RG, 01.07.1884 - II 168/84
1. Geht das Urheberrecht in demselben Umfange, wie es dem Schriftsteller zusteht, auch auf dessen Erben oder sonstige Rechtsnachfolger über?
2. Hat der Verleger eines Schriftwerkes, was Änderungen an demselben bei späteren Auflagen betrifft, den Rechtsnachfolgern des Schriftstellers gegenüber größere Rechte, als diesem selbst gegenüber?
3. Ist der Verleger, welcher unbefugterweise eine weitere Auflage veranstaltet, ohne weiteres verpflichtet, das für die früheren Auflagen bedungene Honorar zu zahlen?
Tatbestand
Der Finanzrechnungsassessor v. St. schloß im Jahre 1856 mit dem Buchhändler B. einen Vertrag, gemäß dessen er diesem das vollständige Verlagsrecht an seinem Werke "Handbuch der gesamten Finanzverwaltung im Königreiche Bayern einschließlich der Pfalz" gegen Zahlung eines Honorars von 10 Gulden für jeden Druckbogen übertrug. Nach dem Tode des v. St. ließ der Verleger, ohne Zustimmung der Erben, eine von einem Dritten bearbeitete neue Auflage des besagten Handbuches erscheinen. Die Erben v. St. erhoben nun Klage gegen B., worin sie den Ausspruch verlangten: 1) daß der Beklagte keine Befugnis habe, ohne ihre Zustimmung das in Frage stehende Handbuch mit Veränderungen neu aufzulegen, und 2) daß derselbe schuldig sei, das für neue Auflagen bedungene Honorar an sie zu zahlen. In zwei Instanzen wurde den Anträgen der Kläger gemäß erkannt, vom Reichsgerichte jedoch, unter Zurückweisung der Revision im übrigen, die den zweiten Klagantrag treffende Entscheidung aufgehoben, aus folgenden Gründen.
Gründe
1.
"Was die Frage betrifft, ob das streitige Werk, abgesehen zunächst vom Verlagsvertrage, dem v. St.'schen Werke gegenüber als Nachdruck im Sinne des Reichsgesetzes vom 11. Juni 1870 zu betrachten sei, oder aber, ob es eine selbständige geistige Arbeit bilde, so ist sie ohne Rechtsirrtum in ersterem Sinne entschieden.
In eingehender Begründung ist dargelegt, daß nicht bloß dasjenige, was aus der Zeit der zweiten Auslage des v. St.'schen Handbuches noch Geltung hatte, meist wörtlich in das sich selbst als dritte Auflage jenes Handbuches bezeichnende Werk aufgenommen, sondern daß insbesondere auch das System jenes Handbuches beibehalten worden sei, und überhaupt nur eine Überarbeitung desselben vorliege; hiernach aber war die Annahme gerechtfertigt, daß, soweit nicht etwa der Verlagsvertrag eine andere Auffassung bedingt, Nachdruck im Sinne der §§. 4-7 des gedachten Reichsgesetzes vorliegt.
2.
Es ist daher zu prüfen, ob etwa Beklagter das Recht, die fragliche dritte veränderte Auflage zu veranstalten, aus dem mit dem verlebten v. St. abgeschlossenen Verlagsvertrage ableiten konnte, und erscheint es zu diesem Zwecke sachgemäß, zunächst das Wesen des Urheberrechtes, soweit nötig, zu erörtern, sodann die bezüglichen Prinzipien auf das Verhältnis des Urhebers und seiner Rechtsnachfolger zum Verleger anzuwenden und schließlich die durch den Inhalt des vorliegenden Verlagsvertrages veranlaßten besonderen Betrachtungen anzureihen.
a.
Es kann keinen Zweifel erleiden, daß das Reichsgesetz vom 11. Juni 1870, sich anschließend an die bestehende Doktrin, nicht etwa bloß das Vermögensinteresse, sondern auch das geistige Interesse des Schriftstellers, das Interesse, welches derselbe daran hat oder haben kann, daß sein Werk nicht oder daß es nur so, wie es verfaßt ist, veröffentlicht werde, schützen will. Es genügt in dieser Beziehung auf die Bestimmungen in §. 5 des Gesetzes, sowie darauf hinzuweisen, daß in §. 24 des Entwurfes ausdrücklich bestimmt war, es trete die Bestrafung des Nachdruckes auch ein, wenn ein vermögensrechtlicher Schade nicht zugefügt worden sei, und diese Bestimmung von der Kommission nur deshalb beseitigt wurde, weil man sie dem jetzigen §. 22 gegenüber für selbstverständlich erachtete.
Wenn daher in §. 1 a. a. O. dem Urheber eines Schriftwerkes das ausschließliche Recht verliehen ist, dasselbe auf mechanischem Wege zu vervielfältigen, so hat dies den Sinn, daß der Urheber befugt sei, jede ohne seinen Willen von einem Dritten veranstaltete mechanische Vervielfältigung als Verletzung seines Urheberrechtes zu betrachten und gegen sie mit den vom Gesetze gegebenen Mitteln einzuschreiten, ohne daß er verpflichtet wäre, eine Vermögensbeschädigung darzuthun oder überhaupt die Beweggründe, welche ihn bestimmen, sein Urheberrecht geltend zu machen, klarzulegen.
Das Urheberrecht kennzeichnet sich hiernach als ein absolutes Recht gleich dem Eigentumsrechte, welches jedem Dritten gegenüber unbedingt geltend gemacht werden kann.
In §. 3 a. a. O. ist nun ganz allgemein bestimmt, daß das Urheberrecht auf die Erben übergehe und auf andere Personen übertragen werden könne, und §. 4 Abs. 1 erklärt ebenso allgemein:
"Jede mechanische Vervielfältigung eines Schriftwerkes, welche ohne Genehmigung des Berechtigten (§§ 1. 2. 3) hergestellt wird, heißt Nachdruck und ist verboten."
Diesen Bestimmungen gegenüber kann die früher in der Doktrin vielfach vertretene, jedoch auch vielfach bestrittene Ansicht, daß mit dem Tode des Schriftstellers das Urheberrecht insofern eine Änderung erleide, als es nur seiner vermögensrechtlichen Seite nach auf die Erben &etc; übergehe, im übrigen aber, nämlich was die Individualrechte des Schriftstellers angehe, erlösche, keine Geltung beanspruchen, vielmehr ist es als Willen des Gesetzes zu erachten, daß das Urheberrecht in demselben Sinne und Umfange, mit dem nämlichen Charakter eines unbedingten Verbietungsrechtes, wie es in den Händen des Schriftstellers selbst bestand, auch auf die Erben und sonstigen Rechtsnachfolger übergehe.
Die Gründe, welche aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes sowie aus dem Zwecke und Geiste desselben entnommen werden können, sprechen nicht gegen, sondern entschieden für diese aus dem klaren Wortlaute sich ergebende Auslegung.
In erster Beziehung ist hervorzuheben, daß das bayerische Gesetz vom 28. Juni 1865 in §. 50 den Übergang des Urheberrechtes auf die Rechtsnachfolger in einer einzigen Beziehung, nämlich, was die Exekution in dieses Recht betrifft, beschränkt hatte, daß aber der Entwurf des Reichsgesetzes in §. 44 auch diese Ausnahme durch eine ausdrückliche Bestimmung beseitigen wollte, und diese Bestimmung nur deshalb gestrichen wurde, weil sie selbstverständlich erschien.
Was seiner Zweck und Geist des Gesetzes anbelangt, so sind die Gründe, welche den Gesetzgeber bestimmen konnten, das Urheberrecht seinem ganzen Inhalte nach auf die Rechtsnachfolger übergehen zu lassen, sehr naheliegend.
Erben sind in der Regel die nächsten Angehörigen des Schriftstellers, bei welchen ein Fortleben auch der geistigen Interessen desselben vorauszusetzen ist. Es kann dem Ehegatten, den Kindern des Schriftstellers nicht gleichgültig sein, wenn der Verleger das Werk desselben in einer Umarbeitung, welche von ganz entgegengesetzter Tendenz ausgeht, oder welche die Verkäuflichkeit auf Kosten des inneren Wertes zu steigern sucht, neu auflegt, oder wenn ein Manuskript, welches vom Verfasser zur Veröffentlichung nicht bestimmt war, gegen ihren (der Angehörigen) Willen herausgegeben wird. Aber auch in Fällen, wo nicht die nächsten Angehörigen in Frage stehen, wenn z. B. das Urheberrecht an entferntere Verwandten gelangt, oder wenn es Dritten verkauft oder testamentarisch vermacht wird, wird die Annahme berechtigt sein, daß der Schriftsteller diesen Personen, welchen er sein Urheberrecht übertrug, oder an welche er es gelangen ließ, auch die Sorge, für Wahrung seiner schriftstellerischen Interessen habe übertragen wollen. Es entspricht vollkommen dem höheren Standpunkte, von welchem die neuere Doktrin und mit ihr das Reichsgesetz das sogenannte geistige Eigentum auffaßt, den Geisteswerken nicht lediglich, soweit sie Gewinn bringen, sondern, auch soweit mit ihnen Ehre und Ansehen verbunden ist, einen über die Lebensdauer des Schriftstellers hinausreichenden Schutz zu verleihen, den Autor in der nächsten Generation der Erben noch fortleben zu lassen, wie Bluntschli, Privatrecht §. 47, sich ausdrückt.
b.
Was die Anwendung dieser Grundsätze auf das Verhältnis zwischen dem Inhaber des Urheberrechtes und dem Verleger betrifft, so ergiebt sich folgendes:
Der Verlagsvertrag giebt seiner Natur nach und soweit nicht besondere Abreden abweichendes bestimmen, dem Verleger nur die Befugnis, das Schriftwerk in der Gestalt, wie es ihm vom Verfasser geboten ist, im Verlage zu verwerten. Jede willkürliche Änderung, welche der Verleger, sei es bei der ersten sei es bei den folgenden Auflagen am Schriftwerke vornimmt, ist ein widerrechtlicher Eingriff in das Urheberrecht, welches, soweit es nicht zur Ausnutzung dem Verleger übertragen ist, beim Verfasser beziehungsweise dessen Rechtsnachfolgern zurückbleibt.
Es kann auch keinen Zweifel erleiden, daß das Verhältnis zwischen dem Verleger und den Rechtsnachfolgern des Verfassers ganz das nämliche ist, wie dasjenige zwischen dem Verleger und dem Verfasser selbst. Es ist nicht erfindlich, warum, abgesehen von besonderen Vereinbarungen, die Vertragsrechte des Verlegers sich deshalb erweitern sollten, weil das Urheberrecht in andere Hände übergeht; daß aber die Rechte des Verlegers sich auch nicht mittelbar, durch eine bei der Rechtsnachfolge eintretende Minderung der Urheberrechte, erweitern, ist vorstehend zur Genüge dargethan.
Hieraus ergiebt sich für vorliegenden Fall, daß der Beklagte, indem er ohne Zustimmung der Kläger eine neue veränderte Auflage des fraglichen Schriftwerkes veranstaltete, das den Klägern zustehende Urheberrecht verletzt und sich eines Nachdruckes im Sinne des Reichsgesetzes schuldig gemacht hat, wenn nicht etwa die besonderen Bestimmungen des gegebenen Verlagsvertrages sein Vorgehen als berechtigt erscheinen lassen.
c.
Der vorliegende Fall hat das besondere, daß die Natur des Schriftwerkes periodische Änderungen und Nachträge nötig machte, wegen deren im Verlagsvertrage durch folgende Bestimmung Vorsorge getroffen war:
"Die Verlagshandlung zahlt für jede neue Auflage 2/3 des Honorars der ersten Auflage, wofür der Verfasser die inzwischen notwendig gewordenen Änderungen und Verbesserungen vorzunehmen sich verpflichtet."
Diese Vereinbarung bot keine Schwierigkeiten, solange der Verfasser lebte; es war zweifellos, daß dieser verpflichtet war, auf Verlangen des Verlegers die Neubearbeitung vorzunehmen, und daß er das für neue Auflagen bedungene Honorar nur beanspruchen konnte, falls er dieser Pflicht genügte.
Anderes gestaltete sich die Sachlage nach seinem Tode.
Die Verpflichtung zur Bearbeitung neuer Auflagen war ihrer Natur nach eine rein persönliche, welche mit dem Tode des Verfassers erlosch. Die Folge hiervon war, daß die den Fall der Veranstaltung neuer veränderter Auflagen betreffende Nebenabrede hinfällig wurde, in gleicher Weise, wie der ganze Verlagsvertrag hinfällig geworden sein würde, wenn etwa der Verfasser vor Vollendung seines Werkes gestorben wäre. Es ergiebt sich diese Folge ohne weiteres aus dem Umstande, daß der Verlagsvertrag eine Bestimmung, wie es nach dem Tode des Verfassers mit der Bearbeitung neuer Auflagen gehalten werden solle, nicht enthält, daß ferner nach den tatsächlichen Feststellungen des Richters eine Ermächtigung des Verlegers, in diesem Falle die Änderungen durch Dritte besorgen zu lassen, auch nicht etwa als stillschweigend vereinbart gelten kann; denn der Verleger hat die Befugnis, Änderungen am Schriftwerke vorzunehmen oder vornehmen zu lassen, nur insoweit, als sie ihm durch den Verlagsvertrag oder durch besondere Bewilligung übertragen ist.
Bei dem Mangel einer maßgebenden Vertragsbestimmung konnte daher der Beklagte das Recht, eine veränderte Auflage zu veranstalten, nur erlangen, indem er sich mit den Klägern als den Inhabern des Urheberrechtes verständigte und von ihnen das Recht, die geistige Arbeit des v. St. zu gedachtem Zwecke benützen zu dürfen, durch Gewährung eines angemessenen Honorars erkaufte. Er hatte zu erwägen, ob es für ihn vorteilhafter sei, ein ganz neues Werk ausarbeiten zu lassen, oder aber sich wegen Benützung des bestehenden Werkes mit den Erben abzufinden.
Nach diesen Erörterungen war die Revision, soweit sie den Ausspruch, daß der Beklagte unberechtigt gehandelt habe, angreift, zurückzuweisen.
3.
Begründet erscheint jedoch die Revision, soweit das bedungene Honorar als Entschädigung zuerkannt ist.
Nach dem Verlagsvertrage bildete die Bearbeitung der neuen Auflagen eine Gegenleistung, von welcher die Gewährung des bedungenen Honorars abhängig gemacht war. Da die Kläger, wenn auch ohne ihre Schuld, nicht imstande sind, die Gegenleistung zu gewähren, so folgt, daß sie auch nicht befugt sein können, das ganze Honorar zu verlangen.
Es steht ihnen nur das Recht zu, nach Maßgabe von §.18 des besagten Reichsgesetzes Entschädigung zu verlangen, in welcher Beziehung zu prüfen sein wird, wie viel, nach vernünftigem Ermessen, die Kläger veranlaßt gewesen wären, für die Gestattung der Benützung des Werkes zu fordern und der Beklagte zu geben."