RG, 16.10.1883 - III 178/83
Ist im Falle der Wiederaufnahme des Verfahrens wegen Verletzung der Eidespflicht durch Leistung eines dem Gegner in einem rechtskräftigen bedingten Urteile auferlegten Eides (§. 543 Ziff. 1 C.P.O.) nur das nach Leistung des Eides ergangene Endurteil oder auch das den Eid auferlegende Urteil aufzuheben?
Tatbestand
Der Kläger erhob 1881 auf Grund eines mit seinem verstorbenen Vater abgeschlossenen Erbvertrages gegen seinen Bruder Klage, mit dem Antrage,
den Beklagten zu verurteilen, sein Eigentum an der väterlichen Landstelle anzuerkennen und ihm dieselbe herauszugeben.
Der Beklagte beantragte Abweisung der Klage, indem er behauptete, die fragliche Landstelle von seinem Vater 1880 gekauft und tradiert erhalten zu haben. Der Kläger focht diesen Kaufvertrag an; er behauptete, derselbe sei nur zum Schein und um seine Rechte aus dem Erbvertrage zu vereiteln, geschlossen, der Kaufpreis sei nicht bezahlt oder, wenn er bezahlt worden, schenkungsweise von dem Vater dem Beklagten zurückgegeben. Nach Aufnahme des von beiden Teilen angetretenen Urkunden- und Zeugenbeweises erkannte das Landgericht durch Urteil vom 25. November 1881, daß Beklagter nach dem Klagantrage verurteilt werden solle, wenn er sich weigere den Eid zu leisten, daß er um den 1. April 1880 seinem Vater den Kaufpreis bezahlt und daß dieser ihm den Kaufpreis nicht schenkungsweise zurückbezahlt habe, während im Falle der Leistung des Eides die Klage abgewiesen werden solle. Das Landgericht führte aus, daß für die Entscheidung lediglich die zu Eid verstellte Thatsache maßgebend sei, daß weder der Beweis, noch der Gegenbeweis geführt worden und dem Beklagten ein richterlicher Eid aufzulegen sei.
Nachdem dieses Urteil rechtskräftig geworden war, leistete Beklagter den Eid, und es wurde durch Urteil des Landgerichtes vom 3. Februar 1882 die Klage abgewiesen. Auch dieses Urteil ist rechtskräftig geworden.
Durch Urteil des Schwurgerichtshofes zu Osnabrück vom 6. November 1882 wurde der Beklagte wegen wissentlich falscher Leistung des vorerwähnten Eides zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt.
Der Kläger erhob nun, unter Bezugnahme auf §§. 543. 544 C.P.O., die Restitutionsklage, und zwar prinzipaliter gegen das Urteil vom 3. Februar 1882, event. auch gegen das Urteil vom 25. November 1881, indem er davon ausging, daß das letztere von dem Wiederaufnahmeverfahren nicht berührt werde. Er beantragte,
den Beklagten in Gemäßheit des Urteiles vom 25. November 1881 zu verurteilen.
Der Beklagte gestand zu, daß er sich durch Leistung des im Urteile vom 25. November 1881, ihm auferlegten Eides einer Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht habe, beantragte aber die Abweisung der Klage, unter Berufung auf die in dem früheren Verfahren stattgehabte Beweisaufnahme, indem er ausführte, daß nicht bloß das Urteil vom 3. Februar 1882, sondern auch das Urteil vom 25. November 1881 aufzuheben sei und die vor Erlaß des letzteren vorhanden gewesene Prozeßlage die Grundlage für die jetzt abzugebende Entscheidung bilden müsse. Das Landgericht erkannte nach dem Antrage des Klägers, indem es annahm, daß die Wiederaufnahme des Verfahrens nur das Urteil vom 3. Februar 1882 ergreife, das Urteil vom 25. November 1881 bestehen bleibe, und daß der Beklagte nach den von ihm abgegebenen Erklärungen als eidesweigernd zu erachten sei. Die dagegen vom Beklagten erhobene Berufung wurde verworfen und die Revision zurückgewiesen aus folgenden Gründen:
Gründe
"Die von dem Beklagten eingelegte Revision war zurückzuweisen, weil die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes nicht beruht.
Mit Recht hat zunächst das Berufungsgericht, in Übereinstimmung mit dem Landgerichte, angenommen, daß durch die Restitutionsklage lediglich das Urteil vom 3. Februar 1882 getroffen werde, und daß nicht die Restitution auch das bedingte Endurteil vom 25. November 1881 ergreife.
Durch die Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil erledigten Verfahrens wird keineswegs immer das vorausgegangene Verfahren beseitigt, sondern es erfolgt die Wiederaufnahme des Verfahrens nur insoweit, als die Hauptsache von dem Anfechtungsgrunde betroffen wird; nur insoweit wird nach §. 553 Abs. 1 C.P.O. die Hauptsache von neuem verhandelt. Wie weit dies der Fall sei, ist nach Lage des einzelnen Falles zu entscheiden.
Wie sich aus der Fassung des §. 543 Abs. 1 C.P.O.:
"Die Restitutionsklage findet statt, wenn der Gegner durch Leistung eines Parteieides, auf welche das Urteil gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat", ergiebt, wird ein Kausalzusammenhang zwischen dem ergangenen Urteile und der Verletzung der Eidespflicht vorausgesetzt. Ein solcher Kausalzusammenhang besteht aber nur zwischen dem Urteile vom 3. Februar 1882 und der falschen Eidesleistung des Beklagten; die Hauptsache wird nur insoweit von dem Anfechtungsgrunde der Verletzung der Eidespflicht betroffen, als auf sie die ergangene Entscheidung sich gründet. Das dem Endurteile vom 3. Februar 1882 zu Grunde liegende bedingte Endurteil vom 25. November 1881 beruht auf einer rechtlichen Beurteilung der Thatsachen, welche von beiden Parteien zur Begründung ihrer Anträge geltend gemacht sind, und auf einer Würdigung der von ihnen benutzten Beweismittel. Die in diesem rechtskräftigen Urteile getroffene Entscheidung wird durch die Leistung des Eides in keiner Weise berührt, und daher bestehen bleiben und, nachdem das auf der Eidesleistung des Beklagten beruhende Urteil vom 3. Februar 1882 aufgehoben worden, die Grundlage für die in der Hauptsache anderweit abzugebende Entscheidung bilden.
Auch in der Annahme des Berufungsgerichtes, in dem Zugeständnisse des Beklagten, durch Ableistung des ihm im Urteile vom 25. November 1881 auferlegten Eides einer Verletzung der Eidespflicht sich schuldig gemacht zu haben, sei das Geständnis zu finden, daß es ihm auch jetzt nicht möglich sei, die in dem bedingten Endurteile unter Eid verstellten Thatsachen als wahr zu beschwören, eine derartige Erklärung sei der Eidesweigerung gleichzusetzen, und es müsse daher der Beklagte der in dem bedingten Endurteile für den Fall der Eidesweigerung ausgesprochenen Folge gemäß verurteilt werden, enthält keine Gesetzesverletzung, insbesondere nicht, wie Revisionskläger meint, eine Verletzung der Vorschriften in den §§. 553 Abs. 1. 429 Abs. 2. 439 Abs. 1 C.P.O.
Die Thatsache, daß der Gegner durch Leistung eines Parteieides, auf welche das Urteil gegründet ist, einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht sich schuldig gemacht hat, und daß wegen dieser strafbaren Handlung eine rechtskräftige Verurteilung ergangen ist (§§. 543 Abs. 1. 544 C.P.O.), ist allerdings nur für die Frage der prozessualen Zulässigkeit der Restitutionsklage, nicht auch für die nach Aufhebung des angefochtenen Urteiles in der Hauptsache zu erlassende Entscheidung maßgebend. Der Civilrichter ist nicht durch die Entscheidung des Strafrichters gebunden, und es ist, wie der Revisionskläger mit Recht ausführt, nach Aufhebung des Urteiles, welches auf der Leistung des Eides beruht - in concreto des Urteiles vom 3. Februar 1882 - in der Hauptsache über die Leistung des Eides zu verhandeln. Das ist aber im vorliegenden Falle auch geschehen. Die Anträge des Klägers und die Ladung des Beklagten bezielen nicht bloß die Zulässigkeit der Restitutionsklage, sondern auch die in der Hauptsache abzugebende Entscheidung. Auch das Berufungsgericht hat nicht die beiden Teile des Verfahrens, die Verhandlung und Entscheidung über Grund und Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens und die Verhandlung über die Hauptsache getrennt (§. 553 Abs. 2 C.P.O.), sondern auch zur Hauptsache verhandeln und nur insoweit auf Antrag der Parteien eine Beschränkung eintreten lassen, als das Urteil vom 25. November 1881 zur Grundlage genommen und die Verhandlung auf die diesem letzteren zu Grunde liegenden Thatsachen nicht erstreckt ist. Es hat also auch eine Verhandlung über die Leistung des Eides stattgefunden, und es war dem Beklagten Gelegenheit gegeben, die geeigneten Anträge zu stellen, namentlich auch, wie der Revisionskläger geltend macht, nachzuweisen, daß er die Eidespflicht nur in einem für die Entscheidung des Civilprozesses unerheblichen Punkte verletzt habe, und sich in betreff des erheblichen Eidesinhaltes zur Eidesleistung bereit zu erklären.
Da aber der Vertreter des Beklagten bei der Verhandlung der Sache eine solche Erklärung nicht allein nicht abgegeben, sondern eingeräumt hat, daß Beklagter durch die Leistung des fraglichen Eides einer Verletzung der Eidespflicht sich schuldig gemacht habe, so bedurfte es weder einer Prüfung der in dem Urteile des Schwurgerichtshofes festgestellten Verletzung der Eidespflicht, noch enthält es eine Verletzung der Vorschriften der Civilprozeßordnung über den Beweis durch Eid, insbesondere der vom Revisionskläger hervorgehobenen, wenn der Berufungsrichter meint, daß der Beklagte nach den von ihm abgegebenen Erklärungen als eidesweigernd zu erachten sei."