danke-sagen-unterstützen

Unveröffentlichte Gerichtsentscheidung hinzufügen: Mehr erfahren...

RG, 20.05.1884 - III 53/84

Daten
Fall: 
Zuckerfabriken
Fundstellen: 
RGZ 11, 183
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.05.1884
Aktenzeichen: 
III 53/84
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Braunschweig
  • OLG Braunschweig

1. Bezieht sich die Bestimmung des §. 26 G.O., daß eine wegen benachteiligender Einwirkungen eines Gewerbebetriebes erhobene Klage gegenüber einer mit obrigkeitlicher Genehmigung errichteten gewerblichen Anlage nicht auf Einstellung des Gewerbebetriebes gerichtet werden kann, auch auf Zuckerfabriken?
2. Sind die in den früheren Landesgewerbegesetzen angeordneten Einschränkungen derartiger Klagen durch die Reichsgewerbeordnung aufgehoben?

Tatbestand

Die Aktienzuckerfabrik zu R. im Herzogtume Braunschweig, welche im Jahre 1864 vor dem Erlasse des braunschweigischen Gewerbegesetzes vom 3. August 1864 mit obrigkeitlicher Genehmigung errichtet worden war, leitete ihre mit faulenden Substanzen durchsetzten Abwässer in einen öffentlichen Fluß, welcher sein noch so verunreinigtes Wasser in die Mühlengräben und Mühlenwerke zweier weiter unterhalb an demselben belegenen Wassermühlen führte. Infolge hiervon bildete sich in den Mühlenwerken eine pilzige Masse, welche einen üblen Geruch verbreitete, den Betrieb der Mühlen beeinträchtigte und nur durch häufig zu wiederholende Reinigungen beseitigt werden konnte. Bis zum Jahre 1881 ließen sich die Eigentümer der beiden Mühlen diese Belästigung gegen eine ihnen von der Aktiengesellschaft gezahlte Entschädigung gefallen. Als aber dann die letztere nach Herstellung gewisser, die Reinigung ihrer Abwässer bezweckenden Einrichtungen die weitere Bezahlung dieser Entschädigung verweigerte, stellten dieselben gegen sie eine Klage an, in welcher sie unter der demnächst für erwiesen erachteten Behauptung, daß die Verunreinigung des Flusses und deren nachteilige Einwirkung auf ihre Mühlen noch fortbestehe, den Antrag stellten, der Beklagten diese Verunreinigung bei Strafe zu untersagen und sie zur Erstattung des ihnen, den Klägern, hierdurch seit Zustellung der Klage erwachsenen und fernerhin noch erwachsenden Schadens zu verurteilen. Das erstinstanzliche Urteil entsprach diesem Antrage im vollen Umfange desselben. Die Beklagte legte hiergegen Berufung ein, welche sie unter Anbietung der betreffenden Beweise namentlich dahin begründete: eine bessere Reinigung ihrer Abwässer sei nach dem gegenwärtigen Stande der Technik unmöglich, und sie könne dieselben auch nur in den fraglichen Fluß ableiten; da sie demnach dem Verbote der Verunreinigung des Flusses nicht anders als durch Einstellung ihres Fabrikbetriebes nachzukommen vermöge, ihr aber gemäß §. 26 der Reichs-Gewerbeordnung die Einstellung ihres Betriebes nicht auferlegt werden könne, so sei dieses Verbot aufzuheben und der Anspruch der Kläger auf eine Schadensersatzforderung zu beschränken. Die Berufung der Beklagten wurde verworfen, indem das Berufungsgericht der Ansicht war, daß der §. 26 sich auf Zuckerfabriken nicht beziehe, und eine außerdem noch in Betracht gezogene, unten näher bezeichnete ähnliche Bestimmung des braunschweigischen Gewerbegesetzes, welche von der Beklagten nicht geltend gemacht worden war, aus mehrfachen Gründen, insbesondere weil dieselbe durch die Reichsgewerbeordnung aufgehoben worden sei, für nicht anwendbar erachtete. Auf die Revision der Beklagten wurde dieses Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen aus folgenden Gründen:

Gründe

"Die Beklagte hat dem angefochtenen Urteile zunächst den Vorwurf gemacht, daß das in demselben ausgesprochene Immissionsverbot nach §. 26 G.O. gegen sie nicht habe erlassen werden dürfen, weil die Befolgung dieses Verbotes, wie von ihr in zweiter Instanz näher ausgeführt und unter Beweis gestellt worden, mit der Fortführung des Betriebes ihrer Fabrik unvereinbar sei.

Da der §. 26 Bestandteil des von den "Anlagen, welche einer besonderen Genehmigung bedürfen", handelnden Abschnittes der G.O. (§§. 16 bis 28) ist, so kann seine Bestimmung, daß eine wegen nachteiliger nachbarlicher Einwirkungen angestellte Klage "einer mit obrigkeitlicher Genehmigung errichteten, gewerblichen Anlage gegenüber" nicht auf Einstellung des Gewerbebetriebes gerichtet werden dürfe, nur von einer nach Maßgabe der Vorschriften dieses Abschnittes erteilten Genehmigung verstanden werden. Wenn die Beklagte zur Begründung ihrer Meinung, daß die gedachte Bestimmung einer jeden mit irgend welcher obrigkeitlicher Genehmigung errichteten gewerblichen Anlage zu gute zu kommen habe, darauf hinweist, daß in dem §. 26 nicht, wie in der Überschrift des Abschnittes, von einer besonderen Genehmigung, sondern allgemein von obrigkeitlicher Genehmigung die Rede sei, so übersieht sie, daß der Ausdruck "besondere Genehmigung" in dem Texte des Gesetzes nirgends gebraucht ist, für die Überschrift ist derselbe, wie die Motive1 bemerken, nur deshalb gewählt worden, "um dem Mißverständnisse vorzubeugen, als sei bei den gewerblichen Anlagen, welche der §.17 (jetzt 16) nicht aufzählt, die allgemeine baupolizeiliche Genehmigung künftig nicht mehr erforderlich."

Diese Auffassung des §. 26 entspricht auch der Entstehungsgeschichte desselben. Der §. 26 ist durch den Reichstag in die Gewerbeordnung eingeschaltet worden mittels Annahme eines an ähnliche Bestimmungen einiger Landesgesetze, insbesondere den §. 30 sächs. G.O., sich anschließenden Antrages, zu dessen Begründung ausgeführt wurde, daß der Ausschluß einer Klage auf Einstellung des Gewerbebetriebes gerechtfertigt sei durch die in dem Verfahren, welches nach den §§. 17 flg. der Erteilung der Genehmigung vorher zu gehen hat, allen Beteiligten ausreichend gebotene Gelegenheit, ihre Einwendungen gegen die Errichtung der Anlage geltend zu machen.

Vgl. Reichstagsverh. 1869, Stenograph. Berichte S. 280 flg. Durch die Fassung, in welcher der Paragraph in der damaligen zweiten Lesung zur Annahme gelangte (S. 282):

"Ist eine Anlage nach Beobachtung dieses Verfahrens von der zuständigen Verwaltungsbehörde genehmigt und unter Beachtung der dabei gestellten Bedingungen ausgeführt worden, so kann" etc.

war auch jeder Zweifel über die Tragweite desselben unmöglich gemacht; auch die jetzige, aus einem in dritter Lesung angenommenen Antrage herrührende Fassung hat aber, wie die betreffenden Verhandlungen ergeben,2 an dem Inhalte des ursprünglichen Beschlusses nichts geändert, denselben vielmehr nur in einigen anderen Beziehungen ein "vollständigerer und genauerer" Ausdruck gegeben werden sollen.

Unter den gewerblichen Anlagen, zu deren Errichtung nach §. 16 G.O. die Genehmigung der zuständigen Behörde erforderlich ist, sind die Zuckerfabriken nicht befaßt. Außerdem muß freilich der §. 26 nach seinem Wortlaute und nach dem Platze, welchen er in dem Gesetze einnimmt, auch noch bezogen werden auf eine nach der Vorschrift des vorhergehenden §. 24 genehmigte Anlage eines Dampfkessels, obwohl in Fällen dieses Paragraphen das gedachte Vorverfahren nicht stattfindet. Allein hieraus folgt nur, daß auch eine wegen der nachteiligen Einwirkungen einer genehmigten Dampfkesselanlage erhobene Klage nicht auf Einstellung des Gewerbebetriebes gerichtet werden kann, und eine solche Klage ist vorliegend nicht erhoben.

Könnte noch in Frage gezogen werden, ob der §. 26 nicht wenigstens rückwirkend auch auf die vor dem Erlasse der Reichsgewerbeordnung in Gemäßheit der damaligen Vorschriften der Landesgesetze genehmigten gewerblichen Anlagen zu beziehen sei, so muß auch dies verneint werden, weil die hinsichtlich anderer Bestimmungen der Gewerbeordnung (§§. 50. 52) ausdrücklich angeordnete Rückwirkung hier nicht ausgesprochen ist.

Sonach ist der von der Beklagten aus dem §. 26 G.O. hergeleitete Einwand mit Recht als unzutreffend verworfen worden.

Nun hat aber, wie von der Vorinstanz festgestellt ist, das braunschweigische Gewerbegesetz vom 3. August 1864 in seinem §. 35 vorgeschrieben, daß, wenn eine der nach §. 27 daselbst der obrigkeitlichen Genehmigung bedürfenden Anlagen, zu denen auch die Zuckerfabriken gehörten, nach Beobachtung des vorgeschriebenen Verfahrens von der zuständigen Behörde genehmigt und unter Beachtung der dabei gestellten Bedingungen ausgeführt worden, der Unternehmer später aus Anlaß eines nur auf allgemeine Rechtsgrundsätze gestützten Widerspruches von den Gerichten wegen Belästigung oder beeinträchtigter Nutzbarkeit fremden Eigentums nur alternativ zur Änderung bezw. Beseitigung der Anlage oder zur Zahlung einer bestimmten Entschädigung verurteilt werden kann, und es ist in §. 42 daselbst ausgesprochen, daß diese Vorschrift des §. 35 auch für alle in dem §. 27 befaßte, bei Erlaß des Gesetzes bereits vorhandenen Anlagen insofern darüber nicht damals bereits ein Rechtsstreit anhängig war, gelten solle.

Daß die Beklagte sich in den Vorinstanzen auf diese landesgesetzliche Bestimmung nicht berufen hat, steht der Anwendbarkeit derselben nicht entgegen, weil es den Gerichten von Amts wegen obliegt, alle zutreffenden Gesetze zur Anwendung zu bringen.

Unrichtig ist auch die Meinung der Vorinstanz, daß diese Bestimmung sich nicht mehr in Geltung befinde, weil das Landesgewerbegesetz vom 3. August 1864, soweit darin den Gewerbetreibenden gewerbsordnungsmäßige Rechte zugesprochen seien, durch die Reichsgewerbeordnung pure aufgehoben sei. Der Umfang der derogierenden Einwirkung eines Reichsgesetzes auf die Landesgesetze kann nicht nach dem Namen, welchen die betreffenden Gesetze tragen, sondern nur nach der aus dem Inhalte des Reichsgesetzes zu entnehmenden Absicht desselben bemessen werden. Die Bestimmungen der §§. 27 flg. des Landesgesetzes über das Erfordernis der landespolizeilichen Genehmigung und über das behufs Erwirkung derselben zu beobachtende Verfahren sind allerdings beseitigt durch die in den §§. 16-25 R.G.O. enthaltene reichsgesetzliche Ordnung dieser Materie; hieraus folgt aber in betreff des §. 35 des Landesgesetzes nicht mehr, als daß die Vorschrift desselben über die rechtliche Wirkung einer unter Beobachtung dieses landesgesetzlichen Verfahrens erteilte Genehmigung hinsichtlich einer nach dem Inkrafttreten der Reichsgewerbeordnung errichteten Anlage gegenstandslos und somit unanwendbar geworden ist. Dagegen tritt der §. 26 R.G.O. der fortdauernden Anwendbarkeit der Vorschrift des landesgesetzlichen §. 85 auf die noch unter der Herrschaft der Landesgesetzgebung errichteten gewerblichen Anlagen nicht entgegen, und zwar einesteils, weil der §. 26, wie oben ausgeführt, sich nur bezieht auf die nach Maßgabe der Vorschriften dieses Reichsgesetzes genehmigten Anlagen, und andernteils, weil derselbe keineswegs eine Erweiterung des einem benachteiligten Nachbarn zustehenden Klagerechtes bezweckt, vielmehr durch seine Eingangsworte: "Soweit die bestehenden Rechte . . . eine Privatklage gewähren", die noch über seine Bestimmung hinausgehenden landesgesetzlichen Einschränkungen dieses Klagerechtes ausdrücklich unberührt bleiben läßt. ...

(Es folgt eine Ausführung über die Anwendbarkeit des §. 35 G.O. auf den vorliegenden Fall,)
Hiernach ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückzuweisen.

  • 1. vgl. Reichstagsverh. 1869 Anl. S. 113,
  • 2. vgl. Stenograph. Berichte S. 10.74,