RG, 28.11.1918 - IV B 4/18
Kann durch Parteivereinbarung die Ernennung von Schiedsgutachtern dem Amtsgericht übertragen werden?
Gründe
"Durch Vertrag vom 2. Juli 1914 verkaufte der Antragsgegner S. ein Grundstück zum Preise von 140000 M gegen eine Baranzahlung von 12000 M an den Antragsteller G. In einem Rechtsstreit, in dem S. die Zahlung weiterer 13000 M verlangte, kam es am 29. März 1916 zu einem Vergleich, wodurch der Kaufvertrag rückgängig gemacht wurde und S. sich verpflichtete, dem G. von der erhaltenen Anzahlung von 12000 M den Betrag von 4000 M zurückzuzahlen. Weiter wurde vereinbart, daß der Kreistaxator N. endgültig bestimmen solle, welchen Nutzen der Beklagte aus dem Grundstücke gezogen habe, und so feststellen solle, ob der Betrag von 4000 M zum Ausgleich ausreiche oder ob der Kläger zu diesem Ausgleiche noch einen weiteren Betrag, und gegebenenfalls welchen, zu zahlen habe. Für den Fall, daß N. und andere namentlich bezeichnete Sachverständige diese Feststellungen nicht würden treffen wollen oder können, sollte die Bestimmung der in Frage kommenden Persönlichkeit durch das Amtsgericht in Lyck erfolgen.
N. hat ein Gutachten erstattet. Der Antragsteller ist aber der Ansicht, daß dieses den Anforderungen nicht genüge. Er hat mit der Angabe, daß auch die anderen ernannten Sachverständigen abgelehnt hätten, bei dem Amtsgericht in Lyck beantragt, einen Sachverständigen als Schiedsrichter zu bestellen. Das Amtsgericht bestimmte den Rentner Pf. "als Schiedsgutachter". Gegen diesen Beschluß hat S. Beschwerde eingelegt, indem er einmal geltend machte, N. habe ein dem Vergleich entsprechendes Gutachten erstattet, ferner die Persönlichkeit des ernannten Gutachters für ungeeignet erklärte. Das Landgericht hat die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Zulässigkeit der Schiedsgutachterbestellung überhaupt richtete, zurückgewiesen, im übrigen aber den angefochtenen Beschluß aufgehoben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über die Bestellung eines Schiedsgutachters an das Amtsgericht zurückverwiesen. S. hat weitere Beschwerde eingelegt und gebeten, den Antrag des G. abzuweisen.
Das Kammergericht hält die gerichtliche Ernennung eines Schiedsgutachters auf Grund des Vergleichs für rechtlich unzulässig und will deshalb der Beschwerde abhelfen. Es sieht sich aber daran gehindert durch einen Beschluß des Oberlandesgerichts in Jena vom 3. Dezember 1908, in dem die Zulässigkeit einer solchen Ernennung vertreten wird (Bl. 5 Rechtspflege in Thüringen Bd. 56 S. 18 flg.). Es hat deshalb die weitere Beschwerde durch Beschluß vom 18. Oktober 1918 gemäß § 28 Nr. 2 FGG. dem Reichsgerichte zur Entscheidung vorgelegt.
1.
Der Konfliktsfall ist gegeben. Die vom Kammergerichte gebilligte Annahme des Landgerichts, daß der Vergleich nicht die Vereinbarung eines Schiedsvertrags, sondern eines Schiedsgutachtervertrags enthalte, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Beizutreten ist weiter dem Landgericht und dem Kammergerichte darin, daß, wenn die Bestimmung des Schiedsgutachters durch Parteivereinbarung rechtswirksam dem Amtsgericht übertragen werden kann, die alsdann dem Gericht obliegende Tätigkeit in das Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit fällt. Die Voraussetzungen des § 28 FGG. liegen also vor. Denn wie das Kammergericht zutreffend sagt, beruht die Entscheidung des Oberlandesgerichts Jena auf Reichsrecht, das sachsen-altenburgische Recht ist nur unterstützend herangezogen. ...
2.
In der Sache selbst ist für den vorliegenden Fall der Auffassung des Kammergerichts beizutreten. Das Oberlandesgericht Jena erkennt an, daß es eine ausdrückliche Vorschrift, auf die es seine Ansicht stützen könnte, nicht gibt. Es meint aber, ein grundsätzliches Bedenken gegen die Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Parteivereinbarung, welche die Ernennung von Schiedsgutachtern der für eine unparteiliche Auswahl geeignetsten Stelle, dem Gericht, übertrage, könne nicht bestehen. Zwar werde man nicht jeder beliebigen Vereinbarung von Privaten, daß das Gericht gewisse Personen (etwa auch den Kassierer eines Kegelklubs u. dgl.) zu bestimmen habe, eine die Tätigkeitspflicht des Gerichts bindende Wirkung beimessen können. Man müsse vielmehr gewisse Schranken setzen, wie etwa die, daß das Gericht nach pflichtmäßigem Ermessen ein Bedürfnis und die Angemessenheit der gerichtlichen Ernennung anerkenne (wie § 2200 BGB.). Aber ein solches Bedürfnis des Rechtslebens zur unparteiischen Auswahl und Ernennung von Schiedsgutachtern könne kaum verneint werden.
Dieser Auffassung ist das Kammergericht mit Recht entgegengetreten, indem es ausführt, der Geschäftskreis, die fachliche Zuständigkeit der Gerichte, sei auf die ihnen durch die Vorschriften der Gesetze übertragenen Angelegenheiten beschränkt und könne durch eine Vereinbarung Dritter nicht erweitert werden. Das war, wie das Oberlandesgericht Jena selbst anerkennt, der Standpunkt des preußischen Rechtes (ROHG. Bd. 2 S. 272, Bd. 10 S. 5, Bd.17 S. 251). Derjenige des Reichsrechts ist aber kein anderer. Das ist zwar in den Gesetzen nicht allgemein und ausdrücklich ausgesprochen, ergibt sich aber daraus, daß das Gesetz die Fälle, in denen ein Gericht zur Berufung von Personen, die im Interesse von anderen in rechtserheblicher Weise tätig werden sollen, einzeln aufgeführt und für sie die Voraussetzungen des gerichtlichen Einschreitens genau bestimmt hat. ... Entsprechend hat auch das Reichsgericht in dem vom Oberlandesgerichte Jena erwähnten Beschlusse vom 17. Oktober 1902 (RGZ. Bd. 53 S. 3) angenommen, daß durch Vertrag die Wahl eines Schiedsrichters dem jeweiligen Vorsitzenden einer Zivilkammer als solchem rechtswirksam nicht übertragen werden könne. Die Vereinbarung müsse vielmehr, um rechtswirksam sein zu können, dahin aufgefaßt werden, daß unter dem Vorsitzenden weder eine Behörde, noch ein Beamter in seiner amtlichen Funktion gemeint, sondern eine durch ihr Amt nur bezeichnete physische Person als Privatperson gedacht sei. ... Was aber von diesem Zweige der Gerichtsbarkeit gilt, muß auch von dem anderen, der freiwilligen Gerichtsbarkeit gelten. Es ist daher nicht angängig, wenn das Oberlandesgericht Jena aus den von ihm angeführten positivrechtlichen Bestimmungen und überhaupt aus der allgemeinen Aufgabe der freiwilligen Gerichtsbarkeit, den Privaten bei der Gestaltung ihrer Privatrechtsverhältnisse förderlich zu sein, also im Wege der sog. Rechtsanalogie, die Zulässigkeit einer Vereinbarung herleiten will, durch welche die Berufung von Schiedsgutachtern dem Amtsgericht übertragen wird. Es handelt sich um Erwägungen de lege ferenda, wenn das Oberlandesgericht meint, das Bedürfnis des Rechtslebens nach einer solchen Mitwirkung des Gerichts könne nicht verneint werden. Der Gesetzgeber selbst hat im Einzelfalle geprüft, inwieweit das Verkehrsinteresse ein Eingreifen des Richters der freiwilligen Gerichtsbarkeit fordert, und dies nur so weit vorgeschrieben, als er ein solches Interesse für vorliegend erachtete. Dies zeigen z. B. die Erwägungen, die zur Einfügung des im I. Entwürfe nicht enthaltenen § 2200 BGB. geführt haben. Gegen die Anträge auf Einfügung wurde der Zweifel geäußert, ob für die gerichtliche Ernennung von Testamentsvollstreckern ein Bedürfnis bestehe und ob nicht damit die Gerichte in übertriebener Weise mit der Fürsorge für Privatinteressen belastet werden würden. Es handle sich nicht, wie bei Bestellung von Vormündern und Pflegern, um die Wahrnehmung der Interessen schutzwürdiger Personen. Auch sei die Mühewaltung, welche den Behörden erwachse, eine größere, weil keine Verpflichtung zur Übernahme der Testamentsvollstreckung bestehe, und mit der Mühe werde nicht selten eine gewisse Verantwortlichkeit verbunden sein. Das Ergebnis war, daß der § 2200 gegenüber weitergehenden Anträgen seine jetzige beschränktere Fassung erhielt (Protokolle Bd. 5 S. 250). Ein ferneres Beispiel bieten die Verhandlungen, die zur jetzigen Formulierung des § 29 BGB. geführt haben (Motive zu § 44 Abs. 6 Satz 2 Entw. I Bd. 1 S. 100, Prot. der II. Komm. Bd. 1 S. 516 flg.). Es ist also nicht zulässig, daß der Richter wegen des vermeintlich weitergehenden Verkehrsbedürfnisses seine Zuständigkeit für eine gerichtliche Tätigkeit in Fällen annimmt, für die das Gesetz sie nicht vorsieht.
Nicht zu bezweifeln ist, daß, wie das Oberlandesgericht Jena darlegt, nicht bloß Privatpersonen, sondern auch Behörden zur Ernennung von Schiedsgutachtern ermächtigt werden können. Voraussetzung ist aber, daß diese Funktion in ihren Geschäftsbereich fällt. Anerkannt ist dies vom Reichsgerichte für Handelskammern (RGZ. Bd. 26 S. 371, Bd. 53 S. 387). Daraus kann aber für die Zulässigkeit einer solchen Ermächtigung an die Gerichte nichts hergeleitet werden.
3.
Es kann sich daher nur fragen, ob sich die Ansicht des Oberlandesgerichts Jena im Wege der sog. Gesetzesanalogie (vgl. RGZ. Bd. 65 S. 137) oder einer ausdehnenden Auslegung anderer Zuständigkeitsvorschriften rechtfertigen läßt. Aber auch diese Frage wird vom Kammergerichte für unseren Fall mit Recht verneint. Auszuscheiden sind die Vorschriften der §§ 64, 184 VersVG. und des § 884 Nr. 4 HGB. in Verb. mit § 145 Nr. 1 FGG., in denen für besondere, vom Gesetz genau umschriebene Fälle auf Anrufen von Privatpersonen Sachverständige vom Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit ernannt werden können. Die Vorschriften sprechen wiederum gegen die Auffassung, des Oberlandesgerichts Jena. Denn wenn der Gesetzgeber jenes Verfahren allgemein hätte zulassen wollen, wäre es ein Leichtes gewesen, dies im Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit zum Ausdruck zu bringen.
Auch § 164 Abs. 1 FGG. leidet keine ausdehnende Auslegung. Er enthält lediglich eine Bestimmung über die Zuständigkeit und das Verfahren für diejenigen Fälle, in denen jemand nach gesetzlicher Vorschrift den Zustand oder den Wert einer Sache durch Sachverständige feststellen lassen kann. Es läßt sich daraus also nichts dafür entnehmen, daß das Gesetz das Gericht auch infolge von Parteivereinbarung mit der Ernennung von Sachverständigen befassen will (vgl. Johow Bd. 43 S. 104). Ob auch der Umstand, daß nach § 164 der Sachverständige nur zur Feststellung des Zustandes oder Wertes einer Sache berufen ist, einer entsprechenden Anwendung entgegenstehen würde, wie das Kammergericht meint, kann hier dahingestellt bleiben.
Zweifelhaft kann es dagegen sein, ob nicht für das Gebiet des preußischen Rechtes der Art. 34 Nr. 2 preuß. Ges. über die freiwillige Gerichtsbarkeit, der wörtlich mit dem vom Oberlandesgerichte Jena angezogenen § 5 Nr. 2 des altenburg. AG. zum FGG. vom 4. Mai 1899 übereinstimmt, der Ansicht des Oberlandesgerichts Jena zur Stütze dienen kann. Die Vorschrift dient der Ergänzung des § 15 FGG. Sie läßt die Beeidigung eines Sachverständigen auch außerhalb eines bei dem Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit anhängigen Verfahrens zu (Stegemann, Materialien S. 484; Johow Bd. 42 S. 8). über die Frage, ob der Richter den zu beeidigenden Sachverständigen auch selbst ernennen kann, sagt das Gesetz nichts. Auch die Gesetzesmaterialien geben darüber keinen Aufschluß. Aber da dies nach §15 FGG. nicht bloß zulässig, sondern gesetzlich geboten ist (§ 404 ZPO.), so ist jene Frage zu bejahen. Richtig bemerkt Rausnitz (Anm. 9 zu § 164 FGG.), daß der Sachverständige sowohl von sämtlichen Beteiligten vorgeschlagen, als auch seine Auswahl dem Gericht überlassen werden kann. Dann aber ließe sich mit dem Oberlandesgerichte Jena sagen, wenn der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Antrag der Parteien einen Sachverständigen ernennen und beeidigen kann, so ist nicht abzusehen, weshalb sich seine Tätigkeit nicht auf die bloße Ernennung sollte beschränken dürfen. Die Frage kann aber hier dahingestellt bleiben. Denn wenn man den Art. 34 Nr. 2 analog anwenden will, so muß dies auch, wie das Kammergericht mit Recht annimmt, seinem ganzem Umfange nach geschehen. Er setzt aber voraus, daß alle bei der Angelegenheit beteiligten Personen darauf antragen. Diese Voraussetzung trifft hier nicht zu. Der Antragsgegner S. hat vielmehr dem Antrag ausdrücklich widersprochen, und weil ihm stattgegeben war, Beschwerde und weitere Beschwerde eingelegt. Jenem Erfordernis eines Antrags aller Beteiligten muß, wie auch die Gesetzesmaterialien ergeben, wesentliche Bedeutung beigemessen werden. Gegenüber einem in der Kommission des Abgeordnetenhauses gestellten Antrage, die Einschränkung in Wegfall zu bringen, da auch § 15 des Gesetzes sie nicht enthalte, wurde regierungsseitig ausgeführt, daß sich § 15 nur auf die Vereidigung eines Sachverständigen innerhalb eines anhängigen Verfahrens beziehe und daß anderseits die Vereidigung eines Sachverständigen präjudiziell sein könne für die bei der Angelegenheit Beteiligten (Stegemann S. 551). Allerdings richteten sich diese Bedenken gegen die Zulässigkeit der Beeidigung eines Sachverständigen ohne Einwilligung der Beteiligten. Solche Bedenken können sich aber auch gegen die Ernennung eines Sachverständigen ergeben. Das zeigt der vorliegende Fall. Der Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit soll hier zunächst entscheiden, ob die vertraglichen Voraussetzungen für die gerichtliche Berufung eines Sachverständigen vorliegen, und dann einen solchen auswählen. Eine Entscheidung über streitige Fragen liegt nun allerdings nicht außerhalb des Bereichs der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. z. B. §§ 1379 Abs. 1. 2358 flg., 2380 BGB.). Aber doch nur dann nicht, wenn sie durch besondere Vorschrift dem Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit übertragen ist. Sonst gehört sie zum Bereich der streitigen Gerichtsbarkeit. Ließe man im vorliegenden Falle die Entscheidung zu, so würde sich sogleich die Frage erheben, ob die Ernennung des Schiedsgutachters, wie es diejenige des Schiedsrichters im Falle der §§ 1031, 1045 ZPO. ist (Urt. des Reichsgerichts vom 3. Januar 1913 VII. 400/13). eine endgültige sei oder ob sie im ordentlichen Prozeß angefochten werden könne. Mangels einer besonderen Vorschrift ist letzteres anzunehmen. Dann aber würde die Zulassung der Entscheidung des Richters der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht den Bedürfnissen des Verkehrs entsprechen, im Gegenteil leicht zu einer Verwirrung der Rechtslage führen können. Dann nämlich, wenn der Prozeßrichter zu dem Ergebnis käme, daß die vertraglichen Voraussetzungen der Ernennung nicht gegeben gewesen seien. In diesem Falle würde die ganze mühsame und kostspielige Tätigkeit des Gutachters sich als überflüssig herausstellen.
Aus diesen Gründen ist auch die Anwendung des Art. 34 Nr. 2 auf unseren Fall abzulehnen. Hervorzuheben ist übrigens, daß sich der vom Oberlandesgerichte Jena entschiedene Fall von dem vorliegenden insofern unterscheidet, als dort beide Teile über die Ernennung des sog. Obmanns durch das Gericht einig waren und nur Streit über die Frage herrschte, ob das Landgericht oder das Amtsgericht zuständig sei."