RG, 16.10.1880 - I 822/80

Daten
Fall: 
Wechselblankett
Fundstellen: 
RGZ 2, 97
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.10.1880
Aktenzeichen: 
I 822/80
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Rostock
  • Obergericht Rostock

Steht demjenigen, welcher seine Namensunterschrift auf ein Wechselformular setzt, in welchem über dem Kontexte eine Geldsumme in Ziffern ausgedrückt, die zur Bezeichnung der Wechselsumme im Konterte bestimmte Spalte des sonst ausgefüllten Wechselformulars aber offen gelassen ist, und welcher das Formular in dieser Beschaffenheit einem Tritten übergiebt, um es als Wechsel in Umlauf zu setzen, falls dieser Dritte jene offen gelassene Spalte abredewidrig mit einer höheren Wechselsummenbezeichnung in Buchstaben ausgefüllt hat, als die über dem Kontexte in Ziffern ausgedrückte Summe, eine aus dem Wechselrecht selbst hervorgehende, gegen den gutgläubigen Erwerber des mit der Wechselsummenbezeichnung in Buchstaben versehenen Wechsels durchgreifende Einrede zu?

Die in der Aufschrift gestellte Frage ist verneint aus folgenden Gründen:

Gründe

"Abgesehen von den Normen der Artt. 75, 76, 98 Nr. 9 W.O. über den Einfluß der Fälschung oder Verfälschung von Unterschriften des Wechsel-Ausstellers, Acceptanten oder Indossanten auf die Wechselverbindlichkeit aus den auf dem betreffenden Wechsel befindlichen echten Unterschriften enthält die Wechselordnung keinerlei ausdrückliche Bestimmung über die Rechtswirkung, sei es von Änderungen der ursprünglichen Beurkundung eines der nach Artt. 4 oder 96 wesentlichen Erfordernisse in einem vor der Änderung bereits vollständig geschaffenen Wechsel, sei es von Änderungen oder von unbefugter Ausfüllung des Inhaltes eines bereits mit Namenszeichnungen zum Zwecke der Kreierung eines Wechsels versehenen, aber sonst entweder überhaupt nicht oder doch nicht in Bezug auf einzelne wesentliche Bestandteile eines Wechsels ausgefüllten Wechselformulars.

Aus dem Inhalte der Motive zu den §§. 71, 72 des Entwurfes einer Wechselordnung für die preußischen Staaten nach den Beschlüssen der Kommission des K. preuß. Staatsrats von 1847 in Verbindung mit dem Protokolle über die XXII. Sitzung vom 17. November 1847 der Leipziger Wechselkonferenz ist ersichtlich, daß die Unterlassung des Ausdrucks solcher Bestimmungen in der A.D.W.O. in der Überzeugung erfolgt ist, daß es geratener sei, eine allmähliche Entwicklung der Normen für die gekennzeichneten Rechtsverhältnisse der Rechtsprechung zu überlassen, welche diese schwierige Aufgabe am zuverlässigsten lösen könne wegen der successiven Anregung durch die vielen einzelnen zur Aburteilung gelangenden Streitfälle, die zugleich als Probe der praktischen Konsequenzen jedes festzustellenden Grundsatzes dienen würden.

Es scheint auf einem unrichtigen Verständnisse jener Materialien zu beruhen, wenn der Inhalt derselben dahin aufgefaßt worden ist, als hätten die damals mitwirkenden Faktoren angenommen, jene Rechtsverhältnisse könnten nicht nach Normen geregelt werden, welche aus dem Geiste der Wechselordnung entfließen, sondern lediglich nach den Principien desjenigen bürgerlichen Rechtes, welches regelmäßig die Rechtsverhältnisse in demjenigen Bezirke beherrsche, in welchem jene durch die Änderung eines Wechsels oder die Änderung (bezw. Ausfüllung) eines Wechselformulares beeinflußten Rechtsverhältnisse entstanden seien. Jedenfalls wäre eine etwaige Annahme der Art seitens jener Faktoren als eine irrige und deswegen nicht maßgebende zu bezeichnen.

Ob eine Änderung oder Ausfüllung des Inhaltes eines mit Namensunterzeichnungen versehenen Papieres, welche in Verbindung mit der durch jene Operationen hergestellten urkundlichen Erklärung objektiv als eine Wechselverbindlichkeit nach Maßgabe dieser Erklärung begründende erscheint, geeignet sei, im Sinne des Art. 82 W.O. eine aus dem Wechselrechte selbst entspringende, und deswegen gegen jeden (auch den gutgläubigen) Wechselinhaber durchgreifende Einrede zu erzeugen, das kann nur aus dem Wechselrechte entnommen werden.

Maßgebend für die Lösung dieser Fragen ist die (nach dem Inbegriff der Bestimmungen der Wechselordnung) von dem Gesetzgeber gewollte Sicherheit des Wechselverkehrs, in Verbindung mit allgemeinen, durch Vernunft und Erfahrung begrundlagten Grundsätzen über die Vertretung der Folgen bewußter, in Rechtskreise eingreifender Handlungen, welche Grundsätze als dem (auf der Höhe der gegenwärtigen Bildung stehenden) Willen des Gesetzgebers einwohnende, mit jener gewollten Sicherheit in seinem Geiste verknüpfte gelten müssen, Der Gesetzgeber hat erkennbar gewollt, daß der Wechsel, als ein regelmäßig zum Umlauf bestimmtes Wertpapier, in seiner Form Träger der Wechselrechte sei, daß seine Form in Verknüpfung mit dem Wechselrechte entscheidend sei für das wechselrechtliche Verhältnis aller nur im Wechselverbande stehenden Personen; wem: auch die Grundsätze des bürgerlichen Rechtes für diejenigen civilrechtlichen Verhältnisse normativ bleiben, welche zur Schöpfung des Wechsels überhaupt oder zur Thätigung einzelner Wechselunterschriften geführt haben, und daraus, für die in dem Nexus jener civilrechtlichen Verhältnisse stehenden Personen, auch in Bezug auf ihre gegenseitigen Wechselrechte und Pflichten, Behelfe entstehen können.

Es ist ferner entschieden vernünftig, daß nicht der gutgläubige Erwerber eines (in Umlauf gesetzten, sich äußerlich als unverdächtig darstellenden, die echte Unterschrift des urkundlich verpflichtet Erscheinenden tragenden, an sich durch seine Form verbindenden) Geldsummenversprechens dadurch von der wirksamen Thätigung des Rechtes auf Zahlung der versprochenen Summe ausgeschlossen werde, daß ein Dritter, welchen diejenige Person, deren echte Unterschrift unter jenem Summenversprechen steht, durch Gewährung eines (demnächst gemißbrauchten) Zutrauens objektiv in die Lage setzte, jenes Formpapier in der kursierenden Weise zu thätigen, wenn auch die Abrede jener Person und des Dritten zwar auf Kreierung und Inkurssetzung eines Formpapieres jener Gattung, indessen unter für jene (ihre Unterschrift hergebende) Person weniger lästigen Bestimmungen gerichtet gewesen sein sollte; daß vielmehr letztere Person ihre urkundlich erscheinende Verpflichtung, als Folge ihres eigenen Verhaltens, im Verhältnis zu jenem gutgläubigen Erwerber erfüllen muß.

Die oberstrichterliche Judikatur hat daher bereits mit Recht aus dem Geiste der Wechselordnung den Grundsatz hergeleitet, daß derjenigen Person, welche ihre Namensschrift auf ein sonst leeres Blatt Papier setzt und es einem Dritten übergiebt, um daraus einen Wechsel zu kreieren und in Umlauf zu setzen, keine aus dem Wechselrecht entfließende (d. h. keine dem gutgläubigen Wechselinhaber gegenüber durchgreifende) Einrede der Fälschung oder Verfälschung zusteht, falls jener Dritte das Blankett in für jene Person lästigerer Weise, als verabredet war, ausgefüllt hat.

Gleiche Grundsätze sind ferner bereits mit Recht zur Geltung gebracht, wenn das betreffende Papier zur Zeit der Namensschrift und Aushändigung an den Dritten zwar nicht ganz leer, aber doch nur in Bezug auf einzelne wesentliche Bestandteile des zu kreierenden Wechsels ausgefüllt, und eine abredewidrige Ausfüllung in Bezug auf die noch nicht beurkundeten Wechselessentialien gethätigt worden war.

Diesen Fällen steht nun der Fall principiell ganz gleich, in welchem von zwei verschiedenen, gesetzlich gleichzeitig statthaften Beurkundungsweisen eines wesentlichen Erfordernisses eines Wechsels (von denen aber das Gesetz vorschreibt, daß im Fall ihrer etwaigen Verschiedenheit die eine allein maßgebend sei), nur die eine, im Falle der Verschiedenheit nicht maßgebende, zur Zeit der Namensschrift und Aushändigung des Wechsels an den Vertrauensmann beurkundet, dagegen in dem Wechselformulare die (zu der im Falle der Verschiedenheit maßgebenden Bezeichnungsweise formularmäßig bestimmte) Stelle offengelassen ist; so daß offensichtlich durch die Ausfüllung dieser Stelle in jener in maßgebenden Bezeichnungsweise das im Wechselumlauf geltende Essentiale kreiert werden konnte, und demnächst (wenn auch abweichend und für den Wechselverpflichteten lästiger als die verabredete und die zur Zeit der Namensunterschrift zwar beurkundete, aber nach der gekennzeichneten Ausfüllung in unerheblicher Weise beurkundete Bezeichnung) kreiert ist.

Es ist ganz gleichgültig, daß etwa der Dritte die ursprüngliche Bezeichnung nachträglich ändert und mit der maßgebenden, durch die oben gekennzeichnete Ausfüllung hergestellten, Bezeichnung in Übereinstimmung setzt, denn eine solche Änderung betrifft ein für die Wechselverbindlichkeit aus dem umlaufenden Wechsel unwesentliches Moment.

Die vorentwickelten Grundsätze rechtfertigen im vorliegenden Falle die Entscheidung des Appellationsrichters selbst dann, wenn man annehmen wollte, daß die Zifferbezeichnung oben rechts über dem Wechselkontexte für sich als Wechselsummenbezeichnung hätte gelten können; denn Art. 4 Ziff. 2 und Art. 96 Ziff. 2 W.O. bestimmen als wesentliches Erfordernis eines Wechsels (der erstere Artikel für gezogene, der letztere Artikel für trockene Wechsel) "die Angabe der zu zahlenden Geldsumme", während der Art. 5 W.O. (welcher nach Art. 98 Ziff. 1 auch für eigene Wechsel gilt) bestimmt:

"Ist die zu zahlende Geldsumme (Art. 4 Nr. 2) in Buchstaben und Ziffern ausgedrückt, so gilt bei Abweichungen die in Buchstaben ausgedrückte Summe";

und ist es festgestellt, daß zur Zeit, als die Beklagten ihre Namensschriften auf das Wechselformular setzten und dem C. S. übergaben, um es als Wechsel in Umlauf zu setzen, zwar oben rechts über der Stelle des Wechselkontextes eine Geldsumme in Ziffern ausgedrückt war, aber die zur Einrückung der Wechselsummenbezeichnung im Kontexte des Wechsels formulargemäß bestimmte Spalte, in welche eine solche Bezeichnung (in der aus dem Klagewechsel ersichtlichen und von dem Kläger geltend gemachten Weise) in Buchstaben eingerückt werden konnte und demnächst von dem C. S, ehe der Kläger den Klagewechsel gutgläubig erworben hat, eingerückt worden ist.

Die angegriffene Entscheidung des Berufungsgerichts verletzt also keineswegs den Art. 96 W.O., steht vielmehr mit den Grundsätzen der Wechselordnung im Einklange."