RG, 14.11.1884 - II 253/84

Daten
Fall: 
Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten
Fundstellen: 
RGZ 12, 70
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
14.11.1884
Aktenzeichen: 
II 253/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Straßburg
  • OLG Kolmar

Steht dem Gerichte, vor welchem auf Grund des §. 149 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten ein vermögensrechtlicher Anspruch verfolgt wird, die Entscheidung auch darüber zu, ob die Verwaltungsbehörde mit Recht die Voraussetzung des §. 24 gedachten Gesetzes (Umgestaltung der Behörde) als vorhanden angenommen habe?

Tatbestand

Kläger war durch Kaiserliche Bestallung zum administrativen Direktor der Kaiserlichen Tabaksmanufaktur in Straßburg ernannt worden, wurde jedoch durch Kaiserlichen Erlaß vom 2. April 1883 mit Gewährung des gesetzlichen Wartegeldes einstweilen in den Ruhestand versetzt. Nachdem er erfolglos bei den höheren Dienstbehörden remonstriert hatte, klagte er auf Bezahlung des Unterschiedes zwischen den vollen Gehaltsraten und den ihm ausbezahlten Dreiviertteilen, indem er bestritt, daß das von ihm verwaltete Amt infolge gesetzmäßig vollzogener Umbildung der Behörde aufgehört habe.

Der Beklagte behauptete letzteres, machte aber vor allem geltend, daß der Rechtsweg unzulässig sei.

Das Landgericht und Oberlandesgericht haben den Rechtsweg für zulässig erklärt, jedoch aus materiellen Gründen die Klage abgewiesen. Das Reichsgericht hat die Statthaftigkeit des Rechtsweges verneint aus folgenden Gründen.

Gründe

"Der §. 149 des Reichsbeamtengesetzes erklärt den Rechtsweg über vermögensrechtliche Ansprüche der Beamten aus ihrem Dienstverhältnisse "mit den in den nachfolgenden Paragraphen enthaltenen Maßgaben" für statthaft. In dem §. 155 wird sodann die Entscheidung der Verwaltungsbehörde darüber, ob und von welchem Zeitpunkte an ein Beamter einstweilig in den Ruhestand zu versetzen sei, für die Beurteilung der vor dem Gerichte geltend gemachten vermögensrechtlichen Ansprüche für maßgebend erklärt.

Der klare, unzweideutige Wortlaut dieser Bestimmung, welche zu den "Maßgaben" gehört, auf welche der §. 149 verweist, führt nun zu der Auslegung, daß damit den Gerichten die Nachprüfung darüber entzogen ist, ob die Verwaltungsbehörde aus zureichendem gesetzlichen Grunde und auf genügend festgestellte Thatsachen hin den Beamten aus seinem Amte entfernt, einstweilig oder definitiv in den Ruhestand versetzt habe; denn maßgebend für die Beurteilung der geltend gemachten vermögensrechtlichen Ansprüche sind die gedachten Entscheidungen nur, wenn für eben diese Beurteilung die Thatsache, daß der Beamte, wie im gegebenen Falle, einstweilig in den Ruhestand versetzt sei, mit der rechtlichen Folge unanfechtbar feststeht, daß nur danach, d. h. also nur auf der Grundlage, daß es sich um vermögensrechtliche Ansprüche eines einstweilig in den Ruhestand versetzten Beamten handele, der Umfang dieser Ansprüche richterlich bestimmt werden soll.

Bei der anderen Auslegung, welche in den Kreis der gerichtlichen Erwägungen auch die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Ausspruches der Verwaltungsbehörde zieht, wodurch der Beamte in einstweiligen Ruhestand versetzt worden ist, nach welcher also das Gericht auch zuständig wäre, die vermögensrechtlichen Ansprüche auf der entgegengesetzten Grundlage festzusetzen, daß der Beamte mangels der rechtlichen oder tatsächlichen Voraussetzungen nicht in den einstweiligen Ruhestand habe versetzt werden dürfen, wäre der Ausspruch der Verwaltungsbehörde für die Beurteilung der vermögensrechtlichen Ansprüche offenbar nicht maßgebend. Schon an diesem Zusammenhange der §§. 149 bis 155 und an der aus dem klaren Wortlaute sich notwendig ergebenden Folgerung muß jeder Versuch scheitern, dem §. 155 eine die richterliche Zuständigkeit erweiternde Auslegung zu geben.

Es kann zwar die Unterscheidung zwischen dem privatrechtlichen und dem staatsrechtlichen Teile des Dienstverhältnisses, wie solche bereits in den Motiven zum preußischen Gesetze vom 24. Mai 1861 über die Erweiterung des Rechtsweges, dessen §§. 1 und 5 die §§. 149. 155 des Reichsbeamtengesetzes nachgebildet sind, gemacht worden ist, als theoretisch richtig, und es kann ferner zugegeben werden, daß die vermögensrechtlichen Ansprüche des Staatsbeamten, insbesondere auf Besoldung, Pension oder Wartegeld, zur privatrechtlichen Seite gehören; aus dieser Unterscheidung folgt jedoch noch nicht notwendig, daß der Gesetzgeber die Gerichte für zuständig erklären mußte, die vermögensrechtlichen Ansprüche der Beamten ganz unabhängig und losgelöst von der durch die Verwaltungs- oder Exekutivbehörde innerhalb ihrer Zuständigkeit geschaffenen Sachlage zu beurteilen. Bei der Auslegung des gegebenen Gesetzes bleibt vielmehr immer noch zu prüfen, ob der Wille des Gesetzgebers dahin gehe, daß die Gerichte die privatrechtlichen Ansprüche der Beamten nach der thatsächlich gegebenen öffentlichrechtlichen Stellung derselben (ob aktiv, ob zur Ruhe gesetzt, ob befördert, ob disziplinar bestraft oder nicht) zu beurteilen habe, - wie solche ihnen von der hierzu kompetenten Behörde durch Verleihung, Entziehung des Amtes und der Funktionen gegeben worden ist, - oder, ob es der Wille des Gesetzgebers sei, daß für die Beurteilung der vermögensrechtlichen Ansprüche diejenige Stellung des Beamten maßgebend sei, welche demselben bei einer nach der Auffassung des Gerichtes rechtmäßigen Ausübung der Ämterhoheit oder der Disziplinargewalt hätte verliehen oder belassen werden sollen.

Nach dem bereits Ausgeführten lassen aber die angeführten §§ 149. 155 keine andere Auslegung zu, als die, daß der Gesetzgeber den ersteren und nicht den zweiten Standpunkt eingenommen und seinem dahin gehenden Willen bestimmten Ausdruck gegeben habe.

In dieser Richtung kann insbesondere nicht die Unterscheidung gebilligt werden, welche den vom Revisionskläger angerufenen Urteilen des ehemaligen preußischen Obertribunales vom 4. Februar und 9. Juli 1869 (Entsch. desselben Bd. 62 S. 230 und 244) zu Grunde liegt, daß die Entziehung der Funktionen, die Entfernung des Beamten von seinem Dienste, also die von der Verwaltungsbehörde geschaffene staatsrechtliche Stellung desselben unangetastet bleiben, wenn sich auch das Gericht bei Beurteilung des vermögensrechtlichen Anspruches auf einen dieser thatsächlichen Sachlage entgegengesetzten Standpunkt gestellt hat. Um diese Unterscheidung zu begründen, müßte man den §. 155 dahin auslegen, daß die darin aufgeführten Entscheidungen der Disziplinar- und Verwaltungsbehörden deshalb, und nur deshalb für die vor dem Gerichte geltend gemachten vermögensrechtlichen Ansprüche, für maßgebend erklärt worden sind, um den Gerichten die Zuständigkeit abzusprechen, auch darüber zu entscheiden, ob ein Beamter in seinen amtlichen Funktionen zu belassen sei, obgleich ihm solche von der Dienstbehörde vorübergehend oder dauernd entzogen worden sind. Eine solche Auslegung ist aber unmöglich; denn sie ist mit dem Wortlaute des Gesetzes unvereinbar und würde dem Gesetzgeber den Vorwurf der Wiederholung desjenigen zuziehen, was sich bereits aus §. 149 ergiebt, welcher den Rechtsweg nur über die vermögensrechtlichen Ansprüche des Beamten gestattet, damit also den Gerichten bereits diejenige Befugnis entzieht, beziehungsweise nicht verleiht, welche ihnen nach jener Auslegung des §. 155 noch ausdrücklich entzogen werden sollte. - Daraus folgt aber auch, daß dieser §. 155 überhaupt keine Bedeutung hatte, wenn man ihn nicht dahin versteht, daß er den Richter bei Beurteilung der privatrechtlichen Ansprüche an die von den Disziplinar- und Verwaltungsbehörden geschaffene öffentlichrechtliche Lage des Beamten binden will.

Daraus, daß das Königl. preußische Obertribunal den §. 5 des obenerwähnten Gesetzes vom 24. Mai 1861 zu Gunsten einer weitergehenden gerichtlichen Zuständigkeit ausgelegt hat, und daß dieser §. 5 mit einer für die vorliegende Frage unerheblichen Änderung als §. 155 in das Reichsgesetz aufgenommen worden ist, kann nicht, wie der Vertreter des Revisionsklägers ausführt, auf den Willen des Gesetzgebers geschlossen werden, daß auch dieser §. 155 im Sinne jener Entscheidungen des Obertribunales auszulegen sei.

Es kann zugegeben werden, daß bei der hier als allein richtig gebilligten Auslegung des Gesetzes die Tragweite des §. 149 eingeschränkt und dem Beamten die Möglichkeit entzogen wird, vor den Gerichten wenigstens nach der vermögensrechtlichen Seite hin Abhilfe gegen eine seiner Überzeugung nach ungerechtfertigte Entfernung vom Amte oder Versetzung in den Ruhestand zu erlangen. Abgesehen jedoch davon, daß wirkliche oder scheinbar harte Konsequenzen eines Gesetzes nicht zu einer Auslegung desselben berechtigen, welche mit seinem klaren Wortlaute unvereinbar ist, bleibt immerhin noch ein großes Gebiet für die Anwendung des §. 149 übrig. Der Beamte hat durch denselben gerichtlichen Schutz nicht nur gegen etwaige willkürliche Entziehung oder Schmälerung seines Diensteinkommens, Pension oder Wartegeld, wie ihm solche bei seiner von der Verwaltungsbehörde anerkannten Stellung gebühren, sondern auch gegen eine dem Gesetze nicht entsprechende Berechnung seiner Bezüge, wie denn auch über solche Streitpunkte zahlreiche gerichtliche Entscheidungen vorliegen. - Nach dem Ausgeführten lag kein Grund vor, von der bereits in einem analogen Falle (Entsch. in Civils. Bd. 1 Nr. 17 S. 34) vom Reichsgerichte angenommenen Auslegung des §. 155 abzugehen, und die in Bd. 3 Nr. 28 S. 91 mitgeteilte Entscheidung, welche einen von dem vorliegenden wesentlich verschiedenen Fall betrifft, kann hier nicht in Betracht kommen. Ist aber für den ersten Klaganspruch der Rechtsweg unstatthaft, so mußte die Revision insoweit ohne Prüfung des materiellen Sachverhaltes zurückgewiesen werden."