RG, 11.10.1884 - I 242/84

Daten
Fall: 
Genossenschafter im Fall der Umwandlung
Fundstellen: 
RGZ 15, 77
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
11.10.1884
Aktenzeichen: 
I 242/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Weimar
  • OLG Jena

1. Unter welchen Voraussetzungen ist ein Mitglied eines gemeinrechtlichen Personenvereines, der sodann in eine eingetragene Genossenschaft umgewandelt worden ist, mit Rücksicht auf die Bestimmung in §. 2 Abs. 4 des Genossenschaftsgesetzes vom 4. Juli 1868 als Genossenschafter anzusehen?
2. Stillschweigende Abänderung der Vertragsbestimmung, wonach eine gemeinrechtliche Gesellschaft nur durch Willenserklärung in einer bestimmten Form zustande kommen soll?

Tatbestand

Die Kläger hatten die Feststellung verlangt, daß sie nicht Mitglieder der beklagtischen eingetragenen Genossenschaft geworden, und dies insbesondere am 10. August 1881, an welchem Tage der Konkurs über das Vermögen der letzteren eröffnet worden war, nicht gewesen seien. Hier kommt nur noch der Mitkläger B. in Betracht, in Ansehung dessen die Klage zwar in erster Instanz abgewiesen, aber auf seine Berufung für begründet erklärt war. Auf Revision der Beklagten hob das Reichsgericht insoweit das Berufungsurteil auf und verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück, aus folgenden Gründen:

Gründe

... "Es erwiesen sich die Gründe, aus welchen das Oberlandesgericht auf die Berufung des B. dem Klagantrage desselben entsprochen hat, nicht als zutreffend. Es steht fest, daß dieser Mitkläger am 18. September 1868 schriftlich seinen Beitritt zum Vorschußvereine des landwirtschaftlichen Vereines im Amtsbezirke B. erklärt hat. Wenn nun ferner behauptet ist, daß dieser Vorschußverein später unter verändertem Namen als die hier fragliche Genossenschaft in das Genossenschaftsregister des Justizamtes Th. eingetragen worden sei, so ist zuvörderst diese Identitätsfrage nicht mit der Bemerkung abzuthun, es würde mindestens den Beklagten der Beweis obgelegen haben, daß derjenige Gesellschaftsvertrag, auf welchen hin die Eintragung erfolgt ist, demjenigen Statute gleichlautend gewesen sei, welches B. unterschrieben habe. Denn abgesehen davon, daß diese thatsächliche Frage auf Grund der auf Antrag beider Parteien beigezogenen Akten, betreffend die Eintragung des beklagtischen Vereines in das Handelsregister, hätte erledigt werden können, ist es auch nicht richtig, daß, falls der Verein etwa zum Zwecke der Eintragung vorher seine Statuten abgeändert hätte, dadurch die Identität des ursprünglichen Vereines und der eingetragenen Genossenschaft ausgeschlossen sein würde.1

Ferner aber ist es nicht richtig, daß der schriftliche Beitritt zu einem Vereine, welcher damals weder eine eingetragene Genossenschaft war, noch schon die Absicht hatte, später eine solche zu werden, nach dennoch erfolgter Umwandlung des Vereines in eine eingetragene Genossenschaft nicht für eine dem §. 2 Abs. 4 des deutschen Genossenschaftsgesetzes entsprechende schriftliche Erklärung gelten könnte. Da vielmehr dieses Gesetz die Umwandlung mindestens solcher Genossenschaften im weiteren Sinne, welche beim Beginn seiner Geltung schon bestanden, in eingetragene Genossenschaften in seinem eigenen Sinne vorsehen mußte und, wie §.71 Abs. 1 zeigt, auch vorgesehen hat, so wird man ihm, in Ermangelung zwingender Gründe, nicht die formalistische Absicht unterlegen dürfen, von denjenigen Mitgliedern eines so umgewandelten Vereines, welche diesem identischen Vereine gegenüber schon der Formvorschrift des §. 2 Abs. 4 entsprochen hätten, eine Wiederholung dieses Aktes zu verlangen. Es war also auch in dieser Beziehung den Ausführungen des R.O.H.G.'s (a. a. O. S. 103), ungeachtet der dagegen von Wolff (in Endemann's Handbuch des Handelsrechtes Bd. 1 S. 815 Anm. 6) erhobenen Bedenken, beizutreten; wie auch schon bei Entscheidung einer preußischen Sache (vgl. Urteil des R.G.'s vom 16. April 1884, Rep. I. 75/84) das Reichsgericht von der gleichen Voraussetzung ausgegangen ist. Aber allerdings darf dabei nicht außer acht gelassen werden, daß jemand, der einem zur Zeit noch keineswegs zu einer eingetragenen Genossenschaft bestimmt gewesenen Vereine beigetreten ist, nicht gegen seinen Willen durch Umwandlung des Vereines zum Mitgliede einer eingetragenen Genossenschaft gemacht werden kann, daß es ihm daher mindestens freistehen muß, nachdem er von dieser Umwandlung erfahren hat, durch Kundgebung seines entgegensetzten Willens die letztere Mitgliedschaft auszuschließen. Für den gegenwärtigen Fall liegt jedoch nicht nur nichts von solchen Willenskundgebungen des B. vor, sondern es scheint aus seinem ganzen Verhalten sogar umgekehrt der Wille, auch dem umgewandelten Vereine anzugehören, mit Sicherheit entnommen werden zu können. Indessen wird es noch erst Sache des Berufungsgerichtes, dessen Entscheidung in Ansehung des B. aus den hervorgehobenen Gründen der Aufhebung unterliegt, sein, nach Maßgabe der dargelegten rechtlichen Gesichtspunkte die erheblichen Thatsachen festzustellen. Dabei ist mit Grund vonseiten des Mitklägers B. darauf hingewiesen worden, daß eventuell auch die Annahme des Oberlandesgerichtes, daß er dem ursprünglichen Vereine wirklich als Mitglied beigetreten gewesen sei, durch die dafür angeführten Erwägungen noch nicht ausreichend gestützt werde. Dieser Verein unterlag natürlich nicht etwa, wie das Landgericht vorausgesetzt zu haben scheint, den Bestimmungen des zur Zeit seiner Errichtung geltenden Großherzoglich sächsischen Genossenschaftsgesetzes vom 8. März 1868; denn dies wäre nur der Fall gewesen, wenn er eine eingetragene Genossenschaft im Sinne dieses Gesetzes hätte sein wollen; sondern er war lediglich nach gemeinem Rechte zu beurteilen. Hiernach war an sich freilich die zum Beitritte erforderliche Willenserklärung an gar keine bestimmte Form gebunden; andererseits war aber auch jede in den Gesellschaftsvertrag etwa aufgenommene Verabredung, durch welche die Perfektion des Beitrittes von der Beobachtung einer bestimmten Form abhängig gemacht war, gültig, und zwar solange, bis sie vertragsmäßig wieder aufgehoben war. Wenn also nach dem Statute jenes Vereines die Mitgliedschaft nur durch eine im Hauptbuche desselben zu vollziehende Unterschrift erworben werden sollte, so würde daraus allein, daß ein solches Hauptbuch nie existiert hat, noch nicht folgen, daß nun der Beitritt in jeder anderen schriftlichen Form, oder in ganz beliebiger Form wirksam hätte erklärt werden können; ebenso gerechtfertigt würde vielmehr an sich die Folgerung sein, daß der Verein vor seiner Konstituierung zu einer eingetragenen Genossenschaft überhaupt im Rechtssinne gar nicht zur Perfektion gekommen wäre, weil noch niemand in der statutenmäßigen Form hätte seinen Beitritt erklären können. Es würde also erst noch in thatsächlicher Beziehung näher zu prüfen sein, ob die Beteiligten nach Errichtung des Gesellschaftsvertrages ausdrücklich oder stillschweigend dahin überein gekommen seien, daß jene in ihm enthaltene Vorschrift über die Form des Beitrittes nicht mehr gelten solle." ...

  • 1. Vgl. hierüber Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 22 S. 104.