RG, 27.05.1884 - II 146/84

Daten
Fall: 
Wucher
Fundstellen: 
RGZ 11, 191
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
27.05.1884
Aktenzeichen: 
II 146/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Düsseldorf
  • OLG Köln

Zur Auslegung von Art. 3 des Reichsges. vom 24. Mai 1880 betreffend den Wucher.

Tatbestand

Der Kläger hat im Urkundenprozesse gegen den Beklagten die Bezahlung zweier in Baden-Baden am 21. August 1880 ausgestellter, aber von London datierter promissory notes über zusammen 4800 £ eingeklagt und für deren Betrag von 97 200 M Versäumnisurteil erwirkt. Auf Einspruch des Beklagten beschränkte der Kläger seinen Anspruch auf 3500 £ oder 70 875 M. Diese Summe besteht, wie unbestritten, aus einem Darlehn von 2500 £. welches der Kläger dem Beklagten am 21. Februar 1880 in London ausbezahlt hat und welches nach sechs Monaten zurückbezahlt werden sollte; als Zinsen für diese Zeit wurden sofort 1000 £ - also 80 % - hinzugerechnet und über den ganzen Betrag eine Urkunde ausgestellt. Als Beklagter am Verfalltage (21. August 1880) nicht bezahlen konnte, wurde auf weitere sechs Monate prolongiert, wofür derselbe die beiden besagten Urkunden über zusammen 4800 £ ausstellte. In zwei Instanzen wurde Beklagter zur Bezahlung von 63 281,25 M samt Zinsen verurteilt, das Urteil zweiter Instanz jedoch aufgehoben und der auf die zwei Schuldurkunden gestützte Anspruch abgewiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Es kann dahingestellt bleiben, ob die zwar von London datierten, unbestritten aber in Baden vollzogenen Urkunden vom 21. August 1880 als Wechsel gelten können und betreffs derselben die vom Reichsgerichte in den Entsch. in Civils. Bd. 9 Nr. 123 S. 437 entwickelten Grundsätze hier Anwendung zu finden haben; es kann ferner dahingestellt bleiben, ob, des Mangels der Angabe der Schuldursache ungeachtet, die Urkunden zur Einleitung des Urkundenprozesses geeignet erscheinen; denn der Anspruch aus denselben ist jedenfalls auf Grund des Reichsgesetzes vom 24. Mai 1880 betreffend den Wucher abzuweisen. Durch die Urkunden wird nämlich eine am 21. August 1880 fällig gewesene Forderung des Klägers von 3500 £ gegen Erhöhung ihres Betrages auf 4800 £ gestundet und stellt das Berufungsgericht unangefochten fest, daß dieser Prolongationsvertrag ein wucherliches Geschäft sei, indem der Kläger die augenblickliche Not- und Zwangslage des Beklagten ausgebeutet habe; es kann auch darüber kein Zweifel sein, daß der Vorteil, welchen sich Kläger für die Stundung zusichern ließ, sich als ein übermäßiger im Sinne von Art. 1 des Ges. vom 24. Mai 1880 bezw. der §§. 302 a. 302 b St.G.B. darstellt.

Dieses Stundungsgeschäft und die auf Grund desselben vom Beklagten ausgestellten Urkunden sind demnach gemäß Art. 3 des besagten Gesetzes ungültig, und zwar ihrem ganzen Inhalte nach. Dies ergiebt sich nicht nur aus dem klaren Wortlaute des Gesetzes, sondern auch aus dessen Motiven, welche S. 15. 16 ausdrücklich hervorheben: "Indem er (der Art. 3) ausspricht, daß Verträge, welche gegen die §§. 302 a. 302 b verstoßen, ungültig sind, läßt er zugleich, was den Bestand des Vertrages als solchen betrifft, eine Teilung des einheitlichen Rechtsgeschäftes nach dem das Kapital betreffenden Inhalte nicht zu." Da nur aus dem Stundungsvertrage und nur aus den Prolongationsurkunden geklagt worden, der Kläger auch nicht vom Urkundenprozesse abgestanden ist (§. 559 C.P.O.), so war das Zurückgehen auf das frühere Rechtsgeschäft vom 21. Februar 1880 unstatthaft, es mußte vielmehr dem Kläger überlassen werden, entweder aus diesem zu klagen, sofern und soweit es zu Recht besteht, oder gemäß Art. 3 Abs. 4 des Wuchergesetzes auf Rückgewährung der dem Beklagten aus dem ungültigen Vertrage gemachten Leistung, als welche nicht nur die Stundung, sondern eventuell auch die Aufgabe der früheren Forderung und des darüber ausgestellten Wechsels gegen die Prolongationsurkunden zu gelten hat."