, daß nicht nur nach sect. 12 des englischen Bankrupty Act von 1869 während des englischen Konkurses, wie nach §§. 10 u. 11 unserer Konkursordnung während des deutschen Konkurses, die einzelnen Gläubiger gehindert seien, mit besonderer Rechtsverfolgung außerhalb des Konkursverfahrens gegen den Gemeinschuldner vorzugehen, sondern auch nach sect. 54 jenes Gesetzes selbst der " undischarged bankrupt", d. h. derjenige Kridar, der nicht Befreiung von seinen sämtlichen im Konkurse nicht getilgten Verbindlichkeiten erlangt hat, noch drei Jahre lang nach Beendigung des Konkurses nicht von solchen Gläubigern, die sich rechtlich am Konkurse beteiligen konnten, gerichtlich in Anspruch genommen werden kann. Hier entstehen nun zunächst die Bedenken, ob damit nicht ein Verstoß gegen das englische Gesetz gerügt sei, welcher nach §. 511 C.P.O. als Revisionsgrund nicht gelten könnte, und ob auch abgesehen hiervon dieser in den vorigen Instanzen gar nicht hervorgehobene Gesichtspunkt von dem Revisionsgerichte in Betracht gezogen werden dürfe. Möchten indessen diese Bedenken auch wohl zu beseitigen sein, so trifft doch der Angriff nicht zu. Richtig ist zwar, daß, wenn ein fremdes Recht wirklich materiellrechtliche Folgen zu Gunsten des Gemeinschuldners an das Konkursverfahren knüpft, die betreffenden Rechtssätze auch von dem einheimischen Richter auf solche Obligationsverhältnisse anzuwenden sind, welche überhaupt nach jenem fremden Rechte beurteilt werden müssen. Hiervon ist z. B. auch das Reichsoberhandelsgericht in dem in dessen Entscheidungen, Bd. 15 S. 8 flg., abgedruckten Urteile ausgegangen. Auch mag sich vielleicht rechtfertigen lassen, die mitgeteilte Bestimmung der sect. 54 des Bankruptcy Act von 1869 dem materiellen Rechte zuzurechnen und dahin aufzufassen, daß jeder englische bankrupt mit der Beendigung seines Konkurses, wenn nicht völlige Befreiung von seinen älteren Verbindlichkeiten, wenigstens eine Befristung von drei Jahren für dieselben erlangen soll. Nichtsdestoweniger bleibt es aber immer eine lediglich prozeßrechtliche Bestimmung, daß während des Konkurses - und nur von solchem Falle ist in der gegenwärtigen Sache die Rede - die Rechtsverfolgung gegen den Kridar nur auf dem durch den Konkurs selbst dargebotenen Wege erfolgen soll; denn indem auch das englische Recht diese Rechtsverfolgung doch eben zuläßt, erkennt es damit die älteren Verbindlichkeiten materiell als einstweilen noch unverändert fortbestehend an.

4.

Endlich haben die Beklagten als rechtsirrtümlich noch die Verwerfung derjenigen Einrede gerügt, welche sie davon hergenommen hatten, daß die Kläger nach dem auch für ihren Niederlassungsort Singapore, als eine englische Kolonie, maßgebenden englischen Rechte verpflichtet sein würden, alles, was sie etwa zur abgesonderten Befriedigung ihrer Ansprüche aus dem Vermögen der Beklagten erstreiten möchten, wieder zur Konkursmasse einzuliefern, bezw. sich auf die ihnen aus derselben zukommende Dividende anrechnen zu lassen. Auch dieser Angriff geht fehl. Will man auch die Geltung des behaupteten Rechtssatzes für Singapore nicht in Zweifel ziehen, so würde die fragliche Verpflichtung der Kläger doch nicht den Beklagten, sondern deren Konkursgläubigern, bezw. dem trustee, gegenüber bestehen, und daher nicht abzusehen sein, wie die ersteren daraus eine Einrede für sich ableiten könnten." ...

  • 1. Vgl. Dernburg, Preußisches Privatrecht Bd. 2 (3. Aufl.) §.113 S. 272 flg.; Mandry, Civilrechtlicher Inhalt der Reichsgesetze (2. Aufl.) S. 120 und 128 und die angeführte Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 6 S. 407 (wo freilich im weiteren Verlaufe ungenau doch von "Prozeßfähigkeit" die Rede ist).