RG, 14.11.1883 - I 363/83

Daten
Fall: 
Zwangsvollstreckung aus vorläufig vollstreckbaren Urteil
Fundstellen: 
RGZ 11, 415
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
14.11.1883
Aktenzeichen: 
I 363/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hamburg
  • OLG Hamburg

Ist derjenige, welcher aus einem zu seinen Gunsten ergangenen, vorläufig vollstreckbaren Urteile die Zwangsvollstreckung betrieben hat, im Falle endgültiger Beseitigung des Urteiles durch eine entgegengesetzte Entscheidung in höherer Instanz ohne Rücksicht auf ein ihm zur Last fallendes Verschulden dem Gegner zum Ersatze des ihm durch die Zwangsvollstreckung entstandenen Schadens verpflichtet? Ist solche Ersatzpflicht nach materiellen Grundsätzen des gemeinen Rechtes begründet?

Tatbestand

Der jetzige Beklagte hat dem jetzigen Kläger auf Grund eines im Urkundenprozesse ergangenen, daher vorläufig vollstreckbaren Urteiles sein Mobiliar abpfänden und öffentlich verkaufen lassen. Das vollstreckbare Urteil des Landgerichtes wurde später durch Urteil des Oberlandesgerichtes aufgehoben und die Klage, weil das Oberlandesgericht in der Beglaubigung der mit der Ladung zugestellten Schriftstücke lediglich durch einen Blaustempel statt durch eigenhändige Unterschrift des klägerischen Prozeßbevollmächtigten einen formellen Mangel der Ladung fand, als nicht ordnungsmäßig erhoben abgewiesen. Dieses Urteil wurde rechtskräftig. Den mittels der Zwangsvollstreckung erlösten Betrag erstattete der jetzige Beklagte dem jetzigen Kläger zurück. Der letztere behauptete aber, durch die Pfändung und den Verkauf der Mobilien einen Schaden von 6000 M erlitten zu haben. Er erhob daher Klage auf Ersatz dieses Betrages. Mit dieser Klage wurde er in beiden Instanzen abgewiesen. Seine Revision ist vom Reichsgerichte zurückgewiesen.

Aus den Gründen

"Der Kläger gründet seinen Ersatzanspruch hauptsächlich auf die Auffassung, daß, nachdem im Vorprozesse durch rechtskräftige Abweisung der Klage die Unbegründetheit des erhobenen Anspruches und damit die Nichtberechtigung desselben zu den betriebenen Zwangsvollstreckungsmaßregeln festgestellt worden, der damalige Kläger und der jetzige Beklagte, ohne Rücksicht auf eine ihm zur Last fallende Verschuldung bei Verfolgung des Anspruches durch Zwangsvollstreckung, ihn völlig in den Stand, in welchem er ohne die Zwangsvollstreckung gewesen wäre, zu versetzen, ihm also alle Einbußen, welche er durch die Zwangsvollstreckung erlitten habe, zu ersetzen habe. Diese Auffassung ist von dem Berufungsgericht mit Recht verworfen worden. Nach der Ausführung in den Instanzen sollte dieselbe aus der Civilprozeßordnung selbst zu entnehmen sein. Daß eine ausdrückliche Bestimmung dieses Inhaltes nicht getroffen ist, da die §§. 655. 697. 563 C.P.O. lediglich von der Erstattung des auf Grund des Urteils Gezahlten oder Geleisteten und den Kosten der Zwangsvollstreckung sprechen, muß Kläger selbst zugeben. Allerdings hat für das Geltungsgebiet der Allgem. preußischen Gerichtsordnung das preußische Obertribunal wiederholt den Standpunkt vertreten, daß, sofern die Prozeßgesetze in bestimmten Fällen die Vollstreckung von Urteilen vor ihrer Rechtskraft zuließen, diese Vollstreckung immer lediglich auf Gefahr desjenigen, der sie betreibe, erfolge, sodaß derselbe dem Gegner das Interesse zu vergüten habe, wenn sich aus den ferneren Entscheidungen ergebe, daß der Antragsteller zu dem mittels der Exekution Erzwungenen kein Recht gehabt habe.1

Der dritte Civilsenat des Reichsgerichtes vertritt in seinem Urteil vom 3. Oktober 18822 in einer gelegentlichen, nur zur Analogie herangezogenen Ausführung für die Civilprozeßordnung denselben Standpunkt. Inwieweit diese frühere preußische Praxis in den zu ihrer Rechtfertigung angezogenen Gesetzen wirklich eine Stütze hat finden können, und ob ihr Ergebnis, insbesondere bei Vergleichung mit der im Falle einer Arrestanlegung in bezug auf die Verantwortlichkeit gehandhabten Grundsätzen3 rationell war, braucht hier nicht entschieden zu werden. In dem Urteil des ersten Civilsenats des Reichsgerichts vom 20. September 18824 ist bereits ausgeführt, daß, wie aus der Entstehungsgeschichte der Civilprozeßordnung deutlich hervorgehe, für den Fall eines Arrestes eine Verpflichtung des Arrestklägers, im Falle seines Unterliegens dem Gegner den ihm durch die Arrestanlegung zugefügten Schaden zu ersetzen, nicht habe ausgesprochen werden sollen, daß vielmehr die Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen solche Verpflichtung anzunehmen, nach den materiellen Bestimmungen der Landesgesetze über die Haftung für Beschädigung erfolgen sollte. Für den Fall der Vollstreckung eines vorläufig vollstreckbaren Urteiles, insbesondere jedenfalls eines solchen, bei welchem, wie hier nach §. 648 Nr. 4 C.P.O. die Vollstreckbarkeit von Amts wegen auszusprechen war und ausgesprochen worden ist, ergiebt sich dieselbe Konsequenz aus der richtigen Würdigung des die Vollstreckbarkeit normierenden Gesetzes. Das Gesetz bestimmt die Wirkungen der Urteilsspruche. Es verleiht einem Urteil, auch wenn es noch angreifbar ist, unter bestimmten Voraussetzungen, und zwar hier unter einer festbestimmten, vom Antrage der Partei unabhängigen Voraussetzung, die Wirkung der Vollziehbarkeit. Das ist etwas ganz Anderes als die Erteilung einer Ermächtigung an den Kläger zu einem Schritte, insofern sich dieser die sichere Annahme getraue, daß es bei dem Urteile bleiben werde. Eine Entscheidung auf ein Arrestgesuch, insbesondere, wenn sie ohne mündliche Verhandlung erfolgt, ließe sich noch eher als ein bloßes Gewährenlassen auf Gefahr des Antragstellers, sofern seine Behauptungen nicht begründet sein sollten, ansehen.

Das Urteil macht aber Recht unter den Parteien und, wenn der Gesetzgeber in Würdigung und Anerkennung des dringenden Bedürfnisses nach raschem Vollzuge bei Streitverhältnissen bestimmter Art, wie im besonderen Vertrauen auf die Richtigkeit der ergangenen Urteile wegen der besonderen Art des zu Grunde liegenden Streitstoffes oder der Prozeßverhandlungen gewissen Urteilen die Vollziehbarkeit, obwohl die Urteile noch angreifbar sind, zuspricht, so hat dies nicht den Sinn, daß die Ausübung des hiernach verliehenen Rechtes schon deshalb zur Genugthuung verpflichte, weil das Urteil im weiteren Verlaufe des Prozesses wiederaufgehoben wurde. Allerdings erfolgt die Beitreibung der Summe immer in der Voraussetzung, daß es bei dem Urteile verbleiben werde, sodaß es sich danach rechtfertigen mag, wenn infolge Aufhebung des Urteiles der Kläger außer der empfangenen Summe auch Zinsen von der Zeit des Empfangs ab zu vergüten hat. Daraus folgt aber nicht, daß die Beitreibungshandlung den Charakter der Unrechtmäßigkeit annähme.

Mit Recht macht das Berufungsgericht geltend, daß bei solcher Auffassung die Zulassung vorläufiger Vollstreckbarkeit für den Kläger mehr verleitlich als nützlich sein würde. Die Partei soll, auch wenn sie ein Urteil für sich hat, gewissermaßen prüfen, ob ihr das zugesprochene Recht auch wirklich zusteht. Aber, wenn sie dies in gutem Glauben an nehmen darf, soll sie behufs Ausübung des ihr durch das Urteil verliehenen Rechtes nicht noch besonders das Urteil auf die Güte seiner Begründung und darauf, ob es wohl auch bestehen bleiben werde, abschätzen müssen.

In der That wird auch in der Litteratur ein anderer Standpunkt als der, daß eine Verantwortung nur entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Rechts über Schadensersatz eintreten könne, kaum vertreten.5

Nun hat Kläger in der Revisionsinstanz allerdings unter Bezugnahme auf das bereits erwähnte Urteil des dritten Civilsenats des Reichsgerichts vom 3. Oktober 18826 behauptet, es sei ein Satz des gemeinen materiellen Rechts, daß die im Prozesse unterliegende Partei wegen ihres Unterliegens ohne Rücksicht auf ein Verschulden dem Gegner alle Nachteile zu ersetzen habe, welche diesem dadurch erwachsen seien, daß er durch den rechtswidrigen Eingriff des Unterliegenden in sein Rechtsgebiet an der freien Verfügung über Teile seines Vermögens verhindert worden. Dies wird allerdings in der gedachten Entscheidung unter Berufung auf §. 1 Inst. de poen. tem. litig. 4, 16 ausgeführt. Allein auch dieser Ausführung konnte nicht beigetreten werden.

Zunächst ist es durchaus bedenklich und bestritten, den improbus litigator dieser Stelle schlechthin im Sinne des Unterliegenden, ohne Rücksicht auf subjektives Unrecht, aufzufassen. Wetzell7 gelangt zu dieser Auffassung nur, weil zur justinianischen Zeit, wie sich aus 1. 13 §. 6 Cod. de jud. 3, 1; 1. 3 und 1. 5 restit. Cod. de fruct. et litis expensis: 7, 51 und Nov. 82 cap. 10 ergiebt, allerdings das Unterliegen als solches der Regel nach die Verpflichtung zur Kostenerstattung begründete. Allgemein wird aber anerkannt, daß, wie dies auch in Nov. 82 cap. 10 enthalten, bei Zweifelhaftigkeit der Sache - propter ambiguitatem - varietatem - negotii- diese Erstattungspflicht trotz des Unterliegens nicht galt.8

Der §. 1 der citierten Institutionenstelle kann daher sehr wohl bloß die Bedeutung einer historischen Bemerkung haben, bei welcher es gar nicht darauf ankam, die Voraussetzungen der Pflicht zum Kostenersatze ganz ausführlich zu präzisieren, in welchem Falle dann aber auch das Wort improbusin demjenigen, die Beziehung auf subjektives Unrecht enthaltenen Sinne verstanden werden darf, welchen als ihm gewöhnlich zukommenden auch Wetzell a. a. O. Nr. 59 zugiebt.9

Versteht man aber unter improbus den erfolglos Prozessierenden, weil er wenigstens im Sinne der Bestimmung über die Prozeßkosten in der Regel unbesonnen handelt, so handelt es sich doch, wenn auch in der Stelle neben den impensae litis noch von damnum die Rede ist, nach der bei solcher Interpretation zu Grunde liegenden Auffassung, nach der Titelüberschrift wie nach der Tendenz der Vorschrift in Verbindung mit den bereits erwähnten anderen Bestimmungen über die Prozeßkosten, um ein Prozeßgesetz, welches ebenso antiquiert ist, wie die §§. 83. 87 des Reichsabschiedes von 1592, in denen von der Verpflichtung des unterliegenden Streitteiles zur Erstattung von "Schaden, Deterioration und Interesse" die Rede ist. Daß das Gesetz materielle Wirkungen äußert, macht es noch nicht zu einer von dem Prozeßrecht loslösbaren, materiell rechtlichen Bestimmung des gemeinen Rechts über den Ersatz des durch Prozessieren zugefügten Schadens. Anderenfalls wären auch die Bestimmungen über die Tragung der Prozeßkosten Bestimmungen des materiellen Rechts. Da die Entscheidung des dritten Civilsenates des Reichsgerichtes nicht sowohl auf dem vorangeschickten allgemeinen Satze, als vielmehr auf den Besonderheiten des Musterschutzgesetzes vom 11. Januar 1876 beruht, so lag der im §. 137 des Gerichtsverfassungsgesetzes vorgesehene Fall einer Verweisung der Sache zur Verhandlung und Entscheidung vor die vereinigten Civilsenate nicht vor."

  • 1. Vgl. Entsch. des preuß. Obertrib. Bd. 31 S. 9 flg.; Striethorst, Archiv Bd. 37 S. 295 und Bd. 45 S. 7.
  • 2. ,vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 8 S. 21,
  • 3. ,vgl. Entsch. des Obertrib. Bd. 19 S. 21 flg.,
  • 4. ,vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 7 S. 374 flg.,
  • 5. Vgl. v. Wilmowski-Levy, Kommentar z. C.P.O. 3. Aufl. S. 763 Nr. 3; Gaupp, Kommentar Bd. 3 S. 147; Förster ( Eccius), Preuß. Privatr. 5. Aufl. Bd. I S. 334.
  • 6. ,vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 8 S. 16 flg.,
  • 7. System des Civilproz. 3. Aufl. S. 564
  • 8. Vgl. v. Bethmann-Hollweg, Der röm. Civilproz. Bd. 3 S. 232; Zimmern, Geschichte des röm. Privatr. Bd. 3 S. 546; Gensler, Kommentar über Martin's Civilproz. S. 53.
  • 9. Vgl. Heffter, System des röm. und deutsch. Civilprozeßr. 2. Ausgabe S. 346. 347; v. Bayer, Vorträge 10. Aufl. S. 76. 77; übrigens auch Dernburg, Abhandlungen aus dem Gebiete des gemeinen Civil- und Prozeßr. S. 132 flg.