RG, 26.11.1920 - II 227/20
1. Unter welchen Voraussetzungen ist die Löschungsklage des § 9 Abs. 1 Nr. 3 WZG. begründet?
2. Kann die Löschungsklage des § 9 Abs. 1 Nr. 1 WZG. auf Umstände gestützt werden, die erst nach der Eintragung des angegriffenen Zeichens eingetreten sind?
Tatbestand
Für die Klägerin sind die Warenzeichen Nr. 1601 (Anmeldung vom 5. Oktober 1894 / 9. Februar 1878) und Nr. 96913 (Anmeldung vom 12. Juni 1906) in die Zeichenrolle des Patentamts eingetragen. Als Geschäftsbetrieb ist angegeben bei Nr. 1601 Fabrikation von Sprit und Likören, bei Nr. 96913 Fabrikation von Likören und Essenzen. Das Warenverzeichnis umfaßt bei Nr. 1601 "Liköre. Getreidetümmel und sonstige Spirituosen", bei Nr. 96913 "Liköre und andere Spirituosen, Likör- und Spirituosenessenzen, Likörextrakte, Bitter, Fruchtextrakte, Fruchtessenzen. Fruchtäther, ätherische Öle, Sprit, Brennspiritus, Essig, Essigessenzen. Fruchtwein, Frucht- und Kräuteraromas, natürliche und künstliche Frucht- und Punschessenzen".
Für die Beklagte sind eingetragen die Zeichen Nr. 117342 (Anmeldung vom 22. Dezember 1908, Geschäftsbetrieb: Fabrik und Vertrieb von Mineralwasser, Limonaden, Fruchtsäften. Spirituosen. Fruchtgetränken und Bier) für alkoholfreies Bier und Caramel Malzbier, ferner Nr. 217964 (Anmeldung vom 1. Mai 1917, Geschäftsbetrieb wie bei Nr. 117342) für "ein Caramelgetränk". Bei Nr. 117342 hatte sich die Anmeldung auch auf Limonaden erstreckt. Die gemäß § 5 WZG. benachrichtigte Klägerin erhob insoweit Widerspruch, worauf das Patentamt für Limonaden die Eintragung versagte.
Alle vier erwähnten Zeichen weisen einen (das Stadtwappen von Berlin bildenden) Bären auf, der eine seiner Vordertatzen auf eine Flasche legt. Bei den Zeichen der Klägerin ist der Bär rechts die Flasche links angebracht, bei denjenigen der Beklagten ist die Anordnung umgekehrt. Das in blau und weiß gehaltene Zeichen der Beklagten Nr. 217964 zeigt daß Bild auf einem von Text umgebenen Mittelschilde, dabei befinden sich oben die Worte "Sanus alkoholfrei".
Mit der im Mai 1913 erhobenen, auf § 9 Abs. 1 Nr. 1 und 3 WZG.. §§ 1, 4 UWG., §§ 823, 826 BGB. gestützten Klage verlangte die Klägerin die Löschung der beiden Zeichen der Beklagten. Das Landgericht wies die Klage ab. Es nahm zwar an, daß eine die Verwechselungsgefahr begründende Ähnlichkeit der Zeichen vorhanden sei, verneinte aber die Gleichartigkeit der beiderseits geschützten Waren. Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen. Auch ihre Revision blieb erfolglos.
Gründe
Das Berufungsurteil ist von der Revision wegen Verletzung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 und 3 WZG. und wegen Verstoßes gegen § 286 ZPO. angegriffen.
Im Gegensatze zum ersten Richter hat das Kammergericht zu der Frage der Verwechselungsgefahr (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 1 in Verb. mit § 20 WZG.) keine Stellung genommen. Die Entscheidung beruht, soweit es sich darum handelt, ob die Tatbestandsmerkmale der Nr. 1 a. a. O. vorliegen, auf der Verneinung der Gleichartigkeit der beiderseitigen Waren. Das Landgericht hat in dieser Hinsicht u. a. erwogen, eine Gleichartigkeit sei nicht vorhanden, weil die Beschaffenheit und Zusammensetzung grundverschieden seien, auch die Herstellung der Regel nach nicht in denselben Betrieben erfolge, ferner der Vertrieb nicht in denselben Verkaufsstellen stattzufinden pflege, auch der Verwendungszweck und die Abnehmerkreise verschieden seien. Das Berufungsgericht erklärt zunächst, daß den die Frage der Gleichartigkeit betreffenden Ausführungen des Landgerichts im wesentlichen beizutreten sei und bemerkt dann noch selbst: Es könne dahingestellt bleiben, ob zeichenrechtliche Gleichartigkeit alkoholhaltiger und alkoholfreier (alkoholarmer) Getränke schlechtweg zu verneinen sei. Jedenfalls sei die Gleichartigkeit zwischen den der Klägerin geschützten (alkoholhaltigen) Flüssigkeiten einerseits und alkoholfreiem Bier und Caramel-Malzbier (Zeichen der Beklagten Nr. 117432) sowie dem unter Nr. 217964 der Beklagten geschützten (alkoholfreien) Caramelgetränk, das nach seiner äußeren Beschaffenheit den Eindruck eines Bieres mache und einem solchen gleichzustellen sei, anderseits nicht gegeben. Auch wenn Bier vielfach an denselben Verkaufsstätten vertrieben werde wie die der Klägerin geschützten Getränke, sei es doch für das jeweilige Bedürfnis und die Anschauung der Abnehmer ein völlig anders geartetes Getränk. Auch als "Ersatz" für die der Klägerin geschützten Getränke oder einen Teil derselben könne es nicht angesehen werden; es sei eben begrifflich und nach der Auffassung der Verbraucher etwas anderes. Die von der Klägerin behauptete Gleichstellung von alkoholhaltigem und alkoholfreiem Biere komme hier nicht in Betracht, denn Bier sei der Klägerin überhaupt nicht geschützt. Weiter ist das Berufungsgericht der Ansicht, weil die für die Beklagte eingetragenen Waren nach ihrer charakteristischen Beschaffenheit den Getränken der Klägerin völlig ungleichartig seien, auch wenn sie in derselben Verkaufsstelle feilgeboten würden, und weil die Gleichheit der Erzeugungsstelle noch weniger in Betracht komme, sei es unerheblich, ob, wie die Klägerin behaupte, alkoholhaltige und alkoholfreie Getränke vielfach - insbesondere zufolge der kriegerischen Ereignisse mehr als früher - in denselben Betrieben, hergestellt und vertrieben würden, und ob für andere Firmen Warenzeichen zugleich für die beiden Arten von Getränken eingetragen seien.
Sodann ist mit Bezug auf die - ebenfalls für unanwendbar erachtete - Nr. 3 des § 9 Abs. 1 von dem Berufungsgericht ausgeführt: Daß die Abnehmer der Beklagten durch die angegriffenen Zeichen auf den Gedanken gebracht würden, die Waren stammten aus einer Fabrik der Klägerin, sei nicht zu besorgen. Das Zeichen Nr. 217964 (Caramelgetränk) schließe dies schon durch die in die Augen fallende Bezeichnung der Beklagten als der alleinigen Fabrikantin aus. Im übrigen sei die Klägerin, wie beim Gericht offenkundig, im großen Publikum in erster Linie als Herstellerin von Spirituosen bekannt, so daß bei Bieren und bierähnlichen Getränken trotz einer gewissen Ähnlichkeit des Zeichenbildes der Gedanke an die Klägerin nicht leicht auftauchen werde. Insbesondere gelte dies auch für die Zeit der Anmeldung des Zeichens Nr. 117342. Die Klägerin habe damals selbst eine solche Besorgnis nicht gehabt, denn sie habe den bei der Anmeldung dieses Zeichens erhobenen Widerspruch mit Vorbedacht auf die zu dem Zeichen schließlich eingetragenen Waren nicht erstreckt. Sei nun dieses Zeichen einmal wirksam eingetragen, so könne es nicht deshalb der Löschung unterliegen, weil die Klägerin später ihren Betrieb anders gestaltet habe. Entscheidend für die Wirksamkeit eines Warenzeichens im Verhältnis zu älteren Zeichen sei die Zeit der Eintragung des erstgenannten Zeichens: das Recht seines Inhabers könne durch spätere geschäftliche Maßnahmen des Inhabers des älteren Zeichens nicht beeinträchtigt werden.
Die Revision macht gegen diese Beurteilung geltend, das Berufungsgericht habe die wirtschaftlichen Verhältnisse zur Zeit seiner Prüfung mit Unrecht als unerheblich angesehen. Treffe die in den Vorinstanzen aufgestellte Behauptung der Klägerin zu, daß unter dem Einflusse der Kriegswirtschaft und des Mangels an Rohstoffen für die Alkoholerzeugung zahlreiche Brauereien und Brennereien dazu übergegangen seien, alkoholarme und alkoholfreie Getränke zu erzeugen, so sei dargetan, daß im großen Publikum der Glaube entstehen könne und entstehen werde, neben den zahlreichen anderen alkoholarme und alkoholfreie Getränke erzeugenden Firmen sei nun auch die Klägerin dazu übergegangen, solche Erzeugnisse, darunter auch Bier, herzustellen. Der Durchschnittskäufer werde, wenn er die von der Beklagten vertriebenen Getränke mit einem dem allbekannten Zeichen der Klägerin verwechselungsfähigen Zeichen sehe, annehmen müssen, es handle sich um Erzeugnisse der Klägerin. Daß die Klägerin zur Zeit der Anmeldung des Zeichens Nr. 117342 die jetzt geltend gemachten Besorgnisse unter ganz anderen Verhältnissen nicht gehabt habe, stehe dem nicht entgegen, daß die Besorgnisse gerechtfertigt seien.
Der Angriff kann keinen Erfolg haben, soweit die Klage auf Nr. 3 des § 9 Abs. 1 gestützt ist. Nach dieser Vorschrift kann die Löschung eines Warenzeichens dann beantragt werden, wenn Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, daß der Inhalt des Zeichens den tatsächlichen Verhältnissen nicht entspricht und die Gefahr einer Täuschung begründet. Dazu genügt es, wie das Reichsgericht schon mehrfach ausgesprochen hat, nicht, daß das Zeichen wegen der Verwechselbarkeit mit einem fremden Warenzeichen auf die Herkunft aus einem anderen Betriebe hinweist; erforderlich ist vielmehr, daß es inhaltlich unwahr ist, daß der mit ihm versehenen Ware der Anschein einer Beschaffenheit oder einer sonstigen nicht bloß die Herkunft aus dem anderen Betriebe betreffenden Eigentümlichkeit gegeben wird, die die Ware nicht hat (vgl. RGZ. Bd. 40 S. 91, Bd. 44 S. 13, Bd. 54 S. 126, Bd. 55 S. 34, Bd. 85 S. 200). Daß die angegriffenen Zeichen trügerisch in diesem Sinne seien, hat aber die Klägerin gar nicht behauptet. Ihr Vorbringen geht nur dahin, daß die Gefahr einer Täuschung über die Herkunftsstelle bestehe, und die Beanstandung der Revision bewegt sich ebenfalls nur nach dieser Richtung. Auch das Berufungsgericht hat nur unter diesem nicht zutreffenden Gesichtspunkte den auf Nr. 3 a. a. O. gestützten Anspruch bei Klägerin behandelt. Da nach dem Dargelegten der in Rede stehende Anspruch der Klägerin ohne weiteres hinfällig ist und die Ausführungen des Berufungsgerichts neben der Sache liegen, kann es auf diese nicht ankommen. Übrigens wäre, wenn trügerische Zeichen im Sinne des Gesetzes zur Beurteilung ständen, die Ansicht, daß die Zeit der Eintragung der Zeichen entscheidend sei, nicht zu billigen. Der erkennende Senat hat schon in dem erwähnten Urteile RGZ. Bd. 54 S. 126 ausgesprochen, daß bei der Beantwortung dieser Frage die Verhältnisse zur Zeit der Klagerhebung als maßgebend zu betrachten sind.
Was sodann den Anspruch aus Nr. 1 des § 9 Abs. 1 betrifft, so hat die Klägerin allerdings behauptet, daß unter der Einwirkung des Krieges zahlreiche Brauereien und Brennereien dazu übergegangen seien, alkoholfreie und alkoholarme Getränke zu erzeugen. Das Berufungsgericht hat aber dieses Vorbringen gewürdigt und ohne Rechtsirrtum für unerheblich erklärt. Nachdem die Beklagte durch die Eintragungen den Zeichenschutz erlangt hatte, konnte das der Klägerin auf Grund ihrer Zeichen zustehende Recht nicht nachträglich dadurch das bessere werden, daß in den allgemeinen Verhältnissen Änderungen - zudem vielleicht nur vorübergehender Art - eintraten, die vielleicht geeignet wären, gegenüber einem unter den nunmehrigen Verhältnissen gestellten Eintragungsverlangen der Beklagten ein Widerspruchsrecht der Klägerin zu begründen. Soweit es sich um den hier in Rede stehenden Anspruch der Klägerin handelt, ist daher der Revisionsangriff, daß das Berufungsgericht die Verhältnisse zur Zeit seiner Prüfung zu berücksichtigen gehabt hätte, ungerechtfertigt, und es kann sich nur noch fragen, ob das Berufungsgericht unabhängig von dem über diese neuerliche Entwickelung Behaupteten die beiderseitigen Waren einwandfrei nicht als gleichartig angesehen hat. In dieser Beziehung hat die Revision keine Beanstandung erhoben und es liegt auch kein Grund zu einer solchen vor. Das Wesentliche der Ausführungen des Berufungsgerichts ist darin zu erblicken, daß es sich bei den Getränken der Beklagten um (alkoholfreies) Bier handelt, daß der Klägerin, die eine Brennerei betreibt, Bier nicht geschützt ist, und daß nach der Verkehrsanschauung Bier und die der Klägerin geschützten Erzeugnisse völlig verschieden sind. Daran wird auch nichts geändert durch die allgemeine Behauptung der Klägerin, daß alkoholfreie Getränke auch schon früher in Brennereien erzeugt worden seien. Denn das Charakteristische der Getränke der Beklagten besteht nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht nur in der Alkoholfreiheit, sondern namentlich auch darin, daß sie eine Art Bier sind.
Hiernach ist die Revision zurückzuweisen, ohne daß es der Erörterung bedarf, ob das Berufungsgericht, soweit es sich um das Zeichen der Beklagten Nr. 117342 und den Anspruch aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 handelt, die Klage mit Recht auch deshalb abgewiesen hat, weil die Klägerin durch ihr Verhalten bei der Anmeldung dieses Zeichens auf das Klagerecht verzichtet habe.