RG, 13.06.1884 - II 102/84

Daten
Fall: 
quae temporalia sunt ad agendum, perpetua sunt ad excipiendum
Fundstellen: 
RGZ 12, 332
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
13.06.1884
Aktenzeichen: 
II 102/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Koblenz
  • OLG Köln

1. Sind Rechtshandlungen des Vormundes, welche der erforderlichen Genehmigung des Familienrates, bezw. des Gerichtes entbehren, als völlig wirkungslos anzusehen, oder finden auf dieselben die Vorschriften des Art. 1304 Code civil Anwendung?
2. Hat für die zehnjährige Verjährung des Art. 1304 Code civil der Rechtssatz: "quae temporalia sunt ad agendum, perpetua sunt ad excipiendum" Geltung?

Tatbestand

In Übereinstimmung mit den Vorinstanzen hat sich das Reichsgericht, was die erste Frage betrifft, für die Anwendung des Art. 1304 Code civil ausgesprochen, die zweite Frage aber verneint, aus folgenden Gründen:

Gründe

"Der Vormund ist der gesetzliche Repräsentant des Mündels, er vertritt ihn (Art. 450 Code civil) in allen Akten des bürgerlichen Lebens, indem er an dessen Stelle handelt, wie es das Rechtssprichwort factum tutoris factum pupilli ausdrückt. Diesen Charakter verliert der Vormund auch dann nicht, wenn er in dem gegebenen Falle, wo ein über das Gebiet der Verwaltung hinausgehender Akt, z. B. eine Veräußerung von Grundstücken, eine Darlehensaufnahme in Frage steht, ohne die gesetzlich vorgeschriebene obervormundschaftliche Genehmigung handelt. Dieser Umstand bildet einen Mangel, welcher die Klage auf Vernichtung des Aktes aus Art. 1304 Code civil begründet, hat aber nicht die Folge, daß letzterer dem Mündel gegenüber als rechtlich völlig wirkungslos und nicht bestehend zu betrachten wäre. Wenn für diese letztere Annahme geltend gemacht wird, daß unter der angegebenen Voraussetzung der Vormund anzusehen sei als ein Mandatar, der seine Vollmacht überschritten habe, dessen Handeln daher den Mandanten nicht verpflichte (Art. 1998 Code civil), so ist dabei außer Betracht gelassen, daß der Vormund, was sein Verhältnis zum Mündel betrifft, nicht in der nach Artt. 1984 flg. a. a. O. zu beurteilenden rechtlichen Stellung eines gewöhnlichen Mandatars sich befindet. Weiter wird sodann auch ein Akt der angegebenen Art dadurch, daß er für einen Minderjährigen abgeschlossen wird, nicht zu einem solennen Akte, wie eine Schenkung oder ein Ehevertrag u. s. w. Die Zustimmung des Familienrates, sowie die Genehmigung des Gerichtes sind nicht Erfordernisse, welche die formelle Rechtsbeständigkeit eines solchen Aktes bedingen, vielmehr als materielle Schutzmittel, die im Interesse der Minderjährigen vorgeschrieben sind, aufzufassen.1

Es entsteht nun aber die weitere Frage, ob dem Rechtssatze quae temporalia sunt ad agendum, perpetua sunt ad excipiendum wie von den Revisionsklägern behauptet wird, im Herrschaftsgebiete des Art. 1304 Code civil Geltung zukommt?

Dieser Rechtssatz, welcher in der 1. 5 §. 6 Dig. de doli mali et metus exc. 44, 4 seinen Ursprung hat, und nach der dort gegebenen Begründung voraussetzt, daß der Exzipient im Wege der Klage nicht vorgehen konnte, vielmehr den Angriff des Gegners zu erwarten gezwungen war, findet in den für die vorliegende Frage in Betracht kommenden Vorschriften des rheinisch-französischen Rechtes keinen Boden. Nach den Grundsätzen desselben steht demjenigen, welcher die Nichtigkeit eines Vertrages geltend zu machen berechtigt ist, regelmäßig auch das Mittel der Klage zu. War das aber der Fall, und läßt derselbe dann die gesetzliche Verjährungsfrist unbenutzt verstreichen, so ist das Anfechtungsrecht erloschen, und die Möglichkeit, dasselbe ferner noch durch eine Einrede zur Geltung zu bringen, ausgeschlossen. Für die entgegengesetzte Annahme kann man sich auch nicht mit Grund auf den Wortlaut des, Art. 1304 a. a. O. berufen. Wenn derselbe sagt, daß in allen Fällen, wo nicht eine kürzere Frist vorgeschrieben sei, l'action en nullité ou en rescission d'une convention, zehn Jahre dauere, so ist das nicht in dem Sinne zu verstehen, daß in der genannten Frist nur die Klage verjähre, über jene hinaus aber für alle Zeit eine Einrede bestehen bleibe, denn eine solche Annahme würde mit den Grundsätzen über die Wirkungen der Verjährung, welche der Code civil aufstellt und auch das Gebiet des Art. 1304 beherrschen, nicht im Einklange stehen (Artt. 2119. 1234 a. a. O.). Jene Gesetzesvorschrift ist vielmehr in dem Sinne aufzufassen, daß das Recht, die Nichtigkeit geltend zu machen, mit Ablauf der zehnjährigen Verjährungsfrist erlischt, ohne daß hierbei darauf etwas ankommt, wie dieses Recht im gegebenen Falle prozessualisch verfolgt wird, ob im Wege der Klage oder der Rekonvention oder endlich im Wege der Einrede, denn auch derjenige, welcher die Nichtigkeit mittels einer Einrede im Prozesse geltend macht, ist demandeur en nullité; reus excipiendo fit actor.2

Schon der Art. 134 der Ordonnanz vom August 1539 hatte bestimmt, daß es den mit 25 Jahren großjährig Gewordenen, wenn sie das Alter von 35 Jahren erlangt hätten, nicht mehr zustehen solle, auf Grund der Minderjährigkeit, "déduire ou poursiuvre la cassation des contrats en demandant ou eu défendant ... pour aliénation de biens faite sans décret ou autorisation de justice, ou pour lésion, déception ou circonvention"

Daß nun Art. 1304 a. a. O. in gleichem Sinne abgefaßt worden, wofür der Bericht des Tribunals entscheidend spricht ( Locré, Bd. 12 S. 492 flg.), darüber vergleiche die eingehenden Ausführungen von Laurent, Bd. 19 Nr. 58 und Marcade Bd. 4 Nr. 879 flg. Wie sich namentlich aus besagtem Berichte ergiebt, beruht die bezogene Gesetzesvorschrift auf der Annahme einer stillschweigenden Genehmigung, " un laps de temps sans réclamation doit faire présumer la ratification." In Übereinstimmung hiermit ist denn auch in Art. 1115 Code civil ausgesprochen, daß ein Vertrag wegen Zwanges nicht mehr angefochten werden kann, si... ce contract a été approuvé, soit expressement soit tacitement, soit en laissant passer le temps de la restitution fixé par la loi." Daß es aber mit diesem Grunde des Gesetzes nicht vereinbar ist, nach Ablauf der Verjährungsfrist die Geltendmachung der Nichtigkeit im Wege der Einrede zuzulassen, bedarf keiner näheren Ausführung. Hiernach wäre dem Rechtssatze, quae temporali sunt etc. in Übereinstimmung mit dem Oberlandesgerichte, soviel es das Gebiet des Art. 1304 a. a. O. betrifft, die Anerkennung grundsätzlich zu versagen.3

Der bezogene Rechtssatz würde aber auch dann im vorliegenden Falle eine Anwendung nicht finden können, wenn man sich der besonders von Demolombe, Bd. 29 Note 136; Troplong, Préscription, Bd. 2 Note 827; Larombière zu Art. 1304 Note 36 und 37; Aubry u. Rau, Bd. 8 S. 424 und 425 Note 2-6; Zachariä-Puchelt, Bd. 4 S. 582 u. 583 Note 1-3 vertretenen, und in der französischen Rechtsprechung herrschenden Auffassung anschließen wollte, nach welcher diesem Satze unter der Voraussetzung, daß der Vertrag, von dem es sich handelt, nicht vollzogen und eine Besitzveränderung nicht eingetreten ist, somit, wie angenommen wird, die praktische Veranlassung zur Anstellung der Nichtigkeitsklage im gegebenen Falle fehlte, Geltung zukommt. Hätte die Ehefrau H. zugleich als Vormünderin der Revisionskläger ein gemeinschaftliches Grundstück ohne die vorgeschriebene Autorisation verkauft, so würde kein Zweifel obwalten (und es ist in diesem Sinne wiederholt von den französischen Gerichten erkannt worden), daß den Revisionsklägern, wenn sie nach Ablauf von 10 Jahren seit erreichter Großjährigkeit die Nichtigkeit des Verkaufes gegen den besitzenden Käufer geltend machen wollten, die auf Art. 1304 a. a. O. gestützte Replik der Verjährung entgegenstände. Ebenso muß die Sache hier, wo es sich um einen Kauf handelt, beurteilt werden. Dieser Kauf ist durch Übergabe des Hauses und Besitznahme der Käufer vollzogen; die Revisionskläger sind Miteigentümer desselben, und zu ihren Anteilen aus dem Vertrage verpflichtet. Wollten sie diesen Rechtszustand nach erlangter Großjährigkeit nicht anerkennen, so lag es ihnen ob, die Aufhebung desselben dem Revisionsbeklagten gegenüber zu verfolgen. Für sie war nicht res integra, sie befanden sich infolge der Vollziehung des Vertrages in einer Rechtsstellung, aus welcher sie durch Geltendmachung der Nichtigkeit desselben innerhalb der Verjährungsfrist sich zu befreien hatten. Wie thatsächlich feststeht, ist aber letztere, ohne daß die Revisionskläger von ihrem Rechte Gebrauch gemacht hätten, verstrichen, und konnten diese daher die Rechtsverbindlichkeit des fraglichen Vertrages im gegenwärtigen Prozesse wirksam nicht mehr anfechten."

  • 1. Vgl. übereinstimmend: Laurent, Bd. 19 Nr. 20; Aubry u. Rau, Bd. 4 S. 273 f. u. Note 13; Demolombe, Bd. 29 Nr. 90; Zachariä-Puchelt, Bd. 2 S. 406 u. Note 7; Marcadé zu Art. 1311 Nr. 2; Sirey, 72. 2. 125; Rheinisches Archiv Bd. 45 S.210.
  • 2. Vgl. oben Nr. 33 S. 324. D. R.
  • 3. Vgl. außer Laurent und Marcadé, die oben angeführt sind, noch Colmet de Santerre, Bd. 5 Nr. 265; Duranton, Bd. 12 Nr. 549; Duvergier sur Toullier, Bd. 4 S. 452 Note 1 und Anschütz in Zachariä-Puchelt, Bd. 4 S. 583 Note 1.