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RG, 20.05.1884 - II 514/83

Daten
Fall: 
Forderung zugleich mit dem Eintritte in die Genossenschaft
Fundstellen: 
RGZ 11, 178
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
20.05.1884
Aktenzeichen: 
II 514/83
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Karlsruhe
  • OLG Karlsruhe

Darf ein Genossenschafter wegen seiner Forderung an die Genossenschaft gemäß §. 62 Genossenschaftsges. vom 4. Juli 1868 einen anderen Genossenschafter solidarisch auch dann in Anspruch nehmen, wenn die Forderung zugleich mit dem Eintritte in die Genossenschaft entstanden und von seiner Eigenschaft als Genossenschafter untrennbar ist?

Gründe

Die "Süddeutsche Lebens-, Unfall- und Rentenversicherungsanstalt zu Karlsruhe" war eine eingetragene Genossenschaft im Sinne des jetzigen Reichsgesetzes vom 4. Juli 1868.

Genossenschafter wurde nach deren Statut jede Person, welche sich bei der Anstalt mit einer Kapitalversicherung auf den Todesfall beteiligte, und obwohl Prämienbeiträge bezahlt wurden, war es doch eine Versicherung auf Gegenseitigkeit.

Auf diese Art ist Witwe L. durch die Lebensversicherungspolice Nr. 13 als Genossenschafterin in jene Anstalt eingetreten; sie hat ihren Anspruch aus dem Versicherungsvertrage an den jetzigen Kläger cediert, und dieser hat denselben mit 3000 M, nachdem die Genossenschaft in Konkurs geraten war, liquidiert und dessen Anerkennung im Konkurs erwirkt, blieb jedoch wegen Mangels an Massevermögen ohne alle Befriedigung.

Nach Beendigung des Konkurses ist, weil die Gläubiger der Genossenschaft unbefriedigt waren, nach §§. 52 flg. des Genossenschaftsgesetzes der Verteilungsplan angefertigt, auch für vollstreckbar erklärt worden und wird bereits durch Einziehung der Beiträge vollzogen.

Aus diesem Verteilungsplan ergiebt sich, daß jeder Genossenschafter zur Befriedigung der Gläubiger einen Beitrag von 547,32 M an den Liquidator zu zahlen hat, und zwar ist unter Nr. 4 als beitragspflichtig auch die Witwe L., jetzt deren Rechtsnachfolger, sowie unter Nr. 39 der Beklagte aufgeführt. Unter den Passiven der Genossenschaft, welche aus den Mitgliederbeiträgen befriedigt werden sollen, findet sich unter Nr. 32 die Forderung des Klägers mit 3000 M und unter Nr. 29 eine Forderung des Beklagten mit 25899,75 M.

Der Kläger hat nun jene 3000 M nebst 5 % Verzugszinsen vom Tage der Klagzustellung an gegen den Beklagten als samtverbindlich haftbaren Genossenschafter eingeklagt, welcher seine Eigenschaft als Genossenschafter, sowie die eingeklagte Forderung an sich anerkannt, dagegen seine Zahlungsverbindlichkeit aus Rechtsgründen bestritten und eventuell die Einrede der Kompensation auf Grund seines oben erwähnten Anspruches an die Genossenschaft vorgetragen hat.

Das Berufungsgericht, welches das die erhobene Klage " zur Zeit" abweisende landgerichtliche Urteil bestätigt hat, hat wesentlich aus Gründen, die dem Landesgesetz entnommen sind, den Satz aufgestellt, §. 62 des Genossenschaftsgesetzes beziehe sich nicht auf solche Gläubiger, welche zugleich Genossenschafter sind, sondern nur auf dritte Personen als Gläubiger, sodaß der Genossenschafter nicht bloß dann, wenn er durch den Vertrag zugleich Genossenschafter wird und einen Anspruch an die Genossenschaft erwirbt, sondern auch in allen Fällen, in welchen er durch sonstige Verträge etc Gläubiger der Genossenschaft wird, nur im Wege des Verteilungsverfahrens Befriedigung erlangen könne, nicht aber die Solidarhaft eines anderen Genossenschafters geltend machen dürfe.

Schon an sich erscheint es bedenklich, ein für die verschiedensten Rechtssysteme berechnetes Reichsgesetz aus dem Landesrechte in so beschränkender Weise zu interpretieren, wie das Berufungsgericht den §. 62 a. a. O. behandelt, und auch davon abgesehen, kann diese Interpretation in solcher Allgemeinheit nicht gebilligt werden. Im §. 62 ist gesagt: Durch das in §§. 52-61 angeordnete Verfahren wird an dem Rechte der Genossenschaftsgläubiger, wegen der an ihren Forderungen erlittenen Ausfälle die Genossenschafter solidarisch in Anspruch zu nehmen, nichts geändert. Im Zusammenhange mit §. 12 a. a. O., welcher das Recht der Genossenschaftsgläubiger auf Solidarhaft der Genossenschafter im allgemeinen regelt, erscheint es mindestens nicht gerechtfertigt, für jede Forderung des Genossenschafters an die Genossenschaft, mag die Forderung entstanden sein wie sie will, die Anwendung des §. 62 a. a. O. auszuschließen. Dem Genossenschafter kann zweifellos eine Forderung an die Genossenschaft zustehen, und ist dies der Fall, so erscheint er sprachlich und rechtsbegrifflich als Genossenschaftsgläubiger und hat die Rechte eines solchen, weshalb das Berufungsgericht einen Unterschied in §. 62 hineinlegt, zu welchem dessen Wortlaut nicht berechtigt.

Richtig ist zwar, daß der Genossenschafter auch als Gläubiger der Genossenschaft gewissen Beschränkungen unterworfen und wegen seiner Stellung als Genossenschafter nicht befugt ist, seine Forderung an die Genossenschaft gegen den ihm durch den Verteilungsplan auferlegten Beitrag zu kompensieren, sondern ungeachtet seiner Forderung diesen Beitrag bezahlen muß (vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 9 Nr. 87 S. 294). Allein dies bezieht sich nur auf sein Verhältnis zur Genossenschaft und gestattet keine Folgerung auf seinen Anspruch aus der Solidarhaft der einzelnen Genossenschafter.

Indessen erscheint die Entscheidung aus anderen Gründen (§. 526 C.P.O.) als zutreffend.

Nach §. 9 Abs. 1 des Genossenschaftsgesetzes richtet sich das Verhältnis der Genossenschafter untereinander zunächst nach dem Gesellschaftsvertrage, und ein Bestandteil des Statutes ist kraft Gesetzes das in §§. 52 flg. vorgeschriebene Verteilungsverfahren, weshalb den Genossenschafter der Vorwurf einer Vertragsverletzung trifft, wenn er als Genossenschafter das Verteilungsverfahren stört oder hindert.

Das in §§. 52 flg. angeordnete Verfahren ist gegenüber dem preußischen Genossenschaftsgesetze eine von Schulze-Delitzsch beantragte Neuerung (Stenogr. Berichte über die Verhandlungen des norddeutschen Bundestages, erste Legislaturperiode Session 1868 Bd. 2 (Anlagen) Nr. 60 S. 199), welche von der Kommission als ein dringendes Bedürfnis für die gedeihliche Entwicklung der Genossenschaften, ja geradezu als eine Forderung des Gemeinwohls einstimmig anerkannt wurde. Dies wird damit begründet, daß im Falle der Geltendmachung der Solidarhaft durch die im beendigten Konkurse nicht befriedigten Genossenschaftsgläubiger eine außerordentliche Vervielfältigung der Prozesse entstehen würde, wenn der belangte Genossenschafter seinen Regreß auf die anderen Genossenschafter nimmt. Dabei heißt es: "Wenn nun nicht ein einziger, sondern eine Zahl von 20 oder 50 Gläubigern vorhanden ist und jeder seine Befriedigung selbständig sucht, so kann über die ganze Einwohnerschaft einer Stadt ein Geist der gegenseitigen Verfeindung und dabei noch ein schrecklicher Aufwand von Zeit und Kosten verhängt werden, sodaß sittlich und wirtschaftlich die schlimmsten Folgen eintreten müßten."1

Darauf beruht es, daß, wie oben erwähnt, der Genossenschafter nicht die Zahlung seines im Verteilungsplan festgesetzten Beitrages an den Liquidator verweigern darf, indem er seine Forderung an die Genossenschaft mit der Einrede der Kompensation zur Tilgung jener Schuld geltend macht.

Der Genossenschafter, dessen Anspruch an die Genossenschaft von seiner Eigenschaft als Genossenschafter untrennbar und in einem Alte zugleich mit seinem Eintritt in die Genossenschaft entstanden ist, erscheint hiernach auch gegenüber den anderen Genossenschaftern an das Verteilungsverfahren gebunden und darf für seine Forderung nur aus den Beiträgen der Genossenschafter Befriedigung verlangen; denn wegen der Natur seiner Forderung ist auch deren Geltendmachung, durch seine Pflichten als Genossenschafter bedingt, und dem widerspricht es, wenn derselbe seine Forderung gegen einen anderen Genossenschafter wegen dessen Solidarverbindlichkeit einklagt. Alle jene Verwickelungen, welche nach dem oben Gesagten das Verfahren der §§. 52 flg. vermeiden soll, würden durch eine solche Klage hervorgerufen, sodaß der Zweck des Verteilungsverfahrens vereitelt würde, wie besonders der vorliegende Fall klar macht. Der Beklagte hat selbst eine erhebliche Forderung an die Genossenschaft und schützt deshalb die Einrede der Kompensation gegen die eingeklagte Forderung vor, könnte auch seinerseits andere Genossenschafter kraft deren Solidarhaft belangen; die Bezahlung des Genossenschafters erzeugt das Regreßrecht gegen die anderen Genossenschafter, und so wäre bei der Zahl von 235 Genossenschafter eine unlösbare Verwirrung ganz unvermeidlich. Eine solche Vertragsverletzung ist einem Genossenschafter nicht gestattet.

Wie im Eingange gesagt, ist Witwe L. durch eine Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit ebensowohl Mitglied der Genossenschaft als deren Gläubiger geworden. Bei der Versicherung auf Gegenseitigkeit ist nun der Versicherte zugleich Versicherer als Mitglied der Genossenschaft.2

Ein solcher Versicherungsvertrag zerfällt nicht in zwei verschiedene Verträge, einen Versicherungsvertrag und einen Vertrag über den Beitritt zur Genossenschaft, ist vielmehr als einheitliches Ganzes aufzufassen, welches beide Verträge in sich schließt. Alle aus dem Versicherungsvertrag entspringenden Rechte und Verbindlichkeiten der Witwe L. hängen mit dem genossenschaftlichen Verhältnis untrennbar zusammen.3

Demnach ist die eingeklagte Forderung von der oben bezeichneten Beschaffenheit, sodaß nur aus den Beiträgen zufolge des Verteilungsverfahrens, nicht durch Klage gegen einen anderen Genossenschafter deren Befriedigung verlangt werden darf.

Daran ändert es auch nichts, daß Witwe L. ihre Forderung an den Kläger, welcher nicht Genossenschafter ist, cediert hat, da Witwe L. nicht mehr Rechte übertragen konnte, als sie selbst besaß, und ihr Anspruch an die Genossenschaft von seiner Entstehung an den oben geschilderten Charakter hatte, also der Cessionar den gleichen Beschränkungen, wie seine Cedentin unterworfen ist."

  • 1. Vgl. Verhandl. a. a. O. Nr. 80 S. 300. 301.
  • 2. Vgl. Entsch. des R.O.H.G.'s Bd. 8 Nr. 48 S. 182.
  • 3. Vgl. Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 3 Nr. 108 S. 385. 387, Bd. 4 Nr. 111 S. 394. 397. 398.