RG, 10.11.1917 - I 123/17
Kann, wenn im Falle des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB. ein Vorprozeß geführt wurde, um von einem Dritten Schadensersatz zu erlangen, von dem wirklich Schuldigen auch die Erstattung der Kosten dieses Prozesses beansprucht werden?
Tatbestand
Am 7. September 1912 schleppte der Schlepper Roland, von Brunsbüttel kommend, den mit Weizen beladenen Leichter Joachim durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal. Der Schlepper wurde vom dem Kanallotsen B. geführt. In der Nähe von km 75,5 stieß der Leichter mit dem entgegenkommenden schwedischen Dampfer Freya zusammen und sprang leck. Seine Weizenladung wurde beschädigt. Sie war versichert bei den Klägern, die den Schaden den Ladungseigentümern ersetzten.
Die Kläger erhoben zunächst Klage auf Ersatz des Schadens gegen den Eigner des Leichters P. In diesem Prozesse hat ihnen der jetzige Beklagte auf Streitverkündigung in allen drei Instanzen als Nebenintervenient zur Seite gestanden. Die Klage ist rechtskräftig abgewiesen worden.
In dem gegenwärtigen Rechtsstreite verlangen die Kläger von dem Reichsfiskus Ersatz des Schadens, und zwar zuzüglich der 6700 M betragenden Kosten des Vorprozesses. Das Landgericht wies den Klaganspruch in betreff der genannten Kosten ab. Auf die Berufung der Kläger wurde das Urteil vom Oberlandesgerichte dahin abgeändert, daß dieser Anspruch dem Grunde nach für berechtigt erklärt und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen wurde. Die Revision des Beklagten ist zurückgewiesen worden aus folgenden Gründen:
Gründe
"Die Kläger gründen ihren Anspruch auf Erstattung der Kosten des Vorprozesses - nur um diesen Anspruch handelt es sich in der Revisionsinstanz - auf § 839 BGB. und § 1 des Gesetzes vom 22. Mai 1910 über die Haftung des Reichs für seine Beamten. In tatsächlicher Beziehung hat das Berufungsgericht festgestellt, der Verlauf des Vorprozesses habe erwiesen, daß gegründeter Anlaß für die Kläger vorgelegen habe, zunächst den Schiffseigner P. zu belangen; auch habe der jetzige Beklagte im Vorprozeß als Nebenintervenient seine ernstliche Meinung zu erkennen gegeben, daß ein Dritter (P.) für den eingetretenen Schaden hafte. Unter diesen Umständen - so führt das Berufungsgericht aus - müsse der Beklagte die Kosten des Vorprozesses als sogenannten indirekten Kollisionsschaden tragen. Die gegen dieses Ergebnis von der Revision erhobenen Bedenken sind nicht gerechtfertigt.
Das Berufungsgericht verweist in den Gründen des angefochtenen Urteils auf mehrere Entscheidungen des Hanseatischen Oberlandesgerichts (HansGZtg. Hauptbl. 1901 Nr. 32, 1905 Nr. 125, 1909 Nr. 39, 1911 Nr. 46). In diesen Erkenntnissen wird als Grundsatz aufgestellt, daß in den Prozessen wegen Schiffszusammenstoßes oder in ähnlichen Fällen (vgl. a. a. O. 1911 Nr. 46) die Kosten des Vorprozesses als mittelbarer Schaden dann zuzusprechen seien, wenn sie auf Grund verständiger Erwägungen, also ohne Verschulden aufgewandt worden seien. Diese Bedingung liege insbesondere dann vor, wenn der Geschädigte zunächst eine Person auf Schadensersatz belangt habe, die sich nach näherer Klärung der Sachlage als nicht verantwortlich erweise, und wenn er dem - wie sich später herausstelle - wirklich Schuldigen den Streit verkündet habe, worauf dieser die Prozeßführung, sei es stillschweigend, sei es ausdrücklich, namentlich durch Beitritt gutgeheißen habe. Der Schuldige könne sich nicht beklagen, wenn er für die Kosten des von ihm gebilligten Vorprozess aufkommen solle.
Es braucht nach Lage des gegenwärtigen Rechtsstreits nicht darüber entschieden zu werden, ob die dargelegte Rechtsauffassung ohne Einschränkungen zu billigen ist. Denn der gegenwärtig verfolgte Anspruch zeigt eine Besonderheit, welche die Pflicht zur Erstattung der Kosten des Vorprozesses als bedenkenfrei erscheinen läßt. Dem Kanallotsen B., der den Schlepper Roland geführt hat, fällt nur Fahrlässigkeit zur Last. Er und hier der an seiner Stelle verantwortliche Reichsfiskus kann daher von dem Geschädigten nur dann in Anspruch genommen werden, wenn dieser "nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag" (§ 839 Abs. 1 Satz 2 BGB.). Die Behauptung der Unmöglichkeit, anderweiten Ersatz zu finden, gehört zur Klagbegründung; die Beweislast dafür trifft den Kläger (RGZ. Bd. 81 S. 430, Bd. 86 S. 287). Im vorliegenden Falle kam als anderer Ersatzpflichtiger der im Vorprozesse verklagte Schiffseigner P. in Frage. Die Kläger mußten also davon ausgehen, die Klage gegen das Reich könne nur dann durchdringen, wenn von P. kein Schadensersatz zu erlangen war. Diese Voraussetzung hatten sie nachzuweisen. So erscheint der Vorprozeß gegen P. - mit dessen rechtskräftiger Entscheidung es nunmehr feststeht, daß von diesem kein Ersatz des Schadens zu holen ist - als eine Maßnahme, welche aus der durch den Schiffszusammenstoß hervorgerufenen Rechtslage als dessen weitere natürliche, dem gewöhnlichen Verlaufe der Dinge entsprechende Folge hervorging.
Die Revision wendet ein, die Erhebung der Vorklage sei nicht auf ein Handeln des Lotsen B. zurückzuführen, sondern beruhe lediglich auf der eigenen freien Entschließung der Kläger. Dies trifft nicht zu. B. hat den Schiffszusammenstoß verschuldet und ist für alle daraus erwachsenden Schadensfolgen verantwortlich. Eine verständige Würdigung der durch den Schiffsunfall geschaffenen Rechtslage mußte aber die Ersatz suchenden Geschädigten oder deren Rechtsnachfolger dazu führen, den Vorprozeß anzustrengen. Die Revision meint zwar, zur Geltendmachung der Ansprüche der Kläger gegen den Reichsfiskus sei es keineswegs erforderlich gewesen, vorher durch einen Vorprozeß zu ermitteln, daß P. den Klägern nicht hafte; dies habe sich auch im Rahmen der Klage gegen den Reichsfiskus feststellen lassen. Dem ist jedoch ebenfalls nicht beizutreten. Es ist festgestellt, daß gegründeter Anlaß vorlag, P. für schadensersatzpflichtig zu halten. Aus diesem Grunde stand der Erfolg einer in erster Linie gegen das Reich zu erhebenden Klage im Ungewissen. Eine sichere Feststellung der Nichthaftung von P. konnte nur in einem gegen diesen selbst geführten Prozeß erfolgen. Dies anzunehmen, ist hier um so weniger bedenklich, als die Erhebung des Zeugenbeweises sich in einem Prozesse gegen P. anders gestaltete als in dem Rechtsstreite gegen das Reich. Bei der Durchführung des Vorprozesses bewegten sich hiernach die Kläger auf dem normalen, durch die Rechtsordnung gewiesenen Wege (vgl. auch RGZ. Bd. 81 S.433). Sie durften diesen Rechtsstreit ebensowohl für erforderlich halten wie der jetzige Beklagte und frühere Nebenintervenient". ...