RG, 13.12.1918 - VII 173/18
Zur Auslegung der Befreiungsvorschrift des § 11 Nr. 4g des Reichserbschaftssteuergesetzes vom 3. Juni 1906 (RGBl. S. 654).
Tatbestand
Die Klägerin und ihr Ehemann, der Geheime Justizrat Dr. F. in Berlin, haben ihren am 4. Oktober 1916 gefallenen Sohn Friedrich F. beerbt. Der Wert des Nachlasses ist auf 56554,65 M ermittelt worden. Dazu gehörten Buchschulden des deutschen Reichs und des preußischen Staates im Nennwerte von 69500 M und ein Meininger Hypothekenpfandbrief im Nennwert von 500 M. Der Erbanfall an den Ehemann der Klägerin wurde zunächst ganz steuerfrei gelassen, später ist von ihm ein Steuerbetrag von 19 M erfordert worden. Die Klägerin hat 4 v.H. von 56554,56/2 = 1131 M Erbschaftssteuer bezahlen müssen. Sie hat mit Zustimmung ihres Ehemannes Klage auf Rückzahlung erhoben. Die Klage wurde abgewiesen, die Berufung zurückgewiesen. Auch die Revision blieb ohne Erfolg.
Gründe
"Die Klägerin nimmt die Freiheit von der Erbschaftssteuer nach § 11 Nr. 4g des Reichserbschaftssteuergesetzes in Anspruch. Danach bleibt von der Steuer ein Erwerb befreit, der anfällt leiblichen Eltern, Großeltern und entfernteren Voreltern, soweit der Erwerb in Sachen besteht, die sie ihren Abkömmlingen durch Schenkung oder Übergabevertrag zugewandt hatten. Das Vorbringen der Klägerin, daß die den Nachlaß bildenden Gegenstände im Wege der Schenkung an den Erblasser gelangt seien, ist vom Beklagten bisher nicht in Zweifel gezogen worden. Gestritten wurde nur darüber, ob der Ehemann der Klägerin allein oder ob er gemeinsam mit der Klägerin geschenkt habe. Von der hiernach unstreitigen Tatsache, daß eine Schenkung vorliegt, sind auch die Instanzgerichte ausgegangen. Wenn jetzt der Beklagte in der Revisionsbeantwortung darzulegen sucht, daß es sich bei dem überwiegenden Betrage der Schuldbuchsorderungen nicht um ein Geschenk sondern um die Hingabe einer Ausstattung im Sinne des § 1624 BGB. gehandelt habe, so kann er damit gegenüber dem vom Berufungsrichter tatsächlich festgestellten Sachverhalte nicht gehört werden.
Die unter den Parteien streitige Frage hat das Kammergericht dahin entschieden, daß nur der Ehemann der Klägerin als Schenker anzusehen ist. Rechtliche Bedenken sind dagegen nicht zu erheben. Die Klägerin lebte und lebt mit ihrem Ehemann in dem Güterstande der Verwaltungsgemeinschaft, zunächst nach dem märkischen Provinzialrecht, seit dem 1. Januar 1900 nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche, vgl. Art. 46 preuß. AG. z. BGB. Ihr eingebrachtes Gut überließ sie, wie sie vorträgt, nach der Heirat dem Ehemann zu Eigentum. Dadurch erwarb sie eine Forderung auf Rückgabe des Wertes des Eingebrachten, das gesamte vorhandene Vermögen aber wurde Vermögen des Mannes. Wenn die Klägerin davon spricht, daß sie mit ihrem Ehemann in tatsächlicher Gemeinschaft des Vermögens gelebt habe und noch lebe, so kann das rechtlich nur bedeuten, daß ihr Ehemann ihr Verfügungen über sein Vermögen gestattet hat und noch gestattet. Auf diese Weise mag es auch gekommen sein, daß die Klägerin gemeinsam mit ihrem Ehemann über Teile seines Vermögens verfügt und ihrem Sohne Friedrich unentgeltliche Zuwendungen gemacht hat, durch die dieser bereichert wurde. Es lag alsdann eine Schenkung vor, aber eine Schenkung nur des Ehemannes, nicht auch der Klägerin. Zum Begriff der Schenkung gehört nach § 516 BGB., daß der Schenker den Beschenkten aus seinem eigenen Vermögen bereichert; an diesem Erfordernis fehlt es in dem unterstellten Falle jedenfalls bei der Klägerin. Sie. hat nicht behauptet, daß zunächst sie für ihre Person von ihrem Manne das Miteigentum an den dem Sohne Friedrich zu schenkenden Gegenständen - sei es entgeltlich sei es unentgeltlich - übertragen erhalten habe. Für den Fall übrigens, daß der Meininger Hypothekenpfandbrief, was nach dem Vortrage der Klägerin möglich ist, schon unter der Herrschaft des Allgemeinen Landrechts geschenkt sein sollte, sei hervorgehoben, daß auch schon nach Allgemeinem Landrechte die Vermögensminderung auf seiten des Schenkers und zugunsten des Beschenkten zum Wesen der Schenkung gehörte (vgl. Förster-Eccius, Preuß. Privatrecht Bd. 2 § 122 II; Striethorst Arch. Bd. 42 S. 121).
Da die Klägerin aus dem Vermögen ihres Mannes nicht "schenken" konnte, so brauchte über diese Frage nicht verhandelt zu werden. Damit erledigt sich die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge ohne weiteres. Ebenso kann unerörtert bleiben, wie die Erbschaftssteuer zu berechnen wäre, wenn beide Eheleute als Schenker in Frage kämen.
Die Klägerin vertritt nun aber weiter die Ansicht, daß jeder einem Elternteil anfallende Erwerb von der Erbschaftssteuer befreit ist. wenn er in Sachen besteht, die ein Elternteil - gleichviel welcher - dem Abkömmling geschenkt hat. Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes, auf die sich die Revision beruft, ergibt nichts Wesentliches für diese Auffassung. Die Frage, wie es zu halten sei, wenn nur ein Elternteil schenke und beide erben, wurde weder in den Beratungen der Kommission noch in denen der Vollversammlung berührt. Der Abg. v. Savigny hat hier davon gesprochen, daß Elterngut und Kindesgut ein einheitliches Familiengut bildeten und deshalb der Anfall von Kindesgut an die Eltern eigentlich nicht besteuert werden dürfe. Er hilft sich aber über dies Bedenken mit dem Hinweis auf die Vorschrift des § 11 Nr. 4g REStG. hinweg, weil danach steuerfrei bleibe, was von den Eltern den Kindern zugewandt sei. Seine Ansicht trifft zu für alles, was Eltern ihren Kindern aus gemeinschaftlichen Vermögensmassen zuwenden; sie trifft nicht in vollem Umfange zu für das, was einzelne Elternteile den Kindern aus Sondervermögen zuwenden. Der Abg. v. Savigny hat sich über die Tragweite der Befreiungsvorschrift geirrt, weil er die Verschiedenheit des ehelichen Güterrechts nicht in Ansatz gebracht hat. In dem gleichen Irrtum sind vielleicht noch andere Abgeordnete und vielleicht auch Regierungsvertreter befangen gewesen; daraus folgt aber nicht, daß das Gesetz in einer Weise auszulegen ist, für die sein Wortlaut keinerlei Anhalt bietet. Die Entscheidungen sind nach dem Gesetze zu treffen, nicht nach den Ansichten und Absichten der an der Gesetzgebung beteiligten Personen. Was hiervon nicht erkennbar in das Gesetz übergegangen ist, muß außer Betracht bleiben. Gegen den Satz, daß die Verschiedenheit des ehelichen Güterrechts auch zu einer verschiedenen Bemessung der Erbschaftssteuer führen kann, wendet sich auch die Revision. Sie übersieht dabei aber, daß die verschiedenen Güterrechte verschieden wirken sollen, und daß es deshalb nichts Auffallendes hat, wenn die Verschiedenartigkeit ihrer Wirkungen sich auch auf dem Gebiete der Erbschaftssteuer bemerkbar macht.
Die Ansicht der Klägerin würde dazu führen, etwas wie eine Elternschaft anzunehmen, ein Rechtsgebilde, in dem die beiden Elternteile zu einer höheren Einheit zusammengefaßt werden. Die Elternschaft würde es sein, die da schenkt und die da erbt. Dem Bürgerlichen Gesetzbuch ist dieser Begriff fremd. In dem schon erwähnten § 1624 z. B., der bestimmt, inwieweit eine Ausstattung als Schenkung zu gelten hat, wird immer nur von den Zuwendungen des Vaters oder der Mutter und den Vermögensverhältnissen des Vaters oder der Mutter gesprochen. Im § 1925, der die Eltern des Erblassers zu gesetzlichen Erben der zweiten Ordnung beruft, bedeutet der Ausdruck Eltern nicht so viel wie Elternschaft; es werden darunter nur die beiden Elternteile als einzelne Personen verstanden. Das ergibt Abs. 2. nach welchem die Eltern zu gleichen Teilen erben sollen; das ergibt Abs. 3, der den Fall behandelt, wenn der Vater oder die Mutter zur Zeit des Erbfalls nicht mehr lebt. Es ist von vornherein nicht anzunehmen, daß das Erbschaftssteuergesetz, das erst erlassen ist, als das Bürgerliche Gesetzbuch schon in Kraft getreten war, sich auf einen anderen Standpunkt gestellt hat. Das ist auch tatsächlich nicht der Fall, § 28 Abs. 1 REStG. bestimmt: "Die Erbschaftssteuer wird nach dem ganzen Erwerbe jedes einzelnen Beteiligten besonders unter Berücksichtigung seines Verhältnisses zum Erblasser berechnet". Eine Ausnahme zugunsten der Eltern ist nicht gemacht. Es kommt also jeder Elternteil für sich in Betracht; das Schenkerverhältnis ist bei jedem von ihnen erforderlich, um seinen Erwerb von der Steuer zu befreien. Verhältnis im Sinne des § 28 ist nicht bloß das Verwandtschaftsverhältnis, sondern z. B. auch das Dienst- oder Arbeitsverhältnis des § 11 Nr. 4h und ebenso das Schenkerverhältnis des § 11 Nr. 4g. Gegen die Ansicht der Klägerin spricht auch, daß in der streitigen Befreiungsvorschrift die Großeltern und die entfernteren Voreltern den Eltern unterschiedslos gleichgestellt sind. Was diesen recht ist, müßte jenem billig sein. Es müßte also z. B. das, was einer der beiden Großväter oder einer der vier Urgroßväter dem Enkel oder Urenkel zugewandt hat, auch dann von der Steuer befreit sein, wenn es dem anderen Großvater oder einem der anderen Urgroßväter anfällt. Diesen Rechtssatz wird die Klägerin selbst nicht aufstellen wollen.
Die Revision hat weiter auszuführen gesucht, daß der § 11 Nr. 4 g bei dem vom Kammergericht vertretenen Standpunkt eigentlich unanwendbar sei, wenn beide Eltern erbten, und sie hat dem Kammergericht insoweit den Vorwurf der mangelnden Folgerichtigkeit gemacht; es habe sich über die Bestimmung des bürgerlichen Rechts hinweggesetzt, nach der dem einzelnen Miterben nicht ein Anteil an dem einzelnen Nachlaßgegenstand, vielmehr nur ein Recht an der Hälfte des Inbegriffs zustehe. Zuzugeben ist, daß die Ausführungen des Kammergerichts insoweit an einer gewissen Unklarheit leiden. Die Gemeinschaft der Miterben, also auch die der beiden ihren Sohn beerbenden Elternteile, ist nach §§ 2032 flg. BGB. eine Gemeinschaft zur gesamten Hand. Miterben haben aber nicht bloß, wie das Kammergericht anzunehmen scheint, Anteile zur gesamten Hand an dem Nachlaß als solchem, sondern auch an den einzelnen zum Nachlaß gehörigen Gegenständen. Die Vorschrift des § 2033 Abs. 2 BGB. läßt darüber keinen Zweifel und auch die vom Kammergericht für das Gegenteil angezogene Entscheidung RGZ. Bd. 90 S. 232 (235) erkennt das ausdrücklich an; sie lehnt es mit Rücksicht auf § 2033 Abs. 2 nur ab, daß der Anteil an den einzelnen Nachlaßgegenständen verpfändet werden kann. Die Rechtsnatur eines Anteils zur gesamten Hand ist streitig. Einem Bruchteilsrecht steht er nicht gleich. Am treffendsten wird sein Wesen RGZ. Bd. 65 S. 235 umschrieben, wenn es dort heißt: grundsätzlich ist jeder Gemeinschafter auf das Ganze berichtigt, er ist nur durch die Rechte seiner Mitteilhaber eingeschränkt. Von diesem Standpunkt aus kann § 11 Nr. 4g REStG. ohne Schwierigkeiten angewendet werden, wie folgendes Beispiel ergibt. Ein Sohn werde von seinen in Verwaltungsgemeinschaft lebenden Eltern beerbt, sein Nachlaß bestehe in Sachen im Werte von 10000 M, davon habe ihm sein Vater Sachen im Werte von 6000 M geschenkt. Wird die Erbschaftssteuer für den Vater berechnet, so scheiden die von ihm dem Sohn geschenkten und ihm jetzt ganz, aber beschränkt durch das Recht der Mutter, angefallenen Sachen im Werte von 6000 M aus dem Nachlaß aus, er beträgt für den Vater nur 4000 M, sein gesamthänderischer Anteil daran ist nach § 1925 Abs. 2 BGB. mit 1/2 zu bewerten, der Vater hat also 2000 M mit 4 v. H. = 80 M zu versteuern. Wird die Steuer für die Mutter berechnet, so scheiden keine Geschenke aus, der Nachlaß beträgt für sie 10000 M, ihr gesamthänderischer Anteil darauf ist auf 5000 M zu bewerten, sie hat also an Steuer 4 v. H. von 5000 M = 200 M zu entrichten. Das Kammergericht kommt zu dem gleichen Ergebnis, aber auf einem anderen Wege. Dieser kann grundsätzlich nicht gebilligt werden, da er die Gemeinschaft zur gesamten Hand und die Gemeinschaft von Bruchteilen nicht klar voneinander sondert.
Das Wesen der Erbengemeinschaft und das Bestehen gesamthänderischer Anteile der Miterben auch an den einzelnen Nachlaßgegenständen ist übrigens auch in den Gesetzentwürfen betr. Abänderung des Erbschaftssteuergesetzes verkannt, die in den Jahren 1908 und 1909 dem Reichstag vorgelegt, von diesem aber nicht angenommen wurden, vgl. U. Hoffmann, REStG., 2. Aufl., S. 83 flg.
Die Klägerin hat endlich noch ausgeführt: wenn das, was ihr jetzt aus dem Vermögen ihres Ehemannes auf dem Umwege über den Sohn zugeflossen sei, ihr unmittelbar von ihrem Ehemann angefallen wäre, so würde sie keine Erbschaftssteuer zu bezahlen brauchen. Das ist richtig, unrichtig ist aber die daraus gezogene Folgerung, daß der Umweg über den Sohn an der einmal gegebenen Steuerfreiheit nichts zu ändern vermöge. Hier liegt ein offenbarer Trugschluß vor. Die Erbschaftssteuer ist zu berechnen nach dem Erbfall, der tatsächlich eingetreten ist, nicht nach einem, der möglicherweise eingetreten sein könnte.
Auf die letzten unter den Parteien noch streitigen Fragen, ob nämlich unter die Befreiungsvorschrift des § 11 Nr. 4g REStG. nur Sachen im Sinne des § 90 BGB., d. h. nur körperliche Gegenstände fallen, und ob Buchschulden von Reich und Staat körperliche Sachen sind oder wenigstens als solche zu gelten haben, braucht hiernach nicht mehr eingegangen zu werden. Auch wenn diese Frage zugunsten der Klägerin zu beantworten wären - vgl. aber zu der ersten Frage RGZ. Bd. 89 S. 298 flg. - müßte es bei dem von ihr bemängelten Ansatz der Erbschaftssteuer bleiben. Sie hat eben nicht geschenkt oder auch nur mitgeschenkt, für sie ist die Erbschaftssteuer zu berechnen, wie für die Mutter in dem obigen Beispiel. Das ist geschehen, und dabei muß es sein Bewenden behalten."