RG, 05.12.1884 - III 213/84

Daten
Fall: 
Geschäftsführung in einer e.G.
Fundstellen: 
RGZ 12, 74
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
05.12.1884
Aktenzeichen: 
III 213/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Wiesbaden
  • OLG Frankfurt a.M.

1. Sind alle Mitglieder des Vorstandes einer eingetragenen Genossenschaft für die Geschäftsführung verantwortlich?
2. Erstreckt sich die von der Generalversammlung einer eingetragenen Genossenschaft dem Vorstande erteilte Decharge auch auf Pflichtwidrigkeiten des Vorstandes, welche aus dem der Versammlung vorgelegten Geschäftsberichte nicht erkennbar sind?

Aus den Gründen

"Der Vorstand der klagenden Genossenschaft besteht aus dem Vorsitzenden, dem Schriftführer oder Kontrolleur, dem Kassierer und sechs Beisitzern; er vertritt die Genossenschaft gerichtlich und außergerichtlich, führt die Vereinsgeschäfte und beschließt über die Bewilligung von Vorschüssen und Krediten in laufender Rechnung. Vier der Beklagten sind schon zur Zeit der Bewilligung des in Frage stehenden Kredites in laufender Rechnung Beisitzer gewesen, einer der Beklagten ist erst einige Jahre später als Beisitzer in den Vorstand getreten. Es hat sich bald nach Bewilligung des Kredites herausgestellt, daß auf denselben, nachdem er schnell bis zur Grenze in Anspruch genommen war, ein genügender Umschlag nicht stattgefunden hat. Der Vorstand hat jedoch, entgegen der ihm für diesen Fall die Kündigung vorschreibenden Instruktion, den Kredit nicht gekündigt, und als der Kreditnehmer etwa neun Jahre nach der Zeit, zu welcher die Kündigung hätte stattfinden müssen, in Konkurs gefallen ist, ist die durch Zinsen und Provisionen auf mehr als das zweifache des bewilligten Kredites angewachsene Forderung der Genossenschaft in dem Konkurse gänzlich ausgefallen, auch von den in Anspruch genommenen Bürgen auf Grund des ergangenen Urteiles nur auf Höhe des bewilligten Kredites mit Zinsen und Provisionen vom 1. Juli 1878 - 18. Februar 1882 bezahlt worden. Auf den Ausfall, soweit er rechtlich als ein durch die Nichtkündigung entstandener Schaden erscheint, sind die Beklagten durch das erstinstanzliche Urteil solidarisch verurteilt, der später in den Vorstand getretene Beklagte M. jedoch mit Rücksicht darauf, daß er erst nach einer gewissen Zeit die Kündigung hätte herbeiführen können, zu einem entsprechend geringeren Betrage. Der Berufungsrichter ist insoweit mit der rechtlichen Beurteilung und Entscheidung des Landgerichtes einverstanden.

Die Beklagten lehnen auch in dieser Instanz die Verantwortung für den entstandenen Schaden ab. Sie bestreiten, daß ihre Verhaftung schon dadurch begründet werde, daß sie in der Zeit, während welcher der Kredit statutenwidrig fortbestanden, als Beisitzer dem Vorstande angehört haben; die eigentliche Geschäftsführung habe dem Vorsitzenden obgelegen, und eine Kontrolle des letzteren sei den Beisitzern nicht zur Pflicht gemacht; unmöglich könne ja auch von ihnen gefordert werden, daß sie die Geschäftsbücher auf etwaige Unregelmäßigkeiten prüfen sollten; habe der Vorsitzende pflichtwidrig die Kündigung unterlassen, so werde hierdurch allein ihre Haftung nicht begründet, und ein sonstiges Verschulden sei wider sie nicht festgestellt.

Diese Ausführungen sind unzutreffend und rechtsirrtümlich. Die Beisitzer sind nach den Statuten der Klägerin nicht eine Aufsichtsbehörde über den Vorsitzenden, Schriftführer und Kassierer, bilden vielmehr zusammen mit den Genannten den Vorstand, welcher die Genossenschaft gerichtlich und außergerichtlich vertritt. Soweit nicht einzelne Zweige der Geschäftsführung durch den Gesellschaftsvertrag bestimmten Vorstandsmitgliedern zugewiesen sind, haben daher auch die Beisitzer als Vorstandsmitglieder sich der Geschäftsführung zu unterziehen, und eine von den Mitgliedern unter sich etwa beschlossene Teilung der Verwaltung ist der Gesellschaft gegenüber in Ansehung der gesetzlichen Haftung der Vorstandsmitglieder ohne rechtliche Wirkung. Die Vereinsgeschäfte aber haben sie dem Vereine gegenüber nach dem Umfange der ihnen erteilten Befugnisse und nach Maßgabe der aufgestellten Vorschriften mit der aus dem Auftragsverhältnisse nach allgemeinen Grundsätzen folgenden Sorgfalt zu führen. Anderenfalls haften sie persönlich und solidarisch für den durch Zuwiderhandeln oder Nichtleistung der geschuldeten Sorgfalt entstandenen Schaden. Wenn daher die dem Statute angeschlossenen Vorschriften über die Führung laufender Rechnung für Vereinsmitglieder dem Vorstande zur Pflicht machen, die laufende Rechnung zu kündigen, falls ein genügender Umschlag nicht stattfindet, so hat jedes einzelne Vorstandsmitglied dem Vereine dafür aufzukommen, daß die Kündigung bei Nichtvorhandensein eines solchen Umschlages rechtzeitig erfolgt. Ob die Voraussetzung für die Kündigung vorliegt, wird eine Prüfung des betreffenden Kontos leicht erkennen lassen. Zur Prüfung der einzelnen Konten giebt auch schon die den Beisitzern in Gemeinschaft mit dem Vorsitzenden nach §. 54 der Statuten obliegende Revision der Jahresrechnung Veranlassung, weil diese Revision nur unter Vergleichung der Bücher und sonstigen Belege stattfinden kann. Geschäftsunkunde und Nichtkenntnis des Rechnungswesens gereichen selbstverständlich nicht zur Entschuldigung. Gründe, welche die Beklagten von der Haftung hätten befreien können, sind überall nicht geltend gemacht; insbesondere ist von keinem der Beklagten behauptet worden, daß er in den Vorstandsversammlungen auf Kündigung gedrungen habe, jedoch mit seiner Ansicht nicht durchgedrungen sei. Hiernach kann nach den vorliegenden Feststellungen über die Notwendigkeit der Kündigung und den durch die Nichtkündigung entstandenen Schaden die Haftung der Beklagten einem Bedenken überall nicht unterliegen.

Die Beklagten lehnen die Haftung für den Verlust des Vereines auch aus dem Grunde ab, weil dem Vorstande auf den Geschäftsbericht für das Jahr 1878, in welchem der Kreditnehmer in Konkurs gefallen, von der Generalversammlung am 26. Mai 1879 Decharge erteilt worden ist. Der Berufungsrichter hält die Beklagten durch die Dechargeerteilung wegen der statutenwidrigen Kreditüberschreitung für entlastet, wenn der Generalversammlung vorher durch ein Mitglied des Vorstandes von jener Überschreitung Kenntnis gegeben war, und hat demgemäß auch auf den von den Beklagten hierüber den Klägern zugeschobenen Eid erkannt. Hiervon abgesehen, spricht er der Erteilung der Decharge für die Entlastung des Vorstandes wegen des zur Frage stehenden statutenwidrigen Verhaltens jede Bedeutung ab, weil der Geschäftsbericht pro 1878 nur eine allgemeine Vermögensübersicht enthalten hat und jene Kreditüberschreitung daraus nicht zu entnehmen gewesen ist. Die Revisionskläger halten diese Beurteilung der Dechargeerteilung für rechtsirrtümlich. Die Rüge ist jedoch ohne Grund. Hätte die Generalversammlung eine besondere Revisionskommission niedergesetzt und auf deren Bericht Decharge erteilt, so würde freilich in Frage kommen, ob nicht die Generalversammlung die Wahrnehmungen der Kommission als ihre eigenen gelten lassen müßte; die Generalversammlung hat aber von der ihr zustehenden Befugnis zur Wahl einer Kommission keinen Gebrauch gemacht und auf den Geschäftsbericht hin Decharge erteilt. In der von einer Generalversammlung dem Vorstande erteilten Decharge liegt aber nicht mehr als die Erklärung, daß die Generalversammlung aus den ihr gemachten Vorlagen keine Veranlassung zu einer Monitur entnimmt, mithin den Vorstand für seine Geschäftsführung, soweit dieselbe aus jenen Vorlagen erkennbar ist, entlastet. Auf Statutenwidrigkeiten, überhaupt Pflichtverletzungen, welche sich aus jenen Vorlagen nicht ergeben, erstreckt sich daher die Entlastung überall nicht. Der Vorstand hat auch an sich nicht das Recht, von der Generalversammlung eine genaue Prüfung seiner Rechnung an der Hand der Bücher und der Belege zu fordern, und jedenfalls steht es nach den Statuten der klagenden Genossenschaft ganz zum Ermessen der Generalversammlung, ob sie eine solche Prüfung anordnen will. Dagegen ist es nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen Pflicht des Vorstandes, die Generalversammlung über vorgefallene Statutenwidrigkeiten, aus welchen ein Nachteil besorgt werden kann, aufzuklären und sein Schweigen ist eine weitere Pflichtwidrigkeit, welche eine Berufung auf die erteilte Decharge auch in dem Falle ausschließen müßte, wenn man geneigt wäre, der Entlastung prinzipiell eine größere Bedeutung einzuräumen, als oben angenommen worden ist."