RG, 12.12.1881 - V 107/81

Daten
Fall: 
Rechtsverhältnisse einer Gewerkschaft
Fundstellen: 
RGZ 6, 281
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
12.12.1881
Aktenzeichen: 
V 107/81
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Beuthen
  • OLG Breslau

Sind die Rechtsverhältnisse einer Gewerkschaft, welche bereits vor Einführung des Allg. Berggesetzes vom 24. Juni 1865 bestanden hat, deshalb nicht nach dem Gewerkschaftsrechte dieses Allg. Berggesetzes. sondern nach gewöhnlichem Civilrechte zu beurteilen, weil in älteren Verträgen Bestimmungen getroffen worden sind, welche mit solchen Vorschriften des Allg. Berggesetzes. deren statutarische Abänderung untersagt ist, in Widerspruch stehen?

Tatbestand

Die Steinkohlenzeche Ottilie befand sich schon vor Emanation des Allg. Bergges. vom 24. Juni 1865 im Besitz einer Gewerkschaft. Die Klägerin, die beiden Beklagten und die Stadtgemeinde B. O./S. sind Mitgewerken. Die Klägerin behauptet, daß die Beklagten sich persönlich zur Tilgung gewisser Ansprüche verpflichtet haben, welche der Klägerin gegen die Gewerkschaft Ottilie zustehen und hat deshalb Klage erhoben. Die Beklagten stellten eine persönliche Verpflichtung in Abrede. Sie wenden ein, daß die Klägerin sich wegen §. 99 Allg. Bergges. nur an das Gewerkschaftsvermögen halten könne. Dabei bemerken sie, daß sie sich von ihrer Beitragspflicht gegenüber der Gewerkschaft dadurch befreit hätten, daß sie derselben behufs deren Befriedigung ihre Kuxe zum Verkaufe überlassen hätten. Die Klägerin hält die Anwendbarkeit des §. 99 a. a. O. für ausgeschlossen. Unstreitig haben im Jahre 1828 die damaligen Besitzer der gegenwärtig der Klägerin und den Beklagten gehörigen Kuxe sich der Stadtgemeinde B. O./S. gegenüber verpflichtet, die dieser gehörigen 31 Kuxe frei zu bauen. Die Klägerin führt aus. daß diese Verabredung mit der Vorschrift in §. 102 Allg. Bergges. (Aufbringung der Zubuße seitens der Gewerken nach Anzahl der Kuxe) im Widerspruche stehe, daß bei vertragsmäßiger Abänderung dieses an sich statutarisch nicht abänderlichen §. 102 (vgl. §. 94 Abs. 3) keine Gewerkschaft, sondern nur eine nach gewöhnlichem Civilrechte zu beurteilende Gemeinschaft bestehe, und daß deshalb die Mitglieder persönlich für die Schulden der Gewerkschaft selbst ohne ausdrückliche Verabredung verhaftet seien.

In den beiden ersten Instanzen ist die Klägerin abgewiesen worden. Das Reichsgericht hat die Nichtigkeitsbeschwerde der Klägerin zurückgewiesen.

Gründe

"Der Appellationsrichter geht von der Annahme aus. daß das im Jahre 1830 verliehene und noch vor dem Eintritt der Gesetzeskraft des Allgemeinen Berggesetzes vom 24. Juni 1865 in das Eigentum mehrerer Mitbeteiligten gelangte Steinkohlenbergwerk Ottilie der gewerkschaftlichen Verfassung des alten Rechtes unterliege (Allgem. Bergges. §§. 226. 227), daß für die Verbindlichkeiten dieser Gewerkschaft nur das Vermögen derselben hafte (§. 99), nicht aber die einzelnen Gewerken, sodaß die Klägerin an und für sich nicht berechtigt sei, sich wegen der für die Ottilienzeche gemachten Anschaffungen und baren Auslagen an die einzelnen Gewerken zu halten. Er verneint, daß dies Verhältnis dadurch geändert worden, daß nach einem im Jahre 1823 zwischen den betreffenden Gewerken getroffenen Abkommen die auf die 31 Kuxe der Stadt B. verteilte Zubuße von den Kuxen der Beklagten und von einigen der Klägerin gehörigen Kuxen aufzubringen sei. Demnächst prüft der Appellationsrichter, ob die Beklagten in den Verhandlungen vom 11. April 1876 und 4. Januar 1877 sich persönlich verpflichtet haben, die Forderungen der Klägerin zu zahlen, und verneint dies mit dem Beifügen, daß aus diesen Verhandlungen die Aufgabe des bergrechtlichen Standpunktes und die Übernahme einer an sich nicht vorhandenen persönlichen Verpflichtung nicht zu erkennen sei. Schon in den Vorinstanzen hatte die Klägerin behauptet, daß das Bergwerk Ottilie einer gewerkschaftlichen Verfassung nicht unterliege. Es wurde ausgeführt: die vertragsmäßige Vereinbarung, daß die Zubuße für die Kuxe der Stadt B. von anderen Kuxen übertragen werden müsse, stehe mit dem §. 102 des Allgem. Berggesetzes. Inhalts dessen die einzelnen Gewerken die Zubuße nach Verhältnis ihrer Kuxe zu zahlen hätten, im Widerspruche. Dieser §. 102 gehöre zu denjenigen Bestimmungen des Gewerkschaftsrechtes. welche unabänderlich seien (§. 94 Abs. 3), und deshalb bestehe überhaupt keine gewerkschaftliche, sondern nur eine nach gewöhnlichem Civilrecht zu beurteilende Gemeinschaft. Damit sei auch der §. 99 ausgeschlossen, wonach für die Verbindlichkeiten der Gewerkschaft nur das Gewerkschaftsvermögen hafte. Im Anschluß an diese Ausführung beschuldigt die Nichtigkeitsbeschwerde den Appellationsrichter einer Verletzung der §§. 99. 102. 129 und 130 des Allgem. Berggesetzes. Es wird auch noch deduziert, daß das gesetzliche Verhältnis der Gewerken in Bezug auf die Verhaftung derselben für Schulden der Gewerkschaft im vorliegenden Falle wesentlich dadurch geändert sei, daß die Klägerin und die Beklagten die der Stadt B. verbliebenen 31 Kuxe mitzubauen verpflichtet sind. Von dieser ihrer Verpflichtung hätten sich die Beklagten dadurch nicht befreien können, daß sie ihre Kuxe der Gewerkschaft zur Verfügung stellten, sie müßten sich in der Lage befinden, mit ihren eigenen Kuxen auch die der Stadt B. zur Verfügung zu stellen. Werde dies im Auge behalten, so könnten die Abmachungen vom 11. April 1876 und 4. Januar 1877 sehr wohl die Auffassung begründen, daß die Beklagten sich persönlich zur anteiligen Bezahlung der Forderung der Klägerin obligiert hätten, und da der Appellationsrichter unter dem Einflusse der oben gerügten irrigen Rechtsansicht an die Interpretation der genannten beiden Verhandlungen herangetreten sei, so sei auch diese Auslegung eine rechtsirrtümliche. - Der Angriff ist nicht gerechtfertigt. Es ist bei demselben zunächst übersehen, daß die Gewerkschaft Ottilie bereits bei Emanation des Allgem. Berggesetzes bestanden hat, und daß die gesetzlichen Vorschriften für die alten Gewerkschaften in vielen Beziehungen von denen abweichen, welche im Allgem. Berggesetze für die neuen Gewerkschaften gegeben sind.

Das Allgem. Berggesetz überläßt es den Mitbeteiligten an einem Bergwerke, welches gesellschaftliche Verhältnis sie unter einander feststellen wollen. Jede nach den allgemeinen Gesetzen zulässige Gesellschaftsform ist statthaft.

Mot. zur Regierungsvorlage. Drucksachen des Herrenhauses 1865 Nr. 6 S. 17. 72. - Bericht der Kommission des Herrenhauses a. a. O. Nr. 36 S. 33. 49.

Die Vorschriften in den §§. 94-132 über die Gewerkschaften sind nur subsidiäre. Der §. 133 Abs. 1 des Allgem. Bergges. verordnet:

"Die Bestimmungen der §§. 94-132 kommen nicht zur Anwendung, wenn die Rechtsverhältnisse der Mitbeteiligten eines Bergwerkes durch Vertrag oder sonstige Willenserklärungen anderweitig geregelt sind. Ein solches Rechtsgeschäft bedarf zu seiner Gültigkeit der notariellen oder gerichtlichen Form. Die Urkunde über dasselbe ist der Bergbehörde einzureichen."

Nur in Ermangelung einer solchen besonderen Vereinbarung entsteht kraft des Gesetzes. sobald ein Bergwerk in das Eigentum von zwei oder mehreren Personen gelangt, das in den §§. 94-132 geregelte gewerkschaftliche Rechtsverhältnis. Auch dieses ist noch in gewissen Beziehungen durch den Willen der Mitbeteiligten abänderlich. Der §. 94 Allgem. Bergges. lautet:

"Zwei oder mehrere Mitbeteiligte eines Bergwerkes bilden eine Gewerkschaft.

Die Gewerkschaft kann ihre besondere Verfassung durch ein notariell oder gerichtlich zu errichtendes Statut regeln, welches der Zustimmung von wenigstens drei Vierteilen aller Anteile und der Zustimmung des Oberbergamtes bedarf.

Die Bestimmungen der §§. 95-110. 114 Abs. 2 und 123-128 dürfen durch das Statut nicht abgeändert werden."

Hieraus ergiebt sich, daß, wenn die Mitbeteiligten eines Bergwerkes in Ausübung der im §. 133 ihnen gewährten Freiheit vertragsmäßige Bestimmungen treffen, welche mit solchen gewerkschaftlichen Vorschriften des Allgem. Berggesetzes im Widerspruche stehen, die unabänderlich sind, unter ihnen überhaupt ein gewerkschaftliches Verhältnis mit den Wirkungen der §§. 94-132 nicht entstehen kann. Alsdann ist das von ihnen getroffene Abkommen lediglich nach den allgemein geltenden civilrechtlichen Vorschriften zu beurteilen. Die §§. 94-132 sind auch nicht ergänzend anzuwenden, und es kommen die in ihnen enthaltenen, vom Civilrechte abweichenden Bestimmungen nur soweit in Anwendung, als sie in den Vertrag als Bestandteile desselben aufgenommen worden sind.

In Anerkennung dieser Grundsätze hat das preußische Obertribunal (3. Senat) in dem von der Klägerin allegierten Erkenntnisse vom 7. Januar 1874 (Entsch. Bd. 71 S. 256 flg.) für eine unter der Herrschaft des Allgem. Berggesetzes an einem Steinkohlenbergwerke entstandene Mitbeteiligung angenommen, daß ein gewerkschaftliches Verhältnis nicht bestehe, weil in dem von den beiden Mitbeteiligten geschlossenen notariellen Vertrage sich der eine (Besitzer von 75 Kuxen) zur Tragung aller Beiträge behufs Erfüllung der Schuldverbindlichkeiten der Gewerkschaft und behufs des Betriebes und zu allen Lasten verpflichtet hatte, während dem anderen Mitbeteiligten (Besitzer von 25 Kuxen) Befreiung von jeder Zubuße zugesichert war.

Auf gleichem Grunde beruht das Erkenntnis des Reichsoberhandelsgerichtes (1. Senat) vom 6. April 1877 (Deutsche Jurist. Ztg. 1877 S. 377), welches sich auf ein erst nach Emanation des Allgem. Berggesetzes verliehenes Bergwerk bezieht. Hier ist ausgeführt, daß eine Gewerkschaft nicht zustande kommt, wenn der Alleineigentümer eines Bergwerkes an einen anderen Kuxe veräußert, die gegen die Regel des §. 101 Abs. 1 des Allgem. Berggesetzes auf einer Einteilung des Bergwerkes in 1000 Teile und nicht in 100 Teile beruhen. Es wird für diesen Fall eine förmliche und rechtsgültige (statutarische) Konstituierung (§. 101 Abs. 2) verlangt.

Übereinstimmend nimmt Klostermann im Lehrbuche des preußischen Bergrechtes S. 229 an, daß durch die vertragsmäßige Abänderung einer derjenigen Bestimmungen, die durch das Statut nicht abgeändert werden dürfen, die Gewerkschaft aufhört, eine Gewerkschaft im Sinne des Allgemeinen Berggesetzes zu sein.

Wenn es sich also im vorliegenden Falle um eine erst unter dem Allgem. Berggesetze entstandene Mitbeteiligung handelte, so würde den Appellationsrichter allerdings der Vorwurf treffen, daß er zu Unrecht dieselbe als eine Gewerkschaft betrachtet und den §. 99 des Gewerkschaftsrechtes für maßgebend angesehen hat. Die Gewerkschaft Ottilie hat aber bereits vor Eintritt der Gesetzeskraft des Allgem. Berggesetzes bestanden, und es enthalten die für die alten Gewerkschaften geltenden Gesetze keine Bestimmung, nach welcher die gewerkschaftlichen Rechtsnormen in ihrem ganzen Umfange in dem Falle ausgeschlossen bleiben sollen, in welchem unter den Mitbeteiligten ein Vertrag besteht, bei dem einzelne Abreden mit solchen gewerkschaftlichen Vorschriften im Widerspruche sich befinden, welche nach dem Allgem. Berggesetze §. 94 Abs. 3 statutarisch nicht abgeändert werden dürfen. Im Gegenteil gelten bei den alten Gewerkschaften die gewerkschaftlichen Rechtsnormen des Allgem. Berggesetzes (soweit sie nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind) nebenher und ergänzend neben der vertragsmäßigen Abrede.

Schon das preuß. Allgem. Landrecht bestimmte II. 16. §. 268 als Eingang zu den folgenden gewerkschaftlichen Regeln:

Die Verhältnisse der Gesamteigentümer unter sich sind nach dem unter ihnen bestehenden Vertrage, und in dessen Ermangelung nach den allgemeinen Grundsätzen des ersten Teiles Titel 17 zu beurteilen.

Der §. 1 des Gesetzes vom 12. Mai 1851 über die Verhältnisse der Miteigentümer eines Bergwerkes (G. S. S. 265) verordnet:

Die Verhältnisse der Miteigentümer eines Bergwerkes (der Gewerken) unter sich sind nach dem unter ihnen bestehenden Vertrag, insoweit es an vertragsmäßigen Verabredungen fehlt, nach den Bestimmungen des gegenwärtigen Gesetzes und, soweit diese nicht ausreichen, nach den allgemeinen Gesetzen zu beurteilen.

Die §§. 226 und 227 des Allgem. Berggesetzes lauten:

§. 226.
Die Rechtsverhältnisse der bei dem Eintritte der Gesetzeskraft des gegenwärtigen Gesetzes in den rechtsrheinischen Landesteilen bestehenden Gewerkschaften sind, soweit es an vertragsmäßigen Verabredungen fehlt und nicht in den nachfolgenden §§. 227 bis 239 etwas anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des vierten Titels zu beurteilen.

§. 227.
Die §§. 94 bis 98. 101. 103. 105. 106. 108. 109 und 110 finden auf die bestehenden Bergwerke keine Anwendung.

Es sollen also die nicht ausdrücklich ausgeschlossenen Vorschriften des Titels 4 zur Anwendung kommen, "soweit es an vertragsmäßigen Verabredungen fehlt". Nun läßt sich nicht behaupten, daß die unter den Gewerken der Zeche Ottilie bestehende Vereinbarung, wonach die 31 Kuxe der Stadt B. von den Beklagten und gewissen anderen Kuxen freigebaut werden müssen, unvereinbar mit dem auch für die alten Gewerkschaften geltenden §. 99 sei, nach welchem für die Verpflichtungen der Gewerkschaft nur deren Vermögen verhaftet ist. Die durch die erwähnte Vereinbarung abweichend von §. 102 normierte Beitragspflicht der einzelnen Gewerken zu den Verpflichtungen und zum Betriebe des Bergwerkes hat nichts gemein mit den Beziehungen zwischen der Gewerkschaft und den Gläubigern derselben und mit dem Satze (§. 99), daß den Gläubigern der Gewerkschaft lediglich deren Vermögen haftet.

Der §. 94 des Allgem. Berggesetzes. insbesondere der Absatz 3, welcher feststellt, daß gewisse Vorschriften des Gewerkschaftsrechtes einer statutarischen Abänderung nicht unterliegen, gilt für die alten Gewerkschaften nicht (§. 227). Eine vor Einführung des Allgem. Berggesetzes bereits bestehende Gewerkschaft hört nicht deshalb auf, eine Gewerkschaft zu sein, weil ihre alte Verfassung Bestimmungen enthält, die mit solchen Anordnungen des Titel IV des Allgem. Berggesetzes im Widerspruche stehen, welche nach §. 94 Absatz 3 durch die Statuten nicht abgeändert werden dürfen.1

Für vorstehende Ausführung sprechen die Motive zur Regierungsvorlage §. 226 a. a. O. S. 125. Es heißt daselbst:

"Da die im vierten Titel vorgeschlagene Organisation der Gewerkschaft sich unmittelbar an die seitherige Verfassung derselben und namentlich an das Gesetz vom 12. Mai 1851 anlehnt und nur den Zweck hat, die gewerkschaftlichen Rechtsverhältnisse auf der vorhandenen Grundlage konsequenter durchzubilden und zu entwickeln, so erscheint es ebenso ausführbar wie zweckmäßig, den vierten Titel auch auf die in den rechtsrheinischen Landesteilen bereits bestehenden Gewerkschaften auszudehnen. Es bedarf nur gewisser Modifikationen, welche sich aus der Personifizierung der Gewerkschaft und der veränderten Natur der Kuxe ergeben. Denn in dieser Beziehung darf, wie schon in den einleitenden Bemerkungen ausgeführt worden, ein Zwang zur Annahme der neuen Gewerkschaftsform gegen die bestehenden Gewerkschaften nicht ausgeübt werden.

Im übrigen können aber die Vorschriften des vierten Titels, gleichviel, ob sie unverändert das seitherige Recht oder zeitgemäße Verbesserungen, desselben enthalten, namentlich die Vorschriften über die Beschlußfassung und Repräsentation der Gewerkschaften (§§. 111 bis 128), über die Einziehung der Beiträge (§§. 129 bis 131) und über den Verzicht auf Anteile (§. 132), sowie die allgemeinen Grundsätze der §§. 133 bis 134, ohne jedes rechtliche und praktische Bedenken auch auf die bestehenden Gewerkschaften Anwendung finden.

Dasselbe gilt von den Vorschriften der §§. 99. 100. 102. 104 und 107, denn auch die hierin enthaltenen Grundsätze beruhen, wie beim vierten Titel des näheren ausgeführt ist, teils auf herrschenden Rechtsanschauungen, teils auf positiven Festsetzungen des bestehenden Rechtes und greifen deshalb durchaus nicht störend in den gegenwärtigen Rechtszustand ein.

Wird in dieser Weise die Wirksamkeit des vierten Titels erweitert so erlangen nicht nur die Gewerkschaften, welche das Berggesetz in sehr großer Zahl vorfindet, die Vorteile der verbesserten gewerkschaftlichen Verfassung, sondern es wird dem dringenden Bedürfnisse nach einfachen und übersichtlichen Rechtsnormen auch in diesem besonders wichtigen Teile des Bergrechtes genügt."

Herrenhaus und Abgeordnetenhaus haben die §§. 226 und 227 ohne Erinnerung und mit einer bloßen Fassungsänderung im §. 226 (das Wort "Bestimmungen" des vierten Titels in der Regierungsvorlage ist durch "Vorschriften" ersetzt) angenommen.

Kommissionsbericht des Herrenhauses S. 70 und Zusammenstellung S. 94. 95; Kommissionsbericht des Abgeordnetenhauses S. 103.

Will man nach einem Grunde dafür suchen, weshalb die Gesetzgebung für die neu sich bildenden Gewerkschaften gewisse gesetzliche Bestimmungen unbedingt für unabänderlich erklärt hat (§. 94 Absatz 3), widrigenfalls kein gewerkschaftliches Verhältnis entsteht, während die alten Gewerkschaften die Gewerkschaftseigenschaft nicht verlieren, wenngleich in ihren alten Statuten Anordnungen enthalten sind, die unabänderlichen Bestimmungen (§. 94 Absatz 3) widerstreiten, so dürfte dieser Grund darin zu finden sein, daß man gehofft und gewünscht hat, die alten Gewerkschaften würden bald und in umfassendem Maße von der Befugnis Gebrauch machen, sich in Gewerkschaften des neuen Rechtes umzuwandeln (§. 235. - Gesetz vom 9. April 1873. G. S. S. 181), und daß man bis dahin an ihren alten Verfassungen nichts hat ändern, wohl aber ihnen die Vorteile der neuen Gesetzgebung möglichst hat zuwenden wollen.2

Im vorliegenden Falle hat also dem Appellationsrichter keine rechtsirrtümliche Ansicht über die Anwendbarkeit des §. 99 beigewohnt, und er kann hierdurch nicht zu einer rechtsirrtümlichen Interpretation der Abkommen vom 11. April 1876 und 4. Januar 1877 veranlaßt worden sein.

Die Nichtigkeitsbeschwerde greift diese Interpretation auch noch deshalb als rechtsirrtümlich an, weil der Appellationsrichter nicht erwogen habe, daß die Beklagten nicht bloß ihre eigenen, sondern auch die von ihnen frei zu bauenden Kuxe der Stadt B. der Gewerkschaft hätten zur Disposition stellen müssen, um sich in Ausübung der Befugnisse in §§. 129. 130 Allgem. Bergges. von ihrer Zubußeverpflichtung der Gewerkschaft gegenüber zu befreien. Es ist nicht ersichtlich, daß der Appellationsrichter bei der Auslegung der mehr erwähnten Verhandlungen auf diese Befugnis der Gewerken (§§. 129. 130) irgend welche Rücksicht genommen hat. Er war auch nicht verpflichtet, bei Prüfung der Frage, ob die Beklagten den Gewerkschaftsgläubigern persönlich verhaftet sind, zu erwägen, ob die Beklagten den §§. 129 und 130 genügt haben, denn für das Verhältnis des Gewerken zu den Gewerkschaftsgläubigern ist es ganz gleichgültig, wie der Gewerke seine Beziehungen zur Gewerkschaft reguliert, und es ist für die Entscheidung einflußlos, wie der Appellationsrichter die genannten Paragraphen aufgefaßt hat."

  • 1. Die Frage, ob den alten Gewerkschaften nach Einführung des Allg. Berggesetzes das Recht der statutarischen Autonomie entzogen ist, wird gegenwärtig nicht berührt. Klostermann, Lehrb. des preuß. Bergrechts S. 226.
  • 2. Vgl. auch Regierungsmotive zu §. 235 S. 17.