RG, 26.11.1918 - III 246/18
Sind bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer fristlosen Kündigung nach § 626 BGB., § 92 HGB. auch die vermögensrechtlichen Folgen der Auflösung des Vertragsverhältnisses zu berücksichtigen?
Tatbestand
Der Kläger war seit dem November 1911 als Agent zur Beschaffung von Reklameaufträgen für die Beklagte tätig; der Vertrag lief bis zum 15. April 1917. Am 3. Mai 1916 kündigte er fristlos wegen einer ihm an diesem Tage von dem damaligen Geschäftsführer der Beklagen, dem Nebenintervenienten K. widerfahrenen ehrverletzenden Behandlung. Er fordert den Ersatz des ihm durch die Lösung des Vertragsverhältnisses entstandenen Schadens. Das Landgericht erklärte unter Abweisung der Klage im übrigen, den Schadensersatzanspruch zum Teil, das Berufungsgericht erklärte ihn im vollen Umfange dem Grunde nach für gerechtfertigt. Auf die Revision der Beklagten wurde die Klage abgewiesen.
Gründe
"Ob eine Tatsache als ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung eines Agenturverhältnisses nach § 92 HGB. oder eines sonstigen Dienstverhältnisses nach § 626 BGB. angesehen werden kann, ist nach ihrer Bedeutung an und für sich und im Verhältnis zu den vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien in ihrer Gesamtheit zu entscheiden. Dabei können auch die vermögensrechtlichen Folgen der fristlosen Kündigung nicht außer Betracht bleiben. Nach § 628 BGB. wird schadenersatzpflichtig, wer durch vertragswidriges Verhalten die Kündigung des anderen Teiles veranlaßt. Die Schadensersatzpflicht erscheint hiernach, sofern ein vertragswidriges Verhalten des anderen Teiles die Kündigung veranlaßt hat, als die selbstverständliche Folge der Kündigung, und es wird daher im allgemeinen der Erwägung dieser Folge bei der Prüfung der Berechtigung zur Kündigung nicht bedürfen. Anders aber ist die Sachlage zu beurteilen, wenn mit der Lösung des Vertragsverhältnisses Schadensersatzansprüche von ganz ungewöhnlicher Höhe geltend gemacht werden, wie dies hier der Fall ist. Selbstverständlich kann dem Dienstverpflichteten, welcher Art auch das Dienstverhältnis sei, nicht zugemutet werden, sich grobe Ehrenkränkungen oder ein sonstiges verletzendes Verhalten gefallen zu lassen, weil seine Kündigung empfindliche Nachteile für den Vertragsgegner zur Folge haben würde, und ebensowenig kann die Höhe seiner Schadensersatzforderung einen Grund bilden, ihm diese Forderung zu versagen. Wohl aber ist zu fordern, daß zwischen der Ursache der Kündigung und ihren vermögensrechtlichen Folgen noch ein gewisses Maß des Verhältnisses besteht. Es ist mit Treu und Glauben, welche bei der Beurteilung der Berechtigung zur fristlosen Kündigung entscheiden müssen, nicht vereinbar, daß ein verhältnismäßig geringfügiger Vorfall, ein in Erregung gesprochenes oder sonst entschuldbares scharfes Wort, das vielleicht bei losen Vertragsbeziehungen und beim Fehlen schwerwiegender Folgen hinreichen könnte, die Kündigung zu rechtfertigen, zum Anlaß oder wohl gar zum Vorwande genommen wird, ein Vertragsverhältnis, dessen Bruch die schwerste Schädigung des anderen zur Folge haben muß, zu lösen und einen ungewöhnlichen Gewinn ohne jede Gegenleistung zu fordern.
Die hier gegebene Sachlage gebot zwingend, die Berechtigung der Kündigung des Klägers auch von diesem Gesichtspunkt aus zu prüfen. Denn der Kläger fordert für einen Zeitraum von noch nicht einem Jahre einen Schadensersatz, und zwar den Ersatz entgangenen Gewinnes, von 150000 M, einen Betrag, der selbst für diejenigen Erwerbskreise, in denen hohe Gewinne mit geringer Mühe erzielt zu werden pflegen, als ein außergewöhnlich hoher erachtet werden muß. Das Berufungsgericht hat diese Prüfung nicht vorgenommen, sein Urteil ist deshalb aufzuheben.
Bei der nunmehr dem Revisionsgerichte nach § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO. zustehenden freien rechtlichen Würdigung des festgestellten Sachverhältnisses ist ein ausreichender Grund für die Kündigung des Klägers nicht als vorliegend anzuerkennen. Der Geschäftsführer der Beklagten, K., hat den Kläger am 3. Mai 1916 allerdings in unziemlicher Weise behandelt; er hat ihn angeschrieen, "ich schmeiße Sie raus" und ihn an den Arm gefaßt. Aber es handelte sich um einen Ausfluß starker Erregung, nicht um eine vorbedachte Ehrenkränkung. K. befand sich von vornherein in einem Zustande der Ungeduld und Erregung. Diese Erregung wurde dadurch gesteigert, daß ihm der Kläger im Laufe der Unterredung den Vorwurf unrichtiger Buchführung machte. Mochte dieser Vorwurf auch nicht in dem Sinne gemeint sein, daß der Kläger den K. einer absichtlich unrichtigen Führung der Bücher bezichtigen wollte, und mochte der Vorwurf der lediglich objektiv unrichtigen Buchführung berechtigt sein, so war der Vorwurf doch durchaus geeignet, als ein solcher der absichtlich falschen Buchführung und also als ehrenkränkend verstanden zu werden und die Erregung des K. zu steigern. Auch die Äußerung des Klägers "ich bin doch nicht Ihr Hausknecht" war nach den Umständen wohl geeignet, den K. noch mehr zu reizen. Steht es nun auch außer Zweifel, daß K. sich in schuldhafter und strafbarer Weise einer wörtlichen und tätlichen Beleidigung des Klägers schuldig gemacht hat, so hat er doch unmittelbar nach dem Vorfall alles getan, was er tun konnte, um sein Unrecht wieder gut zu machen. Er hat sofort den Kläger brieflich um Entschuldigung gebeten, ihm mitgeteilt, daß er durch eine ihn bedrückende, sehr unangenehme Sache in einen außerordentlich erregten Zustand versetzt gewesen sei, und daß er sich in dieser Verfassung dem Kläger gegenüber "zu einem häßlichen Benehmen" habe hinreißen lassen, das er "aufrichtig bedauere". Er hat ferner den Zeugen Th. veranlaßt, zum Kläger zu gehen und zu versuchen, die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Nach der Art des Vorganges und den dem K. zur Seite stehenden Milderungsgründen seines Verhaltens war diese förmliche Abbitte wohl geeignet, auch einen Mann von empfindlichem Ehrgefühle zufrieden zu stellen. Genügte sie dem Kläger nicht, weil noch andere Personen von dem Vorfalle Kenntnis erlangt hatten, so hätte er das Verlangen äußern können, daß auch nach dieser Richtung hin seiner Ehre und seinem Ansehen Genugtuung geleistet werde.
Hierzu kommt, daß K. nicht derjenige war, mit dem er im Vertragsverhältnis stand, sondern nur der gesetzliche Vertreter seines Vertragsgegners. Haftet die beklagte Gesellschaft auch für das Verschulden ihres Vertreters, so ist es doch für die Frage der Kündigungsberechtigung des Klägers nicht gleichgültig, daß er eben nur von einem Vertreter der Beklagten eine Unbill erlitten hatte, die schweren Folgen seiner Kündigung aber die Beklagte treffen mußten. Dies war um so bedeutungsvoller, als Th. ihm am Tage nach dem Vorfalle mitteilte, daß bei der Beklagten in wenigen Tagen einschneidende Änderungen bevorstünden, nach denen er mit K. überhaupt nichts mehr zu tun haben würde. Trat dieses Ereignis ein, das der Kläger billig hätte abwarten sollen, ehe er kündigte, so verlor damit das Verhalten des K. hinsichtlich seiner Wertung als Kündigungsgrund vollends an Bedeutung.
Nach alledem erscheint die Kündigung des Klägers als ein Ausfluß übermäßiger Empfindlichkeit und Unversöhnlichkeit, der nach Treu und Glauben da, wo so außergewöhnliche wirtschaftliche Interessen in Frage kommen wie hier, und wo aus der erlittenen Kränkung der Anlaß zu einer außer allem Verhältnis stehenden Schadensersatzforderung hergeleitet wird, eine Schranke gezogen werden muß."...