RG, 28.11.1918 - VI 290/18
1. Kann in Fällen, in denen mit der Übernahme und Ausführung eines im öffentlichen Interesse unentgeltlich übernommenen Auftrags offensichtlich und nach der Natur der Sache eine für beide Teile erkennbare Gefahr für das Leben und die Gesundheit des Beauftragten verbunden ist, nach dem Parteiwillen angenommen werden, daß der Auftraggeber für die aus der Ausführung des Auftrags dem Beauftragten erwachsenden Schäden aufzukommen hat?
2. Steht eine derartige Annahme mit der Vorschrift des § 670 BGB. in Einklang?
Tatbestand
Am 11. Mai 1915 erhielt der als Wasenmeister tätige Kläger von dem Polizeiwachtmeister der Beklagten den Auftrag, einen in der Stadt Passau sich herumtreibenden, tollwutverdächtigen Hund einzufangen. Beim Versuch, den Hund zu ergreifen, ist der Kläger von diesem gebissen worden, so daß er eine erhebliche dauernde Verletzung der rechten Hand davongetragen hat. Seine Klage auf Ersatz des ihm dadurch erwachsenen Schadens wies das Landgericht ab. Das Oberlandesgericht hat jedoch den Klaganspruch zur Hälfte dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und im übrigen die Berufung zurückgewiesen.
Die Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg.
Gründe
... "Das Berufungsgericht nimmt an, der Kläger sei im vorliegenden Falle veranlaßt worden, im öffentlichen Interesse seine Gesundheit in Gefahr zu bringen, woraus mit Rechtsnotwendigkeit die Schadenshaftung der Beklagten folge, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt habe. Dieses hat dargelegt, daß das Einfangen von tollwutverdächtigen Hunden auch bei Anwendung von Fanggeräten immer mit einer Gefahr für Leben und Gesundheit des Hundefängers verbunden sei, weil selbst bei aller Vorsicht die unberechenbaren Anfälle des kranken Tieres und sonstige Zwischenfälle nicht ausgeschlossen werden könnten. Es entspreche daher der Billigkeit, daß der Auftraggeber für die Schäden aufkomme, die derjenige bei Ausführung des Auftrags erleide, der sich ohne gesetzlichen und behördlichen Zwang, also freiwillig und im öffentlichen Interesse solchen nicht bloß zufälligen Gefahren aussetze.
Diese Ausführungen sind rechtlich bedenkenfrei und auch an und für sich geeignet, den Klaganspruch zu rechtfertigen, so daß die Rüge einer Verletzung des § 670 BGB. unbegründet erscheint. Denn aus dem von den Vorinstanzen festgestellten Sachverhalte konnte ohne Rechtsirrtum die Schlußfolgerung gezogen werden, daß nach dem Parteiwillen die beklagte Stadtgemeinde für denjenigen Schaden aufkommen wollte und sollte, der dem Kläger durch die Ausführung des von ihm unentgeltlich übernommenen Auftrags insofern erwuchs, als dieser Schaden durch die mit der Ausführung des Auftrags naturgemäß verbundene Gefahr entstanden war und nicht ganz oder zum Teil durch ein Verschulden des beauftragten Klägers herbeigeführt worden ist. Indem das Landgericht diese Annahme als "der Billigkeit entsprechend" bezeichnet und das Oberlandesgericht erklärt, es folge daraus, daß der Kläger im öffentlichen Interesse veranlaßt worden sei, seine Gesundheit in Gefahr zu bringen, "mit Rechtsnotwendigkeit" die Haftung der Beklagten für den dem Kläger durch die Ausführung des Auftrags entstandenen Schaden, haben die Vorinstanzen zum Ausdruck gebracht, daß in Fällen wie dem vorliegenden, wo mit der Übernahme und Ausführung eines im öffentlichen Interesse unentgeltlich übernommenen Auftrags offensichtlich und nach der Natur der Sache eine für beide Teile erkennbare Gefahr für das Leben und die Gesundheit des Beauftragten verbunden ist, nach dem Parteiwillen angenommen werden kann, daß der Auftraggeber für die aus der Ausführung eines derartigen Auftrags dem Beauftragten erwachsenden Schäden vertragsmäßig aufzukommen hat.
Diese Annahme, die der Vorschrift des § 157 BGB. durchaus entspricht, steht auch nicht etwa, wie die Revision meint, mit der Vorschrift des § 670 BGB. in Widerspruch, wird vielmehr umgekehrt durch deren Zweck und Inhalt unterstützt. § 670 bestimmt nämlich: "Macht der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrags Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, so ist der Auftraggeber zum Ersatz verpflichtet." In dem ersten Entwurfe des Bürgerlichen Gesetzbuchs lautet diese Vorschrift in dem entsprechenden Abs. 1 des § 592: "Hat der Beauftragte Aufwendungen gemacht, so ist der Auftraggeber verpflichtet, dieselben zu ersetzen, soweit sie zur Ausführung des Auftrags erforderlich geworden sind." Hierzu bemerken die Motive (Bd. 2 S. 541), soweit es hier interessiert: "In Ansehung der Frage, inwiefern der Auftraggeber den Schaden zu tragen habe, welchen der Beauftragte bei Ausführung des Auftrags durch Zufall erleidet, kann wegen Verschiedenheit der in Betracht kommenden Fälle eine Entscheidung durch das Gesetz nicht gegeben werden." Hier hat es der Gesetzgeber also abgelehnt, die Frage, inwieweit derartige Schäden als "Aufwendungen" anzusehen sind, die zwecks Ausführung des Auftrags gemacht werden mußten, durch bestimmte Vorschriften zu regeln, vielmehr es der Rechtsprechung und Rechtslehre überlassen, die Frage von Fall zu Fall zu entscheiden. Die §§ 80 und 81 ALR. I. 13, auf die in Anm. 2 zu jenem Satze hingewiesen wird, lauten folgendermaßen:
"§ 80.
Unglücksfälle, welche den Bevollmächtigten bei Ausrichtung des Geschäfts treffen, ist der Machtgeber nur insofern zu vergüten schuldig, als er dazu auch nur durch geringes Versehen Anlaß gegeben hat.§ 81.
Doch muß der bloß zufällige Schaden auch alsdann vergütet werden, wenn der Bevollmächtigte die bestimmte Vorschrift des Machtgebers, ohne sich der Gefahr einer solchen Beschädigung auszusetzen, nicht hat befolgen können."
Auch bei der Beratung des Entwurfs durch die Kommission für die 2. Lesung des Entwurfs (Prot. Bd. 2 S. 567 flg.) lehnte man eine ausdrückliche Gesetzesvorschrift im Sinne der vorstehend mitgeteilten Paragraphen des Allg. Landrechts ab. Für die Ablehnung des in dieser Hinsicht gestellten Antrags wurde u. a. geltend gemacht: "Einer besonderen gesetzlichen Bestimmung bedürfe es nach dieser Richtung aber auch deshalb nicht, weil die allgemeinen Grundsätze über den Ersatz von Aufwendungen in vielen Fällen zu dem Ziele führen würden, welches der abgelehnte Antrag verfolge. Denn ... wer einen Auftrag übernehme, stelle gewissermaßen seine ganze Persönlichkeit zum Zweck der Erfüllung des Auftrags in den Dienst des Auftraggebers; erleide er hierbei an seiner Gesundheit Schaden, so opfere er ein Rechtsgut auf und für dieses Opfer könne er, soweit dies möglich sei ebensogut Ersatz fordern wie für gewisse Vermögensaufwendungen. Man könne auch nicht sagen, es handle sich in einem solchen Falle nicht um Aufwendungen, weil die Einbuße, die der Beauftragte erleide, von ihm nicht vorsätzlich herbeigeführt worden sei; die Handlung, mit der die Gefahr verbunden sei, habe der Beauftragte vorsätzlich vorgenommen, und es sei für seinen Regreßanspruch der Umstand gleichgültig, daß er die Gefahr nicht gekannt habe."
Aus dieser Entstehungsgeschichte des Gesetzes geht so viel hervor, daß der Gesetzgeber es absichtlich abgelehnt hat, grundsätzlich zu bestimmen, daß bei einem jeden mit Gefahr für Leben oder Gesundheit verbundenen Auftrage der Auftraggeber dem Beauftragten denjenigen Schaden zu ersetzen hat, der ihm an seiner Gesundheit oder an seinem Leben bei Ausführung des Auftrags entstanden ist, daß es vielmehr ausdrücklich der Rechtsprechung überlassen ist, je nach Lage des Falles eine derartige Haftung des Auftraggebers festzusetzen. Auch das Urteil des erkennenden Senats vom 5. April 1909. VI. 195/08 (Jur. Wochenschr. 1909 S. 311 Nr. 7) ist davon ausgegangen, daß der § 670 BGB. einen derartigen allgemeinen Rechtsgrundsatz nicht enthält. Hierbei hat es aber ausdrücklich den Vorbehalt gemacht, es könne eine solche Haftung je nach der besonderen Gestaltung des einzelnen Falles Platz greifen. Ein solcher besonderer Fall liegt nach den Feststellungen der Vorinstanzen hier vor. Es kann deshalb auch, wie das Reichsgericht bereits in einem dem vorliegenden völlig entsprechenden Falle in dem Urteile vom 31. März 1914. III. 116/13 (Jur. Wochenschr. 1914 S. 676 Nr. 4) angenommen hat, von einer Verletzung des § 670 BGB. nicht die Rede sein, wenn in einem solchen Falle der Auftraggeber für den durch die Ausführung des Auftrags dem Beauftragten erwachsenen Schaden für haftbar erklärt wird.
Daß im vorliegenden Falle das Berufungsgericht den Schaden nicht lediglich auf die mit der Ausführung des Auftrags unmittelbar verbundenen Gefahren, sondern zum Teil auch auf die fahrlässige Handlungsweise des Klägers zurückgeführt und darum auf Grund des § 254 BGB. die Beklagte nur zur Hälfte für den dem Kläger entstandenen Schaden haftbar gemacht hat, erscheint gleichfalls rechtsbedenkenfrei und gereicht der Beklagten keinesfalls zur Beschwerde."