RG, 16.10.1884 - IV 148/84

Daten
Fall: 
Reserve- und Amortisationsfond
Fundstellen: 
RGZ 12, 264
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.10.1884
Aktenzeichen: 
IV 148/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Breslau
  • OLG Breslau

Welchem Stempel unterliegt die bei einem Gutstausche gegen eine Vergütung erfolgte Abtretung des dem Gutseigentümer zustehenden Anteiles an dem Reserve- und Amortisationsfonds des neuen Kreditvereines für die Provinz Posen?

Tatbestand

Der Kläger F. erwarb mittels notariellen Vertrages vom 4. November 1878 von dem Gutsbesitzer v. P. dessen in dem Großherzogtume Posen belegenes, von dem Neuen Kreditvereine für die Provinz Posen bepfandbrieftes Rittergut M. durch Tausch gegen ein anderes Grundstück unter Übernahme der eingetragenen Pfandbriefe und Hypotheken; zugleich wurden ihm alle dem Guteigentümer rücksichtlich der eingetragenen Pfandbriefe zustehenden Ansprüche an dem Reserve- und Amortisationsfonds des gedachten Kreditvereines abgetreten und vereinbart, daß er als Vergütung für diese Abtretung eine auf einem Breslauer Hausgrundstücke eingetragene Hypothek im Nominalbetrage von 80000 M dem v. P. cedieren sollte. An Stempeln wurden der Kaufstempel für den im Vertrage angegebenen Tauschwert des Rittergutes M. und außerdem für die Abtretung der Ansprüche an den Reserve- und Amortisationsfonds des neuen Kreditvereines 1,50 M verwendet. Die Steuerbehörde erachtete diese dem Kläger abgetretenen Ansprüche für ein Zubehör, einen Bestandteil des Rittergutes M. und für eine unbewegliche Sache, und erklärte den Immobiliartauschstempel von 1 % mit 300 M für erforderlich. Kläger zahlte die 300 M mit Vorbehalt ein und fordert im gegenwärtigen Prozesse die Erstattung der mehr gezahlten 298,50 M unter der Behauptung, daß die Abtretung der Ansprüche des v. P. als eine Cession von Forderungsrechten anzusehen und nur mit dem Cessionsstempel zu belegen sei. In erster Instanz wurde der beklagte Fiskus nach dem Klagantrage verurteilt. Der Berufungsrichter erkannte abändernd ans Abweisung der Klage, Auf die vom Kläger eingelegte Revision wurde das Berufungsurteil aufgehoben, und die Berufung des Beklagten gegen das erste Urteil zurückgewiesen.

Gründe

"Maßgebend für die Revisionsinstanz ist die Annahme des Berufungsrichters, daß nach dem unterm 18. Mai 1857 landesherrlich genehmigten Statute des Neuen Kreditvereines für die Provinz Posen der von diesem Vereine angesammelte Reservefonds vorzugsweise dazu dient, die etwa ausbleibenden Zahlungen der Vereinsmitglieder zu decken, sodann auch um einen Amortisationsfonds zu bilden, daß der letztere ausschließlich den Zweck hat, die Einlösung der vom Kreditvereine ausgegebenen Kreditscheine zu bewirken, und sein ganzer Bestand, soweit er durch zehn teilbar ist, zu diesem Zwecke zu verwenden ist, daß ein Recht auf diese Fonds für die Vereinsmitglieder erst dann entsteht, wenn der Verein aufgelöst oder die Gesamtschuld des Vereines durch statutenmäßige Amortisation, also durch Einlösung sämtlicher Kreditscheine gedeckt ist, daß das Vereinsmitglied nicht einmal durch eine freiwillige oder gezwungene vorzeitige Rückzahlung des Darlehns an den Verein ein Recht auf diese Fonds erwirbt, im Gegenteil dasselbe zu Gunsten des Vereines in diesem Falle verloren geht, endlich daß Rechte auf die gedachten Fonds stets und ohne daß es einer besonderen Übertragung bedarf, auf den jedesmaligen Eigentümer des Grundstückes übergehen. Mit Recht erachtet der Berufungsrichter die Rechte auf die genannten Fonds, weil die Befugnis zu ihrer Ausübung mit dem Besitze eines Grundstückes verbunden ist, nach §. 8 A.L.R. I. 2 für unbewegliche Sachen, und rechnet sie gemäß §. 44 a. a. O. zu den Pertinenzien derjenigen Grundstücke, deren Eigentümern sie zustehen. An sich sind sie Forderungsrechte, und die Übertragung von Forderungsrechten, überhaupt von Rechten, auch von dinglichen Rechten, ist der Regel nach kein Kauf und erfordert, wenn sie beurkundet ist, nicht den Kaufstempel, namentlich nicht den Immobiliarkaufstempel. Eine Ausnahme machen nur die in der Position "Kaufverträge" des Tarifes zum Stempelgesetze vom 7. März 1822 genannten Grundgerechtigkeiten, unter denen die in §. 14 I. der Hypothekenordnung vom 20. Dezember 1783 und §. 3 des Grunderwerbgesetzes vom 5. Mai 1872 gemeinten Gerechtigkeiten (Realberechtigung) zu verstehen sind, nämlich Gerechtigkeiten, welche, wenn sie nicht einem Grundstücke zugeschlagen sind, sondern eine selbständige Existenz haben, der Eintragung auf ein besonderes Grundbuchblatt fähig sind. Diese können durch Kaufgeschäfte übertragen werden, und zu der über solche Kaufgeschäfte errichteten Urkunde ist der Immobiliarkaufstempel zu verwenden. Das in Rede stehende Recht auf den Reserve- und Amortisationsfonds ist nicht eine derartige Gerechtigkeit, und vermöge seiner Eigenschaft als unbeweglicher Sache qualifiziert es sich nicht zur Übertragung durch Kauf, noch gehört es zu denjenigen Gegenständen, bei denen nach der Stempeltarifposition "Kaufverträge" der einprozentige Wertstempel Platz greift.

Das Recht an den beiden Fonds hat auch die Eigenschaft eines Pertinenzstückes eines Grundstückes, vorliegend des durch den notariellen Vertrag vom 4. November 1878 vom Kläger ertauschten Rittergutes M. Wäre dasselbe ein Bestandteil dieses Gutes, d. h. zu seiner Substanz gehörig, was es unzweifelhaft nach §. 43 A.L.R. I. 2 nicht ist, weil es mit dem Gute nicht durch die Natur verbunden ist, so würde seine urkundliche Übertragung bezüglich der Stempelpflicht ein einheitliches Rechtsgeschäft mit der Veräußerung des Gutes ausmachen und derselben Stempelabgabe wie diese unterworfen sein. Aber das fragliche Recht ist nur ein Pertinenzstück des Gutes, und da es in einer nach einem unbestimmten Zeitablaufe durch einmalige Zahlung zu tilgenden Geldforderung besteht, eine an sich der besonderen, selbständigen Existenz fähige Sache (§. 42 a. a. O.), und allein seine natürliche Beschaffenheit, vermöge deren das Recht für sich selbst bestehen kann, nicht aber seine wirtschaftliche Bestimmung und rechtliche Bedeutung sind entscheidend rücksichtlich der Stempelpflichtigkeit der urkundlich darüber abgeschlossenen Rechtsgeschäfte. Der §. 5 f des Stempelgesetzes ist stets von den preußischen Stempelbehörden und den Gerichten so ausgelegt worden, daß er auch die Fälle trifft, wo ein Grundstück mit seinem Zubehör, Inventar, verkauft worden, und daß bei der stempelrechtlichen Behandlung dieser Fälle eine Sonderling des Grundstückes und der dazu gehörigen beweglichen Pertinenzstücke eintritt, sofern für letztere ein besonderer Wert angegeben ist. Es ist kein Grund denkbar, weshalb nicht dieselbe Sonderung stattfinden soll, wenn das Grundstück mit einem "Gegenstande anderer Art" veräußert ist, welcher zwar nicht körperlich und nicht beweglich, aber immer doch ein der besonderen Existenz fähiges Pertinenzstück ist und den Charakter einer unbeweglichen Sache nur in rechtlicher Beziehung um deswillen angenommen hat, weil das Recht an diesem Gegenstande durch menschliche Bestimmung einem Grundstücke zugeschlagen worden ist. Der §. 105 A.L.R. I. 2, nach welchem Pertinenzstücke, solange sie bei der Hauptsache sind, an allen Rechten derselben teilnehmen, kann hier nicht herangezogen werden; er bestimmt nur, daß Rechte, welche bezüglich der Hauptsache und an derselben bestehen, ohne weiteres auch das Pertinenzstück ergreifen, und hier handelt es sich nicht um ein Recht der Hauptsache und der Pertinenz oder um ein Recht an denselben, sondern um etwas ganz Anderes, um die Abgabe von einer Urkunde, wobei der Wert des Grundstückes und der Pertinenzien nur den Maßstab zur Abmessung des Betrages der Abgabe bestimmt. Sowenig, wie bei dem Verkaufe eines Grundstückes und seiner beweglichen körperlichen Pertinenzien ist der §. 105 a. a. O. bezüglich der Stempelpflicht ein Hindernis, die Sonderung beim Verkaufe des Grundstückes mit einem unbeweglichen, aber unkörperlichen Pertinenzstücke, welches selbst kein Grundstück, Grundstücksteil oder Gerechtigkeit ist, vorzunehmen, und die Eigenschaft des in Rede stehenden Rechtes als einer Grundstückspertinenz hat, ebenso wie die einer unbeweglichen Sache, nicht die Folge, daß die urkundliche Übertragung des Rechtes auf den Kläger als ein einheitliches Geschäft mit dem Tausche des Rittergutes M. oder für sich als ein Grundstücksverkauf im Stempelinteresse zu betrachten ist. Der Berufungsrichter stützt sich für die einheitliche Zusammenfassung der Übertragung des Rechtes mit dem Grundstückstausche darauf, daß das Recht als Gutspertinenz unmittelbar den Grundstückswert erhöht, und daß seine ausdrückliche Übertragung überflüssig, sogar an sich wertlos ist; diese Momente treffen aber ebenso bei den beweglichen körperlichen Pertinenzien zu und bewirken doch nicht die Zusammenrechnung von deren besonders angegebenen Werten mit dem Werte des bloßen Grundstückes; sie rechtfertigen daher auch nicht den Schluß, daß der Kaufpreis bezw. Tauschwert des Gutes um die Vergütung des Rechtes an den Fonds zu erhöhen, und letztere ebenfalls dem Immobiliarkaufstempel unterworfen ist. Muß die Übertragung des fraglichen Rechtes von dem Tauschgeschäfte über das eigentliche Grundstück abgesondert werden, so ergiebt ihre besondere, selbständige Beurteilung auch die Folgerung, daß sie als Überlassung des Eigentumes eines Rechtes nach §. 376 A.L.R. I. 11 die Natur und das Wesen einer Cession, nicht eines Kaufgeschäftes in sich trägt, und sie unterliegt nur dem Cessionsstempel."