RG, 21.11.1918 - VI 274/18
Enthält ein Urteil genügende Entscheidungsgründe, wenn die in Bezug genommenen Einzelheiten des Parteivorbringens und der Beweisergebnisse nur nach Blattzahlen der gerichtlichen Prozeßakten bezeichnet werden?
Tatbestand
In dem Urteil über die vorliegende, auf Ehescheidung gerichtete, auf § 1568 BGB. gestützte Klage hatte das Berufungsgericht unter einem Abschnitte der Entscheidungsgründe eine größere Reihe von Einzelheiten zusammengestellt, die es einerseits für unbeachtlich hielt, weil die in Rede stehenden Verfehlungen der Beklagten in die Zeit vor dem 21. März 1915 (Versöhnung) fielen, anderseits aber auch zum größten Teil als unbewiesen bezeichnete. Hierbei wurden in dem Urteile die betreffenden Tatsachen lediglich nach Blattzahlen der Prozeßakten angeführt, z. B.: "Die Bl. 91 Nr. 4 behaupteten Beschimpfungen; vgl. die Fl. Bl. 186. Die Bl. 92 Nr. 6 aufgeführten Behauptungen; vgl. Eheleute F. Bl. 195, W. Bl. 200, B. Bl. 197. Die Bl. 93 Nr. 11 Abs. 2 erwähnten Schimpfreden; vgl. die P. Bl. 195" u. ähnl. Diese Darstellungsweise wurde beanstandet.
Gründe
... "Die Revision beschwert sich darüber, daß aus diesen Ausführungen des Urteils weder in der einen Richtung (ob bewiesen), noch in der anderen (Zeitpunkt) ausreichend zu ersehen sei, welche Gründe für die richterliche Überzeugung leitend gewesen seien. Insbesondere sei aus den Zeugenaussagen über den Zeitpunkt jener Verfehlungen im einzelnen zum Teil überhaupt nichts zu ersehen, und es habe mindestens insoweit dargelegt werden müssen, wie das Berufungsgericht dazu gekommen sei, die Vorgänge in die Zeit vor dem 21. März 1915 zu verlegen.
Auch dieser Teil der Urteilsbegründung war in der Tat zu beanstanden. Eines Eingehens auf die von der Revision berührten Einzelheiten bedarf es indessen hier nicht. Die angegriffenen Ausführungen des Urteils unterliegen vielmehr der Aufhebung schon deshalb, weil insoweit die Entscheidungsgründe überhaupt nicht zu einem für die Parteien verständlichen Ausdruck gelangt sind. Das Berufungsgericht führt nämlich in diesem Abschnitte der Gründe seine Erwägungen unter Bezugnahme auf den Inhalt vorbereitender Schriftsätze und von Beweisprotokollen aus, bezeichnet aber hierbei sowohl das Parteivorbringen wie die Einzelheiten der Beweisergebnisse lediglich nach Blattzahlen der Prozeßakten, ohne sonstige Bezeichnung der einschlägigen Schriftsätze und Protokolle. Wie auch die Revision zutreffend hervorgehoben hat, ist daher die Entscheidung des Berufungsgerichts zu diesen Einzelheiten ohne die Prozeßakten des Gerichts nicht zu verstehen und nachzuprüfen. Darin kann eine dem § 313 Nr. 4 ZPO. genügende Darlegung der Entscheidungsgründe nicht mehr gefunden werden (vgl. auch RG. VII. 429/17). Die Entscheidungsgründe sollen vor allem auch den Prozeßparteien die Erwägungen darlegen, auf denen die Entscheidung beruht. Das Gericht hat in den Entscheidungsgründen Rechenschaft darüber abzulegen, daß es - formell und sachlich - den Parteien volles rechtliches Gehör gewährt, daß es ihr Vorbringen aufgefaßt und wie es dazu Stellung genommen hat, als es ihre Anträge beschied. Dazu gehört insbesondere auch eine sachlich ausreichende und verständliche Darlegung der Tatsachen, welche für bewiesen oder für nicht bewiesen erachtet sind. Dies braucht aus den Entscheidungsgründen nicht in aller Breite zu erhellen. Wie die Darstellung des Tatbestands auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und auf die zum Sitzungsprotokoll erfolgten Feststellungen nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 313 Abs. 2 ZPO. Bezug nehmen, nach der Bundesratsverordnung vom 9. September 1915 (RGBl. S. 562) § 24 sogar durch eine solche Bezugnahme ersetzt werden kann, so ist auch für die Darlegung der Entscheidungsgründe eine solche Bezugnahme auf den Inhalt von Prozeßschriften, Urkunden und Gerichtsprotokollen nicht grundsätzlich für ausgeschlossen zu erachten, vielmehr dem praktischen Bedürfnis entsprechend allgemein in Übung. Ohne weiteres aber erhellt der praktisch wesentliche Unterschied, wenn die in Bezug genommenen Schriftstücke so angeführt werden, daß sie in den Handakten der Parteien und ihrer Prozeßbevollmächtigten aufgefunden werden können, gegenüber einer Anführungsweise, bei der ein solches Auffinden nur in den gerichtlichen Akten möglich ist. Diese letztere Anführungsweise wird für den Regelfall - etwa von ganz einfacher Sachlage abgesehen - dem Bedürfnis der Parteien nicht gerecht. Sind auch die Parteien nach § 299 ZPO. berechtigt, von den Prozeßakten Einsicht zu nehmen und sich daraus Auszüge, Abschriften und Ausfertigungen erteilen zu lassen, so sind sie doch anderseits nicht verpflichtet, sich solcher Hilfsmittel zu bedienen, um den für sie maßgebenden Teil der Urteilsausführungen verstehen, prüfen und sich über die Einlegung eines Rechtsmittels schlüssig machen zu können. Ist daher auch die gerichtliche Nachprüfung des hier in Rede stehenden Teiles der Urteilsbegründung bei der beanstandeten Anführungsweise nicht wesentlich behindert, so war das Urteil doch auch insoweit aufzuheben, weil es den gekennzeichneten, von den Parteien und für sie zu stellenden Anforderungen nicht genügt." ...