RG, 16.09.1918 - VI 163/18

Daten
Fall: 
Einwand des Selbstverschuldens gegenüber Ansprüchen des Eigentümers
Fundstellen: 
RGZ 93, 281
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
16.09.1918
Aktenzeichen: 
VI 163/18
Entscheidungstyp: 
Urteil

Kann gegenüber Ansprüchen des Eigentümers nach § 990, 987, 989 BGB. der Einwand des Selbstverschuldens (§ 254 BGB) Beachtung finden? Unterschied jener Ansprüche von dem Ans! auf Herausgabe (§ 985 BGB.).

Gründe

"In der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 1915 wurden der Klägerin aus dem Pfarrhause größere Posten Pfandbriefe gestohlen, darunter 4 Stück 31/2 %ige Neue Westpreußische Pfandbriefe Lit. A Nr. 21549 bis 21552 auf je 5000 M lautend. Als Dieb wurde verfolgt ein mit schwerer Zuchthausstrafe vorbestrafter Mann namens L. Von diesem hat die Beklagte die vorangeführten Pfandbriefe samt Zinsscheinen unter dem 31. Mai 1915 zum Kurse von 76 1/2% käuflich erworben. Mit der vorliegenden Klage, deren Antrag dahin geht, die Beklagte habe 1400 M nebst 4% Zinsen seit dem 4. April 1917 zu zahlen sowie 20000 M 31/2%ige Neue Westpreußische Pfandbriefe II nebst Zinsscheinen (beginnend mit den am 1. Juli 1917 fällig werdenden) und Erneuerungsscheinen zu liefern, wird gegen sie der Vorwurf erhoben, sie sei bei dem Erwerbe der Papiere nicht in gutem Glauben gewesen, daher sei sie zur Herausgabe der erworbenen Pfandbriefe oder gleichartiger Pfandbriefe sowie zur Bezahlung der inzwischen fällig gewordenen Zinsscheine (vom 1. Juli 1915, 1. Januar und 1. Juli 1916 sowie 1. Januar 1917) im Gesamtbetrage von 1400 M verpflichtet.

Die Vorinstanzen haben angenommen, der Beklagten sei bei dem Erwerbe der Pfandbriefe infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, daß sie dem Veräußerer nicht gehörten (§ 932 Abs. 2 BGB), und haben nach dem vorangeführten Klagantrag erkannt. Nach dem teils unstreitigen, teils festgestellten Sachverhalte hatte die Beklagte in zahlreichen Zeitungen Aufforderungen des Inhalts ergehen lassen, daß Besitzer von Wertpapieren ihr Verkaufsangebote in solchen machen sollten. Unter Bezugnahme auf eine solche Anzeige hatte L. die 4 Pfandbriefe angeboten, und die Beklagte hat sie gekauft, ohne über die Persönlichkeit des Verkäufers, der sich als Mechaniker J. L. in R. bezeichnet hatte, und über die Herkunft seines Besitzes irgendwelche Erkundigungen einzuziehen. In Übereinstimmung mit einem bereits vom ersten Richter erhobenen Gutachten der Handelskammer zu Berlin nimmt das Berufungsgericht an, daß die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, über die ihr völlig unbekannte Persönlichkeit des Verkäufers sich wenigstens bei dem Ortsvorstande R. zu erkundigen, zumal es ihr unter anderem habe auffallen müssen, daß ein Mechaniker in R. über vier Pfandbriefe zu je 5000 M verfügte, daß er ihr einen übermäßigen Gewinn zubilligte, und übrigens Besitzer von Wertpapieren in erheblichem Nennwerte regelmäßig in Verbindung mit einem ihnen bekannten Bankier ober Bankinstitute stünden und deshalb die Angehung eines fremden Bankiers nicht nötig hätten.

Die Beklagte bestreitet, irgendwie fahrlässig vorgegangen zu sein, und hat weiter eingewandt, der Klägerin falle in der Person ihrer gesetzlichen Vertreter ein Selbstverschulden (§254 BGB.) zur Last. Die Papiere seien am 11. Mai gestohlen, erst am 18. Juni aufgeboten worden, während die Klägerin bei geordneter Beaufsichtigung und Buchführung den Verlust sofort hätte entdecken müssen und dann verpflichtet gewesen wäre, Anzeige zu erstatten, damit die gestohlenen Papiere in den polizeilichen Fahndungsblättern oder sonst in üblicher Weise aufgerufen würden. Wäre dies geschehen, dann hätte die Beklagte die Papiere nicht gekauft. Der eingetretene Schaden sei in erster Reihe von der Klägerin selbst verursacht. Diesen Einwand des Selbstverschuldens hat bereits der erste Richter, ohne sachlich darauf einzugehen, mit der vom Berufungsgerichte gebilligten Begründung zurückgewiesen, gegenüber der vorliegenden Klage als "Eigentumsklage" komme es auf ein solches konkurrierendes Verschulden der Klägerin nicht an. Die Beklagte habe mangels guten Glaubens das Eigentum an den Pfandbriefen nicht erworben, sie müsse daher "auf die Eigentumsklage hin" der Klägerin das zurückgewähren, was sie aus deren Eigentum erlangt habe. Daß die Klägerin nicht die ihr gestohlenen besonderen, durch Nummern gekennzeichneten Pfandbriefe, sondern Pfandbriefe schlechthin verlange, folge aus der Natur der Pfandbriefe als Gattungsware; die Klage bleibe darum gleichwohl "die Eigentumsklage".

Die Revision beanstandet die Ausführungen des Berufungsgerichts in der Verschuldensfrage und weiter diejenigen, womit das Eingehen auf den Einwand des Selbstverschuldens abgelehnt ist. In der ersten Richtung konnte sie keinen Erfolg haben ... (wird näher ausgeführt; sodann wird fortgefahren:)

Darüber, daß die Klage, wie erhoben, ihre rechtliche Grundlage im Eigentum, insbesondere im § 990 BGB. findet, nicht etwa auf § 823 Abs. 1 gestützt ist, besteht Einverständnis unter den Parteien; auch die Vordergerichte haben dies nicht in Zweifel gezogen. Sie haben den Einwand des Selbstverschuldens (§ 254) als unbeachtlich zurückgewiesen, weil sie die Klage als die des Eigentümers auf Herausgabe der Sache (§ 985), nicht als Schadensersatzklage ansehen.

Zutreffend wird hierbei davon ausgegangen, daß gegenüber der Klage des Eigentümers auf Herausgabe der Sache wider den Besitzer dieser sich nicht mit Erfolg auf ein Selbstverschulden des Klägers im Sinne des § 254 berufen könnte, da die Anwendung des § 254 eine Verpflichtung zum Ersatz eines Schadens als solchen voraussetzt. Seinem wirtschaftlichen Zwecke und Ziele nach kann allerdings der Herausgabeanspruch einem Schadensersatzbegehren nach Umständen wohl mehr oder minder ähnlich erscheinen, da er wie dieses auf Ausgleichung der durch die Vorenthaltung der Sache im Vermögen des Eigentümers entstandenen Lücke gerichtet ist. Deshalb ist aber jener Herausgabeanspruch doch nicht als Schadensersatzanspruch anzusehen oder einem solchen gleichzustellen. Darauf, ob und inwieweit durch die Vorenthaltung der Sache ein Vermögensschaden entstanden ist, kommt für diesen Anspruch nichts an; ebensowenig darauf, ob und in welchem Maße der Beklagte an der Verursachung eines etwa vorhandenen Schadens schuld ist. Er darf die Sache nicht behalten, weil sein Besitz dem Eigentum des Klägers widerstreitet, und auf Herausgabe ist die Klage gegen ihn zu richten, wenn und solange er die Sache besitzt. Besitzt er sie zu Unrecht, so muß er sie dem Eigentümer kraft dessen daran bestehenden Eigentums herausgeben, dieser mag bezüglich des Abhandenkommens noch so sehr im Selbstverschulden sich bewegt haben.

Dieser Herausgabeanspruch ist aber im vorliegenden Falle nicht erhoben; die Beurteilung der Vorinstanzen ist insoweit unzutreffend.

Bei den Ansprüchen aus dem Eigentum sind zu unterscheiden solche, die als dingliche aus dem gesetzlichen Inhalte des Eigentums fließen, wie der Anspruch auf Herausgabe der Sache und auf Beseitigung von Beeinträchtigungen (§§ 985, 1004), und anderseits solche, die aus einem durch das Verhalten des Besitzers begründeten persönlichen Schuldverhältnis herrühren, wie der Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen, auf Erstattung ungerechtfertigter Bereicherung, auf Schadensersatz (§§ 989 flg.; vgl. RGZ. Bd. 46 S. 145).

1.

Der an erster Stelle verlangte Geldbetrag von 1400 M soll zum Ausgleich für die entgangenen Nutzungen dienen, die aus den Pfandbriefen zu ziehen gewesen wären, wenn sie dem Berechtigten nicht abhanden gekommen wären. Das Gesetz spricht in § 987 nur von "Herausgabe" von Nutzungen. Der Ausdruck trifft sprachlogisch zu nur auf die gezogenen und noch unverbraucht vorhandenen natürlichen und bürgerlichen Sachfrüchte; bei verbrauchten, nicht gezogenen oder nicht herausgebbaren Früchten kann es sich insoweit nur um eine Pflicht zur Wertvergütung handeln. Ein dinglicher Herausgabeanspruch kraft Eigentums könnte also nur gegenüber noch vorhandenen Zinsscheinen als Sachfrüchten in Frage kommen, die, weil die Hauptsache nicht gutgläubig erworben worden ist, aus dem Eigentum des Berechtigten nicht ausgeschieden sind. Davon kann nach dem Klagbegehren zu diesem Teile keine Rede sein. Die Beklagte, die die Pfandbriefe unstreitig alsbald weiterverkauft hat, hat die Zinsen für die zwei Jahre, wie verlangt, ihrerseits nicht gezogen. Was die Beklagte nach dem Verlangen der Klage leisten soll, ist mithin nichts anderes, als Ersatz für eine Rechtsfolge der an der Hauptsache begangenen Besitzentziehung -- ebenso wie wenn die fruchttragende Sache zerstört und so dem Eigentümer die Fruchtziehung unmöglich gemacht worden wäre. Danach aber kann kein Zweifel daran bestehen, daß insoweit ein Schadensersatzanspruch im Sinne der §§ 990, 987, 249, 251, 252 BGB. erhoben ist.

2.

Aber auch bezüglich der gestohlenen Wertpapiere selbst ist kein Anspruch auf Herausgabe der -- mit Lit. A 21549 bis 21552 bezeichneten -- Pfandbriefe, die der Klägerin abhanden gekommen sind und ungeachtet des Erwerbes der Beklagten, weil diese nicht gutgläubig erworben hat, im Eigentum jener verblieben waren (§ 932 Abs. 2, § 935), erhoben, sondern nur "Pfandbriefe" gleicher Art sind verlangt. Dies erhellt gleichermaßen aus dem Klagantrage wie aus der Klagbegründung, indem schon in der Klagschrift der (unstreitigen) Tatsache gedacht wird, daß die Beklagte von den erworbenen Pfandbriefen (20000 M) am 31. Mai 1915 5000 M zu 783/4%, und 10000 sowie 5000 M am 4. Juni 1915 weiterverkauft hat. Wenngleich daher in der Klagbegründung die Verpflichtung der Beklagten dahin gekennzeichnet wird, sie habe die von ihr erworbenen Pfandbriefe oder gleichartige Pfandbriefe herauszugeben, so ändert dies doch nichts daran, daß das im Klagantrag niedergelegte Klagbegehren nur auf Leistung gleichartiger Pfandbriefe gerichtet ist, während die zu einem Herausgabebegehren bezüglich der gestohlenen Pfandbriefe unentbehrliche Behauptung, daß die Beklagte diese in Besitz habe, gar nicht aufgestellt werden sollte. Das Berufungsgericht scheint dies -- inhaltlich der von ihm in Bezug genommenen Ausführungen am Schlusse des ersten Urteils -- nicht zu verkennen, aber auch die weitere Ausführung des ersten Richters zu billigen, wonach die Richtung des Klagbegehrens auf gleichartige Pfandbriefe für die Beurteilung des Anspruchs nichts ausmachen soll, weil jenes Klagbegehren aus der Natur der Pfandbriefe als Gattungsware folge. Indessen wird durch diese zweifellos vorhandene Rechtsnatur als "Gattungsware" doch nichts daran geändert, daß diejenigen Pfandbriefe, die die Beklagte geben soll, nicht im Eigentum der Klägerin gestanden haben und darin so lange nicht stehen, als sie ihr nicht von der Beklagten übergeben oder im Vollstreckungswege beigetrieben werden. Der hierauf gerichtete Anspruch kann mithin nicht der dingliche Herausgabeanspruch nach § 985 sein. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin statt dessen schlechthin Geldersatz hatte fordern können, dem ein solches Begehren ist nicht gestellt. Dessenungeachtet liegt ein Schadensersatzanspruch vor: nicht die gestohlenen Sachen werden verlangt, sondern deren gleichwertiger Ersatz, aus derselben Gattung entnommen, -- womit gemäß § 249 derjenige Zustand hergestellt werden soll, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Es ist kein rechtlicher Grund dafür zu finden, warum dann, wenn für den Verlust einer Gattungssache ein anderes Stück aus derselben Gattung geleistet wird, etwas anderes als Schadensersatz vorliegen soll.1

3.

Liegt aber hiernach in beiden Richtungen des Klagbegehrens ein Schadensersatzanspruch vor, so ist der Einwand aus § 254 für statthaft zu erachten. In der Rechtsprechung des Reichsgerichts ist anerkannt, daß diese Vorschrift Anwendung findet auf alle durch das Bürgerliche Gesetzbuch bestimmten Fälle der Schadensersatzpflicht (vgl. Warneyer 1910 Nr. 419, Urteile des RG. II 36/04. in 516/04; Komm. v. RGR. § 254 Erl. 4). Es besteht kein begründetes Bedenken dagegen, dies auch gegenüber Ansprüchen aus §§ 989, 990 gelten zu lassen.

Der vorliegende Einwand ist auch rechtlich mit ausreichender Schlüssigkeit begründet. Er ist nicht auszuräumen mit dem Vorbringen der Klägerin, das Verschulden, das ihr nach dem Vorbringen der Beklagten wegen verspäteter Entdeckung und Anzeige des Diebstahls zur Last fallen solle, habe nur im Zeitpunkte des Erwerbs der Pfandbriefe seitens der Klägerin vorgelegen, für die Zeit der Weiterveräußerung dagegen, durch die erst der Anspruch in einen solchen auf Schadensersatz übergegangen sei, komme jenem Verhalten keine ursächliche Bedeutung mehr zu. Eine solche besteht vielmehr auch dann für den gesamten Verlauf der Dinge, der zur Entstehung des Schadens geführt hat. In diesem Rahmen ist nach den Umständen zu beurteilen, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder von dem anderen Teile verursacht worden ist (§ 254). Übrigens ist der Einwand, wie bisher erhoben, seinem Sinne nach dahin zu verstehen, daß, wenn der Diebstahl rechtzeitig entdeckt und angezeigt worden wäre, die gestohlenen Pfandbriefe so zeitig aufgerufen sein würden, daß die Beklagte, sei es zum Ankauf, sei es zur Weiterveräußerung der Papiere nicht geschritten wäre.

Das auf den Einwand des Selbstverschuldens bezügliche Streitvorbringen bedarf daher noch der sachlichen Würdigung. Hierzu war der Rechtsstreit unter Aufhebung des Urteils an die Vorinstanz zurückzuverweisen."

  • 1. Vgl. hierzu u. a. Wendt, Arch. Ziv. Pr. Bd. 76 S. 1 flg. bes. S. 35; H. A. Fischer, Der Schaden nach dem BGB. (1903) S. 170 flg. D. E.