RG, 13.12.1918 - III 265/18
Kann ein Pachtvertrag wegen persönlicher Zwistigkeiten zwischen Pächter und Verpächter oder zwischen dem Pächter von Pfarrländereien und den an diesen nutzungsberechtigten Pfarrer fristlos gekündigt werden?
Tatbestand
Die Klägerin fordert von dem Beklagten die Räumung der Pfarrländereien, die sie ihm durch Vertrag vom 20. September 1907 auf die Zeit vom 15. August 1907 bis zum 30. Juni 1922 verpachtet hat, weil er sich gegen den Pfarrer der Gemeinde wiederholt in strafbarer Weise vergangen habe.
Das Landgericht verurteilte den Beklagten zur Räumung des Pachtgutes. Das Berufungsgericht wies die Berufung des Beklagten zurück, weil der Beklagte durch sein Verhalten gegenüber dem damaligen Pfarrer der Kirchengemeinde in einer Weise gegen seine vertraglichen Pflichten verstoßen habe, die einem vertragswidrigen Gebrauche der Pachtsache gleichzustellen sei.
Die Revision des Beklagten wurde zurückgewiesen.
Gründe
"Die Revision erachtet es für unzulässig und im Widerspruch mit der durch § 157 BGB. gebotenen, Treu und Glauben entsprechenden Vertragsauslegung stehend, daß das Berufungsgericht dem Räumungsanspruch der Klägerin wegen rein persönlicher Zwistigkeiten zwischen dem Beklagten und dem Pfarrer der klagenden Gemeinde stattgegeben habe. Dem Berufungsgericht ist jedoch, wenigstens im Ergebnis, beizutreten.
In den §§ 553, 554 BGB. ist dem Vermieter ein außerordentliches Kündigungsrecht gegeben; die Bestimmung des § 553 schützt das Interesse des Vermieters an der Erhaltung der vermieteten Sache gegen deren vertragswidrigen Gebrauch durch den Mieter, die des § 554 wahrt die Rechte des Vermieters auf die ihm für die Überlassung des Gebrauches der Mietsache gebührende Gegenleistung. Den persönlichen Beziehungen zwischen dem Vermieter und dem Mieter und den daraus erwachsenden Störungen des Vertragsverhältnisses zwischen ihnen ist in diesen Sonderbestimmungen des Mietrechtes nicht Rechnung getragen; ebensowenig ist dies hinsichtlich der Pacht geschehen, auf die jene Sonderbestimmungen nach § 581 Abs. 2 Anwendung finden. Miete und Pacht führen nicht, wie Dienst- und Gesellschaftsvertrag, notwendig zu näheren persönlichen Beziehungen zwischen den Vertragsparteien; tatsächlich bringen sie indes, insbesondere die Miete, die Parteien vielfach in fortlaufende persönliche Berührung, die zu Störungen des Hausfriedens und damit auch der besonderen vertraglichen Beziehungen unter ihnen führen kann. In weitem Umfange sehen deshalb die Mietverträge eine Kündigung wegen persönlicher Zwistigkeiten zwischen den Parteien vor. Aber auch mangels solcher ausdrücklicher Vertragsbestimmungen kann das Vertragsverhältnis sowohl der Miete als der Pacht von einem feindseligen persönlichen Verhältnis zwischen den Parteien dann nicht unberührt bleiben, wenn besondere vertragliche Beziehungen ein engeres verständiges, friedliches Zusammenwirken bedingen und die Feindschaft zwischen den Parteien eine derartige Schärfe annimmt, daß sie ein solches Zusammenwirken unmöglich macht. In solchen Fällen besonderer Art ist auch für die Miete und die Pacht die Geltung des Grundsatzes anzuerkennen, daß bei Rechtsverhältnissen von längerer Dauer, die ein persönliches Zusammenarbeiten der Beteiligten und daher ein gutes Einvernehmen erfordern, beim Vorliegen eines wichtigen Grundes jederzeit die Aufkündigung erfolgen kann, eines Grundsatzes, der zwar nur für bestimmte Rechtsverhältnisse im Gesetze ausdrücklich ausgesprochen ist - vgl. §§ 626, 723 BGB., §§ 70, 77 Abs. 3, 92 Abs. 2, 133, 161 Abs. 2 HGB., §§ 124a, 133 b GewO. -, dem aber eine allgemeine Bedeutung zugesprochen werden muß, vgl. RGZ. Bd. 78 S. 389.
Ein solcher Fall besonderer Art liegt hier vor. Durch die Bestimmungen des Pachtvertrags ist die Notwendigkeit eines persönlichen, friedlichen Zusammenwirkens des beklagten Pächters mit dem Pfarrer als dem Vorsitzenden des Vorstandes der Verpächterin gegeben. Der Pfarrer hatte nicht nur in Gemeinschaft mit den anderen Mitgliedern des Kirchenvorstandes die gesetzlichen und vertraglichen Befugnisse der Verpächterin dem Beklagten gegenüber wahrzunehmen, sondern es standen ihm als Nutznießer der kirchlichen Ländereien auch besondere persönliche Rechte gegenüber dem Beklagten zu, die ihn in ein engeres persönliches Verhältnis zu diesem brachten ... (Dies wird näher dargelegt und sodann fortgefahren:)
Die Durchführung dieser vertraglichen Rechte des Pfarrers ist bei einem fortdauernden feindlichen Verhältnis, bei einer gehässigen Gesinnung des Pächters gegen diesen auf das Äußerste gefährdet. Die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses ist alsdann der Kirchengemeinde, die die vertraglichen Rechte des Nutzungsberechtigten zu wahren verpflichtet ist und bei einem derartigen Zustande selbst in ihren Vertragsrechten schwer verletzt und gefährdet wird, nach Treu und Glauben nicht zuzumuten. Daß der Beklagte gegen den Pfarrer eine derart feindselige Gesinnung wiederholt betätigt hat, ist vom Berufungsgericht auf Grund der gegen den Beklagten wegen Beleidigung und Körperverletzung gefällten strafgerichtlichen Urteile festgestellt. Der Beklagte hat den Pfarrer bei verschiedenen Gelegenheiten, bei denen ihr Verhältnis als Nutznießer und Pächter der Kirchenländereien sie zusammenführte, nicht nur in gröblicher Weise beschimpft, sondern er hat ihn auch mißhandelt und ist mit einer Heugabel auf ihn losgegangen....
Inwieweit den Pfarrer ein Verschulden an der Feindschaft zwischen ihm und dem Beklagten trifft, bedarf im gegenwärtigen Rechtsstreit, in dem es sich nur um die Berechtigung zur Vertragsauflösung, nicht um Schadensersatzansprüche handelt, keiner Feststellung. Die fristlose Kündigung aus wichtigem Grunde setzt nicht notwendig ein Verschulden desjenigen, dem gekündigt wird, voraus. Daß hier die Unerträglichkeit des Fortbestehens des Vertragsverhältnisses zum wesentlichen Teile von dem Beklagten verschuldet ist, ergibt sich übrigens aus den nicht angefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts." ...