RG, 29.12.1883 - I 436/83

Daten
Fall: 
Wechselprozess
Fundstellen: 
RGZ 14, 105
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
29.12.1883
Aktenzeichen: 
I 436/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Greifswald
  • OLG Stettin

1. Zur Auslegung des Art. 48 und des Art. 16 Abs. 2 der Wechselordnung.
2. Richterliches Ermessen bei Beurteilung der Frage nach dem Verzuge.
3. Abweisung einer Klage wegen entgegenstehender Schadensersatzpflicht; Unterschied eines solchen Falles von demjenigen einer Retentionseinrede.
4. Bedeutung des Vorbehaltes der Rechte nach §§. 562. 563 C.P.O.

Tatbestand

U. war vom Landgerichte im Wechselprozesse dem I. zur Zahlung von 6000 M nebst Zinsen, Protestkosten und Prozeßkosten unter Vorbehalt seiner Rechte verurteilt; im Nachverfahren hatte dann das Berufungsgericht unter Aufhebung dieses Urteiles die Klage abgewiesen und den Kläger zur Erstattung des Gezahlten nebst Zinsen und Kosten verurteilt; die Revision des Klägers wurde vom Reichsgerichte verworfen.

Aus den Gründen

"Das Berufungsgericht hat die Grundlage seiner Entscheidung in einer Einrede gefunden, welche im Wechselprozesse noch gar nicht vorgeschützt war, sondern allererst in der Berufungsinstanz des ordentlichen Nachverfahrens vorgebracht worden ist. Wenn nun der Kläger die Frage aufgeworfen hat, ob damit nicht gegen §. 563 C.P.O. verstoßen sei, so lag zu einer solchen Auffassung auch nicht der entfernteste Grund vor. Es ist wohl eine zweifelhafte Frage, inwieweit den Entscheidungen, welche im Urkunden- oder Wechselprozesse über solche Einwendungen ergangen sind, über welche dort verhandelt worden war, für das ordentliche Nachverfahren bindende Kraft beiwohnt; aber nichts kann sicherer sein, als daß der Vorbehalt der Ausführung der Rechte jedenfalls alle Einwendungen umfaßt, über die im Urkunden-, bezw. Wechselprozesse noch nicht entschieden worden ist, mögen sie in demselben nun schon erwähnt worden sein, oder nicht.

Die Einrede, welche dem Oberlandesgerichte der Wechselregreßklage gegenüber für durchschlagend gegolten hat, besteht in einer exceptio doli, die darauf beruht, daß der frühere Wechselinhaber H., von welchem der Wechsel nach Erhebung des Protestes mangels Zahlung an den Kläger indossiert worden ist, am 10. August 1882 die ihm von dem Beklagten durch einen gewissen G. angebotene Einlösung des Wechsels und Protestes zurückgewiesen und dadurch verschuldet habe, daß der Beklagte, welcher damals noch erfolgreich seinen Regreß auf den Acceptanten D. hätte nehmen können, jetzt auf die Beteiligung am Konkurse des letzteren beschränkt sein würde. Das Berufungsgericht hat aus dieser Sachlage, indem es die thatsächlichen Grundlagen der Einrede als festgestellt annahm, die Folgerung gezogen, daß der Indossant des Klägers, wenn er noch Wechselinhaber wäre, für seinen Verzug dem Beklagten dadurch würde Schadensersatz leisten müssen, daß er, statt seinen Regreß gegen denselben zu nehmen und ihn so für seine Deckung auf die aus der Konkursmasse des Acceptanten zu erzielende Dividende zu verweisen, selbst den Wechsel behielte und sich mit der erwähnten Dividende begnügte, und daß nunmehr der Kläger, da er nach Art. 16 Abs. 2 W.O. nur die Rechte seines Indossanten gegen den Beklagten als Aussteller habe, die gleiche Einrede gegen sich gelten lassen müsse. Da der Beklagte, nachdem er auf Grund des im Wechselprozesse ergangenen Urteiles den Wechsel einstweilen eingelöst hatte, seinen Anspruch schon im Konkurse des Acceptanten angemeldet hat, so nimmt das Oberlandesgericht dabei an, daß der Beklagte, wozu er sich auch bereit erklärt habe, gegen Rückzahlung des Geldes nicht nur den Wechsel nebst Protest zurückzugewähren, sondern auch die ihm erworbene Konkursforderung dem Kläger abzutreten haben werde.

Gegen diese Entscheidung hat nun der Beklagte verschiedene Rügen erhoben. Vor allem hat er hervorgehoben, wie das Oberlandesgericht nur festgestellt habe, daß G. im Namen des Beklagten dem H. die Wechselsumme nebst den Protestkosten, nicht auch, daß er ihm Zinsen angeboten habe, während doch nach Art. 48 W.O. dies erforderlich gewesen wäre. Richtig ist, daß freilich der Beklagte nach dem Thatbestande des angefochtenen Urteiles das Erbieten auch in betreff der Zinsen behauptet hat, daß aber die Feststellung sich hierauf nicht erstreckt, und daß man auch keinen Grund hat, dabei nur eine Ungenauigkeit des Ausdruckes anzunehmen, da G. selbst, auf dessen Aussagen jene Feststellung beruht, auch nichts weiteres bezeugt hatte. Nichtig ist ferner, daß der Strenge nach H. nicht anders als unter Mitanbieten der, für die Zeit von dem Verfalltage, dem 7. August 1882, bis zu dem Tage des betreffenden Vorganges, dem 10. August 1882, von der Wechselsumme von 6000 M freilich nur 3 M betragenden Zinsen in Verzug versetzt werden konnte, wie ebensowohl aus Art. 48 als auch aus Art. 50 Abs. 1 Nr. 1 W.O. sich ohne weiteres ergiebt. Übrigens würde dasselbe natürlich auch von den anderen Kosten außer den Protestkosten gelten, falls deren Ersatz nicht mitangeboten sein sollte, nicht minder aber auch von der Provision von 1/3 %, im Betrage von 20 M, welche der Inhaber nach Art. 50 Abs. 1 Nr. 3 W.O. zu fordern hatte. Diese letztere scheint zwar in Art. 48 W.O. nicht mitgenannt zu sein. Aber zuvörderst ist diese Bestimmung der Wechselordnung nicht die alleinige hier in Betracht kommende Rechtsnorm. Daß der Wechselinhaber in Annahmeverzug gerät, wenn er dem sich zur Einlösung erbietenden Wechselschuldner das Eingehen auf diesen Antrag verweigert, ergiebt sich überhaupt nicht sowohl aus jenem Art. 48, als aus den allgemeinen Grundsätzen des gemeinen Rechtes über den Annahmeverzug, aus denen aber gleichermaßen folgt, daß das Erbieten sich auf die Berichtigung der ganzen Schuld erstrecken muß. Der Art. 48 thut nur die weitere Bestimmung hinzu, daß der Wechselschuldner seinerseits sogar einen klagbaren Anspruch auf Auslieferung des Wechsels und Protestes gegen Zahlung der Wechselschuld hat, sodaß sich hieraus allerdings auch ein Erfüllungsverzug des Inhabers ergiebt, welcher dem gehörigen Angebote gegenüber diese Auslieferung verweigert. Ebendeshalb ist es aber ferner nicht denkbar, daß nach der Meinung des Art. 48 vom Wechselschuldner nicht alles sollte angeboten werden müssen, was der Inhaber nach Art. 50 zu fordern hat. Unter "Kosten" ist daher im Art. 48 ohne Zweifel die Provision mitverstanden. Hierfür bietet auch der Art. 45 in seinem letzten Satze eine vollkommene Analogie dar; denn wenn es dort heißt:

"Auch verliert derselbe gegen diese Personen den Anspruch auf Zinsen und Kosten, sodaß er nur die Wechselsumme zu fordern berechtigt ist,"

so erhellt schon aus der hervorgehobenen Gegenüberstellung innerhalb des Satzes selbst, daß die "Kosten" die Provision mitbegreifen sollen. Es war nun aber unrichtig, wenn der Kläger die Feststellung des Oberlandesgerichtes dahin wiedergegeben hat, daß außer der Wechselsumme von G. nur die Protestkosten angeboten seien. Das Oberlandesgericht stellt vielmehr, in Übereinstimmung mit dem Zeugnisse des G., fest, daß dieser "Wechselsumme und Kosten" angeboten habe. Es liegt kein Grund vor, hier unter "Kosten" nicht, nach dem Vorbilde des Art. 48 W.O., die Provision mitzuverstehen. Es bleibt also allein das Bedenken wegen der 3 M Zinsen. Jedoch wenn diese auch nicht mitangeboten sein sollten, so würde nichtsdestoweniger ein Verzug des H. mit Recht angenommen fein. Die Frage nach den Voraussetzungen des Verzuges ist nämlich eben nicht mit der äußersten formalistischen Strenge zu beurteilen. Wenn es in l. 91 §. 3 Dig. de V. O. 45, 1. zunächst in bezug auf die purgatio morae, heißt:

"esse enim hanc quaestionem de bono et aequo, in quo genere plerumque sub auctoritate juris scientiae perniciose erratur,"

so ist damit das gemeinrechtliche Prinzip für die Lehre vom Verzuge überhaupt gegeben. Deshalb ist hier die Erwägung fachgemäß, daß die 3 M Zinsen nur einen verhältnismäßig ganz unbedeutenden Nebenbetrag bildeten, und daß kein Grund für die Annahme vorliegt, daß G. nicht auch diesen noch für den Beklagten zu zahlen bereit gewesen wäre, wenn nicht H., nach der eigenen Angabe des Klägers aus ganz anderen Gründen, von vornherein sich überhaupt geweigert hätte, sich auf die angebotene Einlösung des Wechsels einzulassen.

Als ganz verfehlt erschien der fernere Angriff des Klägers, es sei verkannt, daß Art. 48 W.O. unter dem "Inhaber" des Wechsels nur einen solchen Inhaber verstehe, welcher rechtlich befugt sei, den Wechsel zu quittieren und auszuliefern, und daß H. kein solcher Inhaber gewesen sei, weil er den Wechsel nur als Mandatar des Klägers auf sich habe von der Reichsbanknebenstelle in Wolgast indossieren lassen. Zwar ist es richtig, daß "Inhaber" im Art. 48, wie auch sonst häufig in der Wechselordnung, nicht einen beliebigen Detentor des Wechsels, sondern den durch den Wechsel selbst, beziehentlich durch Indossament, gehörig legitimierten Besitzer bedeutet. Ein solcher aber war H., und war darum auch rechtlich befugt, den Wechsel zu quittieren und auszuliefern, auch seinem Mandanten, dem Kläger, gegenüber, und zwar deshalb, weil er nach Art. 48 W.O. dem Beklagten dazu sogar verpflichtet war, bezw. weil er dem Beklagten gegenüber der richtige Gläubiger war, durch dessen Weigerung, die Einlösung des Wechsels zu gewähren, jener die aus dem Annahmeverzuge ihm erwachsenden Rechte erhielt.

Sodann hat der Kläger gerügt, es sei der Art. 16 Abs. 2 W.O, insofern verletzt, als nach dem wahren Sinne desselben solche Einreden aus der Person des Indossanten, welche erst nach der Indossierung entstanden seien, dem Indossatar nicht entgegengesetzt werden könnten, nun aber die hier in Rede stehende Einrede zu ihrer Begründung den Eintritt der Insolvenz des Acceptanten D. voraussetze, welche nach der thatsächlichen Annahme des Berufungsgerichtes erst nach der fraglichen Indossierung ihren Anfang genommen habe. Dabei hat der Kläger jedenfalls mit Unrecht sich darauf berufen, daß im Falle der Cession nach gemeinem Rechte Einreden aus der Person des Cedenten nicht erst von der dem Schuldner gewordenen Denunziation, sondern schon von der Cession selbst an ausgeschlossen seien. Gerade das Umgekehrte ist bekanntlich der Fall, nach l. 4 Cod. quae res pign. 8, 17; l. 3 Cod. de nov. 8, 42 und l. 17 Dig. de transact. 2, 15.1

Indessen es mag dahingestellt bleiben, ob dieser Satz von der Cession auch auf das nach erhobenem Proteste mangels Zahlung gegebene Indossament zu übertragen ist; denn auf alle Fälle war dem Oberlandesgerichte darin beizutreten, daß die hier fragliche exceptio doli schon mit dem Augenblicke des Verzuges des H. begründet war, insofern der Beklagte damit gegen denselben den Anspruch auf Schadensersatz wegen des Verzuges erworben hatte, wenn auch die Modalität, in welcher dieser Schadensersatz zu gewähren war, sich erst aus dem weiteren Verlaufe der Dinge ergab.

Es könnte sich hier allerdings ein anderes Bedenken erheben, vom Standpunkte der Ansicht aus, nach welcher einem durch ein nach erhobenem Proteste mangels Zahlung gegebenes Indossament legitimierten Indossatar Einreden überhaupt nur entweder aus seiner eigenen Person, oder aus der Person des ersten Indossanten nach Protest, nicht aber aus der Person eines Zwischenindossanten opponiert werden können.2

Jedoch entbehrt diese Ansicht nicht nur jedes inneren Grundes, sondern ist auch dem Wortlaute des Art. 16 Abs. 2 W.O. gegenüber ganz unhaltbar, da danach jeder Indossatar nur die Rechte seines Indossanten haben soll.3

Aber sogar wenn sich dies anders verhielte, so würde doch im vorliegenden Falle die Einrede aus der Person des Indossanten H. zulässig sein. Denn dieser war zwar Indossatar und weiterer Indossant nach erhobenem Proteste mangels Zahlung, war aber außerdem auch schon als Remittent des Wechsels Indossant vor Verfall gewesen. Aus diesem Grunde war es rechtlich so anzusehen, als ob er den Wechsel, sobald er denselben als Nachindossatar in die Hände bekam, sofort als Regreßpflichtiger bei sich selbst eingelöst hätte, und von diesem Standpunkte aus erschien sein dem Kläger gegebenes Indossament als das erste einer neu eröffneten selbständigen Reihe von Nach-Protest-Indossamenten.

Der Kläger seinerseits hat weiter noch einen Verstoß gegen Art. 48 W.O. und l. 8 Dig. de trit. leg. 33; 6 darin finden wollen, daß nicht bloß dem Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz gegen H. zugeschrieben, sondern auch die Wechselforderung des letzteren als durch eine Retentionseinrede beseitigt angesehen sei. Allerdings kann nicht bezweifelt werden, daß, sich aus Art. 48 W.O. zunächst nur ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Erfüllungsverzuges, und aus der l. 8 cit., welche gleichfalls vom Oberlandesgerichte zur Begründung herangezogen ist, zunächst nur ein, übrigens mit dem vorigen hier materiell zusammenfallender Anspruch auf Schadensersatz wegen Annahmeverzuges würde ableiten lassen. Wenn die l. 8 cit. wegen dieses Schadenersatzanspruches zugleich eine Retentionseinrede ( exceptio doli) der Geltendmachung des dort in Rede stehenden Legates gegenüber gewährt, so entspricht das übrigens nur allgemeinen Rechtsgrundsätzen; falls freilich das Oberlandesgericht die hier fragliche, von ihm allerdings als "Retentionseinrede" bezeichnete Einrede mit der in der l. 8 cit. erwähnten für identisch gehalten haben sollte - was nicht klar zu erkennen ist -, so würde darin ein Rechtsirrtum liegen. Denn mittels der wahren Retentionseinrede wird nicht totale, definitive Abweisung der Klage verlangt, sondern nur Abhängigmachung der Kondemnation von der Gegenleistung; hier dagegen handelt es sich um etwas ganz anderes, nämlich um Realisierung des Schadensersatzanspruches durch Abweisung der Klage unter Überlassung des Regreßanspruches zweifelhaften Wertes, den der Beklagte sonst nur gegen einen Dritten gehabt haben würde, an den Kläger. Die Bezeichnung "Retentionseinrede" ist also jedenfalls verfehlt; indessen auf diesem Versehen beruht offenbar die Entscheidung des Oberlandesgerichtes nicht, indem diese vielmehr so zu verstehen ist, wie oben schon dargelegt ist. Sollte aber selbst die Begründung im Sinne des Berufungsgerichtes anders aufzufassen sein, sodaß sie zum Teil in erheblicher Weise gegen Rechtsnormen versuche, so würde die Entscheidung doch immer aufrechterhalten werden müssen, weil die besprochene Art der Ausgleichung des dem Beklagten durch den Verzug des H. zugefügten Schadens der Billigkeit durchaus entspricht und daher auch der Wechselregreßklage gegenüber mittels einer exceptio doli verlangt werden konnte." ...

  • 1. Vgl. Windscheid, Pandektenrecht Bd. 2 (Aufl. 5) §. 332 S. 268.
  • 2. Vgl. Grünhut, Wechselbegebung nach Verfall S. 40 flg. 59 flg. und die dort angeführte Entscheidung des obersten Gerichtshofes zu Wien.
  • 3. Vgl. gegen dieselbe auch Renaud, Wechselrecht (3. Aufl.) §. 56 S. 189; Volkmar und Löwy, Deutsche Wechselordnung S. 86 flg.; Hoffmann im Archiv für deutsches Wechsel- und Handelsrecht Bd. 14 S. 250 flg.