RG, 10.11.1884 - IV 185/84
Bedingter Kaufvertrag oder Vorvertrag? Rückforderung der Zahlung eines Kaufstempels, wenn der Kaufvertrag bedingt und die Bestimmung des Kaufobjektes und des Kaufpreises von späteren Ereignissen abhängig gemacht ist.
Tatbestand
Die beiden Kläger B. und S. waren miteinander einen schriftlichen Vertrag eingegangen, laut dessen S. die Zerstückelung des dem B. gehörigen Bauerngutes und den Verkauf der einzelnen Trennstücke übernommen hatte. Für den Fall, daß mit Ablauf dreier Monate vom Tage des Vertragsschlusses an die Veräußerung der einzelnen Gutsteile zwar begonnen, aber noch nicht vollendet sein, und der Gesamtkaufpreis der alsdann verkauften Grundstücksteile den Betrag von 40500 M nicht erreichen sollte, war S. im Vertrage für berechtigt und gleichzeitig für verpflichtet erklärt, die mit dem Ablaufe der gedachten Zeit unveräußert gebliebenen Gutsteile gegen Zahlung des zu der Summe von 40500 M noch fehlenden Betrages in eigenem Namen von B. käuflich zu erwerben. Der Steuerfiskus fand in dieser Vertragsbestimmung die Erfordernisse eines Kaufvertrages und zog von den Klägern die Stempelsteuer nach Maßgabe eines Kaufpreises von 40500 M ein. Die von den Klägern angestellte Rückforderungsklage wurde in beiden Vorinstanzen für begründet erkannt, und der Steuerfiskus zur Rückzahlung des ganzen Stempelbetrages verurteilt. Auf die vom Beklagten eingelegte Revision ist das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung in die Berufungsinstanz zurückgewiesen worden.
Aus den Gründen
"Das Berufungsgericht hat angenommen, daß der Vertrag ... unter den Begriff eines bedingten Kaufvertrages nicht gebracht werden könne. Es fehle nämlich an der Bestimmtheit des Kaufgegenstandes und des Kaufpreises. Denn bei dem Abschlusse des Vertrages sei nicht zu übersehen gewesen, in welchem Umfange nach Ablauf der dreimonatlichen Frist ein Kaufgegenstand noch vorhanden und ein Rest der ausbedungenen 40500 M noch zu zahlen sein werde. Hiergegen sucht der Revisionskläger auszuführen, der Kaufgegenstand und der Kaufpreis seien in jedem Falle relativ bestimmt, und es genüge zur Annahme eines Kaufvertrages, wenn bei einem bedingten Kaufe Kaufgegenstand und Kaufpreis im Zeitpunkte des Eintrittes der Bedingung ermittelt und festgestellt werden könne. Bei Prüfung dieses Angriffes ist folgendes zu erwägen.
Die in Rede stehende Abrede ist insofern bedingt, als ihre Rechtswirksamkeit davon abhängt, daß während der drei Monate Bestandteile des Bauergutes veräußert werden, andere Bestandteile aber unveräußert bleiben. War also mit dem Ablaufe der drei Monate noch kein Teil des Grundstückes veräußert oder wurde in der gedachten Zeit das ganze Grundstück verkauft, so war für eine vertragsmäßige Gebundenheit der Vertragschließenden zu käuflicher Überlassung und käuflichem Erwerbe kein Raum mehr vorhanden. Der Umstand, daß die Entscheidung über die vertragsmäßige Gebundenheit der Vertragschließenden zu käuflicher Überlassung und käuflichem Erwerbe in der gedachten Weise aufgeschoben blieb, schließt - hierin besteht kein Zweifel - an und für sich nicht aus, daß die Abrede als Kaufvertrag aufgefaßt werde. Es fragt sich aber, ob der Umstand, daß bei der Abschließung des Vertrages nicht bloß nicht feststand, ob die Verbindlichkeit zur Überlassung und zum Erwerbe überhaupt eintreten werde, sondern daß zur Zeit des Vertragsschlusses für den Fall des demnächstigen Eintrittes der Verbindlichkeit der Gegenstand derselben und die Gegenleistung noch nicht bestimmt waren, der Annahme eines Kaufvertrages entgegensteht. Die Entscheidung der Frage hängt in erster Reihe davon ab, ob für den Fall eines innerhalb der drei Monate erfolgten teilweisen Verkaufes des Grundstückes für einen geringeren Preis als den Betrag von 40500 M eine vertragsmäßige Gebundenheit des Klägers B. zur Übertragung des Eigentumes an dem Reste des Grundstückes gegen Zahlung des zu der Summe von 40 500 M fehlenden Betrages und die entsprechende Gebundenheit des S. zur Zahlung des in Rede stehenden Betrages gegen Übernahme des Grundstückes überhaupt angenommen werden muß. Diese Frage ist zu bejahen. Der Verbindlichkeit des B. zu käuflicher Übertragung des Grundstücksrestes nach Ablauf der drei Monate fehlt es an der erforderlichen Bestimmtheit der Leistung nicht. Ebensowenig der Verbindlichkeit des S. zur Zahlung des zu der Summe von 40500 M noch fehlenden Betrages. Weiter ist zu untersuchen, wie der Vertrag wegen käuflicher Überlassung des Grundstücksrestes gegen Zahlung des zu 40500 M fehlenden Betrages rechtlich zu bestimmen, ob er nämlich als Kaufvertrag oder als ein Vorvertrag über die künftige Abschließung eines Kaufvertrages aufzufassen ist. Es wird darüber gestritten, ob im Begriffe des Konsensualvertrages Raum für die rechtliche Möglichkeit eines von dem Konsensualvertrage verschiedenen, die Verpflichtung zur Abschließung des Konsensualvertrages begründenden Vorvertrages gegeben ist.1
Zu einer Entscheidung der Streitfrage nötigt der vorliegende Streitfall indes nicht. Der in Rede stehende Vertrag enthält, auch wenn die rechtliche Möglichkeit eines Vorvertrages für Konsensualverträge überhaupt anzuerkennen sein möchte, die Erfordernisse eines Kaufvertrages selbst, indem der Gegenstand der Übereignung und der Kaufpreis auch im Sinne eines Kaufvertrages ausreichend bestimmt sind. Und wenn im Vertrage von der Verpflichtung zu käuflichem Erwerbe und zu käuflicher Überlassung die Rede ist, so macht diese Ausdrucksweise nicht die Annahme notwendig, daß dem vorliegenden Vertrage gegenüber der bedingt beabsichtigte Kaufvertrag ein künftig erst zu schaffendes Rechtsgeschäft sei. Im Hinblicke darauf, daß der Vertrag die wesentlichen Erfordernisse eines Kaufvertrages schon enthält, ist auf jene Ausdrucksweise das entscheidende Gewicht bei der Bestimmung der rechtlichen Natur des Vertrages nicht zu legen. ....
Aus vorstehenden Gründen ist das Berufungsurteil aufzuheben. Zur Abgabe einer Endentscheidung ist die Sache noch nicht reif. Die Frage, ob das Thatsachenmaterial von dem vorstehend für die rechtliche Beurteilung des Vertrages eingenommenen Gesichtspunkte aus den Anspruch des Beklagten auf die Stempelsteuer für Kaufverträge begründet erscheinen lasse, und ob und inwieweit der Klage auf Rückzahlung ganz oder zum Teil stattzugeben sei, erfordert noch Erörterungen, deren Vornahme dem Revisionsgerichte entzogen ist. Die Sache ist daher zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, die sich auch auf die Kosten der Revisionsinstanz zu erstrecken hat, in die Berufungsinstanz zurückzuweisen."
- 1. Vgl. Koch, Recht der Forderungen Bd. 3 S. 228 flg.; Förster, Theorie und Praxis 3, Aufl. Bd. 1 S. 430: "der vorbereitende und der Hauptvertrag fallen zusammen"; ferner Striethorst, Archiv Bd. 88 S. 285; - Dernburg, Preußisches Privatrecht Bd. 2 §. 34 und Eccius in der 4. Aufl. von Förster, Theorie und Praxis Bd. 1 S. 497: "der vorbereitende und der Hauptvertrag fallen meist zusammen".