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RG, 04.11.1918 - VI 149/18

Daten
Fall: 
Begriffe der höheren Gewalt
Fundstellen: 
RGZ 95, 64
Gericht: 
Reichsgericht
Datum: 
04.11.1918
Aktenzeichen: 
VI 149/18
Entscheidungstyp: 
Urteil
Instanzen: 
  • LG Hannover
  • OLG Celle

Zum Begriffe der höheren Gewalt im Sinne des § 1 des Reichshaftpflichtgesetztes.

Tatbestand

Der Ehemann und Vater der Kläger, der Bergmann J., ist in der Nacht vom 19. auf 20. Oktober 1915 auf der Rückfahrt von Kowno nach Gladbeck aus dem Abteil eines fahrenden D-Zuges des Beklagten, nachdem er die Fensterscheibe eingeschlagen und den Fensterrand erklettert hatte, hinausgesprungen und tot auf der Strecke aufgefunden worden.

Die Schadensklage der Kläger wurde vom Landgericht abgewiesen, vom Oberlandesgericht zugesprochen. Die Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Gründe

"Die von der Revision bekämpfte Annahme des Landgerichts, daß J. beim Betriebe der Eisenbahn getötet worden ist, unterliegt keinem rechtlichen Bedenken. Denn die Geschwindigkeit des fahrenden Zuges, aus dem er hinausgesprungen ist, muß als die Ursache oder als eine der Ursachen, die seinen Tod herbeigeführt haben, betrachtet werden.

Das Berufungsgericht hält für erwiesen, daß J. infolge eines Traums vorübergehend unter der Wahnvorstellung stand, ein Eisenbahnunfall sei eingetreten oder stehe unmittelbar bevor und bringe die im Zuge Bleibenden in höchste Lebensgefahr, aus welcher er sich nur durch einen Sprung aus dem Fenster retten könne. Die hohe Wahrscheinlichkeit spreche dafür, daß die Einbildung des I. durch einen Betriebsunfall in der vorhergegangenen Nacht ausgelöst worden sei. Der Zug, in dem er sich befand, habe einen Achsenbruch erlitten, die Puffer zweier Wagen seien übereinander geschoben und die Reisenden stark durcheinander geschüttelt worden. Höchstwahrscheinlich habe sich im Gehirn des F. unter der Nachwirkung dieses Unfalls und infolge ihrer eine besonders lebhafte und nachhaltige Traumvorstellung der hier fraglichen Art gebildet. Ursächlich könnten auch die sonstigen Ereignisse der Fahrt gewesen sein, namentlich der lange Aufenthalt des J. in dem fahrenden Wagen, die Geräusche des Betriebes und die Bewegungen des Zuges. Jedenfalls habe sich die Einbildung, daß ein Betriebsunfall eingetreten sei oder drohe und daß allein ein schneller Sprung durch das Fenster Rettung bringen könne, überhaupt nur bilden können aus den zu irgend einer Zeit erfolgten Eindrücken des Eisenbahnbetriebs auf J. Die Wahnvorstellung sei dann notwendig eine Folge des Eisenbahnbetriebs gewesen und schließe höhere Gewalt aus, weil das schadenbringende Ereignis durch den Betrieb selbst entstanden sei, so daß es auf seine Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit nicht ankomme.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, daß höhere Gewalt nicht vorliege, steht mit der Rechtsprechung des Senats in Übereinstimmung. Danach ist als höhere Gewalt ein Ereignis anzusehen, das von außerhalb des Betriebs oder seiner Einrichtungen wirkt, unvorhersehbar, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln nicht abzuwenden, auch nicht wegen seiner Häufigkeit von dem Betriebsunternehmer mit in den Kauf zu nehmen ist. Das Erfordernis, daß das Ereignis von außerhalb des Betriebs wirke, bedeutet nicht, daß es räumlich von außen in den Vetrieb greift, sondern nur, daß es außer Zusammenhang mit dem Betriebe stehe, seinen Grund nicht in dem Betrieb ober seinen Einrichtungen selbst habe.

Das Berufungsgericht nimmt nun rein tatsächlich an, daß das Traumgebilde und die verhängnisvolle Wahnvorstellung des J. auf den Eisenbahnbetrieb zurückzuführen seien, und zwar entweder auf den Zusammenstoß der verflossenen Nacht oder auf die sonstigen Ereignisse der ganzen Fahrt, wie es sie näher erwähnt, oder auf beides zusammen. Damit erledigt sich der Einwurf der Revision, daß der Beklagte keinesfalls jenen Zusammenstoß zu vertreten brauche, von dem nicht festgestellt sei, daß er sich innerhalb seines eigenen Betriebs ereignet habe. Denn wenn dies auch nicht der Fall war, so haben sich die übrigen Ereignisse, die nach der Annahme des Berufungsgerichts die Tat des F. hervorgerufen haben können, im Betrieb des Beklagten zugetragen oder fortgesetzt. Den Einwand der höheren Gewalt hat aber der Beklagte zu beweisen, also auch, daß keines der beiden Ereignisse, die allem oder zusammen den Traum und in seinem Gefolge den Todessprung des J. zur Wirkung gehabt haben, in seinem Betriebe wurzele. Mangels dieses Beweises fällt der Tod des J. dem Beklagten zur Last." ...