RG, 12.12.1918 - VI 251/18

Daten
Fall: 
Datum ohne Unterschrift als Urkunde
Fundstellen: 
RGZ 95, 70
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.12.1918
Aktenzeichen: 
VI 251/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Köln
  • OLG Köln

1. Kann ein Datum ohne Unterschrift eine Urkunde im Sinne des § 592 ZPO. darstellen?
2. Darf das Gericht aus dem Aussehen und der Anordnung einer Urkunde selbständige Schlüsse unabhängig von dem Vorbringen der Parteien ziehen?
3. Genügt es, insoweit die Revision darauf gestützt wird, daß unter Verletzung des Gesetzes Tatsachen übergangen seien, wenn die schriftliche Revisionsbegründung zur Bezeichnung der Tatsachen auf längere Schriftsätze verweist, mit denen sie vorgetragen seien?

Tatbestand

Laut Schuldscheins vom 15. Mai 1907 haben der damals noch Minderjährige Beklagte und seine Mutter bekannt, von der Klägerin ein Darlehen von 12000 M erhalten zu haben und solidarisch mit ihrem Vermögen für den Betrag zu haften. Der Beklagte erklärte noch besonders, daß er aus einer ihm etwa zufallenden Erbschaft zunächst für die Tilgung der Summe eintreten werde. Nach erreichter Volljährigkeit hat er unter seine Unterschrift das Datum "Köln 26. November 1907" gesetzt. Nachdem der in dem Schein erwähnte Erbfall eingetreten war, hat die Klägerin im Urkundenprozeß Klage gegen den Beklagten auf Zahlung von 12000 M erhoben.

Beide Vordergerichte haben ihr stattgegeben. Die Revision des Beklagten blieb ohne Erfolg.

Gründe

"Die Revision beharrt darauf zu bestreiten, daß der Beklagte das unwirksame Rechtsgeschäft genehmigt habe. Das Berufungsgericht stellt jedoch tatsächlich fest, daß der Zusatz des neuen Datums am 26. November 1907 keine andere Bedeutung als die einer Genehmigung haben könne. Der Beklagte habe das neue Datum in Verbindung mit der Unterschrift gebracht und als Laie nicht die Übung der Rechtskundigen befolgt, die Unterschrift den Schluß des Schriftstücks bilden zu lassen. Durch Vorlegung des Schuldscheins habe die Klägerin den Beweis für ihre Klagebehauptungen voll erbracht. Den Gegenbeweis habe der Beklagte nicht einmal versucht. Wenn er erkläre, er habe vorgehabt, außer dem neuen Datum auch noch seine Unterschrift auf den Schein zu setzen, nach der Niederschrift aber Bedenken bekommen und seinen Namen nicht noch einmal geschrieben, sondern den Schein unvollzogen zurückgegeben, so seien diese Behauptungen durch die Urkunde selbst widerlegt. Denn wie der Augenschein ergebe, sei es am 26. November 1907 wegen des engen Raumes unter seiner Unterschrift vom 15. Mai 1907 von vornherein ausgeschlossen gewesen, daß er, wenn er das neue Datum dorthin setzte, noch seinen Namen hätte darunter schreiben können. Darüber habe er bereits, als er mit dem Schreiben des neuen Datums begann, nicht im Zweifel sein können. Aus der Stellung, die der Beklagte dem neuen Datum gegeben, sei daher mit Sicherheit zu folgern, daß er nicht die Absicht hatte, mehr als das Datum zu schreiben, offenbar, weil er die Wiederholung seiner Unterschrift für überflüssig gehalten habe.

Die Revision wendet ein, die Urkunde enthalte kein Wort von einer Genehmigung; mit Unrecht bürde daher das Berufungsgericht dem Beklagten den Gegenbeweis auf. Die Genehmigung könne zwar stillschweigend geschehen, sei aber eine vollbewußte, in sich abgeschlossene Rechtshandlung, kein Bruchstück einer solchen. Über die Frage, ob auf dem Papier genügend Raum war, sei überhaupt nicht verhandelt worden. Das Berufungsgericht verstoße mit seiner bezüglichen Ausführung gegen den Verhandlungsgrundsatz.

Die Rügen sind nicht begründet.

Die Genehmigung im Sinne des § 108 Abs. 3 BGB. bedarf keiner Form. Sie setzt natürlich voraus, daß der Genehmigende die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts kennt und sie heilen will. Hierüber hat sich das Berufungsgericht nicht ausgelassen, brauchte es auch nicht. Denn der Beklagte hat nicht bestritten, daß er von der Unwirksamkeit des Darlehnsgeschäfts vom 13. Mai 1907 Kenntnis gehabt hat; aus seiner Verteidigung ergibt sich vielmehr, daß er die Absicht hatte, die Unwirksamkeit durch Wiederholung seiner Unterschrift zu beseitigen und das Geschäft zu genehmigen. Er will nur nach dem Zusatz des neuen Datums diese Absicht wieder aufgegeben und das Schriftstück seiner Mutter mit den Worten zurückgegeben haben, er genehmige es nicht. Das Berufungsgericht glaubt ihm jedoch nicht, sondern ist überzeugt, daß er lediglich durch Beifügung des neuen Datums den Darlehnsvertrag genehmigen wollte und genehmigt habe.

Das neue Datum bildet auch ohne Unterschrift eine Urkunde im Sinne des § 592 ZPO., erfüllt daher an sich das Erfordernis des urkundlichen Beweises nach Maßgabe dieser Vorschrift (RGZ. Bd. 2 S. 416). Ob das Gericht aus dem Zusatz des Datums folgern wollte, daß der Beklagte das Rechtsgeschäft genehmigt habe, was wiederum des Beweises durch Urkunde bedarf, unterstand seiner der Nachprüfung verschlossenen freien Beweiswürdigung, die auch den Urkundenprozeß in den Grenzen der §§ 592, 595, 598 ZPO. beherrscht (RGZ. Bd. 2 S. 417, Bd. 8 S. 45, Bd. 49 S. 374; Jur. Wochenschr. 1894 S. 364).

Richtig ist, daß die Klägerin nicht geltend gemacht hat, daß unter dem neuen Datum kein Raum mehr für eine Unterschrift gewesen sei, und daß hierüber nicht verhandelt worden ist. Zu dem Hinweis hatte sie von dem Standpunkt, daß der Beklagte schon mittels des neuen Datums unter der früheren Unterschrift die Genehmigung erteilt habe, auch keine Veranlassung. Deswegen war aber das Gericht nicht gehindert, aus dem Aussehen und der Anordnung der Urkunde, die Gegenstand der Verhandlung war, ebenso wie aus einer Zeugenaussage oder einem sonstigen Beweismittel selbständige Schlüsse unabhängig von der Beurteilung der Parteien zu ziehen. Dies entspricht der richterlichen Freiheit in der Beweiswürdigung und verletzt nicht den Verhandlungsgrundsatz. In ähnlichen Sinne hat der Senat des öfteren erkannt (vgl. RGZ. Bd. 80 S. 363 und die Urteile VI 174/1913, 471/1914, 170/1915) ...

Der Beklagte hat der Klage den weiteren Einwand entgegengesetzt, daß die Klägerin im Verein mit seiner Mutter seine jugendliche Unerfahrenheit durch Erschleichung der Unterschrift und der Genehmigung ausgebeutet habe. Das Berufungsgericht vermißt einen erheblichen Beweis hierfür. Die Revision verweist auf die in den Schriftsätzen vom 27. Dezember 1917 und 31. Mai 1918 vorgetragenen Tatsachen, die bei Ausübung des Fragerechts zu Beweis gestellt worden wären.

Die Bemängelung ist unzulässig und kann keine Beachtung finden. Der Schriftsatz vom 27. Dezember 1917 umfaßt allein sieben Seiten. Nach der Muß-Vorschrift des § 554 ZPO., die zur Entlastung des Reichsgerichts dienen soll, sind in der schriftlichen Revisionsbegründung die angeblich übergangenen Tatsachen zu bezeichnen. Die Bezugnahme auf lange Schriftsätze, die gerade verhütet werden soll, genügt nicht. Jene Tatsachen können daher nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts in der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden."