RG, 08.07.1884 - III 169/84

Daten
Fall: 
Umlageverfahren gegen ausgeschiedene Genossenschafter
Fundstellen: 
RGZ 12, 56
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
08.07.1884
Aktenzeichen: 
III 169/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Stuttgart
  • OLG Stuttgart

Können ausgeschiedene Genossenschafter, wenn binnen drei Monaten nach ihrem Ausscheiden über das Genossenschaftsvermögen auf Antrag der Genossenschaft der Konkurs eröffnet wird, im Umlageverfahren auch zur Deckung solcher Genossenschaftsschulden herangezogen werden, welche erst nach ihrem Ausscheiden kontrahiert worden sind?

Tatbestand

Die beiden Kläger haben vor dem 30. September 1881 statutenmäßig ihren Austritt aus der "Volksbank St. E. G." auf den 31. Dezember, den Schluß des für die Genossenschaft geltenden Geschäftsjahres, dem Vorstande schriftlich erklärt. Am 30. März 1882 ist über das Vermögen der Genossenschaft auf deren Antrag der Konkurs eröffnet worden.

Die Kläger beantragen die Feststellung,

daß die beklagte Genossenschaft nicht berechtigt sei, sie als Mitglieder zu behandeln und zur Deckung des aus dem Konkurse der Genossenschaft sich ergebenden Defizits zu dem gesetzlichen Umlageverfahren heranzuziehen.

Die Genossenschaft beantragt widerklagend die Verurteilung der Kläger zu dem Anerkenntnisse,

daß sie nach Beendigung des Konkurses der Volksbank im Umlageverfahren gleichmäßig mit denjenigen Mitgliedern der Volksbank, welche nicht ausgeschieden sind, zur Deckung der Ausfälle an den Genossenschaftsschulden, die am Tage der Konkurseröffnung - eventuell die am 31. Dezember 1883 - vorhanden waren, beizutragen haben.

Durch Urteil des Landgerichtes sind die Kläger mit der Klage abgewiesen, zur Widerklage aber ist festgestellt, daß die Kläger und Widerbeklagten nach Beendigung des Konkurses der Volksbank St. E. G. im Umlageverfahren gleichmäßig mit den nicht ausgeschiedenen Mitgliedern der Volksbank zur Deckung sämtlicher im Konkurse erlittener Ausfälle an den Genossenschaftsschulden beizutragen haben.

Die Berufung der Kläger ist erfolglos geblieben und die gegen das Berufungsurteil von den Klägern eingelegte Revision ist zurückgewiesen worden aus folgenden Gründen.

Gründe

"Das Genossenschaftsgesetz vom 4. Juli 1868 hat die Bestimmungen des Handelsgesetzbuches in Art. 130 Abs. 2 und 3 über die Teilnahme ausgeschiedener Gesellschafter an den späteren Geschäften, Rechten und Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht aufgenommen. Es ordnet die rechtlichen Beziehungen der ausgeschiedenen oder ausgeschlossenen Genossenschafter, sowie der Erben verstorbener Genossenschafter in §. 39 in der Weise, daß dieselben den Gläubigern der Genossenschaft gegenüber für alle bis zu ihrem Ausscheiden von der Genossenschaft eingegangenen Verbindlichkeiten bis zum Ablaufe der Verjährung verhaftet bleiben, daß sie andererseits in Ermangelung anderer Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages an den Reservefonds und das sonstige Vermögen der Genossenschaft keinen Anspruch haben, vielmehr nur verlangen können, daß ihnen ihr Geschäftsanteil, wie er sich aus den Büchern ergiebt, binnen drei Monaten nach ihrem Ausscheiden ausgezahlt wird, und daß gegen diese Verpflichtung die Genossenschaft sich nur dadurch schützen kann, daß sie ihre Auflösung beschließt und zur Liquidation schreitet.

Hiernach ist unzweifelhaft, daß die Ausgeschiedenen für die nach ihrem Ausscheiden von der Genossenschaft eingegangenen Verbindlichkeiten den Gläubigern nicht und zwar selbst dann nicht haften, wenn diese Verbindlichkeiten zur Beendigung schwebender Geschäfte eingegangen sind, daß ferner nach dem Ablaufe von drei Monaten seit dem Ausscheiden der den Ausgeschiedenen gegen die Genossenschaft zustehende Anspruch sich nach dem Ergebnisse der Bücher zur Zeit des Ausscheidens bestimmt. Nicht ohne Zweifel ist dagegen das Verhältnis der Ausgeschiedenen zur Genossenschaft, wenn diese binnen drei Monaten nach dem Ausscheiden ihre Auflösung beschließt und zur Liquidation schreitet. Sicher ist, daß in diesem Falle der Ausgeschiedene nicht seinen buchmäßigen Geschäftsanteil fordern darf, vielmehr auf das demnächstige tatsächliche Ergebnis der Liquidation verwiesen ist; in Frage ist dagegen, ob er im Verhältnisse zur Genossenschaft auch rücksichtlich der nach seinem Ausscheiden von der Genossenschaft eingegangenen Geschäfte und Verbindlichkeiten ganz als Genossenschafter zu behandeln, oder ob er im Falle der Liquidation für solche spätere Verbindlichkeiten verhältnismäßige Ausgleichung vor den anderen Genossenschaftern fordern darf und im Falle der Konkurseröffnung und des Umlageverfahrens verlangen kann, daß er nicht zur Deckung späterer Verbindlichkeiten herangezogen werde, für welche er den Gläubigern nicht haftet. Das Gesetz hat diese Frage ausdrücklich nicht entschieden, und es könnte insbesondere rücksichtlich einer Heranziehung des Ausgeschiedenen zum Umlageverfahren zwecks Deckung späterer Verbindlichkeiten geltend gemacht werden, daß allgemeinen Grundsätzen nach in Ermangelung von Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages der Ausgeschiedene seinen Genossenschaftern gegenüber an sich doch nicht weiter verhaftet erscheint, als daß er seinen Geschäftsanteil preisgiebt und sich zur Deckung eines bei seinem Ausscheiden vorhandenen Defizits nach Maßgabe des §. 9 Abs. 2 des Genossenschaftsgesetzes bereit erklärt. Das Gesetz nötigt indessen durch seine Bestimmungen in §. 39 Abs. 3. §§. 47 flg. zu einer anderen Auffassung. Wenn der Genossenschaft gegen den Anspruch des Ausgeschiedenen auf Auszahlung seines buchmäßigen Anteiles das Recht gegeben ist, binnen drei Monaten die Auflösung zu beschließen und das Genossenschaftsvermögen zur Verteilung zu bringen, so ist schon hierdurch ausgesprochen, daß nach der Auflösung der Ausgeschiedene der Genossenschaft nicht als Gläubiger gegenüberstehen, vielmehr für das Liquidationsgeschäft als nicht ausgeschieden angesehen werden soll. Darf er seinen buchmäßigen Anteil nicht mehr fordern, muß er vielmehr das Ergebnis der Liquidation abwarten, so ist von vornherein als Wille des Gesetzes anzunehmen, daß er an dem Liquidationsgeschäfte gleich einem Genossenschafter teilnimmt. Mit dieser Annahme steht, das in §. 47 geordnete Verfahren durchaus im Einklange. Bei den hier getroffenen Bestimmungen mußte dem Gesetzgeber der vorausgehend in §. 39 Abs. 3 vorgesehene Fall einer Auflösung binnen drei Monaten nach dem Ausscheiden gegenwärtig sein. Gleichwohl hat der Gesetzgeber hier ohne Unterscheidung angeordnet, daß zunächst die Gläubiger zu befriedigen, aus den alsdann verbleibenden Überschüssen die Geschäftsanteile zurückzuzahlen seien, bei etwaiger Unausreichlichkeit des Bestandes aber die Verteilung nach Verhältnis der Höhe der einzelnen Guthaben zu erfolgen habe, daß von einem nach Deckung der Schulden und der Geschäftsanteile noch verbleibenden Bestande zunächst der Gewinn des letzten Rechnungsjahres an die Genossenschafter nach den Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages zu zahlen, weiterer Überschuß aber in Ermangelung weiterer Vertragsbestimmungen nach Köpfen unter die Genossenschafter zu verteilen sei. Muß hiernach angenommen werden, daß für die Ausgeschiedenen, wenn sie an der Liquidation teilnehmen, die Bestimmung des Gesetzes cessiert, welche ihnen einen Anspruch an den Reservefonds und das sonst vorhandene Vermögen der Genossenschaft abspricht, sind die Ausgeschiedenen ferner bei der Liquidation auch nicht von einem neuen nach ihrem Ausscheiden gemachten Erwerbe ausgeschlossen, so ist in Ermangelung anderer Bestimmungen auch als Wille des Gesetzes anzusehen, daß sie im Verhältnisse zur Genossenschaft auch rücksichtlich späterer Verbindlichkeiten der Genossenschaft keine andere Stellung einnehmen als die verbliebenen Genossenschafter. Nehmen sie an der Liquidation teil, kommt ihnen das ganze Genossenschaftsvermögen zu gute, während sie andererseits zweifellos durch etwaige spätere Verluste der Genossenschaft durch Untergang, Entwertung oder Entwährung von Genossenschaftsaktiven mitbetroffen werden, so ist es gegen die Natur der Sache, in Ansehung etwaiger späterer Verbindlichkeiten der Genossenschaft zwischen ausgeschiedenen und nicht ausgeschiedenen Genossenschaftern zu unterscheiden. Wird im Verhältnisse der Ausgeschiedenen zu den Nichtausgeschiedenen zwischen alten und neuen Schulden unterschieden, und gewährt man konsequent dann auch den Nichtausgeschiedenen das Recht, im Verhältnisse zu den Ausgeschiedenen neuen Erwerb auch nur auf neue Verbindlichkeiten zu berechnen, so kommt man im Grunde wieder auf den buchmäßigen Anteil der Ausgeschiedenen zurück, wenn auch mit der Modifikation, daß die Ausgeschiedenen die thatsächliche Verwertung des Genossenschaftsvermögens und etwaige spätere Verluste an den Aktivis durch Untergang, Entwertung &etc; anzuerkennen haben. Ein solches der Natur der Sache widerstreitendes und unpraktisches Ergebnis will aber das Gesetz nicht; es kennt bei einer Auflösung binnen drei Monaten nach dem Ausscheiden einen buchmäßigen Anteil der Ausgeschiedenen überhaupt nicht mehr, verweist letztere vielmehr zur Liquidation und giebt hier ohne Unterscheidung zwischen ausgeschiedenen und nicht ausgeschiedenen Genossenschaftern, alten und neuen Verbindlichkeiten, altem und neuem Erwerbe bestimmte Normen.

Hiernach muß als Wille des Gesetzes angesehen werden, daß das Genossenschaftsvermögen, wenn es nach Befriedigung der Genossenschaftsgläubiger zur vollständigen Deckung der Geschäftsanteile der Genossenschafter nicht ausreicht, nach Verhältnis der Hohe der einzelnen Guthaben ohne jede weitere Unterscheidung zu verteilen ist, mithin ausgeschiedene Genossenschafter von den verbliebenen eine Ausgleichung wegen später von der Genossenschaft eingegangener Verbindlichkeiten nicht verlangen können. Berücksichtigt aber die Liquidation des §. 47 a. a. O. nicht den früheren Austritt der an der Liquidation Teilnehmenden, so kann es auch keinem Bedenken unterliegen, bei einem negativen Ergebnisse der Liquidation und dem dann eintretenden gesetzlichen Verfahren für das Verhältnis der Genossenschafter untereinander ebenfalls von der zur Frage stehenden Unterscheidung abzusehen. Die Liquidatoren haben, wenn sich im Laufe des Liquidationsgeschäftes eine Unterbilanz ergiebt, die Eröffnung des Konkurses zu beantragen, an welchen sich zur Aufbringung eines Defizits unmittelbar das Umlageverfahren anschließt. Wie es an jedem Grunde dafür fehlt, die ausgeschiedenen Genossenschafter, nachdem sie an der Liquidation bisher teilgenommen, nach deren negativem Ergebnisse von dem Umlageverfahren auszuschließen, so ist auch kein Grund vorhanden, für den Ausgeschiedenen das Defizit zu spalten, je nachdem die Forderungen der Gläubiger aus der Zeit vor dem Austritte oder aus der Zeit nach dem Austritte herrühren; hat die Liquidation in dieser Beziehung nicht unterschieden, so kann auch in dem an die Liquidation nach gesetzlicher Vorschrift sich anschließenden Konkurs- und Umlageverfahren nicht unterschieden werden. Was aber hiernach in dem Falle anzunehmen ist, wenn die Liquidatoren im Verlaufe des Liquidationsgeschäftes die Eröffnung des Konkurses beantragen, muß selbstverständlich auch für den Fall gelten, daß die Liquidatoren sofort bei Beginn der Liquidation wegen Unterbilanz die Eröffnung des Konkurses beantragen. Es kann aber auch weiter keinem Bedenken unterliegen, für die Bestimmung des §. 39 Abs. 3 dem Auflösungsbeschlusse und der Liquidation den Antrag des Vorstandes auf Konkurseröffnung und die Konkurseröffnung gleichzustellen. In beiden Fällen handelt es sich um freiwillige Akte der Genossenschaft, welche ihre Auflösung zur Folge haben; auch der Konkurs bezweckt die Liquidation, und es wäre um so weniger angezeigt, für §. 39 Abs. 3 den Antrag des Vorstandes auf Konkurseröffnung von dem Auflösungsbeschlusse zu unterscheiden, als es ja in der Hand der Genossenschaft liegt, zunächst ihre Auflösung zu beschließen und dann sofort durch ihren Vorstand den Antrag auf Konkurseröffnung zu stellen.

Nach alle diesem muß dem §. 39 Abs. 3 die Bedeutung beigemessen werden, daß es der Genossenschaft freigestellt ist, gegenüber dem Anspruche des Ausgeschiedenen auf Auszahlung seines buchmäßigen Anteiles durch Beschluß der Auflösung den Austritt im Verhältnisse zur Genossenschaft nach seinen vermögensrechtlichen Wirkungen als nicht geschehen anzusehen, und wenn es der Zweck dieser Bestimmung ist, die Genossenschaft durch Hereinziehung der Ausgeschiedenen in das Liquidationsverfahren gegen die Unzuträglichkeiten zu schützen, zu welchen der Austritt bei prekärer Geschäftslage führen kann, so wird man als Willen des Gesetzes anzusehen haben, daß der Genossenschaft den Ausgeschiedenen gegenüber allgemein das Recht zustehen soll, entweder binnen drei Monaten den buchmäßigen Anteil der Ausgeschiedenen auszuzahlen oder durch eine binnen drei Monaten auszusprechende Auflösung das Ausscheiden sich gegenüber unwirksam zu machen, gleich als wenn die Auflösung schon vor oder doch gleichzeitig mit dem Ausscheiden erfolgt wäre. Demnach ist mit Recht erkannt, daß die Kläger nicht nur zum Umlageverfahren herangezogen werden können, sondern auch in demselben gleichmäßig mit den nicht ausgeschiedenen Mitgliedern zur Deckung sämtlicher im Konkurse erlittener Ausfälle an den Genossenschaftsschulden beizutragen haben."