RG, 15.12.1883 - I 408/83

Daten
Fall: 
Behauptete und bestrittene Thatsachen
Fundstellen: 
RGZ 10, 423
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
15.12.1883
Aktenzeichen: 
I 408/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Frankfurt a.M.
  • OLG Frankfurt a.M.

Ist es dem Anwalte gestattet, die von ihm vertretenen Ansprüche seiner Partei auf Thatsachen zu gründen, welche von der Gegenpartei behauptet, von der eigenen Partei aber vor dem Prozeßgerichte bestritten sind?

Tatbestand

Der Beklagte ließ für eine Brauerei einen Felsenkeller ausgraben, der Kläger war von ihm mit anderen Personen als Arbeiter bei dieser Bauunternehmung beschäftigt. Er hat oben auf dem Plateau einen Wagen mit ausgegrabener Erde beladen und ist bei dieser Arbeit in den ausgegrabenen Raum gefallen; dabei hat er einen Arm zerbrochen. Für diesen Unfall macht er den Beklagten verantwortlich. In der von ihm erhobenen Klage hat er den Anspruch unter anderem darauf gestützt, daß Beklagter einen leichtsinnigen und unerfahrenen Aufseher angestellt habe. Dieser habe den Kläger schuldhafterweise auf einen gefährlichen Platz gestellt, ohne sich von der Befähigung desselben, jene Arbeit an dieser Stelle zu verrichten, überzeugt zu haben. Beklagter hat seine Verschuldung bestritten, den Unfall des Klägers vielmehr darauf zurückgeführt, daß Kläger betrunken gewesen und infolge hiervon gefallen sei. Der Kläger hat hinwiederum seinerseits in Abrede gestellt, daß er betrunken gewesen sei. Bei dem Landgerichte hat demnächst eine Beweisaufnahme, unter anderem auch über diese Behauptung stattgefunden. Der Kläger ist bei der Verhandlung persönlich anwesend gewesen; er hat seinerseits entschieden bestritten, zur Zeit des Unfalles angetrunken gewesen zu sein. Der klägerische Anwalt hat aber, nachdem drei Zeugen die Trunkenheit des Klägers bekundet haben, ein Verschulden des Aufsehers darin finden wollen, daß dieser, obwohl er die Trunkenheit des Klägers wahrgenommen, diesen an einen gefährlichen Platz gewiesen habe. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat die Abweisung bestätigt. Beide Richter unterlassen es, eine Feststellung darüber zu treffen, ob der Kläger wirklich betrunken gewesen sei. Sie nehmen aber an, der Kläger müsse, nachdem er persönlich entschieden dabei beharrt habe, nicht betrunken gewesen zu sein, diese seine Erklärung auch gegen sich gelten lassen. Er könne die von dem Gegner aufgestellte Behauptung, welche er selbst bestreitet, nicht zur Führung des Nachweises benutzen, daß den Aufseher ein Verschulden treffe. Diese Begründung hält der Kläger für prozessualisch unzulässig; er hat deshalb gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Revision eingelegt. Die Revision ist zurückgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Es ist zunächst davon auszugehen, daß auch im Anwaltsprozesse der Parteivertreter nicht in Widerspruch mit der von ihm vertretenen prozeßfähigen Partei Thatsachen behaupten kann, welche die Partei selbst nicht behaupten will, vielmehr als unwahr bestreitet. Hat die Partei vor dem Prozeßrichter sich über den thatsächlichen Sachverhalt in dieser Weise ausgesprochen, so ist ihr Anwalt hieran gebunden. Denn er ist eben nur ihr Vertreter. Das folgt auch einerseits aus §. 132, andererseits aus §. 81 C.P.O. Der Richter kann die Partei zur Aufklärung des Sachverhältnisses laden. Die Vernehmung der so geladenen und erschienenen Partei, ihre Antworten auf die ihr vorgelegten Fragen, ihre Sachdarstellung haben nicht bloß eine Bedeutung für den Beweis, sondern auch insofern, als sich daraus ergiebt, was die Partei selbst für wahr ansieht, was sie in dem Prozesse zur Begründung ihrer Anträge behaupten will. Wollte nun, nachdem die Partei zur Aufklärung des Sachverhältnisses geladen ist und nachdem sie sich hierauf ausgesprochen hat, der Anwalt von der Sachdarstellung seiner Partei abweichen, das, was diese in Abrede gestellt hat, behaupten und unter Beweis stellen, und wäre der Prozeßrichter verpflichtet, den Anführungen des Vertreters zu folgen, in eine Prüfung seiner von der Darstellung der Partei abweichenden Behauptungen einzutreten, Beweis zu erheben, so würde damit der Zweck des §. 132 a. a. O. zu einem erheblichen Teile vereitelt. Ob aber die Partei sich über den Sachverhalt ausspricht, nachdem sie zu diesem Behufe vor den Prozeßrichter geladen ist, oder ob sie ihre Erklärungen bei ihrer freiwilligen Anwesenheit während der Prozeßverhandlung abgiebt, ist für das Verhältnis dieser Erklärungen zu den Anführungen ihres Prozeßvertreters gleichgültig. Nach §.81 a. a. O. darf die Partei Geständnisse und andere tatsächliche Erörterungen ihres Anwaltes, welche in ihrer Gegenwart abgegeben werden, widerrufen und berichtigen. Daraus ist abzuleiten, daß der Anwalt an die im voraus abgegebene Erklärung der Partei nicht weniger gebunden ist.

Lehnte es nun aber der Kläger selbst ab, sich die Behauptung des Beklagten, Kläger sei betrunken gewesen, anzueignen und aus der in dieser Weise seinerseits aufgestellten Behauptung die Haftung des Beklagten abzuleiten, so konnte auch der klägerische Anwalt den erhobenen Anspruch nicht mit Bezugnahme auf den Umstand, daß jene Behauptung von dem Beklagten aufgestellt sei, begründen."