RG, 01.07.1884 - II 139/84

Daten
Fall: 
Klagerecht gegen die Versicherungsgesellschaft
Fundstellen: 
RGZ 12, 317
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
01.07.1884
Aktenzeichen: 
II 139/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Mannheim
  • OLG Karlsruhe

Unter welchen Umständen steht dem verunglückten Arbeiter bezw. dessen Hinterbliebenen ein direktes Klagerecht gegen die Versicherungsgesellschaft zu, wenn der Prinzipal die Unfallversicherung abgeschlossen hat?

Aus den Gründen

"Malzfabrikant G. hatte sein Arbeitspersonal zu drei Personen bei der Beklagten in unbeschränkter Kollektivversicherung mit 7500 M versichert, und während der Versicherungszeit hat der in der Fabrik beschäftigte Malzbursche D. bei der Arbeit durch einen Unfall das Leben verloren. Dessen Eltern und eheliche Geschwister fordern nach Abzug eines Viertels wegen Beschäftigung eines vierten Arbeiters durch den Prinzipal G. (§. 6 Nr. 2 Policebedingungen) noch den Betrag von 1875 M nebst 5 % Zinsen vom Tage der Klagerhebung. Diese Thatsache und die Legitimation der Kläger an sich ist unbestritten.

Die Beklagte hat bestritten, daß dem versicherten Arbeiter oder dessen Hinterbliebenen ein Klagerecht gegen die Versicherungsgesellschaft zustehe, da solches vielmehr nur dem Prinzipale gebühre.

Soweit sich dabei die Beklagte auf die Policebedingungen beruft, mag richtig sein, daß zwischen dem Prinzipale als Versicherungsnehmer einerseits und der Versicherungsgesellschaft andererseits rechtswirksam im Versicherungsverträge bedungen werden kann, daß die Arbeiter und deren Hinterbliebene ein direktes Forderungs- und Klagerecht gegen die Versicherungsgesellschaft nicht haben sollen.1

Die für den vorliegenden Fall maßgebenden Policebedingungen enthalten aber eine derartige Vertragsbestimmung nicht, wie das Berufungsgericht im Wege der Interpretation unter eingehender Würdigung aller einzelnen Bedingungen und ihres Zusammenhanges festgestellt hat, was, da eine Interpretationsregel nicht verletzt ist, mit der Revision nicht angefochten werden kann.

Ohne eine solche beschränkende Stipulation bildet der vom Prinzipal zu Gunsten seiner Arbeiter abgeschlossene Unfallversicherungsvertrag jedenfalls insoweit, als es sich, wie hier, um Unfälle handelt, für welche das Reichshaftpflichtgesetz vom 7. Juni 1871 und die Sätze 1382 flg. des Landrechtes dem Arbeiter kein Entschädigungsrecht gewähren, einen Vertrag zu Gunsten Dritter im Sinne von Landrechtssatz 1121. Der Arbeitgeber handelt dabei im eigenen Interesse, weil er sich selbst gegen alle Unfälle, also auch gegen solche sicherstellt, für welche er aufkommen müßte, und weil er sich durch die den Arbeitern gewährte Garantie billigere, bessere und willigere Arbeiter verschafft. Zum Vorteil der Arbeitnehmer ist ein solcher Vertrag, indem er dieselben einigermaßen da vor Not schützt, wo ihnen ein gesetzliches Entschädigungsrecht nicht zur Seite steht.

Diese Stipulation zum Vorteil der Arbeitnehmer ist Teil und Folge des vom Arbeitgeber im eigenen Interesse abgeschlossenen Versicherungsvertrages; daher sind alle Voraussetzungen gegeben, daß der Arbeiter kraft Landrechtsatzes 1121 die Rechte aus der Versicherung gegen die Versicherungsgesellschaft geltend machen kann.2

Der Versicherungsnehmer, Malzfabrikant G., hat die Stipulation zum Vorteil seiner Arbeiter nicht widerrufen, weshalb die Hinterbliebenen des Malzburschen D. sich dieselbe durch Erhebung der Klage zu eigen machen konnten und gemacht haben."

  • 1. Vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 9 Nr. 91 S. 815 am Ende. Auf einer solchen Stipulation beruht das, ein direktes Klagerecht der Arbeiter bezw. ihrer Hinterbliebenen gegenüber der Unfallversicherungsgesellschaft verneinende Erkenntnis in den Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 23 Nr. 55 S. 162.
  • 2. Vgl. für das Gebiet des rheinisch-französischen Rechtes Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 9 Nr. 90 G. 314 und für das Gebiet des preuß. A.L.R.'s Bd. 1 Nr. 135 S. 378